OGH 4Ob122/82

OGH4Ob122/828.11.1983

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurzinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl und Dr. Kuderna sowie die Beisitzer Herbert Bauer und Dr. Gerald Mezriczky als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann Sch*****, Flugkapitän in *****, vertreten durch Dr. Robert Krepp, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Au***** Österreichische Luftverkehrs AG, *****, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 341.939,50 s. A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 8. Februar 1982, GZ 44 Cg 148/81-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 20. Mai 1981, GZ 4 Cr 1365/80-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 12.077,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.920,- Barauslagen und S 752,40 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war mit 1. 6. 1956 in die Dienste der Au***** Österreichische Fluglinien AG (im folgenden: Au*****) getreten und in den Jahren 1956 bis 1958 bei der schwedischen Fluglinie SAS zum Piloten ausgebildet worden. Bei der Begründung dieses Arbeitsverhältnisses hatten sich die Au***** das Recht ausbedungen, die Rechte und Pflichten aus dem Anstellungsvertrag vom 4. 6. 1956 (Beilage C), ergänzt durch das Schreiben vom 17. 7. 1957 (Beilage D), jederzeit an eine andere österreichische Fluggesellschaft zu übertragen, wenn sich die Au***** mit einer solchen Gesellschaft vereinigen oder Gesellschafter der Au***** eine neue österreichische Fluggesellschaft gründen sollten.

Mit Schreiben vom 25. 9. 1958 (Beilage E) brachten die Au***** dem Kläger zur Kenntnis, daß sie im Sinne dieser Vereinbarung die Rechte und Pflichten aus dem Anstellungsvertrag des Klägers der nunmehrigen Beklagten übertragen hätten und dem Kläger daher ab sofort weitere Dispositionen nur noch von der Beklagten zugehen würden. Diese teilte dem Kläger am 13. 11. 1958 folgendes mit (Beilage G):

"Die Au***** Corporation, Wien 9., Währingerstraße 6-8, hat uns das an Sie gerichtete Schreiben vom 25. September 1958, betreffend die Übertragung der Rechte und Pflichten aus Ihrem Anstellungsvertrag bei ASA vom 4. Juni 1956 an unsere Gesellschaft, zur Kenntnis gebracht.

Wir bestätigen Ihnen hiemit, daß nunmehr unsere Gesellschaft in die Rechte und Pflichten aus Ihren Anstellungsvertrag mit der ASA vom 4. Juni 1956, ergänzt durch das Schreiben der ASA vom 17. Juli 1957 an Sie, eingetreten ist.

Wir teilen Ihnen weiters mit, daß wir bereit sind, einen Anstellungsvertrag mit Ihnen abzuschließen, dessen wesentliche Grundzüge Ihnen hinlänglich bekannt sind...".

In der Folge brachte die Beklagte wiederholt zum Ausdruck, daß der Kläger hinsichtlich aller von der Dauer des Arbeitsverhältnisses abhängigen Ansprüche so behandelt werde, als stünde er seit dem 1. 6. 1956 in den Diensten der Beklagten; sie stellte ihm insbesondere in den Jahren 1967 und 1972 Personalausweise aus, in denen als Eintrittsdatum der "1. 6. 1956" angeführt war (Beilage L).

Am 21. 11. 1979 richtete jedoch die Beklagte nachstehendes Schreiben an den Kläger (Beilage H):

"Betr.: Dienstzeitanrechnung

Sehr geehrter Herr Kapitän!

Aus gegebenem Anlaß erscheint es angebracht, daran zu erinnern, daß durch Abschluß des Kollektivvertrages für das Bordpersonal in der Fassung vom 1. Juni 1966 Ihre Einzeldienstverträge, insbesondere hinsichtlich der Festsetzung des fiktiven Eintrittsdatums auf Grund von Vordienstzeiten, außer Kraft gesetzt wurden. Somit ist bei der Berechnung aller dienstzeitabhängigen Ansprüche vom effektiven Dienstantritt bei Au***** auszugehen.

In Ihrem Fall ist dies der 1. 10. 1958.

Zu Ihrer diesbezüglichen Information überreichen wir Ihnen als Beilage die Ablichtung des Zusatzkollektivvertrages vom 1. Juni 1966."

Der Kläger hat dieser Rechtsauffassung der Beklagten erfolglos widersprochen.

Mit der Behauptung, daß der Tag seines Eintrittes in die Dienste der Beklagten für die Berechnung der Abfertigung und des Jubiläumsgeldes, aber auch für die Vergabe von Freiflügen maßgebend sei, verlangte der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit zunächst die Feststellung, daß er bei der Beurteilung aller von der Dauer seines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten abhängigen arbeitsrechtlichen Ansprüche gegenüber der Beklagten so zu behandeln sei, als wäre er seit dem 1. 6. 1956 bei der Beklagten beschäftigt.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Durch den in Beilage H erwähnten Zusatzkollektivvertrag - welcher im übrigen eine bedeutende Besserstellung ihrer Angestellten gebracht habe - sei die mit dem Kläger getroffene Vereinbarung über die Anrechnung seiner Vordienstzeit bei den Au***** ausdrücklich aufgehoben worden.

Pkt. 1 des hier erwähnten Zusatzkollektivvertrages vom 1. 6. 1966, abgeschlossen zwischen der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Sektion Verkehr, Fachverband der Luftfahrtunternehmungen, und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Privatangestellten, Sektion Handel, Verkehr, Vereine und Fremdenverkehr (Beilage 2), hat folgenden Wortlaut:

"Im Hinblick auf die Besserstellung sämtlicher Flugzeugführer durch den Kollektivvertrag für das Bordpersonal der AUA durch die Fassung vom 1. Juni 1966 werden die Einzeldienstverträge nachstehend angeführter Flugzeugführer" - hier wird neben 14 anderen Piloten auch der Kläger namentlich genannt - "außer Kraft gesetzt".

Dem Zusatzkollektivvertrag ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß nunmehr bei der Berechnung der dienstzeitabhängigen Ansprüche vom effektiven Dienstantritt bei der Beklagten auszugehen wäre.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Beklagte habe das Datum des Dienstantrittes des Klägers bei den Au*****, so wie es im Einzelarbeitsvertrag vereinbart war, in jahrelanger Übung auch nach dem Abschluß des Zusatzkollektivvertrages vom 1. 6. 1966 anerkannt; sie könne daher von dieser vertraglichen Vereinbarung nicht einseitig abgehen. Auch das Feststellungsinteresse des Klägers müsse bejaht werden.

Das Urteil des Erstgerichtes wurde von der Beklagten mit Berufung angefochten. In seiner Berufungsmitteilung änderte der Kläger den Urteilsantrag dahin, daß er nunmehr die Zahlung von S 341.939,50 s.

A. verlangt: Das Arbeitsverhältnis zur Beklagten sei mit Wirkung vom 30. 9. 1981 einvernehmlich aufgelöst worden, wobei feststehe, daß der Kläger entsprechend den Bestimmungen des Kollektivvertrages für das Bordpersonal der Beklagten eine Abfertigung in gesetzlicher Höhe zu erhalten habe. Tatsächlich habe die Beklagte dem Kläger bereits einen Betrag von S 1,025.818,50 brutto ausgezahlt, was unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen dem Neunfachen des letzten Bruttomonatsgehaltes des Klägers von S 97.697,-, entspreche. Da dem Kläger jedoch nach einer mehr als 25-jährigen Dienstzeit eine Abfertigung im Ausmaß von 12 Monatsgehältern gebühre, hafte der jetzt geltend gemachte Differenzbetrag noch unberichtigt aus.

Die Beklagte hat sich gegen die Klageänderung ausgesprochen, jedoch den letzten Monatsbezug des Klägers mit S 97.697,- brutto als richtig außer Streit gestellt.

Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht führte die Verhandlung gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem durch, ließ die Klageänderung zu und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von S 341.939,50 s. A. an den Kläger. Auf der Grundlage der Sachverhaltsfeststellungen des Ersturteils sei rechtlich davon auszugehen, daß Kollektivverträge grundsätzlich - auch zum Nachteil des Arbeitnehmers - auf den Inhalt von Einzelarbeitsverträgen einwirken und ihn ganz oder teilweise verdrängen könnten. Selbst wenn man aber annehmen wollte, daß durch den Zusatzkollektivvertrag vom 1. 6. 1966 der Inhalt des Einzelarbeitsvertrages des Klägers zur Gänze außer Kraft gesetzt wurde, wäre doch der Bestand dieses von der Beklagten als Einzelrechtsnachfolgerin der Au***** übernommenen Arbeitsverhältnisses davon unberührt geblieben. Die im Dienstvertrag des Klägers vom 12./15. 11. 1958 (Beilage B) enthaltenen Hinweise auf den Stichtag 1. 6. 1956 seien daher nicht als Festsetzung eines fiktiven Eintrittsdatums - im Sinne einer Anrechnung von Vordienstzeiten - zu verstehen, sondern als Bezugnahme auf den tatsächlichen Beginn des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Ein Kollektivvertrag könne aber niemals durch Streichung tatsächlicher Dienstzeiten in den Bestand eines Arbeitsverhältnisses eingreifen. Im übrigen widerspreche die Bezugnahme eines Kollektivvertrages auf namentlich genannte Arbeitnehmer dem Wesen des Kollektivvertrages, welcher als "Normenvertrag" ein Gesetz im materiellen Sinn sei; mit dieser - einem "Individualgesetz" vergleichbaren - Bestimmung hätten die Kollektivvertragsparteien die ihnen durch § 2 ArbVG eingeräumte Regelungsbefugnis überschritten.

Dem Kläger, dessen Arbeitsverhältnis sohin tatsächlich mehr als 25 Jahre ununterbrochen gedauert habe, gebühre deshalb eine Abfertigung im Ausmaß von 12 Monatsbezügen. Nach Abzug der von der Beklagten gezahlten neun Monatsentgelte verbleibe eine Differenz in der unbestrittenen Höhe des jetzt eingeklagten Betrages.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird seinem ganzen Inhalt nach von der Beklagten mit Revision aus den Gründen des § 503 Z 2 und 4 ZPO bekämpft. Die Beklagte beantragt, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, kann Pkt. 1 des Zusatzkollektivvertrages vom 1. 6. 1966 (trotz seiner

mißverständlichen Formulierung: "......werden die Einzeldienstverträge ..................außer Kraft gesetzt") unter

Bedachtnahme auf das Wesen und die Funktion des Kollektivvertrages (§§ 2, 9 KollVG; jetzt §§ 2, 3, 11 ArbVG) nur dahin verstanden werden, daß damit der Inhalt der hier angeführten Arbeitsverträge aufgehoben, nicht aber deren Bestand als solcher berührt werden sollte. Auf die damit zusammenhängende - im angefochtenen Urteil unter Hinweis auf die Unzulässigkeit einer Bezugnahme des Kollektivvertrages auf die Arbeitsverhältnisse einzelner, namentlich genannter Arbeitnehmer verneinte - Frage nach der Rechtswirksamkeit dieser Anordnung des Zusatzkollektivvertrages braucht aber hier nicht weiter eingegangen zu werden:

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hatte das Arbeitsverhältnis des Klägers bei den Au*****mit 1. 6. 1956 begonnen. Die Rechte und Pflichten aus diesem Anstellungsvertrag wurden im Herbst 1958 von den Au***** an die Beklagte übertragen (Beilage E), letztere hat dem Kläger mit Schreiben vom 13. 11. 1958 ihren Eintritt in den Anstellungsvertrag bestätigt (Beilage G). Auf Grund dieser "Vertragsübernahme" welcher der Kläger schon im voraus zugestimmt hatte (Beilage D), ist die Beklagte als Einzelrechtsnachfolgerin der Au***** in den Vertrag mit dem Kläger eingetreten; sie hat damit alle Rechte und Pflichten ihrer Rechtsvorgängerin aus dem konkreten Schuldverhältnis übernommen und ist deshalb so zu behandeln, als ob sie schon von Anfang an die Arbeitgeberin des Klägers gewesen wäre (zur "Vertragsübernahme" siehe insbesondere EvBl 1973/65; EvBl 1975/30 = JBl 1975, 429 = NZ 1976, 122 = MietSlg 26.045; MietSlg 33.075/22 u. a., zuletzt etwa 4 Ob 506/81, 1 Ob 746/82, 5 Ob 688-690/82; Koziol-Welser6 I 238; Ehrenzweig2 II/1, 273).

Daraus folgt aber, daß der vom Kläger hier für die Berechnung seiner Abfertigung in Anspruch genommene Stichtag 1. 6. 1956 kein fiktives, auf einer arbeitsvertraglichen Anrechnungsvereinbarung beruhendes Einstellungsdatum ist; er ist vielmehr im Sinne der obigen Ausführungen eine Folge der zwischen den Au***** und der Beklagten (mit Zustimmung des Klägers) vereinbarten Vertragsübernahme sowie der Tatsache, daß der Kläger seinen Dienst bei der Rechtsvorgänger der Beklagten eben am 1. 6. 1956 angetreten hat. Nicht der Inhalt des von der Beklagten übernommenen Arbeitsvertrages des Klägers, sondern die im Wege der "Vertragsübernahme" begründete Einzelrechtsnachfolge der Beklagten in die Stellung der Au***** als Arbeitgeberin des Klägers ist demnach die Rechtsgrundlage dafür, daß die Beklagte den Kläger so behandeln muß (und bis zum 21. 11. 1979 auch tatsächlich so behandelt hat), als ob er schon am 1. 6. 1956 in ihre Dienste getreten wäre. An diesem - tatsächlichen, nicht fiktiven - Dienstantrittsdatum des Klägers konnte aber, wie das Berufungsgericht richtig ausführt, auch die durch Pkt. 1 des Zusatzkollektivvertrages vom 1. 6. 1956 verfügte "Außerkraftsetzung" seines Einzeldienstvertrages nichts ändern; die Ansprüche des Klägers sind vielmehr überall dort, wo der Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Beklagten eine bestimmte Dienstzeit "bei Au*****" voraussetzt - wie dies insbesondere bei der Abfertigungsregelung des § 14 der Fall ist -, ab dem Dienstantritt des Klägers bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten und damit ab dem 1. 6. 1956 zu berechnen.

Für die gegenteilige Auffassung der Beklagten ist auch mit dem wiederholten Hinweis darauf nichts zu gewinnen, daß der Zusatzkollektivvertrag vom 1. 6. 1966 deshalb abgeschlossen worden sei, um das Dienstrecht aller Flugkapitäne der Beklagten zu vereinheitlichen und in einem einzigen Kollektivvertrag zusammenzufassen. Die hier strittige Frage, ob die bei einem Rechtsvorgänger der Beklagten zurückgelegte Dienstzeit als Dienstzeit "bei Au*****" anzusehen ist, betrifft ja lediglich das - bei den einzelnen Arbeitnehmern naturgemäß meist unterschiedliche - Dienstantrittsdatum des Klägers und steht daher dem angeführten Regelungszweck des Zusatzkollektivvertrages vom 1. 6. 1966 in keiner Weise entgegen.

Diesen Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Urteils.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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