OGH 8Ob16/84

OGH8Ob16/8429.3.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) B***** Gesellschaft mbH, *****, und 2.) Alois H*****, beide vertreten durch Dr. Alfred Haslinger, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1.) Heinrich E*****, und 2.) W*****, beide vertreten durch Dr. Gottfried Lindner, Rechtsanwalt in Linz, wegen 87.000 S sA, sowie 75.000 S sA und Feststellung (Revisionsstreitwert: Erstklägerin 64.625 S; Zweitkläger 67.375 S; beklagte Parteien 10.000 S) infolge Revision der klagenden und beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht vom 2. Dezember 1982, GZ 5 R 192/82‑33, ergänzt mit Beschluss desselben Gerichts vom 8. Februar 1984, GZ 5 R 192/83‑41, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Kreisgerichts Wels vom 28. Juli 1982, GZ 1 Cg 351/81‑27 teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00016.840.0329.000

 

Spruch:

 

1.) Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

2.) Die Revisionsbeantwortung der erstklagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen an Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen, und zwar:

die erstklagende Partei den Betrag von 3.256,80 S (darin 480 S an Barauslagen und 205,68 S an Umsatzsteuer) und

die zweitklagende Partei den Betrag von 2.423,52 S (darin 360 S an Barauslagen und 154,26 S an Umstatzsteuer).

 

Entscheidungsgründe:

Am 4. 7. 1979 ereignete sich gegen 8:30 Uhr in A***** auf der Kreuzung der Eferdinger Bundesstraße Nr 129 mit dem benachrangten Straßenzug Siedlungsstraße‑Hörschinger Landesstraße ein Verkehrsunfall, an dem der Zweitbeklagte mit dem der Erstklägerin gehörigen PKW VW Combi (*****) und der Erstbeklagte mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW BMW 520 (*****) beteiligt waren. Dabei wurden sowohl der Zweitkläger als auch der Erstbeklagte verletzt, an beiden Fahrzeugen trat Totalschaden ein. Der Schaden der Erstklägerin beträgt 75.000 S, jener des Erstbeklagten 40.000 S. Mit Urteil des Bezirksgerichts Eferding vom 27. 7. 1981 (2 U 288/79‑41) wurden wegen dieses Verkehrsunfalls sowohl der Zweitkläger als auch der Erstbeklagte des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 StGB rechtskräftig schuldig erkannt, der Erstbeklagte weil er eine überhöhte Fahrgeschwindigkeit eingehalten und die Fahrbahn mangelhaft beobachtet hatte, der Zweitkläger weil er den Vorrang des Erstbeklagten missachtet hatte.

Mit der am 17. 7. 1981 erhobenen Klage begehrten die klagenden Parteien von den Beklagten zur ungeteilten Hand den Ersatz des ihnen bei diesem Unfall entstandenen Schadens, die Erstklägerin im Betrag von 87.000 S (Totalschaden an ihrem PKW) und der Zweitkläger im Betrag von 75.000 S (90.000 S Schmerzengeld abzüglich einer Akontozahlung von 15.000 S). Nach Einholung von Befund und Gutachten eines medizinischen Sachverständigen stellte der Zweitkläger in der Tagsatzung vom 5. 7. 1982 weiters ein entsprechendes (mit 20.000 S bewertetes) Feststellungsbegehren. Zur Begründung brachten die klagenden Parteien vor, der Zweitkläger habe die Absicht gehabt, von der Siedlungsstraße kommend die Bundesstraße zu überqueren. Er habe den PKW der Erstklägerin vor der Bundesstraße angehalten und sei dann, als er kein ihm gegenüber bevorrangtes Fahrzeug auf der Bundesstraße gesehen habe, in diese eingefahren. Im Zuge des Überquerens der Bundesstraße sei der Erstbeklagte mit seinem PKW von rechts kommend gegen das in Fahrbahnmitte befindliche, vom Zweitkläger gelenkte Fahrzeug gestoßen. Der Erstbeklagte habe trotz der im Unfallbereich herrschenden Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 km/h eine Geschwindigkeit von 120 km/h eingehalten und vor dem Zusammenstoß keinerlei Abwehrreaktion gesetzt. Der PKW des Erstbeklagten sei für den Zweitkläger im Zeitpunkt seines Einfahrens in die Kreuzung wegen einer Sichtbehinderung, die im Kreuzungsbereich bestanden habe, noch nicht sichtbar gewesen. Der Zweitkläger habe darauf vertrauen dürfen, dass von den die Bundesstraße benützenden Fahrzeuglenkern die vorgeschriebene Geschwindigkeitsbeschränkung eingehalten werde. Das Alleinverschulden an den Unfall treffe daher den Erstbeklagten.

Die Beklagten beantragten die Abweisung der Leistungsbegehren sowie des Feststellungsbegehrens und wendete ein Mitverschulden des Zweitklägers am Zustandekommen des Unfalls im Ausmaß von zwei Drittel und Verjährung des Feststellungsbegehrens ein. Da der Erstbeklagte lediglich eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten habe während der Zweitkläger das bevorrangte Fahrzeug 4,5 bis 5,5 Sekunden vor dem Zusammenstoß hätte wahrnehmen und entsprechend reagieren können, treffe das weitaus überwiegende Verschulden an dem Unfall den Zweitkläger. Der Erstbeklagte wendete den Klagsforderungen gegenüber seinen Schmerzengeldanspruch in der Höhe von 20.000 S und den an seinem PKW entstandenen Schaden im Betrag von 40.000 S unter Bedachtnahme auf ein Eigenverschulden im Ausmaß eines Drittels daher im Betrag von 40.000 S aufrechnungsweise ein.

Der Verjährungseinrede der Beklagten begegnete der Zweitkläger mit der Behauptung, die Unfallsfolgen seien ihm erst durch das Gutachten bekannt geworden.

Das Erstgericht erkannte ausgehend von einem gleichteiligen Verschulden beider Fahrzeuglenker die Forderung der Erstklägerin mit 37.500 S als zu Recht bestehend und mit 49.500 S als nicht zu Recht bestehend, die Forderung des Zweitklägers mit 30.000 S als zu Recht bestehend und mit 35.000 S (rechnerisch richtig: 45.000 S) als nicht zu Recht bestehend, die eingewendete Gegenforderung des Erstbeklagten mit 27.500 S als zu Recht bestehend und mit 32.500 S als nicht zu Recht bestehend und sprach es der Erstklägerin den Betrag von 22.375 S sA unter Abweisung eines Mehrbegehrens von 64.625 S sA und dem Zweitkläger den Betrag von 17.625 S sA unter Abweisung eines Mehrbegehrens von 57.375 S sA zu. Das Feststellungsbegehren des Zweitklägers wies es ab.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Erstklägerin nicht Folge. Hingegen gab es der Berufung des Zweitklägers teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil in Ansehung des Ausspruchs über das Feststellungsbegehren dahin ab, dass es die Haftung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für alle Schäden des Zweitklägers aus dem gegenständlichen Verkehrsunfall im Ausmaß von 50 % bei Beschränkung der Haftung der zweitbeklagten Partei auf die Versicherungssumme des mit dem Erstbeklagten bestehenden Versicherungsverhältisses feststellte und das Feststellungsmehrbegehren abwies. Mit Beschluss vom 8. 2. 1984, GZ 5 R 192/83‑41, sprach das Berufungsgericht in Ergänzung dieses Urteils aus, dass der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstands 2.000 S übersteige (§ 500 Abs 2 ZPO aF).

Gegen dieses Urteil des Gerichts zweiter Instanz richten sich die Revisionen der klagenden Parteien und der beklagten Parteien. Die klagenden Parteien bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichts in seinem das Klagebegehren abweisenden Umfang aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag, die Entscheidung der Vorinstanzen im Sinne der vollinhaltlichen Stattgebung der Klagebegehren abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichts in Ansehung der aufrechten Erledigung des Feststellungsbegehrens aus dem Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der gänzlichen Abweisung des Feststellungsbegehrens abzuändern; hilfsweise stellen auch die beklagten Parteien einen Aufhebungsantrag.

Die Streitteile beantragten in ihrer Revisionsbeantwortungen, jeweils der Revision der Gegenseite keine Folge zu geben. Insoweit die Revisionsbeantwortung auch von der Erstklägerin erhoben wurde, ist sie unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Keiner der Revisionen kommt Berechtigung zu.

Die Feststellungen der Vorinstanzen lassen sich über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Am Unfallstag fuhr der Erstbeklagte auf der Eferdinger Bundesstraße von Linz kommend in Richtung Eferding. Die 6,8 m breite Asphaltfahrbahn dieser Bundesstraße war zur Unfallszeit trocken. In Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen mündet die Siedlungsstraße von links in die Bundesstraße ein. Die Siedlungsstraße ist gegenüber der Bundesstraße durch das Vorschriftszeichen „Vorrang geben“ benachrangt. Am Fahrbahnrand der Bundesstraße befindet sich im Bereich des Einmündungstrichters eine Ordnungslinie. Zur Unfallszeit ergab sich für in die Siedlungsstraße in Richtung Bundesstraße fahrende Fahrzeuge (Fahrtrichtung des Zweitklägers) und für auf der Bundesstraße aus Richtung Linz kommende Fahrzeuge zueinander eine Sichtbehinderung dadurch, dass in der an die Bundesstraße – in Fahrtrichtung Linz gesehen – rechts anschließenden Wiese vom Fahrbahnrand der Bundesstraße 4 m und vom rechten Fahrbahnrand der Siedlungsstraße – in Richtung Bundesstraße betrachtet – 43 m entfernt eine Werbetafel im Ausmaß von 3,25 m x 2,30 m und etwa 24 m von der Siedlungsstraße entfernt in Richtung Linz das Verkehrszeichen „Vorrangstraße“ mit der Tafel „Bundesstraße mit Vorrang“ sowie 39 m davon entfernt ein Wegweiser aufgestellt war. Für einen in der Siedlungsstraße haltenden Lenker eines Fahrzeugs bestand in Richtung Linz eine Sicht von etwa 150 m, wenn der Lenker maximal 2,5 m vom Fahrbahnrand entfernt war. Das Verkehrszeichen Bundesstaße mit Vorrang bedeutete eine partielle Sichtbehinderung über eine Fahrtstrecke eines sich näherenden Fahrzeugs von 15 m. Die Bundesstraße liegt im Bereich der Unfallsstelle im Freilandgebiet, es besteht jedoch eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 km/h. Der Zweitkläger fuhr auf der Siedlungsstraße in Richtung Bundesstraße in der Absicht, diese zu überqueren, um in der Hörschinger Landesstraße weiterzufahren. Er hielt den von ihm gelenkten PKW mit der Vorderfront etwa 0,5 m vor der Ordnungslinie an, sodass seine Sitzposition etwa 2,5 m vom Fahrbahnrand entfernt war. Er blickte zwar in beide Fahrtrichtungen der Bundesstraße, nahm jedoch den PKW des Erstbeklagten offensichtlich infolge Unaufmerksamkeit nicht wahr und fuhr mit zügiger Beschleunigung weg. Währenddessen näherte sich auf der Bundesstraße der Erstbeklagte mit einer Geschwindigkeit von etwa 110 km/h. Als er das Fahrzeug der Erstklägerin wahrnahm, bremste er, die Bremsung wurde jedoch vor dem Anstoß nicht mehr, sondern erst etwa im Anstoßzeitpunkt wirksam. Der vom Erstbeklagten gelenkte PKW stieß mit der Vorderfront gegen die rechte Seite des Volkswagens im Bereich der Türe und des Vorderrades. Der Zweitkläger hatte vor dem Anstoß noch kurz gebremst, wobei eine Bremsspur von 70 cm abgezeichnet wurde. Der PKW der Erstklägerin schleuderte über eine Strecke von insgesamt 41 m vorerst auf der Fahrbahn, stieß gegen den Steher eines neben der Fahrbahn befindlichen Zauns und schließlich gegen ein auf der Fahrbahn abgestelltes Fahrzeug. Der Wagen des Erstbeklagten drehte sich um 180 Grad und kam nach etwa 20 m zum Stillstand. Der Zweitkläger benötigte mit seinem PKW vom Anfahren bis zum Zusammenstoß unter Berücksichtigung der kurzen Bremsung, für die man 0,2 bis 0,3 Sekunden annehmen kann, 2,4 Sekunden. Als der Zweitkläger wegfuhr, war der PKW des Erstbeklagten bereits 1,9 Sekunden in seinem Sichtbereich von 150 m in Richtung Linz, wobei erkennbar war, dass dessen Geschwindigkeit deutlich über 60 km/h lag. Durch das Verkehrszeichen „Bundesstraße mit Vorrang“ war lediglich zwischendurch die Sicht für 0,3 Sekunden unterbrochen. Die Bewegung des klägerischen Fahrzeugs war für den Erstbeklagten 1,9 Sekunden objektiv wahrnehmbar. 1,9 Sekunden vor dem Anstoß war der Erstbeklagte 58 m vor der Zusammenstoßstelle. Der Anhalteweg bei 60 km/h hätte 37 m (vgl Ersturteil AS 127 und Gutachten AS 99) betragen. Die Strecke von 58 m hätte der PKW des Erstbeklagten bei 60 km/h in einer Zeit von 3,5 Sekunden zurückgelegt. Wäre der Erstbeklagte nur eine Geschwindigkeit von 60 km/h gefahren, wäre es nicht zum Zusammenstoß gekommen, weil in diesem Fall der Zweikläger die Fahrbahn in der verbleibenden Zeit von 1,6 Sekunden überquert hätte.

Bei der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhalts ging das Erstgericht davon aus, dass aufgrund der Bindung an das Strafurteil von einem Verschulden beider Fahrzeuglenker auszugehen sei. Das Verschulden des Erstbeklagten am Zustandekommen des Unfalls sei darin zu erblicken, dass er mit einer die erlaubte Geschwindigkeit von 60 km/h um 50 km/h übersteigenden Geschwindigkeit gefahren sei und zudem erst mit einer Verspätung von 0,9 Sekunden durch ein Bremsmanöver reagiert habe. Der Zweitkläger habe sich eine Vorrangverletzung zuschulden kommen lassen, da er in die bevorrangte Bundesstraße eingefahren sei, obwohl für ihn zu diesem Zeitpunkt bereits 1,9 Sekunden lang der auf dieser Bundesstraße herannahende PKW des Erstbeklagten nicht sichtbar gewesen sei. Im Hinblick darauf, dass der Erstbeklagte die zulässige Höchstgeschwindigkeit um nahezu 100 % überschritten habe, sei das Verschulden des Erstbeklagten gegenüber jenem des Zweitklägers gleich zu werten.

Den – im Einzelnen auch festgestellten Verletzungen und Verletzungsfolgen des Zweitklägers und des Erstbeklagten erachtete das Erstgericht ein Schmerzengeld von 90.000 S bzw 15.000 S als angemessen. Ausgehend von einem gleichteiligen Verschulden beider Fahrzeuglenker gelangte das Erstgericht unter Bedachtnahme auf die Höhe der eingetretenen Fahrzeugschäden und Schmerzengeldansprüche und den Umstand, dass der eingewendeten Gegenforderung Forderungen zweiter verschiedener Gläubiger gegenüberstünden und der Erstbeklagte nicht erklärt habe, gegen welche der beiden Forderungen aufgerechnet werden solle, durch die Kompensation jede der beiden Forderungen somit anteilsmäßig zu tilgen seien, zu dem bereits wiedergegebenen, das Leistungsbegehren betreffenden mehrgliedrigen Spruch.

Die Abweisung des Feststellungsbegehrens des Zweitklägers begründete das Erstgericht damit, dass dieses Begehren erst in der Verhandlung vom 5. 7. 1982, somit nach Ablauf von mehr als drei Jahren nach dem Unfall erhoben worden sei. Es sei daher bereits Verjährung des Feststellungsanspruchs eingetreten.

Das Gericht zweiter Instanz erachtete die in der Berufung vorgetragenen Beweis‑ und Tatsachenrüge der klagenden Parteien als nicht berechtigt und billigte auf der Grundlage der zur Gänze übernommenen Feststellungen des Erstgerichts auch die von diesem vorgenommene Verschuldensteilung. Die Benützer der Bundesstraße hätten sich gegenüber jenen der Siedlungsstraße nach § 19 Abs 4 StVO im Vorrang befunden. Der Einwand des Zweitklägers, er habe keine Möglichkeit gehabt, die bevorrangte Bundesstraße nach beiden Seiten hin so zu beobachten, dass er jeden Verkehrsteilnehmer bemerkte, auch wenn ein solcher sich der Kreuung mit einer extrem überhöhten Geschwindigkeit nähere, schlage nicht durch. Der im Nachrang befindliche Kraftfahrer habe bei schlechten Sichtverhältnissen an einer Kreuzung seine Geschwindigkeit bis zu einem „Vortasten“ herabzumindern, um den Vorrang eines auf der bevorrangten Straße herankommenden Fahrzeugs wahrnehmen zu können. Der Zweitkläger hätte sich daher bei Einfahrt in die bevorrangte Straße unbedingt von der auf der Bundesstraße herrschenden Verkehrslage in der Weise vergewissern müssen, dass für ihn bei Einfahrt in die Bundesstraße auch das Herannahen von Fahrzeugen bemerkt werden könne, die mit überhöhter Geschwindigkeit führen. Da der Zweitkläger diesem Gebot nicht entsprochen habe, sei ihm vom Erstgericht mit Recht eine schuldhafte Vorrangverletzung iSd § 19 Abs 4 StVO angelastet worden. Nach ständiger Rechtsprechung entscheide bei der Verschuldensabwägung die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Verkehrssicherheit im Allgemeinen und im konkreten Fall sowie das Ausmaß des Verschuldens und der Grad der Fahrlässigkeit des einzelnen. Ein Verstoß gegen die Vorrangbestimmungen wiege grundsätzlich schwerer als Geschwindigkeits-überschreitungen; dies gelte aber nur so lange, als die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht als besonders schwerwiegend zu qulifizieren sei. Im vorliegenden Fall stünden der eklatanten Verletzung des Vorrangs durch den Zweitkläger die sehr beträchtliche Geschwindigkeits-überschreitung und ein geringer Reaktionsverzug des Erstbeklagten gegenüber. Wäge man das Fehlverhalten beider Fahrzeuglenker gegeneinander ab, so erscheine jedoch die Geschwindigkeitsüberschreitung des Erstbeklagten im Verhältnis zur Vorrangverletzung des Zweitklägers nicht so gravierend, dass von einem überwiegenden Verschulden des Erstbeklagten ausgegangen werden könne. Eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 1 erscheine im vorliegenden Fall angebracht, zumal nicht übersehen werden dürfe, dass einerseits die Vorrangverletzung des Zweitbeklagten gravierend und seine Unvorsichtigkeit beträchtlich gewesen sei, andererseits aber die Geschwindigkeitsüberschreitung des Erstbeklagten doch ein Ausmaß erreicht habe, das eine erhebliche Gefahrenvergrößerung bewirkt habe. Der geringfügige Reaktionsverzug des Erstbeklagte stelle keinen Grund dar, der das Fehlverhalten des zu schnell fahrenden Erstbeklagten als so schwerwiegend erscheinen ließe, um ausnahmsweise sein überwiegendes Verschulden auszusprechen, zumal bei überraschend die Fahrbahn querenden Hindernissen auch eine geringe Überschreitung der üblichen Reaktionszeit von einer Sekunde noch kein Verschulden des reagierenden Verkehrsteilnehmers zu begründen vermöge. Es habe daher unter Bedachtnahme auf die Aufrechnung der eingewendeten Gegenforderung auf die Forderungen der klagenden Parteien im Verhältnis der Höhe dieser Forderungen zueinander bei dem mehrgliedrigen Spruch des Erstgerichts und damit auch bei der vom Erstgericht vorgenommenen Teilabweisung der Leistungsbegehren zu bleiben.

Die Abweisung des Feststellungsbegehrens wegen bereits eingetretener Verjährung sei jedoch rechtsirrig erfolgt. Für die vom Erstgericht vertretenen Rechtsmeinung spreche zwar, dass einem Begehren auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden das Feststellungsinteresse iSd § 228 ZPO schon dann nicht abgesprochen werden, wenn nur der Eintritt künftiger Schadensfolgen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Nach der Rechtsprechung werde für den Beginn des Laufs der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB zwar die Kenntnis der schädigenden Ereignisse gefordert, es werde aber hiefür als unbedingt erforderlich angesehen, dass die im voraus erkennbaren Wirkungen bereits eingetreten seien. Der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz bei der Auslegung des § 1489 ABGB ließe sich im Wesentlichen dahin formulieren, dass für vorhersehbare Schadenswirkungen die Verjährungszeit mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses (zB Unfall) in Lauf gesetzt werde. Der Satz, dass die Verjährung erst beginne, wenn dem Geschädigten der Sachverhalt so weit bekannt sei, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg eingebracht werden könne, müsse grundsätzlich dahin verstanden werden, dass damit nicht nur die Möglichkeit der Einbringung einer Leistungsklage, sondern auch die einer Feststellungsklage in Betracht zu ziehen sei, für die hinsichtlich der Verjährung dieselben Grundsätze gelten, wie bei der Leistungsklage. Es würde aber zu weit führen, nun daraus den Schluss zu ziehen, dass in jedem Fall einer Schädigung zur Verhinderung der Verjährung innerhalb von drei Jahren ab dem schädigenden Ereignis auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden geklagt werden müsse, wenn der Eintritt solcher künftiger Schäden zwar nicht zu erwarten sei, aber auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Dies hieße nichts anderes, als die Parteien zur Erhebung von Feststellungsbegehren zu zwingen, denen voraussichtlich niemals praktische Bedeutung zukommen werde. Hingegen erscheine es prozessökonomisch und durchaus sinnvoll, die Folge des Laufes der Verjährung künftiger Ansprüche an die Unterlassung eines Feststellungsbegehrens nur dann zu knüpfen, wenn mit künftigen Schäden (zB Dauerfolgen eines Unfalls als Quelle von in Zukunft wahrscheinlichen Vermögenseinbußen) mit Wahrscheinlichkeit zu rechnen sei. In einem solchen Fall könnte der Lauf der Verjährung erst mit dem Zeitpunkt einsetzen, in dem der Verletzte mit künftigen Schäden als wahrscheinlich zu rechnen habe (SZ 48/27). Im vorliegenden Fall könne jedoch nicht gesagt werden, dass der Kläger bereits einen Tag nachdem er die Unfallsverletzungen erlitten habe, imstande gewesen sei, zu beurteilen, ob aufgrund dieser Verletzungen allenfalls mit dem Entstehen gesundheitlicher Spätfolgen oder Dauerschäden gerechnet werden müsse bzw dass das Entstehen gesundheitlicher Dauerschäden oder Spätfolgen nicht ausgeschlossen werden könne. Erst im Zeitpunkt des Vorliegens des schriftlichen Gutachtens des medizinischen Sachverständigen, somit erst Beginn des Jahres 1982 sei für den Zweitkläger abzuschätzen gewesen, dass allenfalls doch das Entstehen von Dauerfolgen und weiteren Komplikationen nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Erst bei Erörterung dieses Gutachtens in der Verhandlungstagsatzung vom 5. 7. 1982 sei dann deutlich geworden, dass Spätkomplikationen zwar nicht allzu wahrscheinlich, aber auch nicht auszuschließen seien. Die klagenden Parteien hätten darauf ohnedies sofort das Klagebegehren um das Feststellungsbegehren erweitert. Bei dieser Sachlage könne daher nicht davon gesprochen werden, dass eine Verjährung hinsichtlich des Anspruchs auf Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für künftige Unfallsschäden des Klägers eingetreten wäre. Das Urteil des Erstgerichts sei daher in Ansehung des Feststellungsbegehrens spruchgemäß abzuändern gewesen.

Demgegenüber vertreten die klagenden Parteien in ihrer Revision den Standpunkt, das Verschulden des Erstbeklagten überwiege im vorliegenden Fall derart, dass ein allfälliges Verschulden des Zweitklägers praktisch nicht mehr ins Gewicht falle, allenfalls aber das Verschulden im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten des Erstbeklagten zu teilen sei.

Die Beklagten hingegen beharren in ihrer Revision auf dem Standpunkt, das Feststellungsbegehren sei verjährt.

1.) Zur Revision der klagenden Parteien:

Die klagende Parteien bekämpfen in erster Linie die Ansicht des Berufungsgerichts, der Zweitkläger sei im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Sichtverhältnisse im Kreuzungsbereich zu einem Vortasten in die Kreuzung verpflichtet gewesen. Insoweit sie dabei den von ihnen bisher schon vertretenen Standpunkt wiederholen und meinen, für den Zweitkläger habe nach dem ersten Kontrollblick nach rechts keine Veranlassung für einen abermaligen Blick nach rechts bestanden und sie auch auf den Grundsatz verweisen, der Lenker eines Kraftfahrzeugs habe bei der Wahl der Geschwindigkeit nur solche Hindernisse in Betracht zu ziehen, mit welchen er bei Betrachtung aller Umstände triftigen Grund zu rechnen habe, also nicht mit Hindernissen, die aufgrund von nicht rechtzeitig erkennbaren Verkehrswidrigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer in die Fahrbahn gelangten, verkennen sie die einem im Nachrang befindlichen Verkehrsteilnehmer obliegenden Pflichten (§ 19 Abs 7 StVO 1960). Dass der Zweitkläger iSd § 19 Abs 7 StVO 1960 wartepflichtig war, wird von den klagenden Parteien nicht bekämpft. Zutreffend haben die Vorinstanzen im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs darauf hingewiesen, dass der Wartepflichtige in die bevorrangte Verkehrsfläche nur dann einfahren darf, wenn er sich durch gehörige Beobachtung des bevorrangten Verkehrs in seiner tatsächlichen Gestaltung, also unter Bedachtnahme auf eine überhöhte Geschwindigkeit des Bevorrangten, die Gewissheit verschafft hat, dies ohne Gefährdung oder auch nur Behinderung eines bevorrangten Verkehrsteilnehmers unternehmen zu können (ZVR 1978/146; ZVR 1979/66 uva). Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung (ZVR 1975/177; ZVR 1979/64; ZVR 1981/235; ZVR 1982/238 und 353 uva), dass sich der benachrangte Kraftfahrzeuglenker, um eine ihm obliegende Wartepflicht erfüllen zu können, dann, wenn es die schlechten Sichtverhältnisse erfordern, äußerst vorsichtig zur Kreuzung und auf dieser vorzutasten hat, um die notwendige Sicht zu bekommen. „Vortasten“ bedeutet dabei in der Regel ein schrittweises Vorrollen in mehreren Etappen bis zu einem Punkt von dem aus die erforderliche Sicht möglich ist (Jagusch, Straßenverkehrsrecht24 Anm 58 zu § 8 StVO; ZVR 1981/235; ZVR 1982/353; 8 Ob 163/81 ua). Dieser Verpflichtung entsprach der Zweitkläger aber nicht, weil er sich nicht vortastete, sondern mit zügiger Beschleunigung in die Kreuzung einfuhr. Wenn die Revisionswerber in ihrer Rechtsrüge zum Ausdruck bringen, der Zweitkläger hätte den Erstbeklagten im Zuge des Einfahrens in die Kreuzung nicht wahrnehmen können, so gehen sie von einem feststellungsfremden Sachverhalt aus; ihre diesbezüglichen Ausführungen sind daher unbeachtlich. In der Annahme einer Vorrangverletzung des Zweitklägers gegenüber dem Erstbeklagten durch die Vorinstanzen kann daher ein Rechtsirrtum nicht erblickt werden.

Den klagenden Parteien kann aber auch darin nicht beigepflichtet werden, dass die Vorinstanzen zu Unrecht zu einem gleichteiligen Verschulden der beiden am Unfall beteiligten Fahrzeuglenker gelangt ist. Es entspricht ebenfalls ständiger Rechtsprechung, dass ein Verstoß gegen den Vorrang in der Regel schwerer als andere Verkehrswidrigkeiten wiegt. Den Revisionswerbern ist darin beizupflichten, dass der Oberste Gerichtshof von diesem Grundsatz abgegeben ist, wenn der Vorrangberechtigte sich einer besonders krassen Verkehrswidrigkeit schuldig gemacht hat (8 Ob 24/74; 2 Ob 29/74; 2 Ob 264/77; 8 Ob 256/80; 8 Ob 50, 51/81; 8 Ob 78/81; 8 Ob 31/82 uva). Da der eklatanten Vorrangverletzung des Zweitklägers hier eine Geschwindigkeitsüberschreitung von nahezu 100 % in Verbindung mit einer Reaktionsverspätung des Erstbeklagten, die von den Vorinstanzen im Hinblick darauf, dass sie nicht einmel das Ausmaß einer Sekunde erreichte, mit Recht als eher geringfügig eingeschätzt wurde, gegenübersteht, liegt auf Seite des Erstbeklagten ohne Zweifel eine besondere krasse Verkehrswidrigkeit vor, die ein Abgehen von dem Grundsatz, dass ein Verstoß gegen den gesetzlichen Vorrang schwerer wiege als andere Verkehrswidrigkeiten, rechtfertigt. Ausgehend von der Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten der beiden Verkehrsteilnehmer im Allgemeinen und im konkreten Fall bewirkten Gefahr und der Wichtigkeit der verletzten Vorschriften für die Sicherheit des Verkehrs (ZVR 1975/162; 1978/314; 1979/10; ZVR 1981/106; 8 Ob 41/81 uva) kann aber keine Rede davon sein, dass das Verschulden des Erstbeklagten schwerer wiege als jene des Zweitklägers.

Der Revision der klagenden Parteien konnte daher kein Erfolg beschieden sein.

2.) Zur Revision der beklagten Parteien:

Vorerst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den klagenden Parteien bloß um formelle Streitgenossen handelt. Der Erstklägerin steht daher nicht das Recht zu, sich an dem lediglich das Feststellungsbegehren des Zweitklägers betreffenden Reivsionsverfahren zu beteiligen. Die Revisionsbeantwortung musste daher, insoweit sie von der Erstklägerin erhoben wurde, als unzulässig zurückzuweisen werden.

Die beklagten Parteien vertreten in ihrer Revision den Standpunkt, dass der Feststellungsanspruch des Zweitklägers am 5. 7. 1982, am Tage der Erhebung des Feststellungsbegehrens bereits verjährt gewesen sei. Da bereits am 5. 7. 1979 festgestanden sei, dass der Zweitkläger bei dem gegenständlichen Unfall in der Gesamtheit schwere Verletzungen erlitten habe, die üblicherweise mit Dauerfolgen einhergingen, habe die Verjährungsfrist für den Zweitkläger am 5. 7. 1979 zu laufen begonnen. Folgt man diesen Ausführungen, dann wäre der Feststellungsanspruch des Zweitklägers im vorliegenden Fall keinesfalls verjährt, weil das Ende der dreijährigen Verjährungsfrist dann nach der Bestimmung des § 902 Abs 2 ABGB auf den 5. 7. 1982 gefallen wäre (vgl Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 3 zu § 902) und die Rechtsfolgen eines Versäumnisses (Geltendmachung des Feststellungsbegehrens) erst mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist eintreten (§ 903 Satz 2 ABGB). Da das Feststellungsbegehren in der Tagsatzung vom 5. 7. 1982 gestellt wurde, wäre dieses Begehren noch innerhalb der Verjährungsfrist als erhoben anzusehen. Aber selbst dann, wenn man die Verjährungsfrist bereits mit dem Unfallstag selbst zu laufen beginnen lassen wollte, wäre für die beklagten Parteien nichts gewonnen, weil dann das Ende der Verjährungsfrist auf den 4. 7. 1982 fiele (§ 902 Abs 2 ABGB), bei diesem Tag es sich aber um einen Sonntag gehandelt hat. Fällt der letzte Tag einer Frist aber ua auf einen Sonntag, so tritt nach der auch für Verjährungsfristen (vgl Reischauer in Rummel, ABGB Rdz 1 zu § 902; SZ 38/54; ZVR 1974/14 ua) geltenden Bestimmung des § 903 Satz 3 ABGB an dessen Stelle der nächstfolgende Werktag. Daraus folgt, dass der Zweitkläger sein Feststellungsbegehren jedenfalls noch innerhalb der Verjährungsfrist des § 1489 ABGB erhoben hat. Damit erweist sich aber auch die Reivsion der beklagten Parteien als nicht berechtigt.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 40, 41 und 50 ZPO. Dem größeren Abwehrerfolg der Beklagten entsprechend, waren diesen die anteiligen Kosten des Revisionsverfahrens zuzusprechen, wobei allerdings für die unzulässige Revisionsbeantwortung der Erstklägerin keine Kosten berücksichtigt werden konnten.

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