Spruch:
Die abstrakte Rente gebührt einem Verletzten auch dann, wenn er zufolge des Anspruches über das Feststellungsbegehren einen künftigen Verdienstentgang gegebenenfalls geltend machen könnte, denn ein solcher Anspruch wird durch die abstrakte Rente abgegolten
OGH 28. Feber 1974, 2 Ob 29/74 (OLG Innsbruck 1 R 186/73; LG Innsbruck 5 Cg 391/72)
Text
Am 9. Oktober 1970 wurde der Kläger bei einem Verkehrsunfall verletzt. Er verlangte von den Beklagten zur ungeteilten Hand Zahlung von 26.323 S samt Anhang (Schmerzengeld, Verdienstentgang, Sachschaden und dergleichen) unter Berücksichtigung einer erhaltenen Teilzahlung von 7129 S, Zahlung einer (abstrakten) monatlichen Rente von 150 S ab Klagstag bis zur Erreichung des Pensionsalters sowie die Feststellung, daß ihm die Beklagten zur ungeteilten Hand für kunftige Schäden aus dem Unfall vom 9. Oktober 1970 zur Hälfte zu haften haben. Der Kläger verdiene zwar jetzt so viel wie vor dem Unfall, doch sei durch eine unfallsbedingte Minderung seiner Erwerbsfähigkeit um 30% seine Einsatzfähigkeit eingeschränkt so daß er Nachteile im Wettbewerb mit gesunden Konkurrenten in Kauf nehmen müsse. Außerdem müsse er größere Anstrengungen machen, um seine Berufspflichten erfüllen zu können. Er habe Dauerfolgen davongetragen, so daß zukünftige Nachteile noch nicht abgeschätzt werden können.
Die Beklagten beantragen Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht verurteilte - ausgehend von einem Mitverschulden des Klägers von 50%, einem Schmerzengeld von rechnungsmäßig 50.000 S und einem Sachschaden, sowie Auslagen von zusammen 7139 S - die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 21.439.50 S samt Anhang und einer ab 1. November 1972 bis zur Erreichung des Pensionsalters laufenden monatlichen Rente von 150 S; es stellte fest, daß die Beklagten dem Kläger zur ungeteilten Hand zur Hälfte für alle ihm aus dem Unfall vom 9. Oktober 1970 noch entstehenden Schäden zu haften haben, wobei die Haftung der Zweitbeklagten auf die Höhe der Haftpflichtversicherungssumme eingeschränkt sei. Das Mehrbegehren auf Zahlung von 4.883.50 S samt Anhang wurde abgewiesen. Dies wurde vom Kläger nicht bekämpft.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil unter Zugrundelegung einer Verschuldensteilung im Verhältnis 2: 1 zu Lasten des Klägers, im übrigen aber dem Erstgericht folgend, dahin ab, daß es dem Kläger nur 11.917.33 S samt Anhang und eine (abstrakte) Rente von 100 S monatlich vom 1. November 1972 bis zur Erreichung des Pensionsalters zuerkannt; entsprechend dieser Verschuldensteilung wurde auch die Entscheidung über das Feststellungsbegehren abgeändert und das Leistungs- und Feststellungsmehrbegehren abgewiesen. Das Berufungsgericht sprach ferner aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes 1000 S übersteigt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Der Revision der Beklagten wurde teilweise Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wurde dahin abgeändert, daß die Entscheidung unter Einbeziehung der unangefochten gebliebenen und der bestätigten Teile im vollen Wortlaut zu lauten hat:
"1. Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger den Betrag von 11.917.33 S samt 4% Zinsen seit 5. September 1971 binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Das Mehrbegehren auf Zahlung von weiteren 14.405.67 S samt 4% Zinsen ab 5. September 1971 wird abgewiesen.
2. Die Beklagten sind ferner zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger ab 23. Mai 1973 bis zur Erreichung des Pensionsalters eine monatliche Rente von 100 S zu bezahlen, und zwar die bis zur Rechtskraft dieses Urteiles fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Beträge jeweils am 5. eines jeden Monates im vorhinein bei sonstiger Exekution.
Das Mehrbegehren auf Zahlung einer Rente von 150 S monatlich für die Zeit vom Klagstag bis 22. Mai 1973 sowie auf Zahlung einer weiteren Rente von 50 S monatlich für die Zeit vom 23. Mai 1973 bis zur Erreichung des Pensionsalters des Klägers wird abgewiesen.
3. Den Beklagten gegenüber wird festgestellt, daß sie dem Kläger zur ungeteilten Hand für allen aus dem Unfall vom 9. Oktober 1970 allenfalls noch entstehenden Schaden zu einem Drittel zu haften haben. Die Haftung der Zweitbeklagten ist auf den Rahmen des mit dem Erstbeklagten bestandenen Haftpflichtversicherungsvertrages beschränkt."
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger erlitt durch den Unfall einen Schock, Kontusionen, Stichwunden am linken Unterschenkel und Peitschenhiebverletzungen der Halswirbelsäule. Auf Grund des Unfalles sind Veränderungen an der Halswirbelsäule aufgetreten, und zwar eine Verschiebung des 5. Halswirbels. Dies wieder hat eine Veränderung der Bandscheiben nach sich gezogen, durch die die Beweglichkeit der Halswirbelsäule eingeschränkt wird. Es werden bei Bewegungen des Kopfes weiterhin Beschwerden auftreten.
Auf Grund der Unfallsverletzungen und deren Folgen muß der Kläger bei seiner Berufsarbeit als Elektroinstallateur jeweils mehr Energie und Kraft aufwenden als ein Gesunder. Er kann z. B. nicht über Kopf arbeiten, ohne Schmerzen zu verspüren, oder schwere Lasten tragen oder heben. Durch diese Behinderung ist der Kläger in seiner Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt beschränkt. Er mußte seine lange Jahre innegehabte Stellung bei der Firma E aufgeben, weil er nicht mehr voll einsatzfähig war. Er verdient derzeit aber nicht weniger als früher.
Entgegen der Ansicht der Beklagten sind im vorliegenden Fall auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer sogenannten "abstrakten" Rente gegeben. Durch die Verschiebung des 5. Halswirbels und die dadurch bedingte Veränderung der Bandscheiben, durch die die Beweglichkeit der Halswirbelsaule eingeschränkt wurde, deren Eigenschaft als Dauerfolgen von den Beklagten nicht in Zweifel gezogen wird, wurde der Kläger in seiner Erwerbsfähigkeit dauernd vermindert. Es steht ja fest, daß er wegen dieser Unfallsfolgen gewisse Arbeiten nicht mehr verrichten kann. Um seinen Beruf als Elektroinstallateur ausüben zu können, muß er, was bei den festgestellten Beschwerden verständlich ist, jeweils mehr Kraft und Energie aufwenden als ein Gesunder. Infolge der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit wird er im Konkurrenzkampf mit gesunden Bewerbern benachteiligt sein. Daß er in Zukunft einem Konkurrenzkampf um einen Arbeitsplatz nicht mehr ausgesetzt sein wird, kann umsoweniger angenommen werden, als der Kläger eine jahrelang innegehabte Stellung bei der Firma E wegen seiner beschrankten Einsatzfähigkeit tatsächlich schon aufgeben mußte. Eine künftige, auf die Unfallsfolgen zurückzuführende Minderung seines Einkommens kann somit als wahrscheinlich angenommen werden; dies auch deshalb, weil die Gefahr, daß seine Arbeitskraft schneller verbraucht wird, nicht von der Hand zu weisen ist. Der von der Rechtsprechung geforderte Zusammenhang mit einem effektiven künftigen Verdienstentgang (siehe die bei Kapfer, ABGB, MGA 29. Auflage bei § 1325 unter 15 d abgedruckten Entscheidungen) erscheint daher auch im vorliegenden Fall gegeben. Daß dem Kläger eine abstrakte Rente nicht gebühre, weil er zufolge des - dem Gründe nach unbekämpft gebliebenen - Ausspruches über das Feststellungsbegehren einen künftigen Verdienstentgang gegebenenfalls geltend machen könnte, ist unzutreffend, denn ein solcher Anspruch wird eben durch die abstrakte Rente abgegolten (siehe Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. I., 192).
Gerechtfertigt ist die Revision der Beklagten nur insofern, als sie sich dagegen wendet, daß dem Kläger eine abstrakte Rente auch für die Zeit bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung in erster Instanz zuerkannt wurde. Das Berufungsgericht hat zwar selbst darauf hingewiesen, daß nach ständiger Rechtsprechung (ZVR 1972/178; ZVR 1971/205; siehe aber auch ZVR 1963/175. ZVR 1963/95 und ZVR 1967/216) die abstrakte Rente ihre Doppelfunktion als Ausgleichs- und als Sicherungsrente erst für einen nach Schluß der mündlichen Verhandlung liegenden Zeitraum zu erfüllen hat, es hat aber nichtsdestoweniger hier den Zuspruch einer abstrakten Rente für die Zeit bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz (22. Mai 1973) nicht beanstandet. Soweit die Vorinstanzen eine abstrakte Rente für die Zeit vor dem 23. Mai 1973 zuerkannt haben, war daher die Entscheidung im Sinne einer Abweisung dieses Teilbegehreris abzuändern. Nur in diesem Umfange war der Revision der Beklagten Folge zu geben.
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