OGH 2Ob50/84

OGH2Ob50/8425.9.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christoph L*****, vertreten durch Dr. Rolf Philipp, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt der österreichischen Bundesländer, Versicherungsaktiengesellschaft, Praterstraße 1-7, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Reinhold Nachbaur, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen 22.488,51 S sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 26. Juni 1984, GZ R 371/84-13, womit das Urteil des Bezirksgerichts Feldkirch vom 19. März 1984, GZ C 1478/83-9, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Auf die Kosten des Rekursverfahrens ist gleich weiteren Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen.

Text

Begründung

Die Beklagte haftet dem Kläger - beschränkt mit der Versicherungssumme - für alle zukünftigen Schäden aus einem Verkehrsunfall vom 13. 7. 1978. Der Kläger brachte vor, er habe Ende des Sommersemesters 1982 sein Studium an der Pädagogischen Akademie mit Erfolg abgeschlossen und sei seit September 1982 als Hauptschullehrer tätig (Verwendungsgruppe L 2 a 2 Gehaltsstufe 2). Ohne den Unfall hätte er an der Universität Innsbruck Sport studiert und wäre als Lehrer der Verwendungsgruppe 1 in der Gehaltsstufe 2 eingestellt. Bei Gegenüberstellung der Einkommen in den beiden Verwendungsgruppen ergebe sich für den Zeitraum von Dezember 1982 bis Oktober 1983 ein Verdienstentgang von 22.488,51 S, den der Kläger begehre.

Die Beklagte wendete ein, der Kläger sei in seiner vollen Aktionsfähigkeit wieder hergestellt. Es sei auch nicht erwiesen, dass er das Sportstudium erfolgreich abgeschlossen hätte. Überdies hätte er ein anderes Hochschulstudium absolvieren können.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf.

Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass das Klagebegehren abgewiesen werde.

Der Kläger beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Der Rekurs ist zwar zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

Das Erstgericht stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Der Kläger erlitt bei dem Unfall schwere Verletzungen am linken Bein. Es besteht eine Verkürzung des linken Knies um 1 cm und eine Muskelverschmächtigung am linken Oberschenkel. Der Kläger hatte schon vor dem Unfall die Absicht, das Sportstudium an der Universität Innsbruck zu beginnen und wäre auch körperlich in der Lage gewesen, die geforderten Leistungen zu erbringen. Sein einziges Berufsziel war, Sport zu studieren und sodann zu unterrichten. Ein anderes Studium kam für ihn nicht in Frage. Er begann im Herbstsemester 1978/79 das Studium an der Universität Innsbruck und legte vorerst die theoretischen Prüfungen ab, da er wegen der Verletzungsfolgen noch keine praktischen Prüfungen machen konnte. Er hatte vor, zu Beginn des Herbstsemesters 1979/80 die Aufnahmsprüfung für das Sportstudium zu machen. Aufgrund der beim Unfall erlittenen Verletzungen war es ihm aber unmöglich, die Aufnahmsprüfung zu bestehen, weshalb er das begonnene Studium aufgab. Ohne die unfallsbedingten Verletzungen hätte der Kläger das Studium absolviert. Ein Hochschulstudium, wie es der Kläger anstrebte, dauert in der Regel länger als die vorgeschriebene Minimalzeit von 8 Semestern. Um ein solches Studium zu absolvieren, ist mit einer Studiendauer von mindestens 10 Semestern zu rechnen. Der Kläger hätte keine Schwierigkeiten gehabt, als Sportprofessor unterzukommen. Es besteht ein solcher Mangel an Sportprofessoren, das sogar ungeprüfte Sportlehrer unterrichten. Im Herbstsemester 1979/80 begann der Kläger das Studium an der pädagogischen Akademie. Er wählte die Fächer Deutsch und Turnen. Dies war für ihn eine Notlösung und die einzige Möglichkeit, Sport zu studieren und zu unterrichten. Der Kläger schloss das Studium an der Pädagogischen Akademie in den vorgeschriebenen 6 Semestern ab. Von der Studienzeit in Innsbruck wurde ihm nichts angerechnet. Die Limits für das Sportstudium an der Pädagogischen Akademie liegen wesentlich unter den Anforderungen, die an der Universität Innsbruck gestellt werden.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dem Kläger stünde ein Anspruch auf Verdienstentgang zu, da er das Hochschulstudium abgeschlossen und als Mittelschullehrer eine Anstellung gefunden hätte. Zu berücksichtigen sei jedoch, dass der Kläger nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge erst im Herbst 1983 in der Lage gewesen wäre, als Mittelschullehrer zu unterrichten. Demgegenüber habe er bereits im Schuljahr 1982/83 als Hauptschullehrer unterrichtet und hiebei ein Einkommen von 162.792,48 S erzielt. Dieses Einkommen müsse er sich im Rahmen der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen. Dieser Betrag übersteige bei weitem den bis Oktober 1983 entstandenen Verdienstentgang, weshalb dem Kläger kein Schaden entstanden sei.

Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, das Verfahren sei zur Frage, ob der Kläger zur Absolvierung des Sportstudiums 10 Semester anstatt der Minimalzeit von 8 Semestern benötigt hätte, ergänzungsbedürftig. Zur Rechtsfrage führte das Berufungsgericht aus, hätte der Kläger sein Sportstudium in 10 Semestern abgeschlossen, wäre er ab September 1983 in der Lage gewesen, als Mittelschullehrer zu unterrichten. Er hätte zumindest ab diesem Zeitpunkt einen Anspruch aus dem Titel des Verdienstentgangs gegenüber der beklagten Partei in der Höhe der Differenz zwischen seinem Gehalt als Hauptschullehrer und dem Gehalt eines Mittelschullehrers, und zwar jeweils einschließlich der erzielbaren Überstunden. Eine Vorteilsausgleichung in der Form, dass das Einkommen des Klägers als Hauptschullehrer im Schuljahr 1982/83 mit dem erlittenen Verdienstentgang in den Monaten September und Oktober 1983 aufgerechnet werde, sei rechtlich nicht zulässig, da es an der zeitlichen Kongurenz fehle. Das Berufungsgericht sei nicht in der Lage, über den Verdienstentgang des Klägers für den Zeitraum September und Oktober 1983 durch Teilurteil zu entscheiden, weil es an den erforderlichen Feststellungen über die Höhe des Verdienstentgangs fehle. Es sei erforderlich, das erzielbare Gehalt des Klägers als Mittelschullehrer einschließlich der Überstunden festzustellen. Gelange das Erstgericht im zweiten Rechtsgang zur Feststellung, dass der Kläger das Sportstudium an der Universität in weniger als 10 Semestern absolviert hätte, so werde es auch Feststellungen dazu bedürfen, welches Einkommen er als Sportlehrer an einer Mittelschule im Schuljahr 1982/83 erzielt hätte, und zwar einschließlich der möglichen Überstunden.

Die Rekurswerberin verweist auf ihr Vorbringen, es sei kein Beweis erbracht worden, dass der Kläger ohne Unfall das Sportstudium erfolgreich abgeschlossen und dann einen Arbeitsplatz gefunden hätte. Mit der weiteren Einwendung, dem Kläger wäre ein anderes Studium zumutbar gewesen, habe sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt. Der Kläger habe die Absicht gehabt, Pädagoge zu werden, und hätte auch ein anderes Hochschulstudium durchaus erfolgreich absolvieren können. Der Kläger hätte an der Universität ebenso wie an der Pädagogischen Akademie ein zweites Fach dazunehmen müssen. Wenn man davon ausgehe, dass ein solcher Mangel an Sportprofessoren herrsche, dass sogar ungeprüfte Sportlehrer unterrichten, dann hätte der Kläger mit einem Hochschulstudium mit anderen Fächern sogar sein ideales Berufsziel erreichen können, nämlich als Sportlehrer ohne Abschluss in einer Mittelschule Sport zu unterrichten, wozu er in der Praxis in der Lage wäre. Eine „Zumutung“ für den Kläger hätte nur darin bestanden, ein zweites, dem Sport fremdes Fach an der Universität zu wählen. Ein - vielleicht ungeliebtes - Fach habe der Kläger sowieso schon in Kauf nehmen müssen. Die Beklagte sei daher der Auffassung, dass ihr Verlangen nach einem anderen Hochschulstudium durchaus im Rahmen des Zumutbaren sei und dass der Kläger seiner Schadensminderungspflicht daher nicht nachgekommen sei. Stelle man die gezeigte Haltung des Klägers den für die beklagte Partei zu erwartenden Leistungen gegenüber, dann müsse dem Kläger der Vorwurf gemacht werden, dass er es sich leicht gemacht habe. Das Wissen um die grundsätzliche Leistungspflicht der Beklagten hätte ihn nicht dazu bringen dürfen, nur Hauptschullehrer zu werden und jeweils die Differenz in den Gehältern bei der Beklagten zu kassieren. Es bestehe kein Zweifel daran, dass eine konkrete Erwerbsmöglichkeit für den Kläger auch die als Mittelschullehrer gewesen wäre. Insofern werde man nicht sagen können, dass die Beklagte etwa einer Beweispflicht nicht nachgekommen wäre. Es könne nicht nur einseitig vom Interesse des Klägers ausgegangen werden. Seine Vorliebe für Sportunterricht dürfe nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs nicht dazu führen, dass er eine konkrete Erwerbsmöglichkeit einfach ausschlage. Das Studium an der Hochschule hätte auch keinen zeitmäßigen Nachteil für den Kläger gehabt, er hätte einen eventuell späteren Eintritt in das Berufsleben zu Recht von der beklagten Partei abgelten lassen können.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

Auf die Ausführungen, es sei nicht erwiesen, dass der Kläger das Sportstudium erfolgreich abgeschlossen und einen Arbeitsplatz gefunden hätte, ist nicht einzugehen, weil sie nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehen. Nach diesem hätte der Kläger das vorgesehene Sportstudium abgeschlossen und sogleich eine Anstellung gefunden. Durch den Unfall ist ihm die Absolvierung dieses Studiums und die Erzielung eines Einkommens aufgrund dieser Ausbildung unmöglich geworden. Er hat daher grundsätzlich gemäß § 1325 ABGB Anspruch auf Ersatz des künftigen Verdienstes. Da der Kläger durch den Unfall aber keinesfalls erwerbsunfähig wurde, hatte er aufgrund der Schadensminderungspflicht einen anderen ihm zumutbaren Beruf zu ergreifen. Als Maturant hätte er zwar die Voraussetzungen erfüllt, andere Fächer als Sport zu studieren. Es war ihm jedoch nicht zuzumuten, ein Studium zu wählen, zu dem er keinerlei Neigung hat und das ihn nicht interessiert, nur um dem Schädiger (bzw der Haftpflichtversicherung) Ersatzleistungen zu ersparen. Überdies steht nicht fest, dass der Kläger das Studium eines Faches, für das er keinerlei Vorliebe hat, erfolgreich absolviert hätte. Daraus, dass er an der Pädagogischen Akademie das Fach „Deutsch“ erfolgreich abgeschlossen hat, ergibt sich dies nicht, da die Anforderungen eines Hochschulstudiums ohne Zweifel höher sind. Schließlich ist nicht erwiesen, dass der Kläger, hätte er andere Fächer studiert, eine Anstellung als Mittelschullehrer bekommen hätte. Es kann dem Kläger auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er nicht als ungeprüfter Sportlehrer an einer Mittelschule unterrichtet, zumal keinesfalls sicher ist, dass eine derartige Möglichkeit auf Dauer bestünde. Der Kläger hat daher dadurch, dass er Hauptschullehrer wurde, die Schadensminderungspflicht nicht verletzt.

Aus diesem Grund hat er ab dem Zeitpunkt, zu welchem er als Mittelschullehrer hätte tätig sein können, Anspruch auf Ersatz eines Verdienstentgangs in der Höhe der Differenz der Einkommen eines Hauptschullehrers und eines Mittelschullehrers.

Der Ansicht des Berufungsgerichts, der Sachverhalt sei hinsichtlich der Frage, wann der Kläger ein Hochschulstudium abgeschlossen hätte, noch nicht genügend geklärt, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten. Bei Prüfung dieser Frage wird allerdings darauf Bedacht genommen werden müssen, dass der Kläger außer „Sport“ auch auf der Universität ein zweites Fach hätte studieren müssen (nach seiner Parteienaussage hatte er vor, Geographie zu studieren, auf der Pädagogischen Akademie sei eine Kombination von Turnen und Geographie aber nicht möglich gewesen). Weiters wird zu berücksichtigen sein, dass für derartige hypothetische Feststellungen nicht volle Gewissheit gefordert werden kann, aber doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit erforderlich ist (1 Ob 560/83, 8 Ob 116/83 ua).

Falls der Kläger aufgrund einer längeren Studiendauer nicht schon - so wie an der Hauptschule - ab September 1982 an einer Mittelschule hätte unterrichten können, stellt sich die Frage, ob er - wie das Erstgericht meint - sich das an der Hauptschule schon vorher erzielte Einkommen auf seinen späteren Verdienstentgang anrechnen lassen muss. Auch in diesem Punkt ist dem Berufungsgericht beizupflichten. Der Verdienstentgang ist zwar nicht, wie der Kläger in seiner Berufung meinte, für jeden Monat gesondert zu berechnen. Vielmehr ist die Berechnung in der Weise vorzunehmen, dass der vom Verletzten für den gesamten in Betracht kommenden Zeitraum erzielte tatsächliche Verdienst von jenem Betrag abgezogen wird, den der Verletzte ohne die Körperverletzung erzielt hätte (2 Ob 532/50, 5 Ob 209, 235/72, 2 Ob 177/74, 8 Ob 224/76). Eine Aufspaltung des Verdienstentgangs nach Zeiträumen ist nicht zulässig, es kann nicht schon deshalb ein Ersatz begehrt werden, weil in einem vom Verletzten willkürlich herausgegriffenen Zeitraum der tatsächliche Verdienst geringer war als jener, den er ohne den Unfall erzielt hätte, wenn für den gesamten Zeitraum keine solche Differenz besteht (2 Ob 532/50). Im vorliegenden Fall beginnt der „in Betracht kommende Zeitraum“ jedoch erst zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger nach abgeschlossenem Hochschulstudium als Mittelschullehrer tätig gewesen wäre. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte er einen Verdienstentgang erleiden, weil er vorher kein Einkommen gehabt hätte. Er hat daher lediglich eine Gegenüberstellung des Einkommens, das der Kläger als Mittelschullehrer erzielt hätte, mit jenem, das er im selben Zeitraum als Hauptschullehrer bezog, zu erfolgen. Ein Einkommen, das der Geschädigte nur deshalb erzielte, weil er durch den Unfall ein beabsichtigtes Hochschulstudium nicht absolvieren konnte, ist auf einen späteren Verdienstentgang nicht anzurechnen. Falls daher der Kläger als Mittelschullehrer nicht schon ab September 1982 hätte tätig sein können, dann ist auf den Verdienstentgang, den er ab der fiktiven Möglichkeit, diesen Beruf auszuüben, erlitt, das schon vorher als Hauptschullehrer erzielte Einkommen nicht anzurechnen.

Aus allen diesen Gründen war dem Rekurs ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 50 ZPO.

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