OGH 7Ob16/84

OGH7Ob16/8413.9.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*****, vertreten durch Dr. Hans Radl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Mostafa I*****, vertreten durch Dr. Guido Held, Rechtsanwalt in Graz, wegen 691.054,96 S samt Nebengebühren und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 28. November 1983, GZ 2 R 148/83‑27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 11. Juli 1983, GZ 6 Cg 270/82‑19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00016.840.0913.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 691.054,96 S samt 4 % Zinsen aus 688.347,96 S seit dem Klagstag bis 10. 6. 1983 sowie 4 % Zinsen aus 691.054,96 S seit 11. 6. 1983 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die beklagte Partei ist der klagenden Partei für sämtliche Aufwendungen, welche diese in Zukunft aus dem Verkehrsunfall vom 13. 11. 1980 im Rahmen des Versicherungsvertrags an Dritte zu erbringen hat, im vollen Umfang ersatzpflichtig.“

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 98.045,50 S bestimmten Verfahrenskosten aller Instanzen (darin 7.790 S Barauslagen und 6.926 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte war am 13. 11. 1980 mit einem PKW Peugeot 604 mit dem behördlichen Wechselkennzeichen ***** bei der klagenden Partei haftpflichtversichert. An diesem Tage verschuldete Ahmed R***** mit dem ihm vom Beklagten überlassenen PKW einen schweren Verkehrsunfall. R***** und die jetzt klagende Partei wurden im Haftpflichtprozess zum vollen Schadenersatz auch für künftige Schäden verpflichtet.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Haftpflichtversicherer einerseits den Ersatz der bisher an geschädigte Dritte bezahlten Beträge und andererseits die Feststellung der vollen Regresspflicht des Beklagten für künftige Leistungen. Dieses Klagebegehren steht der Höhe nach außer Streit (S 20). Dem Grunde nach ist strittig, ob Schadenersatzansprüche der Geschädigten überhaupt auf die klagende Partei übergehen konnten, weil der Beklagte behauptet, im Unfallszeitpunkt nicht Halter des Fahrzeugs gewesen zu sein, sowie die Frage, ob es sich bei der im Zeitpunkt des Unfalls offenen Versicherungsprämie um eine Erstprämie gehandelt hat.

Beide Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren zur Gänze ab. Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Tatsachenfeststellungen des Erstrichters hatte der Beklagte bei der klagenden Partei zunächst einen PKW Steyr Fiat mit dem polizeilichen Kennzeichen ***** haftpflichtversichert. Das Unfallsfahrzeug der Type Peugeot 604 hatte zunächst Ahmed R***** im Februar 1980 gekauft, doch trat im Juli 1980 der Beklagte in den Kaufvertrag ein und übernahm diesen PKW. So kam es zum Abschluss des Haftpflichtversicherungsvertrags mit Versicherungsbeginn 16. 7. 1980 unter einer neuen Polizzennummer. Da aber nun beide Fahrzeuge des Beklagten unter einem Wechselkennzeichen zugelassen waren, wurde für den Peugeot als das prämienstärkere Fahrzeug unter Anrechnung einer Prämiengutschrift aus dem alten Vertrag eine Ergänzungsprämie von 586 S für den Zeitraum vom 16. 7. bis 9. 10. 1980 vorgeschrieben (später kam es noch zur Vorschreibung der nächsten Halbjahresprämie als unbestrittener Folgeprämie). Die Polizze betreffend den PKW Peugeot 604 samt der Prämienberechnung und dem Erlagschein ist dem Beklagten spätestens am 22. 9. 1980 zugekommen. Sie wurde ebenso wie die Folgeprämie erst nach dem Unfall bezahlt.

Frühestens zwei Wochen und spätestens drei Tage vor dem Unfall vom 13. 11. 1980 lieh der Beklagte seinen PKW der Marke Peugeot, den er schon vorher einige Male kurzfristig leihweise an Ahmed R***** überlassen hatte, neuerliche dem Genannten, mit dem er gut bekannt war, weil R***** ein Fahrzeug zur Ausübung seines Berufs benötigte und dessen PKW in eine mit etwa zwei Wochen veranschlagte Reparatur gegeben worden war. Sowohl dem Beklagten als auch R***** war klar, dass letzterer den PKW für Berufsfahrten verwenden und nicht etwa auch auf Urlaub fahren werde. Die Treibstoffkosten hatte R***** zu bezahlen. Er sollte den PKW so lange behalten, bis sein eigenes Fahrzeug repariert war oder er den PKW vom Beklagten doch kaufen könne. Genau war allerdings nichts vereinbart. Der Beklagte übergab R***** mit dem PKW den Zulassungsschein, nicht aber die Steuerkarte. Auch über die Haftpflichtversicherungsprämie wurde nichts gesprochen. Erst nach dem Unfall einigten sich R***** und der Beklagte über einen Kauf des beim Unfall beschädigten Fahrzeugs. Mit eingeschriebenem Brief vom 23. 1. 1981 machte die Klägerin Leistungsfreiheit gemäß § 38 VersVG geltend. Dieses Schreiben laut Beilage H ist dem Beklagten noch im Jänner 1981 zugekommen.

Nach der Rechtsansicht der Vorinstanzen hängt die Berechtigung des Klagsanspruchs davon ab, ob die klagende Partei mit den an die geschädigten Dritten erbrachten Leistungen Forderungen deckte, zu deren Erfüllung der Beklagte als Halter des Fahrzeugs verpflichtet war. Die Haltereigenschaft des Beklagten sei jedoch zu verneinen, weil im Zeitpunkt des Unfalls die ausschließliche Verfügungsgewalt über das Fahrzeug bei Ahmed R***** gelegen sei. Das ungenützte Verstreichenlassen der vom Versicherer nach § 12 Abs 3 VersVG gesetzten Klagefrist sei in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist berechtigt.

Die Rechtsansicht des Berufungsgericht, dass die Regressforderung der klagenden Partei die Erfüllung einer Verpflichtung des Beklagten durch sie gegenüber dem geschädigten Dritten voraussetzt, wird von der Revisionswerberin nicht bekämpft und trifft zu. Rechtstitel des Klagsanspruchs ist der Forderungsübergang nach § 158 f VersVG. Dieser erfolgt nur, soweit eine Forderung des Dritten gegen den Versicherungsnehmer bestand. Auch die Unterlassung der nach § 12 Abs 3 VersVG aufgetragenen Klage durch den Versicherungsnehmer ändert daran nichts, weil dadurch nur die Leistungsfreiheit des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer unabhängig von der wahren Rechtslage begründet, die Rechtslage gegenüber dem geschädigten Dritten aber nicht verändert wird. Hätte demnach die beklagte Partei Leistungen an die geschädigten Dritten erbracht, zu denen nicht auch der Beklagte verpflichtet war, so konnte es ungeachtet der Klagsaufforderung nicht zu einem Forderungsübergang nach § 158 f VersVG kommen. Das Verstreichenlassen der Klagefrist bewirkte auch nicht eine Anerkennung des Rückgriffsrechts des Versicherers (ZVR 1973/42 ua).

Im vorliegenden Fall kommt als Rechtsgrund im Verhältnis zwischen dem geschädigten Dritten und dem Beklagten unbestrittenermaßen nur die Halterhaftung nach dem EKHG in Betracht. Die Vorinstanzen haben zu dieser Frage die Rechtslage im Wesentlichen richtig dargestellt: Entscheidend sind die wirtschaftlichen und tatsächlichen, nicht aber die rechtlichen Verhältnisse. Für die Haltereigenschaft entscheidende Merkmale sind die Verfügungsgewalt und der Gebrauch des Fahrzeugs für eigene Rechnung. Der Umstand, wer Eigentümer und Versicherungsnehmer des Fahrzeugs und für wen das Fahrzeug zugelassen ist, kann bloß als zusätzliches Indiz für die im Einzelfall zweifelhafte Haltereigenschaft Bedeutung haben. Die Verfügungsgewalt besteht in der Möglichkeit, darüber zu bestimmen, wie, wann und wo das Fahrzeug verwendet wird. Sie kann aber auch darin bestehen, dass der Halter das Fahrzeug für kurze Zeit einem Dritten überlässt. Auf die Verfügungsgewalt wird deshalb abgestellt, weil die Gefährdungshaftung jenen treffen soll, dem die Möglichkeit der Gefahrenabwendung offensteht. Zu diesen Maßnahmen gehört auch die ordnungsgemäße Überprüfung und Instandhaltung des Fahrzeugs und die Erteilung von Weisungen, zB über die Art der Verwendung und den Zeitpunkt der Rückgabe des Fahrzeugs. Auf Rechnung einer Person erfolgt der Betrieb, wenn der Betreffende den Nutzen zieht und die Kosten der Unterbringung, Instandhaltung, Bedienung und der Betriebsmittel, besonders die Kosten für Versicherungen, Steuer, Wartung udn Reparaturen trägt. Alle diese entscheidenden Merkmale müssen nicht auf dieselbe Person zutreffen. Halter des Fahrzeugs ist dann im Allgemeinen derjenige, auf den die Merkmale mit der größeren Bedeutung zutreffen. Es können aber auch mehrere Personen gleichzeitig Halter eines Fahrzeugs sein, wenn bei Würdigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen zum Betrieb des Fahrzeugs die Merkmale, die für die Haltereigenschaft wesentlich sind, auf jede von ihnen in so großer Zahl und so sehr zutreffen, dass die Belastung mit der Haftung für Betriebsunfälle dem Wesen der gesetzlichen Haftpflicht des Halters entspricht. Eine Mehrheit von Haltern ist besonders dann anzunehmen, wenn sich mehrere Personen in der Verfügung über das Fahrzeug so teilen, dass darin ein ständiger Wechsel gegeben ist. Es soll ein geradezu „schaukelhafter Wechsel“ der Haltereigenschaft, der diesem Begriff widerspräche, vermieden werden ( Lang in Geigel‑Schlegelmilch , Haftpflichtprozess 18 650 ff, Müller , Straßenverkehrsrecht 22 I 217, Koziol , Haftpflichtrecht 2 II 529 ff, SZ 43/109, SZ 51/84 uva).

Bei Anwendung dieser Rechtssätze ist aber die Haltereigenschaft des Beklagten zu bejahen. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin lag allerdings eine bloß bittweise Überlassung des Fahrzeugs nicht vor, weil der Beklagte sich nicht den jederzeitigen Widerruf vorbehalten, sondern den Gebrauch für die mit rund 14 Tagen veranschlagte Dauer der Reparatur des Fahrzeugs seines Bekannten zugestanden hatte. Diese voraussichtliche Dauer der Gebrauchsüberlassung war auch nicht mehr ganz kurz, und überdies hatte sich der Beklagte für diesen Zeitraum kein Mitbenützungsrecht vorbehalten. Diese Umstände sprechen für die Haltereigenschaft des Entlehners. Letztere schließt aber nach dem Gesagten eine fortbestehende Mithalterschaft des Beklagten nicht aus. Für diese spricht zunächst, dass sich der Beklagte der Verfügung über die Bestimmung, wie, wann und wo das Fahrzeug zu verwenden ist, auch für den Überlassungszeitraum nicht völlig begab, indem die Beschränkung des Betriebs – zumindest im Wesentlichen – auf Berufsfahrten des Entlehners klargestellt war. Darüber hinaus erfolgte der Betrieb des Fahrzeugs weiterhin zu einem Gutteil auf Rechnung des Beklagten. Ahmed R***** übernahm für die Dauer der Leihe nur die Zahlung der Treibstoffkosten. Die Generalunkosten wie Versicherung und Steuer hatte weiterhin der Beklagte zu tragen. Auch die Kosten allfälliger Reparaturen fielen mangels einer besonderen Vereinbarung infolge der Bestimmungen der §§ 979 und 981 ABGB zum Teil auf den Beklagten. Vor allem aber drohte entgegen der Meinung des Berufungsgerichts gerade im vorliegenden Fall der zu vermeidende „geradezu schaukelhafte Wechsel“ der Haltereigenschaft, weil der Beklagte den PKW bereits vorher einige Male kurzfristig leihweise an Ahmed R***** überlassen hatte. Die Gesamtheit dieser Umstände lässt es gerechtgfertigt erscheinen, auch dem Beklagten für die Zeit der neuerlichen kurzfristigen Überlassung des Fahrzeugs die Haftung für Betriebsunfälle aufzuerlegen.

Infolge dieser Bejahung der Haltereigenschaft des Beklagten und damit des Übergangs der von der klagenden Partei beglichenen, der Höhe nach außer Streit stehenden Forderungen der geschädigten Dritten gemäß § 158 f VersVG auf den klagenden Versicherer sind weitere Rechtsfragen zu erörtern, zu denen der Erstrichter teilweise Stellung genommen hat.

Dem Ablehnungsschreiben nach § 12 Abs 3 VersVG kommt allerdings für die Frage der Leistungsfreiheit eine entscheidende Bedeutung schon deshalb nicht zu, weil nach der derzeitigen Aktenlage nicht erkennbar ist, ob und welche Forderungen der geschädigten Dritten von der klagenden Partei noch vor oder erst nach Ablauf der Klagefrist befriedigt wurden. Nur Leistungen nach Ablauf der Klagefrist könnten nach ständiger Rechtsprechung ohne Rücksicht auf die wahre Rechtslage regressiert werden (SZ 49/100 uva). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob das vorliegende Ablehnungsschreiben laut Beilage H, das erst in einem Nachsatz den Wortlaut des § 12 Abs 3 VersVG enthält, der gesetzlichen Belehrungspflicht entsprochen hat.

Der Erstrichter hat aber zutreffend erkannt, dass der unbestrittene Zahlungsverzug des Beklagten am Unfallstag eine erstprämienschuld betraf. Eine solche Erstprämie war geschuldet, wenn die zusätzliche Versicherung des mit einem Wechselkennzeichen zu verwendenden zweiten PKW als neuer Vertrag anzusehen war. Bei einer bloßen Änderung des bestehenden Versicherungsvertrags würde es sich um eine Folgeprämie gehandelt haben (SZ 30/67 ua). Zur Abgrenzung dieser beiden Fälle dient die Frage, ob die Identität des Versicherungsverhältnisses gewahrt oder aber das bestehende versicherungsverhältnis aufgehoben und ein neues begründet wird. Für letzters spricht es, wenn die für einen Versicherungsvertrag wesentlichen Punkte wie das versicherte Objekt, die Gesamtversicherungssumme, die Prämienzahlung und die Versicherungsdauer völlig neu vereinbart werden ( Bruck‑Möller , VVG 8 I 137). Die bloße Aushändigung eines neuen Versicherungsscheines ist hingegen kein entscheidendes Kriterium für die Begründung eines selbständigen neuen Vertrags, selbst wenn der alte Vertrag als erloschen bezeichnet wird; es kommt auf den einzelnen Fall an ( Bruck‑Möller aaO 141). In diesem Sinn ist schon die Versicherung eines Ersatzwagens anstelle des früher versicherten Fahrzeugs in der Regel als neuer Versicherungsvertrag mit einer Erstprämie anzusehen ( Prölss‑Martin WG 23 218; VersR 1964, 1283 mit zust Anm von Wahle , EvBl 1969/341 = VersR 1969, 1008, SZ 30/67). Umsomehr ist der Versicherungsvertrag über ein zweites, zusätzliches Fahrzeug als Neuversicherung anzusehen (vgl Prölss‑Martin aaO 224). Die klagende Partei ist deshalb wegen Nichtzahlung der eingemahnten Erstprämie leistungsfrei.

Das Feststellungsbegehren lässt schon im Klagswortlaut erkennen, dass die Regressverpflichtung des Beklagten nur die Leistungen der Revisionswerberin umfasst, zu denen sie gegenüber den geschädigten Dritten im Rahmen des Versicherungsvertrags verpflichtet ist. Zur völligen Klarstellung wurde der Urteilsspruch ausdrücklich in dieser Richtung verdeutlicht.

Der Ausspruch über die Kosten des gesamten Verfahrens beruht auf § 41 ZPO, für das Rechtsmittelverfahren auch auf § 50 ZPO.

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