OGH 6Ob659/84

OGH6Ob659/844.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als Richter in der Pflegschaftssache der mj K*****, geboren am *****, und mj J*****, geboren am *****, infolge Rekurses des Vaters H*****, gegen den Beschluss des Jugendgerichtshofs Wien als Rekursgericht vom 24. August 1984, GZ 15 b R 30/84‑13, womit der Rekurs des Vaters H***** gegen den Beschluss des Jugendgerichtshofs Wien als Pflegschaftsgericht vom 29. November 1983, GZ 26 P 209/83‑5, als verspätet zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0060OB00659.840.1004.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs des ehelichen Vaters aufgetragen.

Begründung

Mit Beschluss vom 29. 11. 1983 ordnete der Jugendgerichtshof als Pflegschaftsgericht über die beiden Minderjährigen K***** und J***** die gerichtliche Erziehungshilfe an, genehmigte deren Unterbringung in einem Heim pflegschaftsgerichtlich und übernahm die die beiden Minderjährigen betreffenden Akten des Bezirksgerichts Hernals gemäß § 111 JN zur Weiterführung.

Rechtliche Beurteilung

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Rekursgericht den Rekurs des Vaters als verspätet zurück.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Vaters mit den Anträgen, den Beschluss aufzuheben und „neu zu verhandeln“.

Der Rekurs ist gerechtfertigt.

Der Beschluss des Erstgerichts wurde dem Vater der Kinder am 24. 5. 1984 zugestellt. Daraufhin richtete der Vater folgendes, mit 24. 5. 1984 datiertes und am 26. 5. 1984 zur Post gegebenes Schreiben ohne Angabe eines Aktenzeichens an den Jugendgerichtshof:

„Sehr geehrter Hr. Dr.!

Habe heute, den 24. 5. 1984 Ihren Beschluss erhalten und erhebe gegen diesen Beschwerde. Sobald es mir möglich ist, werde ich bei Ihnen vorsprechen.

Hochachtungsvoll H*****.“

Hierauf wurde der Rechtsmittelwerber am 8. 6. 1984 aufgefordert, den Gegenstand der Beschwerde zu bezeichnen und die Aktenzahl beizubringen. Dieses Schreiben wurde am 12. 6. 1984 zur Post gegeben. Am 27. 6. 1984 gab der Vater unter Hinweis auf sein obiges Schreiben und ein weiteres, von ihm allerdings nicht abgeschicktes Schreiben vom 20. 6. 1984 den Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluss zu Protokoll.

Nach ständiger Rechtsprechung (SZ 50/41 ua), sind die §§ 84 ff ZPO im Außerstreitverfahren sinngemäß anzuwenden. Dies gilt auch für die Bestimmung des § 84 Abs 3 ZPO in der Fassung der Zivilverfahrens‑Novelle 1983 (3 Ob 513/84). Nach dieser Bestimmung ist dann, wenn bei der Überreichung eines Schriftsatzes eine Frist einzuhalten war, nach § 84 Abs 1 ZPO auch vorzugehen, wenn in dem Schriftsatz Erklärungen oder sonstiges Vorbringen fehlen, die für die mit dem Schriftsatz vorgenommenen Prozesshandlungen vorgeschrieben sind. Fasching (Die Zivilverfahrens‑Novelle 1981, JBl 1982, 121 FN 37 und Lehrbuch des Zivilprozessrechts Rdz 518), meint, gemäß § 84 ZPO genüge wohl die schriftliche Mitteilung, „ich erhebe Berufung“, um ein Verbesserungsverfahren einzuleiten. Dies könnte praktisch zu der von der Zivilprozessordnung bisher bewusst abgelehnten Möglichkeit führen, das Rechtsmittel innerhalb der Rechtsmittelfrist nur anzumelden, um es erst in der Verbesserungsfrist auszuführen. Um dies zu vermeiden, sei eine Anwendung des § 84 ZPO nur dann möglich, wenn das Rechtsmittel sich nicht in der bloßen Benennung des Rechtsmittels oder in der Erklärung erschöpfe, die Entscheidung zu bekämpfen. Eine Verbesserung könne sinnvoller Weise nur dann zulässig sein, wenn darüber hinaus wenigstens andeutungsweise erkennbar werde, welche Fehler der Entscheidung vorgeworfen werden und wodurch sich der Rechtsmittelwerber als benachteiligt erachte. Konecny (Zur Erweiterung der Verbesserungsvorschriften JBl 1984, 18) vertritt dagegen die Auffassung, bei einem Rechtsmittel genüge es, dass der Rechtsmittelwerber irgendwie zum Ausdruck bringe, er wolle eine bestimmte Entscheidung bekämpfen. Es sei nicht haltbar, die Individualisierung eines Schriftsatzes davon abhängig zu machen, dass gewisse Inhaltselemente erkennbar seien. Diese Ansicht verstoße eindeutig gegen § 84 Abs 3 ZPO. Daher sei diese Bestimmung auch auf sehr mangelhafte Schriftsätze anzuwenden, denen gerade noch entnommen werden könne, was mit ihnen bezweckt werden solle. Nur im Falle eines Verbesserungsmissbrauchs, der insbesondere bei Einbringung von „Leeren“ Rechtsmittelschriften durch Anwälte anzunehmen sei, sei die Verbesserung zu verweigern. Wenn hingegen unvertretene Parteien unsubstantiierte Rechtsmittelschriften einbrächten, würden sie oft nicht als verschleppungswillig, sondern als Rechtsunkundige fehlerhaft gehandelt haben. Gerade dann sollten sie aber durch § 84 Abs 3 ZPO geschützt werden, weshalb man die Verbesserung nicht generell verweigern dürfe. Auch könne man die (alleinige) Schranke der Substantiierungspflicht zu Verschleppungszwecken leicht dadurch umgehen, dass irgendwelche Behauptungen in einem mangelhaften Schriftsatz vorgebracht würden ( Konecny aaO 20).

Der erkennende Senat stimmt der Ansicht Konecnys zu. Aus § 84 Abs 3 ZPO ist die von Fasching geforderte Einschränkung nicht zu entnehmen. Geht man davon aus, dass es Zweck des novellierten § 84 Abs 3 ZPO war, den Parteien einen verbesserten Zugang zum Recht zu gewähren, dann kann diese Bestimmung – abgesehen von Fällen, in denen das Rechtsmittel unter absichtlicher und missbräuchlicher Verletzung der Formvorschriften eingebracht wurde – nicht einschränkend im Sinne der Ansicht von Fasching ausgelegt werden.

Dem Schreiben des ehelichen Vaters vom 24. 5. 1984 war jedenfalls zu entnehmen, dass er die– allerdings nicht näher konkretisierte – Entscheidung des Erstgerichts bekämpfen wollte. Dafür, dass der rechtskundige unvertretene eheliche Vater das Rechtsmittel unter absichtlicher missbräuchlicher Verletzung der Formvorschriften eingebracht hätte, besteht keinerlei Anhaltspunkt. Der Jugendgerichtshof hat auch den Rechtsmittelwerber aufgefordert, den Gegenstand der Beschwerde zu bezeichnen und die Aktenzahl bekanntzugeben. Dieser Auftrag stellt inhaltlich einen Verbesserungsauftrag gemäß § 84 ZPO dar. Allerdings wurde dem Rechtsmittelwerber keine Verbesserungsfrist gemäß § 85 Abs 2 ZPO gesetzt. So lange aber vom Gericht eine Verbesserung innerhalb einer bestimmten Frist nicht angeordnet wurde, ist die Verbesserung möglich, weil die Frist nach § 85 ZPO überhaupt noch nicht in Lauf gesetzt wurde und daher auch noch nicht abgelaufen sein konnte (SZ 23/79 ua, zuletzt 4 Ob 587/71). Damit erweist sich jedoch der am 27. 6. 1984 zu Protokoll gegebene, den Formvorschriften entsprechende Rekurs des ehelichen Vaters als rechtzeitig.

In Stattgebung des Rekurses war daher der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Vaters aufzutragen.

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