OGH 8Ob511/84

OGH8Ob511/8423.5.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria H*****, vertreten durch Dr. Ernst Wukowitz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Eduard H*****, vertreten durch Dr. Michael Stern, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt (Streitwert 60.192 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 13. Oktober 1983, GZ 43 R 2102/83‑29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 31. Mai 1983, GZ 2 C 31/81‑23, bestätigt wurde, nicht nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00511.840.0523.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Ein Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens findet nicht statt.

 

Begründung:

Die Klägerin begehrte vom Beklagten die Zahlung monatlicher Unterhaltsbeträge von 1.672 S, im Wesentlichen mit der Begründung, ihrer Ehe mit dem Beklagten sei rechtskräftig nach § 55 Abs 3 EheG geschieden worden, wobei ausgesprochen worden sei, dass das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe den Beklagten allein treffe. Der Beklagte habe bis zur Ehescheidung aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs der Klägerin Unterhalt in der Höhe von 25 % seines jeweiligen Nettoeinkommens geleistet. Die Klägerin habe auch nach der Scheidung auf Bezahlung dieses Unterhalts bestanden; der Beklagte habe sich jedoch lediglich ohne Präjudiz bereit erklärt, der Klägerin monatlich 15 % seines jeweiligen Nettoeinkommens nach Abzug der Unterhaltsverpflichtung für den großjährigen Sohn zu bezahlen. In der Folge habe der Beklagte bis April 1981 monatlich 15 % seines jeweiligen Nettoeinkommens an die Klägerin überwiesen, dann aber ohne weitere Erklärung seine Zahlungen eingestellt. Der von der Klägerin begehrte monatliche Unterhalt von 1.672 S entspreche 15 % des Nettoeinkommens des Beklagten.

Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, dass die Klägerin eine Lebensgemeinschaft mit Franz L***** eingegangen sei. Der Beklagte sei leidend und habe dadurch erhöhte Aufwendungen; weiters habe er erhöhte Aufwendungen dadurch, dass er für seine krebskranke Ehefrau zu sorgen habe. Der Lebensbedarf der Klägerin werde, soweit er nicht durch ihre eigene Pension gedeckt sei, insofern durch Franz L***** gedeckt, als die Klägerin in dessen Haushalt kostenlos mitlebe. Für die Klägerin bestehe aus dieser Verbindung ein Anwartschaftsrecht an der Wohnung des Franz L*****.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Unbestritten ist, dass die Ehe der Streitteile nach § 55 Abs 3 EheG geschieden wurde, wobei das Verschulden des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe ausgesprochen wurde und dass der Beklagte von der ÖMV einen Pensionszuschuss bezieht, der für das Jahr 1981 insgesamt 6.550 S betrug.

Im Übrigen stellte das Erstgericht folgenden Sachverhalt fest:

Die Klägerin ist unter der Anschrift *****, und seit 24. 1. 1978 unter der Anschrift *****, polizeilich gemeldet. Es handelt sich bei der letztgenannten Anschrift um eine Wohnhausanlage der Gemeinde Wien. Bei der Verwaltung der städtischen Wohnhäuser (MA 54) scheint die Klägerin als Lebensgefährtin des Mieters Franz L***** auf.

Die Hauptmietrechte an der Wohnung *****, hat die Klägerin zu Gunsten des Sohnes der Streitteile Otto H***** zurückgelegt. Sie nächtigt ein‑ bis zweimal wöchentlich in dieser Wohnung, hält sie sauber und erledigt die anfallenden Näh‑ und Strickarbeiten für ihren Sohn. Die Miete für diese Wohnung (samt Betriebskosten) wird vom Sohn bezahlt; die Klägerin kommt für die Heizkosten (fünfmal jährlich 2.500 S) auf.

Die übrige Zeit lebt die Klägerin in der Wohnung T***** bei Franz L*****. An dieser Wohnung soll sie für den Fall des Todes des Genannten ein Eintrittsrecht haben. Die Kosten dieser Wohnung werden von Franz L***** getragen; für Lebensmittel kommen die Klägerin und L***** je zur Hälfte auf.

Die Wohnung des Franz L***** besteht aus Zimmer, Küche, Vorzimmer und Bad. Die Klägerin nächtigt mit Franz L***** im Ehebett. Urlaub und Freizeit werden gemeinsam verbracht. Die Reinigungsarbeiten in dieser Wohnung werden von den Töchtern des Franz L***** (Renate K***** und Eveline M*****) verrichtet, die auch für dessen Wäsche sorgen. Gegenüber dem Zeugen W***** hat sich die Klägerin als Lebensgefährtin des Franz L***** ausgegeben. Die geschlechtlichen Beziehungen zwischen der Klägerin und L***** bestehen infolge einer Erkrankung des Mannes im Austausch von Zärtlichkeiten.

Die Klägerin bezog 1981 abzüglich Familienbeihilfe und Kinderzuschuss eine monatliche Durchschnittspension von 4.333 S. Der Beklagte bezog 1981 unter Berücksichtigung des Pensionszuschusses der ÖMV ein monatliches Durchschnittseinkommen von 10.629,70 S. Er ist zuckerkrank; die außergewöhnliche Belastung durch diese Krankheit wird vom Finanzamt mit 1.500 S monatlich anerkannt. Er ist für eine kranke Ehefrau sorgepflichtig, die eine Eigenpension von 2.800 S zuzüglich Hilflosenzuschuss bezieht.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im Wesentlichen dahin, das Wesen einer Lebensgemeinschaft bestehe darin, dass ein eheähnlicher Zustand vorliege, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspreche. Der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen bestehe für die Klägerin in der Gemeinsamkeit mit Franz L***** in dessen Wohnung. Sie verbringe mit ihm Freizeit und Urlaub; die Kosten der Wohnung würden von L***** getragen. Daran ändere auch nichts, dass die Klägerin ein‑ bis zweimal wöchentlich in der Wohnung ***** nächtige, für ihren Sohn Reinigungs‑, Näh‑ und Strickarbeiten durchführe und ihm finanzielle Leistungen wie die Bezahlung der Heizkosten, zukommen lasse. Die Aufteilung der Kosten für Lebensmittel widerspreche nicht dem eheähnlichen Verhältnis, weil zum Wesen der Ehe auch der gegenseitige Beistand im wirtschaftlichen Belangen gehöre. Dass die Töchter des L***** durch Reinigung der Wohnung und der Wäsche Beistandsleistungen erbringe, sei für die innere Beziehung der Klägerin zu L***** ohne Bedeutung. Nach außenhin sei sowohl von der Klägerin als auch von L***** die bestehende Verbindung als Lebensgemeinschaft deklariert worden. Das Vorliegen der Geschlechtsgemeinschaft, die infolge des Gesundheitszustands des L***** nur im Austausch von Zärtlichkeiten bestehen könne, sei von der Klägerin in Übereinstimmung mit L***** zugegeben worden.

Die Klägerin führe somit mit Franz L***** eine außereheliche Lebensgemeinschaft; für die Dauer dieser Lebensgemeinschaft ruhe ihr Unterhaltsanspruch gegenüber dem Beklagten.

Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Es sprach aus, dass die Revision (nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO) zulässig ist.

Das Berufungsgericht übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen als unbedenklich und führte rechtlich im Wesentlichen aus, eine Lebensgemeinschaft setze im Allgemeinen die Geschlechts‑, Wohnungs‑ und Wirtschaftsgemeinschaft voraus, wenngleich nicht stets alle drei Merkmale vorhanden sein müssten. Es müsse sich um einen ehelichen Zustand handeln, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspreche. Das Bestehen einer Lebensgemeinschaft könne bejaht werden, obwohl die Wohngemeinschaft fehle, wenn sie aus verschiedenen Gründen nicht möglich sei. Dasselbe könne auch bei der Geschlechtsgemeinschaft der Fall sein, wenn höheres Alter der Partner oder andere Umstände einen Geschlechtsverkehr nicht möglich oder wünschenswert erscheinen ließen. Unter dem Begriff der Wirtschaftsgemeinschaft sei zu verstehen, dass beide Partner Freud und Leid miteinander teilen, einander beistehen und Dienste leisten – wie bei Ehegatten – und einander an den zur Bestreitung des Unterhalts, der Zerstreuung und der Erholung dienenden Gütern teilnehmen lassen. Der Begriff beschränke sich daher nicht auf die rein materielle Seite; es handle sich um eine aus einer seelischen Gemeinschaft und dem Zusammengehörigkeitsgefühl heraus entstandene Bindung und ihren äußerlichen Eindruck. Die Lebensgemeinschaft sei nicht nur äußerer Zustand; sie setze auch eine innere Einstellung der Partner voraus, die allerdings im Allgemeinen nur aus den äußeren Anzeichen erschlossen werden könne. Die Gemeinschaft müsse auf Dauer beabsichtigt sein.

Im vorliegenden Fall lebe die Klägerin überwiegend mit L***** in dessen Wohnung, sodass das Vorliegen einer Wohnungsgemeinschaft zu bejahen sei; dass die Klägerin ein‑ bis zweimal wöchentlich nicht in der Wohnung nächtige, tue dem keinen Abbruch. L***** komme für die Wohnungskosten allein auf und trage damit zum Lebensunterhalt der Klägerin bei. Er koche auch für die Klägerin, wobei die Lebensmittelkosten von ihm und der Klägerin je zur Hälfte getragen würden. Es könne daher auch das Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft bejaht werden, und zwar auch dann, wenn L***** koche und die Klägerin das Geschirr abwasche und unabhängig davon, dass die Töchter des L***** die Wohnung reinigten und die Wäsche besorgten.

Das Erfordernis der Geschlechtsgemeinschaft könne nicht deswegen verneint werden, weil aus den zwischen der Klägerin und L***** im Ehebett zugegebenermaßen gepflogenen erotischen Beziehungen (Austausch von Zärtlichkeiten, Streicheln und Küssen) die Kopulation ausgeklammert sei. Es könne dahingestellt bleiben, ob die geschlechtliche Vereinigung erst später weggefallen oder von Anfang an nicht ausgeübt worden sei. Wesentlich erscheine, dass beiderseits eine erotische körperliche Verbindung angestrebt und nach Maßgabe der gesundheitlichen Möglichkeiten auch vollzogen werde. Im Rahmen der körperlichen Beziehungen komme dem Unterblieben des Geschlechtsverkehrs nicht ein solcher Stellenwert zu, dass dann von einer erotischen Körpergemeinschaft nicht mehr gesprochen werden könne.

Es sei somit das Bestehen einer Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und L***** zu bejahen und daher das Unterhaltsbegehren der Klägerin abzuweisen.

Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht damit, dass in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Frage, ob auch bei einer von vornherein gegebenen Ausklammerung der Kopulation bei sonst bestehenden erotischen körperlichen Beziehungen eine Lebensgemeinschaft begründbar sei, nicht behandelt worden sei.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin. Sie bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung im Sinne des § 503 Abs 2 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, „dass ihrer Berufung Folge gegeben werde“; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Der Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung dem Antrag erstattet, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Gemäß § 508a ZPO ist der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 3 ZPO nicht gebunden.

Im vorliegenden Fall ergibt die Prüfung der Rechtsmittelzulässigkeit, dass es an der für ihre Bejahung erforderlichen Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO mangelt, weil die Entscheidung nicht von der Lösung von Rechtsfragen abhängt, denen zur Wahrung der Rechtseinheit, der Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs besteht das Wesen einer das Ruhen der Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten herbeiführenden Lebensgemeinschaft der ansonsten Anspruchsberechtigten darin, dass ein eheähnlicher Zustand vorliegt, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht. Dazu gehört im Allgemeinen die Geschlechts‑, Wohn‑ und Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein oder ganz fehlen kann, wie es auch Ehen gibt, bei denen das eine oder andere Merkmal fehlt, ohne dass deswegen von einer Auflösung der häuslichen Gemeinschaft gesprochen werden kann. Doch müssen die vorhandenen Merkmale für die Annahme eines eheähnlichen Verhältnisses ausreichen. Es kommt hiebei regelmäßig auf die Gesamtumstände des Einzelfalls an. Unter dem Begriff der Wirtschaftsgemeinschaft ist zu verstehen, dass beide Partner Freud und Leid miteinander teilen, einander beistehen und Dienste leisten und einander an den zur Bestreitung des Unterhalts, der Zerstreuung und Erholung zur Verfügung stehenden Gütern teilnehmen lassen, so etwa auch die Freizeit weitgehend gemeinsam verbringen. Der Begriff der Lebensgemeinschaft beschränkt sich nicht auf die rein materielle Seite; es handelt sich auch um eine aus einer seelischen Gemeinschaft und dem Zusammengehörigkeitsgefühl heraus entstandene Bindung und ihren äußerlichen Ausdruck (3 Ob 76/81; 6 Ob 698/81; 3 Ob 59/83; 3 Ob 505/83 ua).

Das im Besonderen die Frage anlangt, ob das Bestehen einer geschlechtlichen Gemeinschaft eine unabdingbare Voraussetzung für die Annahme einer Lebensgemeinschaft darstelle, hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass dies zumindest dann nicht der Fall ist, wenn die Lebensgefährten dazu aus physischen Gründen (etwa wegen ihres Alters oder dgl) nicht in der Lage sind (5 Ob 633/77).

Das Berufungsgericht hat im vorliegenden Fall, ausgehend von den dargestellten rechtlichen Kriterien und den getroffenen Tatsachenfeststellungen, den Bestand einer Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und Franz L***** bejaht und kam damit – in Übereinstimmung mit dem Erstgericht – zur Abweisung des Unterhaltsbegehrens der Klägerin. Dass zwischen der Klägerin und L***** die für die Annahme einer Lebensgemeinschaft erforderliche seelische Bindung besteht, ist ohne weiteres aus den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen abzuleiten. Dass die durch eine Erkrankung des Franz L***** bedingte Einschränkung seiner sexuellen Beziehungen zur Klägerin auf den Austausch von Zärtlichkeiten der Annahme einer Lebensgemeinschaft nicht entgegensteht, ergibt sich aus der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

Da das Berufungsgericht somit bei der Lösung der entscheidenden Rechtsfrage, ob zwischen der Klägerin und Franz L***** eine Lebensgemeinschaft besteht, durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gedeckt ist, von einer Uneinheitlichkeit dieser Rechtsprechung in der hier entscheidenden Frage keine Rede sein kann und auch kein Anlass besteht, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, kommt dieser Rechtsfrage nicht die im § 502 Abs 4 Z 1 ZPO vorausgesetzte Bedeutung zu. Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht zu Unrecht die Zulässigkeit der Revision im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ausgesprochen. Die Revision der Klägerin war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kosten ihres unzulässigen Rechtsmittels hat die Klägerin selbst zu tragen. Der Beklagte hat keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten seiner Revisionsbeantwortung, weil er den vorliegenden Zurückweisungsgrund nicht geltend gemacht hat (§§ 40, 41, 50 ZPO).

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