European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00034.840.1011.000
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 6.382 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 640 S Barauslagen und 522 S Umsatzsteuer) sowie die mit 7.532,05 S bestimmten Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof (darin 640 S Barauslagen und 626,55 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte verursachte am 22. 6. 1980 in Italien mit seinem PKW Opel Commodore GS, polizeiliches Kennzeichen *****, einen Verkehrsunfall. Die Klägerin, als Haftpflichtversicherer, musste an geschädigte Dritte Leistungen erbringen. Mit der Behauptung, der Beklagte habe die Erstprämie nicht bezahlt, verlangte sie den Rückersatz von 203.343 S sA.
Der Beklagte hatte bereits im Februar 1980 für einen PKW Mini 850 MK 3 bei der Klägerin eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen und die hiefür vorgeschriebene Erstprämie bezahlt. Dieses Kraftfahrzeug wurde auf das vorgenannte Kennzeichen zugelassen, wie auch der später angeschaffte Opel Commodore GS. Bezüglich dieses Fahrzeugs beantragte der Beklagte bei der Klägerin die Haftpflichtversicherung, wobei angegeben wurde, dass beide Fahrzeuge mit Wechselkennzeichen betrieben werden sollten. Tatsächlich erteilte die Klägerin dem Beklagten am 10. 6. 1980 zu der alten Polizze eine Gutschrift von 1.826 S, wobei sie vermerkte, dass das Fahrzeug unter einem gemeinsamen Kennzeichen mit dem zu der späteren Polizze versicherten Kraftfahrzeug laufe. Bezüglich des Opel Commodore GS stellte die Klägerin am 16. 6. 1980 eine Polizze aus, in der sie eine Erstprämie für das erste halbe Jahr von 3.667 S berechnete. Hievon wurde die Gutschrift von 1.826 S in Abzug gebracht, sodass mit der Polizze eine Restprämie von 1.841 S gefordert wurde. Diese Polizze wurde an die Adresse des Beklagten in F***** vor dem 22. 6. 1980 übersandt und langte auch vor diesem Tag dort ein. Der Beklagte erhielt sie jedoch vor dem Unfall nicht, weil er vom 16. 6. bis 20. 6. 1980 im Auftrag seines Dienstgebers in N***** arbeitete und auch dort nächtigte. Erst am Freitag den 20. 6. 1980 kam er nach F***** zurück, fuhr jedoch nicht in seine Wohnung, sondern zu seiner Verlobten, wo er in der Folge nächtigte. Mit dieser fuhr er am Sonntag den 22. 6. 1980 nach Italien, wo sich der Unfall ereignete.
Die vorgeschriebene Restprämie zahlte der Beklagte erst aufgrund einer von der Klägerin eingebrachten Mahnklage am 23. 9. 1980.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es bezweifelte, dass es sich bei der vorgeschriebenen Restprämie um eine Erstprämie gehandelt habe und demnach § 38 VersVG anwendbar sei. Selbst wenn dies aber der Fall sei, wäre die Leistungsfreiheit der Klägerin nicht eingetreten, weil den Beklagten kein Verschulden an der Nichtzahlung treffe. Im Übrigen könne keinesfalls ein Verzug des Beklagten angenommen werden, und zwar selbst dann nicht, wenn man von dem frühest möglichen Zeitpunkt einer Zustellung, nämlich dem 18. 6. 1980, ausgehe. Selbst in einem solchen Falle wäre der Beklagte nicht verpflichtet gewesen, die Prämie bis zum nächsten Sonntag, den 22. 6. 1980, zu zahlen. Ein nach dem Unfall eingetretener Verzug habe aber für die Leistungspflicht der Klägerin keine Bedeutung.
Das Berufungsgericht hob die erstgerichtliche Entscheidung unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es qualifizierte die vorgeschriebene Restprämie als Erstprämie. Auf ein Verschulden des Beklagten komme es nicht an, sondern nur auf seinen objektiven Verzug. Im Hinblick darauf, dass die Polizze bereits vor dem Unfallstag beim Beklagten eingelangt und dieser verpflichtet gewesen sei, die Prämie unverzüglich zu zahlen, müsse von einem objektiven Verzug ausgegangen werden, sodass die Klägerin leistungsfrei sei. Es seien daher die vom Beklagten bezüglich der Höhe des Klagsanspruchs erhobenen Einwendungen zu prüfen.
Der vom Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhobene Rekurs ist gerechtfertigt.
Rechtliche Beurteilung
Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings die vorgeschriebene Restprämie als Erstprämie qualifiziert. Unter einer Erstprämie muss man nämlich jede erstmals eingeforderte Prämie für die Übernahme eines neuen Risikos verstehen. So ist beispielsweise eine Erstprämie auch die erste Prämie für einen Vertrag, der einen früheren „ersetzt“ oder die erste Prämie für einen Vertrag, den ein Versicherungsnehmer nach Veräußerung oder Zerstörung des versicherten Kraftfahrzeugs mit dem Versicherer dieses Wagens für den von ihm angeschafften Ersatzwagen unter Anrechnung einer Vergütung aus dem alten Vertrag abschließt ( Prölss‑Martin VVG 23 , 217 f). Umsomehr muss dies für eine Erweiterung des bestehenden Vertrags auf ein zusätzliches Risiko oder auf einen zusätzlichen Gegenstand gelten. Für die Beurteilung einer Prämie als Erstprämie spricht es auch, wenn wesentliche Punkte eines Versicherungsvertrags, wie zB das versicherte Objekt neu vereinbart werden (7 Ob 65/83). Wird demnach ein bereits bestehender Vertrag auf ein zusätzliches Risiko oder einen weiteren Gegenstand „ausgedehnt“, so ist er bezüglich dieser Ausdehnung als neuer Vertrag anzusehen, weshalb die durch die Ausdehnung bewirkte Prämiendifferenz eine Erstprämie im Sinne des § 38 VVG ist.
Richtig ist allerdings, dass sämtliche Beteiligten schon bisher vom Vorliegen einer vorläufigen Deckungszusage ausgegangen sind, weil andernfalls im Hinblick auf den Umstand, dass die Erstprämie bei Eintritt des Versicherungsfalles noch nicht bezahlt war, eine Leistung der Klägerin überhaupt nicht in Frage gekommen wäre. Im Übrigen gibt dies die Klägerin in ihrer Rekursbeantwortung ausdrücklich zu. Damit ist aber für den Beklagten nichts gewonnen, weil die vorläufige Deckung gemäß Art 5 Abs 5 AKHB in der zum Zeitpunkt des Unfalls geltenden Fassung außer Kraft trat, wenn der Antrag unverändert angenommen wurde und der Versicherungsnehmer mit der Zahlung der ersten Prämie schuldhaft in Bezug geriet. Die unveränderte Annahme des Antrags durch den Versicherer und der schuldhafte Verzug mit der Bezahlung der Erstprämie durch den Versicherungsnehmer sind demnach zusammen eine auflösende Bedingung für den Wegfall des Versicherungsschutzes aus der vorläufigen Deckungszusage (ZVR 1974/26 ua). Demnach hängt die vorliegende Entscheidung von der Klärung der Frage ab, ob sich der Beklagte mit der Zahlung der ihm vorgeschriebenen Erstprämie in Vezug befand oder nicht.
Ob für den Eintritt der Folgen des § 38 Abs 2 VersVG objektiver Verzug in der Prämienzahlung genügt oder nicht, muss hier nicht weiter untersucht werden. Voraussetzung wäre nämlich auf jeden Fall ein Verzug. Da die Frist zur Zahlung erst mit dem Zugang des Versicherungsscheins beim Versicherungsnehmer beginnt ( Prölss‑Martin VVG 23 , 1010), war für die Beurteilung der Verzugsfrage die Kenntnis des Zeitpunkts dieses Zugangs erforderlich. Zwar trifft den Versicherungsnehmer die Beweispflicht für die rechtzeitige Zahlung der Prämie ( Prölss‑Martin VVG 23 218, VersR 1965, 526), doch hat den Beweis für den Zugang der Zahlungsaufforderung und dessen Zeitpunkt der Versicherer zu erbringen ( Prölss‑Martin , VVG 23 , 226, Pienitz‑Flöter , AKB 4 , 80, §§ 1, 13, SZ 50/69, SZ 27/294 ua). Demnach geht jeder Zweifel bezüglich des Zeitpunkts des Zugangs der Zahlungsaufforderung zu Lasten des Versicherers. Die bloße Absendung der Aufforderung beweist nicht einmal prima facie den Zugang geschweige den Zeitpunkt dieses Zugangs ( Prölss‑Martin , VVG 23 , 226; VerR 1975, 1166).
Im vorliegenden Fall ist lediglich bewiesen, dass dem Beklagten die am 16. 6. 1980 (Montag) ausgestellte Versicherungspolizze vor dem 22. 6. 1980 (Sonntag) an seine Adresse zugestellt worden ist. Sohin steht weder ein Zeitpunkt der Absenung zwischen diesen beiden Daten, noch ein Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs an dieser Adresse fest. Im Hinblick auf diese Beweispflicht der Klägerin muss daher von dem für sie ungünstigen Zeitpunkt des Zugangs ausgegangen werden. Selbst wenn man den Samstag als Zustelltag außer Betracht lässt, wäre von einer Zustellung am Freitag den 20. 6. 1980 auszugehen. Es ist zwar richtig, dass nach der seinerzeitigen Fassung der AKHB die Erstprämie unverzüglich zu zahlen war, doch hat auch die seinerzeitige Judikatur einige wenige Tage zwischen Zahlungsaufforderung und Zahlung toleriert (ZVR 1972/183, ZVR 1968/98, SZ 34/100 ua). Was unter einigen wenigen Tagen zu verstehen ist, muss hier nicht im Einzelnen erörtert werden. Keinesfalls wurde das Gebot der Unverzüglichkeit dann verletzt, wenn eine Zustellung erst am Freitag erfolgte und die Zahlung nicht bis zum darauffolgenden Sonntag geleistet worden ist. Geht man nämlich von den Verhältnissen des Arbeitslebens aus, so wird ein Adressat eine ihm am Freitag zugestellte Sendung keinesfalls zu einem Zeitpunkt erhalten, die ihm eine Zahlung noch am selben Tag ermöglichst. Dass aber die Zahlung nicht sofort am darauffolgenden Samstag geleistet wird, kann nicht schaden, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass in Österreich an Samstagen nur bei einem Teil der Postämter Einzahlungen möglich sind. Aus diesem Grunde musste hier nicht geprüft werden, inwieweit ein allfälliges Verschulden des Beklagten an einem Verzug erforderlich wäre, weil nach den obigen Ausführungen nicht einmal von einem Verzug bei der Zahlung der Erstprämie auszugehen ist.
Dass der Beklagte nach dem Versicherungsfall mit der Prämienzahlung in Verzug geraten ist, spielt keine Rolle, weil die vorläufige Deckungszusage erst mit dem Verzug außer Kraft trat und demnach zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles noch aufrecht war.
Da sohin Leistungsfreiheit der Klägerin nicht gegeben ist, erübrigte sich eine Verfahrensergänzung. Vielmehr war gemäß § 519 Abs 2 ZPO das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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