Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB (Punkt 2 des Urteilssatzes) sowie im Strafausspruch aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Anna A wird von der wider sie erhobenen Anklage, sie habe am 23. Juni 1983 in Wien eine Urkunde, über die sie nicht verfügen durfte, nämlich die Sozialversicherungskarte Nr 2060181244 des Robert B, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, daß diese im Rechtsverkehr zum Beweis des Bestehens eines aufrechten Sozialversicherungsverhältnisses gebraucht werde, und habe hiedurch das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach Par 229 Abs. 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Für die ihr laut den aufrecht gebliebenen Punkten 1 und 3 des erktinstanzlichen Schuldspruches weiterhin zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich die Vergehen des schweren Diebstahls nach §§ 127 Abs. 1, 128 Abs. 1 Z 4 StGB und der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs. 1 StGB, wird Anna A gemäß §§ 28, 128 Abs. 1
StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 8 (acht) Monaten verurteilt.
Der Ausspruch über die Anrechnung der Vorhaft gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB wird aus dem angefochtenen Urteil übernommen.
Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten verworfen.
Gemäß § 390 a StPO fallen ihr auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit det angefochtenen Urteil wurde die 43-jährige Anna A (zu 1) des Vergehens des (schweren) Diebstahls nach §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 4 StGB, (zu 2) des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB und (zu 3) des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat sie am 23. Juni 1983 in Wien fremde bewegliche Sachen im Gesamtwert von etwa 7.800 S, nämlich eine goldene Krawattennadel, einen goldenen Ehering und einen Bargeldbetrag von 3.000 S dem Robert B mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, die Sozialversicherungskarte des Genannten, über die sie nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt, deren Gebrauch im Rechtsverkehr zum Beweis des Bestandes eines Sozialversicherungsverhältnisses zu vereiteln, und die Wohnungsschlüssel des Robert B, sohin fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 S nicht übersteigenden Wert, aus dessen Gewahrsam dauernd entzogen, ohne die Sache sich oder einem Dritten zuzueignen.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Angeklagten dagegen erhobene, nominell auf die Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs. 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise begründet.
Wenn sie mit dem erstangeführten Nichtigkeitsgrund allerdings vermeint, das Erstgericht hätte angesichts der im Urteil aufgezeigten Diskrepanzen in den Angaben des Zeugen B zusätzliche Erhebungen pflegen und namentlich die 'protokollierenden' Sicherheitswachebeamten über den Inhalt der seinerzeitigen Aussage des genannten Zeugen vernehmen müssen, kann ihr nicht gefolgt werden.
Ergibt sich doch aus dem System der Nichtigkeitsgründe, daß die Nichtausschöpfung möglicher Beweisquellen keine Unvollständigkeit in der Bedeutung der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO darstellt, eine solche Mangelhaftigkeit des Verfahrens vielmehr nur aus dem Grund des § 281 Abs. 1 Z 4 StPO gerügt werden kann, falls in der Hauptverhandlung entsprechende Anträge gestellt wurden (vgl Mayerhofer-Rieder, E Nr 82 bis 84 zu § 281 Abs. 1 Z 5 StPO), was aber vorliegend unterblieb. Alle übrigen Beschwerdeausführungen zu diesem Punkt erweisen sich - indem sie die Beweiskraft der Angaben des Zeugen B in Zweifel zu setzen trachten - als im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässige Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung und bedarf es hiezu keiner weiteren Einlassungen.
Berechtigung kommt der Beschwerde, die sohin im übrigen zu verwerfen war, hingegen zu, soweit sie unter der Z 9 lit a des § 281 Abs. 1 StPO den Schuldspruch wegen Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB mit dem Argument bekämpft, der Sozialversicherungskarte komme keine Beweisfunktion zu.
Wie die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend ausführt, gilt nach der (wegen Vernachlässigung des personalen Garantieelementes allerdings unvollständigen) Legaldefinition des § 74 Z 7 StGB als Urkunde nur eine solche Schrift, die errichtet worden ist, um ein Recht oder ein Rechtsverhältnis zu begründen, abzuändern oder aufzuheben oder eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen. Demnach stellt die Rechtserheblichkeit der Erklärung ein wesentliches Merkmal des strafrechtlichen Urkundenbegriffes dar (Leukauf-Steininger 2 RN 27 zu § 74 Z 7 StGB);
Schriften, denen es hieran mangelt, etwa Liebesbriefe und private Tagebuchaufzeichnungen, aber auch sonstige private Korrespondenz (EvBl 1982/72 = ÖJZ-LSK 1982/28 zu § 147
Abs.1 Z 1 StGB), bloße Merkzettel etc (siehe hiezu insbes Kienapfel in WrK Rz 46 zu § 223 StGB), sind keine Urkunden im Sinne des § 74 Z 7 StGB.
Die vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ausgestellten und von den Versicherungsträgern an die Versicherten ausgegebenen Versicherungskarten (siehe § 2 der Mustersatzung 1982, aufgestellt vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger gemäß § 455 Abs. 2 ASVG, Anhang A 4 in Gehrmann-Rudolph-Teschner- Fürböck, Allgemeine Sozialversicherung) enthalten - wie allgemein bekannt - außer der Bezeichnung des Ausstellers (Hauptverbandes) und dem Namen des Versicherten nur die Versicherungsnummer des letzteren (samt hierin einbezogenem Geburtsdatum). Diese Nummer wird vom Hauptverband einheitlich zur Verwaltung personenbezogener Daten im Rahmen der gesetzlich an die Sozialversicherung übertragenen Aufgaben vergeben (§ 31 Abs. 3 Z 14 ASVG);
sie wird bei Verarbeitung und übermittlung von für die Sozialversicherung notwendigen Daten zwischen den Versicherungsträgern, dem Hauptverband, den Versicherten, den Dienstgebern, den Ärzten und den Krankenanstalten verwendet (EBRV zur 33. ASVG-Novelle BGBl 684/78, 1084 BlgNR 14. GP). Auf der Rückseite der Sozialversicherungskarte findet sich das Ersuchen, die Versicherungsnummer im Verkehr mit den Versicherungsträgern anzugeben, dee Karte bei persönlichen Vorsprachen beim Schalter sowie im Falle der Anmeldung bei einem neuen Dienstgeber vorzulegen und die Berichtigung allfälliger unrichtiger Angaben oder die Berücksichtigung einer Namensänderung beim zuständigen Sozialversicherungsträger zu veranlassen. Aufschlüsse über den Bestand eines Versicherungsverhältnisses können - der Ansicht des Erstgerichtes zuwider - einer solchen Versicherungskarte nicht entnommen werden, zumal es sich bei der darin aufscheinenden Sozialversicherungsnummer nach der letzterwähnten Bestimmung des ASVG (siehe auch Z 1.1 der Richtlinien des Hauptverbandes zur Ermittlung der ab 1.Jänner 1972 für die Pensionsversicherung bedeutsamen Daten aller nach den Vorschriften des ASVG oder anderen Bundesgesetzen versicherten Personen nach § 31 Abs. 3 Z 15 ASVG in SozSi 1982, 131) um eine vom Hauptverband für alle Bereiche der Sozialversicherung einheitlich für die Speicherung der Daten einer bestimmten Person vergebene Nummer handelt, an deren Zuordnung zu ebendieser Person auch ein Wechsel des Versicherungsträgers und die Änderung oder Beendigung eines Versicherungsverhältnisses nichts ändert. Folgerichtig enthält auch die Belehrung auf der Rückseite der Versicherungskarte keinerlei Hinweis auf eine Rückgabepflicht, sondern im Gegenteil das oben erwähnte Ersuchen um Verwendung der Karte ua gerade bei Antritt einer neuen Beschäftigung. Auch sonst bestehen keine Grundlagen für die Annahme einer Legitimationsfunktion der Versicherungskarte (selbst wenn ihr eine solche möglicherweise von Robert B zugeschrieben worden sein mag, als er die Karte der Angeklagten mit dem Ersuchen um Verständigung des Hausarztes übergeben hat). Die einzige auf Grund deren Inhaltes denkmögliche Beweisführung, nämlich der Nachweis der Zuordnung einer bestimmten Sozialversicherungsnummer für die in der Versicherungskarte namentlich genannte Person, ist für die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe auf Kosten der Sozialversicherung, für die Erlangung anderer Leistungen der Versicherungsträger oder für die Begründung eines Versicherungsverhältnisses keineswegs erforderlich (vgl § 361 ASVG über die Einleitung des Verfahrens zur Feststellung von Leistungsansprüchen; siehe zB auch Z 3
Abs. 1 der Krankenordnung der Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte, wonach der Versicherte Anspruch auf Behandlung durch einen Vertragsarzt oder eine kasseneigene Einrichtung grundsätzlich nur bei Vorlage eines Krankenkassenschecks oder einer überweisung hat und dem Arzt über dessen Verlangen seine Identität nachweisen muß). Jene Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes, welche die Angabe - nicht etwa den urkundlichen Nachweis -
der Versicherungsnummer vorsehen (vgl etwa §§ 26 und 27 der oben erwähnten Mustersatzung), verfolgen erkennbar nur den Zweck einer möglichst rationellen Beschaffung der jeweils erforderlichen Daten des Versicherten. Um diesem die Erfüllung solcher Formvorschriften zu erleichtern, wird ihm als Gedächtnisstütze die Sozialversicherungskarte zur Verfügung gestellt. Sie hat mithin keine andere Funktion als etwa ein vom Versicherten selbst mit den gleichen Angaben versehener Merkzettel, Rechtserheblichkeit (dh eine Beweisfunktion im Sinne einer sogenannten Absichtsurkunde) kommt der Sozialversicherungskarte ebensowenig zu wie der vom Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer ausgestellten, die Bezeichnung des Versicherungsnehmers und des versicherten Fahrzeuges sowie die Polizzennummer enthaltenden Versicherungskarte, die in ähnlicher Weise der beschleunigten Abwicklung von Versicherungsfällen dient (EvBl 1982/191 = ÖJZ-LSK 1982/104 zu § 74 Z 7 StGB). Da die Sozialversicherungskarte nicht als Urkunde im Sinne des § 74 Z 7 StGB zu beurteilen ist, vermag deren Unterdrückung durch Wegwerfen den objektiven Tatbestand des § 229 Abs. 1 StGB nicht zu erfüllen. Ohne daß es mithin erforderlich gewesen wäre, auf die subjektive Tatseite dieses Vergehens (Gebrauchsverhinderungsvorsatz) einzugehen, war in diesem Faktum sogleich ein Freispruch zu fällen. Bei der hiedurch erforderlich gewordenen Neubemessung der Strafe wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen, die einschlägigen Vorstrafen und den raschen Rückfall, als mildernd keinen Umstand und erachtete die aus dem Spruch ersichtliche Freiheitsstrafe als tatschuldgerecht. Daß die Angeklagte im Tatzeitpunkt über kein Einkommen verfügte und unterstandslos war, kann ihr bei der gegebenen Sachlage - sie war nach einem ihr gewährten Ausgang nach § 147 StVG nicht mehr in die Strafanstalt zurückgekehrt - ebensowenig zugute gehalten werden wie ihre angeblich starke Alkoholisierung, die in den Akten keine Deckung findet.
Mit ihrer Berufung war die Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.
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