OGH 7Ob512/84

OGH7Ob512/8426.1.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Hofrat H*****, 2. E*****, beide vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei R*****, vertreten durch Dr. Theodor Strohal, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 31. Mai 1983, GZ 41 R 212/83‑34, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 13. Dezember 1982, GZ 47 C 503/80‑29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00512.840.0126.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.703,35 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 303,95 S an Umsatzsteuer und 600 S an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Mit Schriftsatz vom 5. 9. 1980 kündigten die Kläger dem Beklagten das im Haus *****, gemietete Gassenlokal Nr ***** samt Nebenräumen für den letzten Tag des Monats Dezember 1980 aus dem Kündigungsgrund des § 19 Abs 2 Z 3 MietG gerichtlich auf. Sie brachten vor, das Lokal sei im November 1978 zum Betrieb einer Kaffeekonditorei und eines gastgewerblichen Betriebs vermietet worden. Der Beklagte habe sich vertraglich verpflichtet, seinen Betrieb so zu führen. Dass keine Lärm‑ und Geruchsbelästigung für die übrigen Mieter des Hauses entstehe. Tatsächlich jedoch gingen die Lärmbelästigungen seit 1979 weit über das ortsübliche Ausmaß hinaus, würden immer häufiger und unerträglicher und dauerten oft bis 3:00 Uhr morgens. Durch das rücksichtslose und anstößige Verhalten des Beklagten werde den Mitbewohnern das Zusammenleben verleidet.

Der Beklagte erhob gegen die vom Erstgericht erlassene Aufkündigung Einwendungen und bestritt, dass der Betrieb seines Unternehmens den mit dem Betrieb eines Kaffeehauses üblicherweise verbundenen Lärmpegel übersteige. Die Kündigung werde darüber hinaus verspätet erhoben, weil die Kläger schon seit Juli 1979 über die angeblichen Überstände informiert seien.

Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung als wirksam und gab dem Begehren auf Räumung des Bestandgegenstands statt; es traf folgende Feststellungen:

Der Beklagte betreibt in dem aufgekündigten Bestandobjekt eine Kaffeekonditorei und einen gastgewerblichen Betrieb. Er hat sich im Mietvertrag verpflichtet, seinen Betrieb so zu führen, dass keine Geruchs- und Lärmbelästigung der übrigen Mieter des Hauses entsteht. In dem Vertrag wurde auch festgehalten, dass der Beklagte nicht berechtigt sei, eine Musikbox aufzustellen.

Das Lokal wird von Studenten und Künstlern, aber auch von anderem Publikum aufgesucht. Die Gäste bleiben zumeist bis zur Sperrstunde, das ist 2:00 Uhr oder 4:00 Uhr morgens, und entfalten, auch beim Verlassen des Lokals auf dem Gehsteig, zeitweilig großen Lärm. Die Lärmbelästigungen sind seit der Eröffnung des Lokals im Herbst 1979 immer stärker und häufiger geworden. Einerseits kamen die Lärmbelästigungen vom Boden, andererseits vom Lichthof her, wo in der Nacht leere Glasflaschen in den Koloniakübel geworfen wurden. Weiters kam die Lärmbelästigung auch von der Straße her. Die angeheiterten oder betrunkenen Besucher des Lokal unterhielten sich gelegentlich gröhlend und streitend auf dem Bürgersteig. Die Lärmentfaltung fand meistens nach 22:00 Uhr statt und wiederholte sich häufig. Dem Beklagten ist es nicht gelungen, die Lärmbelästigungen zu vermeiden. Durch den Lärm wurde insbesondere die Nachtruhe des oberhalb des Lokals wohnenden Mieters, des Rechtsanwalts Dr. N***** und dessen Frau, aber auch anderer Hausparteien, wie des Ing. W***** und seiner Frau, immer wieder auf das Empfindlichste gestört. Die Lärmbelästigungen gehen weit über das ortsübliche Ausmaß hinaus und dauern oft bis 5.30 Uhr morgens – also bis nach der Sperrstunde – an. Von dem Lokal des Beklagten gingen auch – besonders in der warmen Jahreszeit – Geruchsbelästigungen aus, vor allem durch Zigarettenrauch und Küchengeruch. Dieser Geruch macht sich in den Wohnungen anderer Mieter des Hauses unangenehm bemerkbar.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, dass die Störung der Nachtruhe durch den Beklagten oder seine Gäste das ortsübliche Ausmaß wiederholt überschritten habe. Der Beklagte sei oftmals gemahnt worden, die Übelstände abzustellen, sei aber dieser Aufforderung nicht nachgekommen. Dem Beklagten sei es nicht gelungen, Abhilfe zu schaffen. Ein Mieter müsse nur solche Störungen dulden, die er mit Rücksicht auf die bei Abschluss des Bestandvertrags bestehenden tatsächlichen Verhältnisse in Kauf genommen habe. Wer eine über einer Gaststätte gelegene Wohnung miete, füge sich den außergewöhnlichen Unbequemlichkeiten, die der Betrieb eines solchen Lokals mit sich bringe. Nachträgliche Erweiterungen der Lärmentwicklung – wie hier – dagegen müsse der Mieter nicht dulden. Der geltend gemachte Kündigungsgrund sei daher gegeben.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts und sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 60.000 S, nicht aber 300.000 S übersteige, und dass die Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und vertrat den Standpunkt, dass nach den zwischen den Streitteilen getroffenen Vereinbarungen über das Unterlassen von Lärm‑ und Geruchsbelästigungen der übrigen Mieter des Hauses die von den Mietern in Kauf zu nehmenden Störungen, soweit diese von dem Lokal des Beklagten ausgingen, wesentlich eingeschränkt seien, sodass es auf das ortsübliche Ausmaß nicht ankomme. Dass der Betrieb auch unter geringerer Lärm‑ und Geruchsentfaltung geführt werden könne, sei aus dem Umstand zu erkennen, dass die Belästigungen im Laufe des Verfahrens vermindert worden seien. Die Summe der Störungen schon seit dem Beginn der Renovierung des aufgekündigten Lokals stellten aber auch objektiv erhebliche Störungen der Mieter und damit den Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens dar. Gerade in einem solchen Fall könne von einem Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes entgegen der Meinung des Beklagten nicht gesprochen werden. Seit dem Beginn des Mietverhältnisses am 1. 12. 1978 bis zur Einbringung der Aufkündigung sei nicht so viel Zeit verstrichen, dass der Beklagte im Sinne des § 863 ABGB auf einen stillschweigenden Kündigungsverzicht der Klägerin habe vertrauen dürfen. Gerade bei Dauerzuständen, die erst durch eine Summe einzelner Vorfälle verwirklicht würden, sei bezüglich der Annahme eines schlüssigen Verzichts ein besonders strenger Maßstab anzulegen.

Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichts mit außerordentlicher Revision und stellt den Antrag, es dahin abzuändern, dass die Kündigung aufgehoben und das Räumungsbegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger, denen mitgeteilt wurde, dass ihnen die Beantwortung der Revision freistehe (§ 508a Abs 2 ZPO), haben eine Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, der Revision nicht Folge zu geben, da die Voraussetzungen für diese im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht gegeben seien.

Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig, weil die Entscheidung der 2. Instanz ausschließlich auf einer rechtlichen Beurteilung beruht, der das Revisionsgericht im Grundsätzlichen nicht beitreten kann. Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichts komme es entgegen der ständigen Rechtsprechung (MietSlg 32.340, 27.345, 24.276 ua) darauf, ob die von dem aufgekündigten Lokal ausgehenden Störungen ortsüblich sind, deshalb nicht an, weil dem Beklagten schon im Mietvertrag Lärm‑ und Geruchsbelästigungen der übrigen Mieter untersagt wurden. Die genannte Vereinbarung berechtigte aber die Kläger lediglich, den Beklagten auf Zuhaltung des Vertrags durch Unterlassung einer Betriebsführung, durch die für die übrigen Mieter im Hause eine Geruchs‑ und Lärmbelästigung entsteht, zu belangen. Keinesfalls dagegen kann aus der vom Beklagten übernommenen Verpflichtung gefolgert werden, dass hiedurch im Sinne des § 19 Abs 6 MietG eine bestimmte Tatsache als Kündigungsgrund vereinbart worden wäre. Die Voraussetzungen für das Vorliegen des Kündigungsgrundes nach § 19 Abs 2 Z 3 MietG wurden vielmehr durch den zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Mietvertrag nicht verändert, insbesondere auch nicht erleichtert.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht ist ungeachtet der bereits behandelten, nicht zu billigenden Rechtsansicht zum Ergebnis gekommen, dass die Summe der vom Geschäftslokal des Beklagten ausgehenden Geruchs‑ und Lärmbelästigungen „aber auch objektiv gesehen erhebliche Störungen und damit den Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens darstellen“. Diese Rechtsansicht ist nach den getroffenen Feststellungen, wonach die Lärmbelästigungen für die Mieter im Hause seit der Eröffnung des Lokals des Beklagten im Herbst 1979 immer stärker und häufiger wurden und weit über das ortsübliche Ausmaß hinausgingen, unbedenklich. Es trifft entgegen dem Vorwurf des Beklagten nicht zu, dass es an Feststellungen darüber mangle, welche der Störungshandlungen tatsächlich von Gästen des Lokals des Beklagten gesetzt wurden. Von anderen Störungen als solchen, die von Gästen des Beklagten ausgegangen sind, ist vielmehr überhaupt nicht die Rede. Der Umstand, dass der Beklagte das Bestandobjekt zum Zwecke der Führung einer Kaffeekonditorei und eines gastgewerblichen Betriebs gemietet hat, vermag diese Störungen nicht zu entschuldigen. Zwar muss der Vermieter Unzukömmlichkeiten, die mit dem Betrieb eines Gewerbes in den gemieteten Räumen notwenig und überlicherweise verbunden sind, auf sich nehmen, weil er bei der Vermietung damit rechnen musste (MietSlg 32.334, 12.262). Dass ein gastgewerblicher Betrieb Störungen vor allem in Bezug auf Lärm‑ und Geruchsentwicklung mit sich bringen kann, liegt auf der Hand. Derartige Störungen können gleichwohl dann als Kündigungsgrund herangezogen werden, wenn sie das bei Unternehmen dieser Art übliche und unvermeidbare Ausmaß übersteigen (vgl hierzu insbesondere die Entscheidung MietSlg 25.271). Bei der Beurteilung dieses Ausmaßes sind die in dem Haus und seiner Umgebung üblichen Verhältnisse, wie bereits dargelegt wurde, zu berücksichtigen (MietSlg 27.345, 26.238 ua). Haben deshalb wie festgestellt, die Belästigungen der Mitbewohner des Hauses durch die Gäste des Betriebs des Beklagten jenes Ausmaß überschritten, mit dem mit Rücksicht auf die Art des vertragsgemäß in den Bestandräumen geführten Unternehmens üblicherweise gerechnet werden musste, ist der Kündigungstatbestand des § 19 Abs 2 Z 3 MietG gegeben. Dass es ihm nicht möglich gewesen wäre, Abhilfe zu schaffen, hat der Beklagte nicht behauptet, geschweige denn bewiesen (vgl MietSlg 31.368, 27.350 ua).

Bei der Beurteilung der Frage, ob auf ein Recht stillschweigend verzichtet wurde, ist besondere Vorsicht geboten. Nur dann, wenn mit Überlegung aller Umstände des Einzelfalls und mit Rücksicht auf die im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln übrig bleibt, kann gemäß § 863 ABGB ein stillschweigender Verzicht angenommen werden. Der Grundsatz, dass Kündigungsgründe ohne Verzug geltend gemacht werden müssen, kann nicht angewendet werden, wenn der Kündigungsgrund in einem Dauerzustand oder in der Wiederholung eines einen Kündigungsgrund darstellenden Verhaltens besteht. Dies trifft beim Kündigungsgrund des § 19 Abs 2 Z 3, zweiter Fall, MietG zu (MietSlg 31.369 ua). Von einem Verzicht der Kläger auf die Geltendmachung dieses Kündigungsgrundes kann daher nicht gesprochen werden.

Der Vorwurf, es seien nicht alle Beweisergebnisse verwertet worden, stellt schon im Fall einer ordentlichen Revision im Sinne des § 503 Abs 1 ZPO keinen Revisionsgrund dar. Gänzlich verfehlt ist er im Fall einer außerordentlichen Revision im Sinne des § 503 Abs 2 ZPO, da diese nur wegen unrichtiger Lösung von Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung erhoben werden kann.

Die Revision erweist sich damit als unbegründet, sodass ihr ein Erfolg zu versagen war.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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