OGH 7Ob690/83

OGH7Ob690/8317.11.1983

SZ 56/168

Normen

HGB §355
KO §30 Abs1 Z1
HGB §355
KO §30 Abs1 Z1

 

Spruch:

Die vom Schuldner veranlaßte vorzeitige Abdeckung des Passivsaldos eines Kontokorrentkredites ist regelmäßig als inkongruente Deckung im Konkurs anfechtbar

OGH 17. 11. 1983, 7 Ob 690/83 (OLG Wien 18 R 49/83; LGZ Wien 40 a Cg 264/81)

Text

Über das Vermögen der C GesmbH wurde mit Wirksamkeit vom 28. 9. 1981 der Anschlußkonkurs eröffnet, nachdem zuvor mit Wirksamkeit vom 8. 7. 1981 das Ausgleichsverfahren eröffnet worden war. Zum Masseverwalter wurde der Kläger bestellt. Die im Konkursverfahren ungedeckten Forderungen übersteigen den Klagsbetrag beträchtlich. Die Gemeinschuldnerin hatte vor Eröffnung des Ausgleichsverfahrens über ihr Vermögen von der beklagten Bank einen Kontokorrentkredit eingeräumt erhalten. Am 30. 6. 1981 langte bei der beklagten Partei eine Zahlung im Betrag von 2 Mio. S ein. Diese diente auch zur Abdeckung des am Zahlungstages offenen Kontokorrentkreditsaldos. Im Zahlungszeitpunkt war dieser Saldo nicht fällig gestellt. Der Kontokorrentkredit war auch durch eine Höchstbetragshypothek von 1.2 Mio. S ob der den Ehegatten Reinhard und Anna D je zur Hälfte gehörenden Liegenschaft EZ 184 KG D gesichert. Mit Kaufvertrag vom 1. 5. 1981 veräußerte die Gemeinschuldnerin das Inventar und das Warenlager zweier Damenmodengeschäfte an die Firma Reinhard D GesmbH. Dabei war zwischen den Vertragspartnern vereinbart, daß vom Verkaufserlös von 5 Mio. S zuzüglich 18% Umsatzsteuer ein Betrag von 4 Mio. S zur Abdeckung der Bankverbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin verwendet werden soll. Unter diesen Verbindlichkeiten befand sich auch die Kontokorrentkreditforderung der beklagten Partei. Dem Kontokorrentkreditverhältnis lagen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der österreichischen Kreditunternehmungen zugrunde.

Der der Gemeinschuldnerin seinerzeit eingeräumte Kontokorrentkredit hatte eine Laufzeit bis 31. 12. 1981; er haftete am 30. 6. 1981, dem Tag der Zahlung, mit einem im Rahmen der Bewilligung liegenden Betrag von 1 270 031.47 S aus. Die Zahlung dieses Betrages als Teil einer Gesamtüberweisung von 2. Mio. S wurde aus einem der Firma Reinhard D GesmbH am 29. 4. 1981 von der Raiffeisenbank T eingeräumten Kredit in der Höhe von 3 Mio. S geleistet. Auf Grund der Überweisung von 2 Mio. S zur Abdeckung der Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin bei der beklagten Partei entließ diese die Ehegatten D aus der Sachhaftung mit der Liegenschaft EZ 184 KG D.

Der Kläger stellte das Begehren, es sei die von der beklagten Partei zur Befriedigung ihrer Forderung von 2 Mio. S per 30. 6. 1982 erwirkte Zahlung den Gläubigern im Konkurs der Gemeinschuldnerin gegenüber unwirksam. Die beklagte Partei sei daher schuldig, dem Kläger den Betrag von 2 Mio. S sA zu bezahlen. Er bringt vor, die beklagte Partei habe eine Befriedigung erlangt, auf die sie keinen Anspruch gehabt habe; sie sei deshalb vor anderen Gläubigern begünstigt. Überdies sei der beklagten Partei seit spätestens März oder April 1981 die Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin bekannt gewesen. Es sei daher insbesondere der Anfechtungstatbestand des § 30 Abs. 1 Z 1 KO erfüllt.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens und wendet ein, die Leistung an sie stamme nicht aus dem Vermögen der Gemeinschuldnerin. Der Verkauf von Inventar und Warenlager habe der Masse zum Vorteil gereicht. Die beklagte Partei sei nicht begünstigt. Die Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin sei der Beklagten nicht bekannt gewesen.

Das Erstgericht erkannte mit Teilurteil zu Recht, da die bei der Beklagten zur Befriedigung ihrer Forderung zum 30. 6. 1982 eingegangene Zahlung im Teilbetrag von 1 270 031.47 S den Gläubigern im Konkurs der Gemeinschuldner gegenüber unwirksam sei, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger den Betrag von 1 270 031.47 S sA binnen 14 Tagen zu bezahlen. Der Anfechtungstatbestand des § 30 Abs. 1 Z 1 KO hinsichtlich des den Gegenstand des Teilurteils bildenden Betrages sei erfüllt. Die Zahlung an die beklagte Partei sei innerhalb der für den Kontokorrentkredit vereinbarten Laufzeit erfolgt, ohne daß das Kreditverhältnis fälliggestellt worden sei. Die von der Beklagten erlangte Deckung sei daher inkongruent, da es im Zeitpunkt der Leistung an einem klagbaren Anspruch gefehlt habe. Gemäß § 2 Abs. 2 KO seien die Fristen des § 30 Abs. 1 KO vom Tag des Antrages auf Ausgleichseröffnung zu rechnen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es teilte dessen rechtliche Beurteilung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Bestand eines Kontokorrentkreditverhältnisses vermag entgegen der Ansicht der beklagten Partei an der Anfechtbarkeit der am 30. 6. 1981 vorgenommenen Überweisung hinsichtlich des den Gegenstand des Teilurteils bildenden Betrages nichts zu ändern. Nach § 30 Abs. 1 Z 1 KO ist anfechtbar eine nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach dem Antrag auf Konkurseröffnung oder in den letzten 60 Tagen vorher vorgenommene Sicherstellung oder Befriedigung eines Gläubigers, wenn der Gläubiger eine Sicherstellung oder Befriedigung erlangt hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht in der Zeit zu beanspruchen hatte, es sei denn, daß er durch diese Rechtshandlung vor den anderen Gläubigern nicht begünstigt worden ist. Da die Überweisung des strittigen Betrages am 30. 6. 1981 bei der beklagten Partei eingelangt ist, der Antrag auf Eröffnung des Ausgleichsverfahrens aber am 7. 7. 1981 gestellt und der Anschlußkonkurs am 28. 9. 1981 eröffnet wurde, kann im Hinblick auf die Bestimmung des § 2 Abs. 2 KO nicht zweifelhaft sein, daß die angefochtene Rechtshandlung in der vorerwähnten 60 tägigen Frist vorgenommen wurde.

Ob die beklagte Partei die erlangte Befriedigung "in der Zeit zu beanspruchen hatte", ist danach zu beurteilen, ob ihr im Zeitpunkt der Erlangung ein klagbarer materiellrechtlicher Anspruch zustand. Entgegen den Ausführungen von Koziol in JBl. 1982, 382 f. bei Besprechung der Entscheidung des OGH vom 10. 11. 1981, 5 Ob 312/81 (JBl. 1982, 380), wurde diese Ansicht in der genannten Entscheidung nicht zum ersten Mal vertreten. Sie entspricht vielmehr der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SZ 46/57; JBl. 1980, 595; vgl. auch Petschek - Reimer - Schiemer, Insolvenzrecht 329, Jaeger - Lent, KO 8; I Rdz. 52 zu § 30 und die weiteren in der Entscheidung JBl. 1982, 380 und deren Besprechung von Koziol aaO angeführten Belegstellen; aM allerdings, wie ebendort angeführt, insbesondere Bartsch - Pollak 3, I 205).

Es ist unbestritten, daß die beklagte Partei einen klagbaren materiellrechtlichen Anspruch auf Rückzahlung des gewährten Kontokorrentkredites nicht hatte. Dabei ist unerheblich, daß die beklagte Partei nach Punkt 4.4 der Allgemeinen Kreditbedingungen berechtigt war, unter bestimmten Voraussetzungen - etwa dann, wenn Umstände bekannt werden, die geeignet sind, das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers zu erschüttern, wie insbesondere eine wesentliche Verschlechterung der finanziellen Verhältnisse des Kreditnehmers - den aushaftenden Kreditbetrag sA ohne Rücksicht auf die vereinbarte Laufzeit und Abstattung mit sofortiger Wirkung fälligzustellen und einzutreiben. Denn einerseits hat die beklagte Partei von diesem Recht nicht Gebrauch gemacht, andererseits läge in einer solchen Fälligstellung in Verbindung mit der Leistung eine Begünstigung. Maßgebend ist der Zeitpunkt, zu dem der Anspruch auf Deckung erworben wurde (SZ 46/57; JBl. 1982, 380; JBl. 1980, 595; im gleichen Sinn Bartsch - Pollak aao 204).

Das Kontokorrentkreditgeschäft stellt eine besondere Form des Zahlungskredites dar. Charakteristisch ist, daß der Kunde jederzeit Rückzahlungen vornehmen bzw. Außenstände auf sein Konto überweisen lassen und so das Debet verringern kann, bei erneutem Kreditbedarf aber während der Laufzeit des Kontokorrentkredites diesen immer wieder bis zum vereinbarten Limit in Anspruch nehmen darf. Durch die Notwendigkeit, laufende Aktiva und Passiva miteinander zu verrechnen, liegt es nahe, das Kontokorrentkreditgeschäft den Vorschriften der §§ 355 ff. HGB zu unterstellen. Es ist auch in der Praxis durchwegs als Kontokorrentverhältnis ausgestaltet, dessen Regeln ergänzend neben die des Krediteröffnungsvertrages (und des Girovertrages) treten (Canaris, Großkomm. HGB[3], III/2, 892 und 893). Beim Kontokorrent werden gegenseitige Ansprüche aus einer dauernden Geschäftsverbindung als unselbständige Posten einer laufenden Rechnung in regelmäßigen Abschnitten abgerechnet. Soweit sich die Summe der Forderungen auf der einen Seite mit der Summe der Forderungen auf der anderen Seite deckt, kommt es zur Kompensation (Koziol - Welser, Grundriß[6], I 222). Die Verrechnung im Kontokorrent ist daher ein Fall der freiwilligen Aufrechnung (Gschnitzer in Klang[2], VI 493). Da der Konkurs beim Kontokorrentvertrag die Wirkung hat, daß jedenfalls nach dem Konkurseröffnungstag abzurechnen ist (Bartsch - Pollak aaO 104, FN 6), und nicht festgestellt wurde, daß die beklagte Partei Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Gemeinschuldners hatte oder haben mußte (§ 20 Abs. 1 KO), wäre eine Aufrechnung - geht man nach den vorstehenden Ausführungen von gegenseitigen Ansprüchen, die miteinander zu verrechnen waren, aus - zwar an sich durchaus zulässig gewesen; auch in der Herbeiführung einer iS der §§ 19, 20 KO zulässigen Aufrechnung kann aber eine Begünstigung liegen (Bartsch - Pollak aaO 114; SZ 8/329; JBl. 1968.263; im gleichen Sinn Koziol in JBl. 1982, 384). Es mag sein, daß etwas anderes dann zu gelten hat, also keine anfechtbare Aufrechnung vorliegt, wenn der Kontoinhaber verpflichtet ist, bestimmte Überweisungen auf sein Konto zu veranlassen, oder seinen gesamten Zahlungsverkehr über dieses Konto abzuwickeln hat, weil bei dieser Ausgestaltung der Bank ein durchsetzbarer Anspruch auf Schaffung der Aufrechnungslage zuzubilligen wäre, sodaß die dadurch erlangte Befriedigung als kongruent iS des § 30 Abs. 1 Z 1 KO angesehen werden könnte (vgl. Koziol aaO 384), doch liegt ein solcher Fall und ein Fall der Aufrechnung überhaupt nicht vor. Die nachmalige Gemeinschuldnerin hat nach den Feststellungen mittelbar eine Überweisung getätigt, um den ihr gewährten Kontokorrentkredit zur Gänze abzudecken. Es standen einander deshalb gar nicht aufrechenbare Forderungen gegenüber, weil durch die zur Abdeckung des Kredites getätigte Einzahlung nicht eine Forderung zugunsten der späteren Gemeinschuldnerin entstehen, sondern eine Schuld getilgt werden sollte. Darüber konnte für die beklagte Partei nach den gegebenen Umständen kein Zweifel bestehen, wie sich auch aus der Aufgabe einer Sachhaftung für die Schuld ergibt.

Bei Abdeckung eines Kontokorrentkredites wie im vorliegenden Fall liegt regelnmäßig eine inkongruente Leistung vor, weil die Bank nicht jederzeit die Rückzahlung des Kredites verlangen kann (Canaris, Bankvertragsrecht[2], 262, vgl. auch 261 und 644; im gleichen Sinn Jaeger - Lent aaO 475 und Boehler - Stamschräder - Kilger, KO 14, 157).

Davon, daß die bewirkte Deckung sich etwa nur in einem nach der Gepflogenheit der Beteiligten oder der Verkehrsauffassung der einschlägigen Lebensverhältnisse unwesentlichen oder üblichen Maß von der rechtlich gebührenden Deckung entfernt habe (SZ 46/57; vgl. Schumacher, Konkursanfechtung im Kontokorrentverkehr, BankArch. 1982, 337; Bartsch - Pollak aaO 204 f.; Petschek - Reimer - Schiemer aaO 327), kann im Fall der vorzeitigen Abdeckung eines Kontokorrentkredites keine Rede sein.

Unerheblich ist es, daß Zahlungen nicht durch die Schuldnerin direkt erfolgte, sondern auf Umwegen mittelbar geschehen ist. Anfechtbar ist hier der Gesamttatbestand, durch den die Masse verringert worden ist (JBl. 1981, 157).

Die beklagte Partei wurde daher durch die Abdeckung des Kredites, die sie am 30. 6. 1981 nicht zu beanspruchen hatte, vor den anderen Gläubigern des Gemeinschuldners begünstigt. Den Ausführungen von König, Kontokorrent und Anfechtung gemäß § 30 Abs. 1 Z 1 KO, ÖJZ 1982, 458 f., vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. In der von der beklagten Partei zitierten Entscheidung EvBl. 1982/46 war der Sachverhalt nicht gleich gelagert, da Streitgegenstand nicht die Abdeckung eines Kontokorrentkredites durch den Gemeinschuldner war.

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