OGH 7Ob658/84

OGH7Ob658/8418.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Barbara S*****, vertreten durch Dr. Ulrich Daghofer, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Dr. Edith E*****, vertreten durch Dr. Wilfried Haidacher, Rechtsanwalt in Graz, wegen Wiederaufnahme und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 16. Mai 1984, GZ 4 R 74, 75/84‑48, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 2. Februar 1984, GZ 6 Cg 126/82‑42, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00658.840.1018.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 11.798,85 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 960 S Barauslagen und 985,35 S USt) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

 

Entscheidungsgründe:

Die in Graz geborene deutsche Staatsangehörige Edelgard H***** heiratete am 22. Dezember 1925 den deutschen Reichsbürger Dr. Ernst H*****. Dieser Ehe entstammt die Klägerin und die verstorbene Veronika H*****. Dr. Ernst H***** versuchte am 10. Juni   1945 in M***** unter dem Eindruck der Nachkriegsereignisse, sich und seine Familie zu töten. Er und seine jüngere Tochter Veronika kamen hiebei ums Leben, die Klägerin und ihre Mutter Edelgard H***** überlebten. Edelgard H***** wurde im Jahre 1963 im Erbwege nach ihrer Mutter Eigentümerin der Liegenschaften EZ *****, ***** und ***** der Katastralgemeinde II St. Leonhard. Mit Kaufvertrag vom 5. Juli 1963 veräußerte sie die Liegenschaften an das Ehepaar F***** und Johanna E*****. Die grundbücherliche Einverleibung des Eigentumsrechts der Käufer unterblieb. Nach dem Inhalt der Schuldscheine vom 2. November 1968 sind Edelgard H***** und das Ehepaar E***** Darlehensschuldner zur ungeteilten Hand der von der Beklagten gewährten, auf den obgenannten Liegenschaften pfandrechtlich sichergestellten und wertgesicherten Darlehen von 350.000 S und 78.500 S. Mit rechtskräftigem Versäumungsurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 19. Juni 1973, GZ 6 Cg 129/73, wurden die Darlehensschuldner aufgrund der obgenannten Schuldscheine zur ungeteilten Hand zur Zahlung einer Wertsicherung von 149.052,50 S sA an die Beklagte verurteilt. Edelgard H***** wurde am 5. August 1975 in Österreich wegen Geisteskrankheit voll entmündigt. Sie starb am 21. März 1978. Ihr Nachlass wurde der Klägerin als Alleinerbin eingeantwortet.

Auf Betreiben der Beklagten erfolgte im Jahre 1982 die Zwangsversteigerung der Pfandliegenschaften. Zur Meistbotsverteilung meldete die Beklagte ihre restliche Darlehensforderung von 363.219,34 S sowie aufgrund des Versäumungsurteils eine Judikatschuld von 206.147,46 S zur Zuweisung durch Barzahlung an. Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch mit der Begründung, dass die Schuldscheine vom 2. November 1968 in Ansehung der Edeltraud H***** rechtsunwirksam seien, weil diese seit 1945 in der BRD unter pflegschaftsgerichtlicher Vormundschaft gestanden sei. Der Widerspruch wurde, soweit er sich gegen die Judikatschuld richtete, im Verteilungsbeschluss zurückgewiesen, seine Erledigung im Übrigen auf den Rechtsweg verwiesen.

Mit der am 19. Mai 1982 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Wiederaufnahme des Verfahrens des Erstgerichts zu 6 Cg 129/73. Mit der am 25. Juni 1982 eingebrachten weiteren Klage begehrt sie die Feststellung der Nichtigkeit der Willenserklärung der Edelgard H***** in dem Schuldschein vom 2. November 1968 betreffend das Darlehen von 350.000 S sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Einwilligung in die Löschung der Pfandrechte. Edelgard H***** sei im Zeitpunkt der Errichtung der Schuldscheine und der Durchführung des Verfahrens zu 6 Cg 129/73 geschäftsunfähig gewesen. Sie sei bereits im Jahre 1945 vom Amtsgericht K***** wegen Geisteskrankheit voll entmündigt worden. Edelgard H***** sei zu den Unterschriften auf den Schuldscheinen durch Betrug veranlasst worden. Die Forderungen der Beklagten seien bereits zur Gänze getilgt.

Die Beklagte bestreitet eine Entmündigung der Edelgard H***** im Jahre 1945 und behauptet deren volle Geschäftsunfähigkeit im fraglichen Zeitpunkt. Sie wendet überdies Vesäumung der Klagefristen für beide Klagen ein.

Die beiden Rechtsstreite wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden, führend ist der Art betreffend die Wiederaufnahmsklage.

Das Erstgericht bewilligte die Wiederaufnahme des Verfahrens 6 Cg 129/73 in Ansehung der Edelgard H***** und hob das gegen diese ergangene Versäumungsurteil auf. Es stellte fest, dass die Willenserklärung der Edelgard H***** im Schuldschein vom 2. November 1968 über 350.000 S nichtig ist, und erklärte die Beklagte schuldig, in die Löschung der Pfandrechte einzuwilligen.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts erlitt Edelgard H***** bei dem Vorfall vom 10. Juni 1945 infolge einer Kohlenmonoxyd‑ und einer Barbituratvergiftung einen bleibenden Hirnschaden mit schwersten Merk‑ und Gedächtnisstörungen und mit nachfolgender Persönlichkeitsveränderung. Sie war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen. Vom Amtsgericht K***** wurde noch im Jahre 1945 eine Pflegschaft eingeleitet, der Pflegschaftsakt im Jahre 1956 jedoch vernichtet, sodass nicht mehr festgestellt werden kann, ob und wie die Pflegschaft beendet wurde. In den Jahren nach 1945 trat jedoch dem Grunde nach keine Besserung im Zustand der Edelgard H***** ein. Es kam nur zu schrittweisen kompensatorischen Ersatzleistungen infolge Anpassung. Im Frühjahr 1962 kam Edelgard H***** zu ihrer Mutter nach Graz. Zu ihrem organischen Hirnschaden trat eine altersbedingte Demenz, die jedenfalls ab dem Jahre 1963 vorhanden war. Ungeachtet ihrer monatlichen Pension von netto 1.050 DM und ab 1973 von monatlich netto 1.902 DM wirkte Edelgard H***** etwa ab dem Jahre 1965 auch äußerlich herabgekommen und verwahrlost. Aufgrund der Altersdemenz und der Hirnschädigung aus dem Jahre 1945 war sie spätestens ab dem Jahre 1968 nicht mehr imstande, ihre Angelegenheiten durch eigene Willensbetätigung zu erledigen. Sie konnte die Tragweite und Folgen ihrer Erklärungen nicht mehr erfassen.

Das Erstgericht folgerte aus diesem Feststellungen, dass Edelgard H***** sowohl im Zeitpunkt der Unterfertigung der Schuldscheine als auch im Jahre 1973 nach den hier anzuwendenden Bestimmungen des § 104 Z 2 dBGB geschäftsunfähig gewesen sei. Dies rechtfertigte eine Wiederaufnahme des Verfahrens, weil mit einer günstigeren Entscheidung zu rechnen sei. Die Klagefrist sei gewahrt, weil nicht erweislich sei, dass die Klägerin von den neuen Tatsachen und Beweismitteln vor dem 20. April 1982 Kenntnis erhalten habe. Die Klägerin habe auch ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung der Unwirksamkeit des Schuldscheins über 350.000 S. Dem darauf gerichteten Klagebegehren liege eine Verweisung im Meistbotverteilungsverfahren zugrunde, und es seien aufgrund des Schuldscheins auch weitere Forderungen nicht auszuschließen.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es das Begehren auf Einwilligung der Beklagten zur Löschung der Pfandrechte abwies, weil die Pfandrechte bereits vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz gelöscht worden seien. Im Übrigen teilte das Berufungsgericht die Rechtsmeinung des Erstgerichts. Zur Frage der Zuständigkeit führte es aus, dass zur Entscheidung von auf den Rechtsweg verwiesenen Widersprüchen nach § 232 Abs 1 EO das Exekutionsgericht ausschließlich zuständig sei. Ein Verstoß gegen diese Zuständigkeit habe die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit des Verfahrens nach § 477 Abs 1 Z 3 ZPO aF zur Folge. Nach dem von der Klägerin gestellten Urteilsbegehren und dem erweiterten Sachvorbringen handle es sich im vorliegenden Fall jedoch um keine Widerspruchsklage nach § 231 EO. Den Anspruch auf Feststellung der Unwirksamkeit der Willenserklärung ihrer Mutter könne die Klägerin aber auch vor dem hiefür zuständigen Erstgericht geltend machen.

Das Berufungsgericht erklärte die Revision im führenden Rechtsstreit für nicht zulässig. Hinsichtlich des verbundenen Rechtsstreits sprach es aus, dass der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstands 15.000 S nicht übersteige, der von der Bestätigung betroffene Wert 60.000 S und der gesamte Wert des Streitgegenstands, über den es entschieden habe, 300.000 S übersteige.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts im verbundenen Rechtsstreit richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären und die Klage zurückzuweisen, das angefochtene Urteil allenfalls im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise stellt die Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsausführungen zur Frage der Nichtigkeit könnten auch dann nicht zum Erfolg führen, wenn die Klage, entgegen der Meinung des Berufungsgerichts, als Widerspruchsklage nach § 231 EO zu qualifizieren wäre. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung bezieht sich § 51 EO über die Unwirksamkeit von Gerichtsstandvereinbarungen nur auf das eigentliche Exekutionsverfahren, nicht aber auf die im Zusammenhang mit einem Exekutionsverfahren entstehenden Prozesse ( Heller‑Berger‑Stix  608; Fasching  I 510; SZ 45/64; RZ 1975/51, ua). Für solche Prozesse kann daher im Rahmen des § 104 Abs 2 JN eine Zuständigkeitsvereinbarung getroffen werden ( Fasching aaO, Rsp l930/367). Die Prorogationsgrenze des § 104 Abs 2 zweiter Satz wäre hier unbeachtlich, weil es für die Wirkung des § 45 Abs 1 JN genügt, dass der Gerichtshof erster Instanz seine Zuständigkeit auch bloß schlüssig durch eine Sachentscheidung anerkannt hat. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass es sich bei dem Gerichtsstand nach § 231 Abs 1 EO um eine individuelle Zuständigkeit handelt (SZ 51/101).

Die Verletzung des § 362 Abs 2 ZPO durch Nichteinholung des von der Beklagten beantragten weiteren Sachverständigengutachtens durch das Erstgericht hat die Revisionswerberin bereits in ihrer Berufung als Verfahrensmangel gerügt. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen dieses Verfahrensmangels verneint. Mängel des Verfahrens erster Instanz, die das Berufungsgericht als nicht gegeben erachtete, können im Revisionverfahren nicht neuerlich geltend gemacht werden (SZ 53/12 mwN). Ob im Rahmen des § 488 Abs 3 ZPO durch das Berufungsgericht ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll, ist eine Frage der Beweiswürdigung und daher irrevisibel (EvBl 1958/94 ua).

Die Rechtsrüge lässt sich dahin zusammenfassen, dass das Vorbringen der Klage nicht der Wahrheit entsprochen habe. Die Verletzung der Rechtspflicht nach § 178 ZPO ist jedoch grundsätzlich sanktionslos. In Wahrheit stellen die Revisionsausführungen auch nur den Versuch dar, die Beweiswürdigung der Vorinstanzen anzugreifen. Eine Bekämpfung der rechtlichen Beurteilung, die der festgestellte Sachverhalt durch die Vorinstanzen erfahren hat, lässt sich der Rechtsrüge nicht entnehmen.

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