Normen
Allgemeine Kaskoversicherungsbedingungen für Motorjachten §3
Allgemeine Kaskoversicherungsbedingungen für Motorjachten §3
Spruch:
In der Kaskoversicherung für Motorjachten ist das Sinken des Bootes infolge Eindringens von Wasser durch überschlagende Wellen oder Regen als Unfall deckungspflichtig
OGH 13. 10. 1983, 7 Ob 44/83 (OLG Linz 3 R 30/83; LG Linz 7 Cg 146/82)
Text
Der Kläger schloß am 12. 6. 1979 für seine Motorjacht, ein offenes Sportmotorboot, Baujahr 1971, mit der beklagten Partei eine Sportkaskoversicherung mit einer Versicherungssumme von 70 000 S und einem Selbstbehalt von 6000 S ab. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Kasko-Versicherungsbedingungen für Motorjachten zugrunde. Danach haftet der Versicherer für den Verlust oder die Beschädigung der versicherten Gegenstände ua. durch höhere Gewalt (§ 3). Die Versicherungssumme gilt als unanfechtbare Taxe (§ 9). Im Falle eines Totalverlustes oder konstitutiven Totalverlustes (wenn die Wiederherstellungskosten die feste Taxe übersteigen) wird die feste Taxe gemäß § 9 ersetzt (§ 10). In der Nacht vom 16. auf den 17. 10. 1981 sank das Motorboot auf dem A-See.
Der Kläger begehrt die Versicherungssumme samt Anhang. Das Boot sei infolge eines starken Sturmes gesunken. Die Bergungskosten hätten 6000 S betragen, die Reparatur erforderte einen Aufwand von 80
741.76 S. Die beklagte Partei bestreitet das Vorliegen höherer Gewalt und deren Ursächlichkeit für den Schadenseintritt. Ein Sinken des Bootes sei auch bei starkem Wind nur dann möglich gewesen, wenn sich die Abdeckung des Bootes infolge Abnützung in schlechtem Erhaltungszustand befunden hätte oder wenn der Rumpfboden und der Bootsboden undicht gewesen wären.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen kaufte der Kläger das Boot im Jahre 1979 um 70 000 S. Der Kaufpreis entsprach dem Zeitwert des Bootes. Die Versicherungssumme wurde über Empfehlung des Versicherungsvertreters der beklagten Partei in Höhe des Kaufpreises festgesetzt. Im Frühjahr 1981 ließ der Kläger ua. eine neue Persenning und einen neuen Bootsboden anfertigen. Im September 1981 befestigte er das Boot in U am A-See mit einem zirka 40 m langen Seil und einer Boje etwa 40 bis 50 m vom Ufer entfernt. Die Befestigung am Boot und der Boje erfolgte je mit einem Schraubenkarabiner. Die Persenning schloß der Kläger rundum ordnungsgemäß mit Druckknöpfen. Damit war das Boot ordnungsgemäß vertaut. Der Kläger benützte das Boot in der Folge nicht mehr. Er überzeugte sich jedoch jedes Wochenende über den Zustand der Vertauung und der Persenning. In U am A-See kommt es öfter zu sogenannten Flachwinden. Diese Winde schieben die Wellen vor sich her. Sie gefährden Boote auch bei geringer Windstärke dadurch, daß pausenlos Wellen gegen das Boot schlagen. Auch eine fachgerecht befestigte Persenning kann sich dadurch lösen und dann den Wassereintritt nicht verhindern. In U sind schon öfter Boote infolge solcher Flachwinde gesunken. Dem Kläger war das Auftreten dieser Winde bekannt. Schon vor dem Schadensereignis herrschte in U die ganze Woche über zur Nachtzeit eine Windstärke von 4 bis 5 Beaufort, die einer Windgeschwindigkeit von zirka 40 km/h entspricht. Auch in der Nacht vom 16. auf den 17. 10. 1981 herrschte starker Westwind mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h. Außerdem regnete es von 21 Uhr bis 3 Uhr. Am 16. 10. 1981 fand Helmut R beim Boot noch alles in Ordnung. Das Boot sank mit größter Wahrscheinlichkeit auf Grund der herrschenden Witterungsverhältnisse, weil es nur einen geringen Freibord hat. Es löste sich die Persenning, sodaß Regen und überschlagendes Wellenwasser in das Bootsinnere eindringen konnten. Eine Undichtheit des Bootsbodens ist mit Rücksicht auf dessen Neuanfertigung im Frühjahr 1981 sehr unwahrscheinlich. Eine Undichtheit des Bootsbodens hätte auch nicht zum Sinken des Bootes geführt. Der Rumpfboden war jedoch dicht. Der Zeitwert des Motorbootes betrug im Unfallszeitpunkt 60 000 S, der Restwert 15 000 S. Die Bergungskosten betrugen 6000 S. Die Reparatur erfordert einen Aufwand von zirka 80 000 S.
Das Erstgericht vertrat den Standpunkt, daß höhere Gewalt vorgelegen sei. Da die vereinbarte Taxe den Versicherungswert nicht erheblich übersteige, habe der Kläger Anspruch auf die feste Taxe.
Das Berufungsgericht verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Es trat auch dessen Rechtsauffassung bei. Der Begriff der höheren Gewalt sei entgegen der Meinung der beklagten Partei nicht iS des Haftpflichtrechtes zu verstehen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen: Nach § 3 der dem Versicherungsverhältnis zugrunde liegenden Allgemeinen Kasko-Versicherungsbedingungen für Motorjachten haftet der Versicherer für den Verlust oder die Beschädigung der versicherten Gegenstände durch Unfall des Fahrzeuges (zB Strandung, an Grund geraten, Zusammenstoß mit festen oder schwimmenden Gegenständen), Brand, Blitzschlag, Explosion, höhere Gewalt, Einbruchsdiebstahl und Diebstahl des ganzen Fahrzeuges. Der Kläger hat sich nicht ausschließlich auf höhere Gewalt berufen. Da die Vorinstanzen diesen Versicherungsfall als gegeben erachteten, wurde der festgestellte Sachverhalt nicht auch unter dem Gesichtspunkt des Unfalls geprüft. Im Versicherungsrecht findet der Unfallbegriff nicht nur in der Unfallversicherung, sondern auch in anderen Versicherungszweigen Verwendung. Bei Verwendung dieses Begriffes handelt es sich jeweils um die Frage der vertragsmäßigen Abgrenzung des Risikos. Es ist Sache der Versicherungsbedingungen, die Voraussetzungen abzugrenzen, unter denen eine Entschädigungspflicht des Versicherers begrundet sein soll. Der Unfallbegriff im Versicherungsrecht ist daher jeweils nach dem betreffenden Sachgebiet auszulegen (vgl. Prölss - Martin VVG[22] 1173).
Die im vorliegenden Fall anzuwendenden Versicherungsbedingungen sind auf die Kaskoversicherung von Motorjachten zugeschnitten, die vorwiegend für Vergnügungs- und Sportzwecke verwendet werden. Solche Boote liegen oft unbemannt über längere Zeit unbeaufsichtigt still. Sie sind dann auch bei ordnungsgemäßer Wartung und Vertauung im besonderen Maße der Gefahr ausgesetzt, daß sie durch Witterungseinflüsse sinken oder stranden. Da dies in der Regel zu erheblichen Schäden am Boot führen kann, haben die Versicherungsnehmer ein offenbares Interesse, sich dagegen durch eine Kaskoversicherung abzusichern. Das kann auch der beklagten Partei nicht unbekannt gewesen sein (vgl. VersR 1979, 932 insbesondere 933). Dies wird auch durch die Fassung der Versicherungsbedingungen deutlich, die zwar den Unfall nicht abschließend definieren, wonach aber als Unfall beispielsweise auch "Strandung" oder "an Grund geraten" des Bootes anzusehen ist. Aus der dem Abschluß einer Kaskoversicherung für Motorjachten zugrunde liegenden Interessenlage und der Fassung der Versicherungsbedingungen ergibt sich, daß der Begriff des Unfalls nach § 3 der Allgemeinen Kasko-Versicherungsbedingungen für Motorjachten dahin auszulegen ist, daß er auch das Sinken eines Bootes durch Eindringen von Wasser durch überschlagende Wellen und Regen infolge Lösung der Persenning durch einen sogenannten Flachwind mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h umfaßt. Die Frage, ob auch höhere Gewalt vorliegt, ist dann nicht mehr zur erörtern.
Bezupflichten ist der Revision darin, daß den Beweis des Eintrittes des Versicherungsfalles der Versicherungsnehmer zu führen hat (7 Ob 59/82; Prölss - Martin aaO 275). Eine völlige Gewißheit über den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem eingetretenen Erfolg wird jedoch nicht verlangt. Zur Feststellung des Kausalablaufes genügt der sogenannte Primafacie-Beweis (RZ 1983/14; vgl. auch Prölss - Martin aaO). Entgegen dem Standpunkt der Revisionswerberin genügt dann aber die Feststellung, daß das Sinken des Bootes mit größter Wahrscheinlichkeit auf die festgestellten Witterungsverhältnisse zurückzuführen ist. Die beklagte Partei hätte dann den Beweis einer gleich wahrscheinlichen oder auch nur ernstlich in Betracht zu ziehenden anderen Möglichkeit eines Geschehensablaufes nachweisen müssen (EvBl. 1983/120 mwN). Als solche Möglichkeit wäre die Undichtheit des Rumpfbodens und des Bootsbodens oder der schlechte Zustand der Abdeckung infolge altersbedingter Abnützung in Betracht gekommen, worauf sich die beklagte Partei auch berufen hat. Die Vorinstanzen nahmen jedoch eine Undichtheit des Rumpfbodens oder eine altersbedingte Abnützung der Abdeckung nicht als erwiesen an. Die Prüfung dieser anderen Möglichkeiten des Geschehensablaufes gehört zu der im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbaren Beweiswürdigung (EvBl. 1983/120).
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