OGH 2Ob622/84

OGH2Ob622/8425.9.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Vormundschaftssache des mj Andreas M*****, derzeit im Landessäuglingsheim Schwedenstift in Perchtoldsdorf, infolge Revisionsrekurses der unehelichen Mutter Felicitas M*****, gegen den Beschluss des Kreisgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 23. Juli 1984, GZ R 233/84-6, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Pottenstein vom 10. Mai 1984, GZ P 29/82-3, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Bezirksgericht Pottenstein übertrug gemäß § 111 Abs 1 JN die Zuständigkeit zur Besorgung der Vormundschaftssache des mj Andreas M*****, der sich im Landessäuglingsheim Schwedenstift Perchtoldsdorf aufhält, an das Bezirksgericht Baden, weil die uneheliche Mutter Felicitas M***** nunmehr in B***** wohnhaft sei und daher das Bezirksgericht Baden bei Prüfung der Frage, ob die angeordnete gerichtliche Erziehungshilfe aufgehoben werden solle, die Interessen des Kindes besser wahrnehmen könne.

Der Rekurs der unehelichen Mutter blieb erfolglos.

Das Rekursgericht führte aus, es treffe zu, dass die Mutter mit den Kindern im Frühjahr 1981 von P***** nach B***** übersiedelte und dass das Erstgericht dennoch bis zur Änderung des Wohnsitzes das Vormundschaftsverfahren geführt habe. Seit 17. 12. 1981 befinde sich das Kind aber nicht im Haushalt der Mutter, es sei dieser vielmehr am 17. 12. 1981 im Rahmen einer Sofortmaßnahme abgenommen und im Schwedenstift in Perchtoldsdorf untergebracht worden. Seitens der Verwaltungsbehörde sei das Kind seit jeher von der Jugendabteilung der Bezirkshauptmannschaft Baden betreut worden. Formell gesehen bewirke die Anhängigkeit eines Verfahrens bei einem bestimmten Gericht unter der Voraussetzung des § 29 JN die fortdauernde Zuständigkeit; der im § 29 JN aufgestellte Grundsatz der perpetuatio fori sei aber vornehmlich auf die Durchführung eines Streitverfahrens abgestellt, dessen üblicher Verlauf nur einmal eine rechtskräftige Entscheidung darüber vorsehe, ob ein Begehren bei Vorhandensein eines bestimmten Sachverhalts nach dem Gesetz als gerechtfertigt zu erkennen sei oder nicht. Dagegen handle es sich bei Pflegschaftssachen, nachdem sie bei Gericht anhängig geworden sind, in der Regel um Verfahren, deren Gegenstand die Obsorge und das Wohl des Pflegebefohlenen seien, wodurch aufgrund einer Vielzahl von sich immer wieder ändernden Umständen zwar in einem Gerichtsakt, jedoch stets von neuem Entscheidungen zu treffen seien, die das Verfahren aber insgesamt keineswegs ändern. Deswegen bestimme § 111 Abs 1 JN, dass das zur Besorgung der vormundschaftsbehördlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit zur Gänze einem anderen Gericht übertragen könne, wenn dies im Interesse eines Mündels oder Pflegebefohlenen gelegen erscheine und wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten vormundschaftsbehördlichen Schutzes voraussichtlich gefördert werde. Gerade in Pflegschaftssachen könne eine Änderung des Sachstandes eintreten und könnten neue Gegebenheiten das Festhalten an einer unter bestimmten Voraussetzungen begründeten örtlichen Zuständigkeit unzweckmäßig oder zur sinnentleerten Formalität werden lassen. Im Rahmen dieser Bestimmung sei daher dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Wirksamkeit des pflegschaftsbehördlichen Schutzes voraussichtlich dadurch gefördert werde, dass sich das jeweils zur Führung der Pflegschaftssache berufene Bezirksgericht möglichst in der Nähe des Aufenthaltsortes der Pflegebefohlenen befinde. Dies sei aber dann nicht der Fall, wenn die vorliegende Vormundschaftssache weiterhin beim Bezirksgericht Pottenstein geführt werde, die Mutter im Sprengel des Bezirksgerichts Baden wohne und sich das Kind zumindest vorübergehend in Perchtoldsdorf aufhalte. Aus dem Akt sei nicht zu entnehmen, dass es künftig zu einer Rückkehr der Mutter und des Kindes in den Sprengel des Bezirksgerichts Pottenstein kommen könnte. Im Falle einer Beendigung der Heimunterbringung des Kindes wäre vielmehr mit dessen Rückkehr zur Mutter nach B***** zu rechnen. Bei der Übertragung einer Pflegschaftssache nach § 111 JN komme es entscheidend auf das Wohl des Kindes an. Nun sei wohl richtig, dass das Bezirksgericht Baden mit der vorliegenden Familienangelegenheit bisher nicht betraut war, doch erscheine es für dieses Gericht nicht notwendig, außer der Aktenlage noch weitere Kenntnisse von den betroffenen Personen der Familie der Mutter zu haben, da schon die Aktenlage ausreichende Aufklärung über die Situation gebe. Dazu komme, dass das Bezirksgericht Baden nicht nur für die Mutter, sondern auch für das Kind verkehrsmäßig am günstigen gelegen sei. Es sei daher zweckmäßig, wenn sich das Vormundschaftsgericht möglichst in der Nähe des Aufenthaltsortes des Kindes befinde. Eine Führung der Vormundschaft durch das Bezirksgericht Baden erscheine auch insofern von Vorteil, als auch die mit der Familienangelegenheit befasste Bezirksverwaltungsbehörde im gleichen Ort ihren Sitz habe, wodurch ein Zusammenwirken beider Behörden zum Wohle des Kindes erleichtert werde. Da derzeit auch keine Anträge unerledigt seien, welche die Übertragung der Zuständigkeit im derzeitigen Stadium untunlich erscheinen ließen, bestünden aus der Sicht des Rekursgerichts keine Bedenken gegen die Übertragung der Zuständigkeit.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts wendet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem dahin zu verstehenden Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und es bei der Zuständigkeit des Bezirksgerichts Pottenstein zur Führung der Vormundschaftssache zu belassen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Die Mutter führt in ihrem Rechtsmittel aus, das Verfahren zur Abnahme des Minderjährigen sei von einem örtlich unzuständigen Gericht durchgeführt worden, da das Bezirksgericht Pottenstein wegen des Wohnungswechsels nach V***** nicht mehr zuständig gewesen sei. Im Übrigen bekämpft sie die Durchführung der Abnahme des Minderjährigen und vertritt die Auffassung, die Übertragung der Vormundschaftssache an das Bezirksgericht Baden sei dem Wohle des Kindes nicht förderlich, weil dieses Gericht mit der Vormundschaftssache noch nichts zu tun gehabt habe, mit der Situation des Kindes nicht vertraut sei und vom Wohnort der Mutter ungefähr gleich weit entfernt sei wie das Bezirksgericht Pottenstein, das die Vormundschaftssache bisher in zuvorkommender und sachlich ruhiger Art geführt habe.

Da es sich um ein außerstreitiges Verfahren handelt, richten sich die Rechtsmittelvorschriften nach dem Außerstreitgesetz. Gegen einen die Übertragung der Zuständigkeit bestätigenden Beschluss des Rekursgerichts ist ein Revisionsrekurs zwar zulässig (SZ 42/86), jedoch nur im Rahmen des § 16 AußStrG, somit nur wegen offenbarer Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität (6 Ob 203/70; 8 Ob 515/81 ua). Die Rechtsmittelwerberin unterstellt ihre Beschwerdepunkte keinem dieser Anfechtungsgründe. Bei deren inhaltlicher Prüfung scheidet die Geltendmachung einer Aktenwidrigkeit von vornherein aus. Auch der Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzeswidrigkeit kommt nicht in Betracht, weil darunter nur materiellrechtliche Verstöße, nicht jedoch Verstöße gegen Verfahrensvorschriften fallen, die Bekämpfung der Übertragung der Zuständigkeit aber nur in der Behauptung einer unrichtigen Anwendung der eine solche rechtfertigenden verfahrensrechtliche Vorschriften bestehen kann (8 Ob 531/83, 6 Ob 606/82 ua).

Die Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften unterliegt als bloßer Verfahrensmangel nicht der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof im Rahmen eines nach § 16 Abs 1 AußStrG zu behandelnden Rechtsmittels, sofern ihr nicht das Gewicht einer Nullität zukommt.

Es wurde wiederholt ausgesprochen, dass insbesondere dann ein solcher Verfahrensverstoß vom Gewicht einer Nullität iSd § 16 Abs 1 AußStrG vorliegt, wenn er geradezu eine Rechtsverweigerung zur Folge hat (EFSlg 28.438, 32.612, 35.065; 8 Ob 531/83 ua) oder, wenn das Wohl Pflegebefohlener gänzlich missachtet wurde (EFSlg 32.611, 35.061; 6 Ob 742/81 ua).

Davon kann aber im vorliegenden Fall keine Rede sein. Was die Ausführungen der Rechtsmittelwerberin zur Durchführung der Abnahme des Minderjährigen anlangt, ist sie darauf zu verweisen, dass diese Frage nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, in welchem nur die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN zu behandeln ist. Mit ihren weiteren Ausführungen vermag die Rechtsmittelwerberin aber in keiner Weise darzulegen, dass die Übertragung der Führung der Vormundschaft durch das Bezirksgericht Pottenstein an das Bezirksgericht Baden eine Rechtsverweigerung zur Folge hatte oder dabei das Wohl des Minderjährigen gänzlich missachtet worden sei. Es ist vielmehr dem Rekursgericht beizupflichten, dass die Wirksamkeit des vormundschaftsbehördlichen Schutzes dadurch gefördert wird, dass sich das zur Durchführung der Vormundschaftssache berufene Bezirksgericht möglichst in der Nähe des Aufenthaltsortes des Minderjährigen - im vorliegenden Fall Perchtoldsdorf - befindet, was für das Bezirksgericht Baden zutrifft. Darüber hinaus befindet sich auch die mit der Angelegenheit befasste Verwaltungsbehörde in Baden, was einem gedeihlichen Zusammenwirken mit dem Vormundschaftsgericht zum Wohle des Kindes durchaus förderlich sein kann.

Durch die Entscheidungen der Vorinstanzen über die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Baden wird in die Interessen des Minderjährigen keinesfalls in solcher Weise eingegriffen, dass damit eine erhebliche Beeinträchtigung oder gar eine völlige Missachtung seines Wohles verbunden wäre.

Mangels Vorliegens eines im § 16 Abs 1 AußStrG normierten Anfechtungsgrundes musste der außerordentliche Revisionsrekurs zurückgewiesen werden.

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