OGH 2Ob556/84

OGH2Ob556/848.5.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj V***** S*****, geboren am *****, infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters S***** S*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. Dezember 1983, GZ 44 R 3696/83-65, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 15. September 1983, GZ 6 P 144/82-57, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die Verfahrensergänzung und neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Mit Beschluss ON 23 vom 22. Oktober 1981 hat das Erstgericht alle rein persönlichen elterlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich der mj V***** S*****, geboren am *****, dem Vater übertragen und der Mutter, welche im Jahre 1980 bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen erlitten und sodann die eheliche Gemeinschaft verlassen hatte, ein Besuchsrecht eingeräumt. Am 30. November 1982 wurde die Ehe der Eltern aus gleichteiligem Verschulden geschieden und die bisherige pflegschaftsbehördliche Regelung hinsichtlich der mj V***** vergleichsweise aufrecht erhalten.

Am 6. April 1983 beantragte der Vater, die Mutter zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 1.650 S an die mj V***** zu verpflichten, wobei er ausführte, ihm sei nicht bekannt, ob die Mutter derzeit einer Beschäftigung nachgehe. Diese gab vor Gericht sodann an, dass sie seit ihrem Verkehrsunfall arbeitsunfähig sei, nunmehr bei ihrem Bruder in Baden wohne, bis einschließlich Mai 1983 vom Sozialhilfereferat des Magistrats der Stadt Wien eine Sozialhilfe von monatlich 2.780 S bezogen habe und seit April 1983 auch von der Bezirkshauptmannschaft Baden eine Sozialhilfe von monatlich 1.736 S beziehe. Ob sie weiterhin beide Sozialhilfeleistungen bekommen werde, wisse sie nicht. Soferne dies der Fall sei erkläre sie sich bereit, den begehrten Unterhaltsbeitrag zu leisten. Am 27. Juli 1983 gab sie bei einer neuerlichen gerichtlichen Einvernahme an, dass sie vom Magistrat der Stadt Wien auch für Juli 1983 eine Sozialhilfe von 2.700 S erhalten habe und nicht wisse, wie lange sie diese Leistung noch weiter bekommen würde.

Mit Beschluss ON 57 vom 15. September 1983 setzte das Erstgericht unter Hinweis auf den Bezug der beiden Sozialhilfen durch die Mutter und deren Zustimmung zur Unterhaltsleistung den von ihr für die mj V***** zu erbringenden Unterhaltsbeitrag mit monatlich 1.650 S fest.

Dagegen erhob die Mutter zu ON 58 und 62 Rekurs mit dem Vorbringen, sie beziehe lediglich noch von der Bezirkshauptmannschaft Baden einen monatlichen Sozialhilfebetrag von 1.736 S, vom Magistrat Wien erhalte sie seit November 1982 keine Sozialhilfeleistungen mehr. Wegen ihres schweren Unfalls sei derzeit ein Verfahren zur Bestellung eines ihr beistehenden Kurators anhängig.

Nach der Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 9. November 1983 gewährt diese bis zur endgültigen Stellungnahme des für die Sozialhilfeleistung zuständigen Magistrats der Stadt Wien der Mutter vorläufig eine Sozialhilfe von monatlich 1.736 S, da diese aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen.

Das Rekursgericht hob den erstgerichtlichen Beschluss auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Zur Begründung führte es aus, beim vorliegenden Sachverhalt „läge grundsätzlich Spruchreife im Sinne der Abweisung des Unterhaltsfestsetzungsantrags vor“, doch erscheine die Frage der Kuratorbestellung bzw der Eigenberechtigung und selbständigen Vertretungsfähigkeit der Mutter aufklärungsbedürftig, weshalb „spruchgemäß, letztlich auch unter allfälliger Berücksichtigung der Arbeitsfähigkeit der Mutter (vgl Unterhaltsprozess zu 2 C 12/81- bzw 6 C 1/82 des BG Favoriten) und hinsichtlich eines allfälligen Familienzuschusses zu entscheiden war“.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters, in welchem er im Wesentlichen vorbringt, die Begründung des angefochtenen Beschlusses sei in sich widersprechend wie ebenso die Stellungnahme der Mutter hinsichtlich des Bezugs von Sozialhilfeleistungen, weshalb sein Standpunkt „akzeptiert“ werden möge.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus nachstehenden Gründen zulässig und im Ergebnis auch gerechtfertigt:

Der Rechtsmittelausschluss des § 14 Abs 2 AußStrG hinsichtlich Entscheidungen der zweiten Instanz über die Bemessung gesetzlicher Unterhaltsansprüche findet vorliegendenfalls nicht Anwendung, weil die Beurteilung verfahrensrechtlicher Voraussetzungen - hier der Prozessfähigkeit der Unterhaltspflichtigen - nach ständiger Rechtsprechung nicht zur Unterhaltsbemessung gehört. Soweit sich der Revisionsrekurs auch auf den letztgenannten Fragenkomplex bezieht, könnte hierauf demgemäß allerdings nicht eingegangen werden. Eine weitere Rechtsmittelbeschränkung liegt nach den hier allein maßgebenden Bestimmungen des Außerstreitgesetzes - § 6 Abs 3 ZPO ist daher nicht anzuwenden - nicht vor.

Das Rekursgericht hatte vorliegendenfalls nicht nur im Sinne des gemäß § 10 AußStrG zulässigen Neuvorbringens im Rekurs der Mutter, sondern auch von Amts wegen auf die Frage ihrer Handlungsfähigkeit vor Gericht einzugehen, weil es gemäß § 2 AußStrG jedem Gerichte obliegt, für die Einhaltung eines gültigen Verfahrens zu sorgen und Verstöße gegen das grundsätzliche Erfordernis der Prozessfähigkeit - im Außerstreitverfahren erscheint lediglich in Ausnahmefällen selbständiges prozessuales Handeln pflegebefohlener Personen zulässig (vgl MGA AußStrG2 Anm 3 zu § 2; Dolinar, Österreichisches Außerstreitverfahrensrecht, Allgemeiner Teil 59) - in jeder Lage des Verfahrens zu berücksichtigen.

Nach ständiger Judikatur ist der Nichtigkeitsbegriff im Außerstreitverfahren der Zivilprozessordnung zu entnehmen und daher § 477 ZPO sinngemäß anzuwenden. Der zum Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO führende Mangel der gesetzlichen Vertretung bzw der Prozessfähigkeit (§§ 1, 6 Abs 1 ZPO) kann auch im Außerstreitverfahren in sinngemäßer Anwendung des § 6 Abs 2 ZPO behoben und damit dieser Nichtigkeitsgrund abgewendet werden (6 Ob 128/61; 7 Ob 555/78 ua). Stellt sich die Frage des allfälligen Mangels der Prozessfähigkeit erst im Rechtsmittelverfahren, so hat das Rekursgericht eine entsprechende Prüfung und allfällige Sanierung iSd § 6 Abs 2 ZPO selbst vorzunehmen (Fasching II Anm 9 und 11 zu § 6; EvBl 1975/108; 1968/28). Es darf die Sache also nicht zu diesem Zwecke an das Prozessgericht zurückverweisen, sondern muss selbst die notwendigen Aufträge erteilten und nach deren Durchführung aufgrund des ergänzten Verfahrens erkennen (Fasching aaO Anm 9; JBl 1971, 195).

Hielt das Rekursgericht vorliegendenfalls die Frage der Prozessfähigkeit der Mutter für klärungsbedürftig, so durfte es die entsprechende Klärung demgemäß nicht dem Erstgericht übertragen, sondern hatte diese sowie eine allenfalls erforderliche Sanierung des Verfahrens selbst in die Wege zu leiten und erst anschließend über den Rekurs der Mutter zu erkennen. In Widerspruch hiezu hat es jedoch über deren Rekurs sogleich und damit über ein Rechtsmittel entschieden, zu dessen Einbringung seiner Ansicht nach die Mutter allenfalls gar nicht befugt war, in welchem Falle die Entscheidung hierüber aber offenkundig mit Nichtigkeit bedroht wäre.

In Stattgebung des Revisionsrekurses war der rekursgerichtliche Aufhebungsbeschluss somit aufzuheben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung nach Durchführung der erforderlichen Erhebungen und eines allfälligen Sanierungsversuchs aufzutragen.

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