OGH 7Ob612/83

OGH7Ob612/8313.10.1983

SZ 56/146

Normen

HGB §377
HGB §377

 

Spruch:

Die kaufmännische Mängelanzeige muß Art und Umfang jedes einzelnen gerügten Mangels deutlich erkennen lassen. Bei mehreren Mängeln muß jeder Mangel angezeigt werden. Werden Mängel mehrerer selbständiger Lieferungen gerügt, so ist die Bezeichnung der von der Rüge betroffenen Lieferungen aber dann nicht erforderlich, wenn die Mängel ihrer Art nach alle Lieferungen betreffen müssen.

OGH 13. 10. 1983, 7 Ob 612/83 (OLG Innsbruck 2 R 8/83; LG Innsbruck 11 Cg 160/81)

Text

Der Beklagte schuldet der klagenden Partei den Kaufpreis von 64 955.70 S sA für 40 Rollen des Dichtungsmaterials B, den die klagende Partei mit der vorliegenden Klage begehrt. Das Dichtungsmaterial wurde vom Beklagten zur Abdichtung von Terrassen und Tiefgaragen des Bauvorhabens K der R- GesmbH (im folgenden nur Bauherr) verwendet. Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Das Dichtungsmaterial sei von der klagenden Partei dem Bauherrn empfohlen worden. Es sei jedoch zur Abdichtung von Terrassen und Tiefgaragen völlig ungeeignet. Gegen die Klagsforderung wendete der Beklagte aufrechnungsweise Gegenforderungen von 64 675 S und 60 000 S ein. Er sei dem Bauherrn gegenüber zur Mängelbehebung verpflichtet gewesen. Dadurch sei ihm ein Aufwand in der Höhe der Gegenforderungen erwachsen.

Die klagende Partei behauptet, daß die beim Bau aufgetretenen Mängel auf eine unsachgemäße Verlegung des Dichtungsmaterials durch den Beklagten zurückzuführen seien. Eine Mängelrüge sei überdies nie erhoben worden.

Das Erstgericht sprach aus, daß die Klagsforderung mit 64 955.70 S zu Recht bestehe, die bis zur Höhe der Klagsforderung eingewendeten Gegenforderungen dagegen nicht zu Recht bestehen. Es gab demgemäß dem Klagebegehren samt 5% Zinsen und 18% Umsatzsteuer aus den Zinsen seit 6. 6. 1980 statt. Nach seinen Feststellungen wurde bei dem Bauvorhaben auf Grund der Vorsprache und der Empfehlungen des Vertreters der klagenden Partei anstelle der ursprünglich vorgesehenen dreilagigen Abdichtung eine B-Isolierung ausgeschrieben. Der Beklagte bestellte im Sommer und im Herbst 1979 bei der klagenden Partei mündlich das Dichtungsmaterial. Er arbeitete mit diesem Material auch auf anderen Baustellen. Vor Beginn der Verlegung erhielt er von der klagenden Partei eine mündliche Anleitung zur Einhaltung der Verlegungsvorschriften. Im Herbst 1979 begann er mit den Isolierungsarbeiten. Im Winter 1979/80 trat infolge Konkurses der Baufirma eine Bauverzögerung ein. Während dieser Zeit lag die bereits verlegte Isolierfolie zum Großteil frei und ungeschützt. Nach Beendigung der Isolierarbeiten an den Terrassen traten im Frühjahr 1980 Wassereinbrüche auf. Der Beklagte mußte auf Verlangen des Bauherrn die Mängel beheben. Zu diesem Zwecke bestellte er im Frühjahr 1980 mündlich bei der klagenden Partei weitere 40 Rollen des Dichtungsmaterials B. Der Beklagte stellte dem Bauherrn für die Mängelbehebung 64 675 S in Rechnung. Der Bauherr lehnte die Bezahlung dieser Rechnung ab, weil es sich um eine Mängelbehebung im Rahmen der Gewährleistung handle. Nach Durchführung der genannten Sanierungsarbeiten traten an drei Terrassen neuerlich Wassereinbrüche auf. Auch an diesen Terrassen muß die Isolierung erneuert werden. Der hiefür erforderliche Aufwand ist noch nicht feststellbar. Unmittelbar nach dem Vorliegen des vom Bauherrn eingeholten Privatgutachtens über die Ursache des Wassereintrittes bemängelte der Beklagte dem Vertreter der klagenden Partei gegenüber, daß das von der klagenden Partei gelieferte Dichtungsmaterial B für den empfohlenen Verwendungszweck ungeeignet sei. Nach Einmahnung der offenen Rechnungen wiederholte er mit Schreiben vom 2. 12. 1980 die Mängelanzeige an die klagende Partei. Das Dichtungsmaterial B ist für den vorgesehenen Verwendungszweck geeignet. Voraussetzung ist jedoch die genaue Einhaltung der strengen Verlegevorschriften. Die Einhaltung dieser Vorschriften stößt in der Praxis gegenüber den mehrlagigen B-Bahnen auf größere Schwierigkeiten. Es sind an die Qualität des Untergrundes höhere Anforderungen gestellt. Der Untergrund muß eben, ohne Grate, möglichst estrichglatt, sowie staubfrei und trocken sein. Der Isolierschutz muß umgehend aufgebracht werden. B-Dichtungsbahnen müssen im Endausbauzustand unter ständigem Anpreßdruck stehen. Die Oberflächenverletzbarkeit der dünnen B-Bahnen ist größer. Bei Terrassen sind wegen der Gefahr mechanischer Verletzungen Schutzbleche anzubringen. Über diese Verlegevorschriften war der Beklagte seitens der klagenden Partei informiert.

Das Erstgericht verneinte einen Gewährleistungsanspruch des Beklagten. Das Dichtungsmaterial sei für den der klagenden Partei bekannt gewesenen Verwendungszweck geeignet gewesen. Die klagende Partei sei auch ihrer vertraglichen Nebenpflicht zur Anleitung über die strengen Verlegungsvorschriften nachgekommen. Für Schäden, die durch die Nichteinhaltung dieser Verlegungsvorschriften oder durch andere Ursachen am Bau eingetreten seien, sei die klagende Partei nicht haftbar.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Da ein beiderseitiger Handelskauf vorliege, hätte der Beklagte die Mängelrüge unverzüglich und innerhalb von sechs Monaten nach der Lieferung der Ware erheben müssen. Die Rüge hätte sich auf die klagsgegenständlichen Lieferungen auf Grund der beiden Fakturen vom 28. 4. 1980 und 5. 5. 1980 beziehen müssen. Der Beklagte habe Dichtungsmaterial gleicher Art schon im Jahre 1979 bezogen. Er habe den ihm obliegenden Nachweis nicht erbracht, daß er die gegenständliche und nicht die frühere Ware gerügt habe. Die Ware gelte dann aber als genehmigt. Daß ihm infolge eines von der klagenden Partei zu vertretenden Verschuldens ein Schaden entstanden sei, habe der Beklagte nicht einmal behauptet.

Der Oberste Gerichtshof verwies die Rechtssache infolge Revision des Beklagten an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Ist der Kauf für beide Teile ein Handelsgeschäft, was im vorliegenden Fall nicht strittig ist, so hat der Käufer die Ware unverzüglich nach der Ablieferung durch den Verkäufer, soweit dies nach ordnungsmäßigem Geschäftsgang tunlich ist, zu untersuchen und, wenn sich ein Mangel zeigt, dem Verkäufer unverzüglich Anzeige zu machen (§ 377 Abs. 1 HGB), sonst gilt die Ware, außer bei Nichterkennbarkeit des Mangels, als genehmigt (§ 377 Abs. 2 HGB). Zeigt sich der Mangel erst später, muß die Anzeige unverzüglich nach der Entdeckung gemacht werden (§ 377 Abs. 3 HGB). Bei Beurteilung der Frage der Rechtzeitigkeit der Rüge des Käufers ist demnach zwischen offenen und verborgenen Mängeln zu unterscheiden. Verborgene Mängel brauchen erst nach ihrer Entdeckung unverzüglich gerügt zu werden. Ein verborgener Mangel ist ein Mangel, der sich bei einer ordnungsgemäßen Untersuchung nicht feststellen läßt und dem Käufer bei Ablieferung der Ware auch tatsächlich nicht bekannt geworden ist (SZ 53/63; Schlegelberger, HGB[5], V 163). Zu den verborgenen Mängeln gehören insbesondere solche, die sich erst durch eine längere wissenschaftliche oder technische Untersuchung entdecken lassen, wenn eine Untersuchung dieser Art nach Handelsbrauch nicht geboten ist, und die sich erst beim Gebrauch der Sache zeigen oder zeigen können (Brüggemann in Großkomm. HGB[3], IV 396). Im vorliegenden Fall war nach der gesamten Sachlage und mit Rücksicht auf die Art des Kaufgegenstandes vom Beklagten die Beiziehung eines Sachverständigen für eine sachgemäße Untersuchung nach Ablieferung der Ware nicht zu fordern (vgl. SZ 53/63). Es genügte daher zur Wahrung der Rechtzeitigkeit der Mängelrüge die unmittelbar nach Erhalt des Privatgutachtens, aus dem sich erstmals Hinweise auf einen Mangel des Dichtungsmaterials ergaben, vom Beklagten mündlich erhobene Anzeige, da eine bestimmte Form für die Anzeige nicht vorgeschrieben ist. Die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die Mängelanzeige des Beklagten deshalb verspätet sei, weil sie nicht erkennen lasse, auf welche der mehreren Lieferungen sie sich beziehe, kann nicht geteilt werden. Nach dem Zweck der Anzeige, den Verkäufer zur Wahrung seiner Interessen rasch von der Mangelhaftigkeit der Ware zu unterrichten und ihn davor zu schützen, daß der Käufer später Mängel "nachschiebt" (SZ 53/63), muß die Anzeige so gefaßt sein, daß der Verkäufer aus ihr Art und Umfang der gerügten Mängel deutlich erkennen kann. Weist die Sache mehrere Mängel auf, muß jeder Mangel angezeigt werden. Erstreckt sich der Kaufgegenstand auf mehrere selbständige Lieferungen unterschiedlicher Art und Qualität, so muß die Mängelrüge auch erkennen lassen, auf welche Lieferung sie sich beziehen soll (Schlegelberger aaO 160). Handelt es sich aber um einen Mangel, der seiner Art nach - wie hier die Untauglichkeit des Dichtungsmaterials zu dem vereinbarten Zweck - notwendigerweise nur alle selbständigen Lieferungen betreffen kann, ist eine Bezeichnung der einzelnen Lieferung nicht erforderlich. Die Anzeige des Beklagten, daß B für den empfohlenen Zweck ungeeignet sei, ist daher entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes als rechtzeitig anzusehen.

Dahingestellt bleiben kann, ob die Notwendigkeit der Einhaltung besonderer Verlegungsbedingungen für ein Dichtungsmaterial, die in der Praxis auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, einen gewährleistungspflichtigen Mangel darstellen kann. Nach der unbekämpft gebliebenen Feststellung des Erstgerichtes war der Beklagte über die besonderen Verlegungsbedingungen von der klagenden Partei informiert worden. Daß der Beklagte diese außergewöhnlichen Verarbeitungserfordernisse als Mangel gerügt hätte, wurde nicht einmal behauptet. Insoweit liegt dann aber eine Genehmigung der Ware vor, sodaß der Beklagte - die Beurteilung der besonderen Verlegungserfordernisse als Mangel vorausgesetzt - daraus weder Gewährleistungs- noch Schadenersatzansprüche ableiten kann.

Wäre aber das Dichtungsmaterial trotz Einhaltung der besonderen Verlegungsbedingungen zu dem der klagenden Partei bekannten Zweck der Abdichtung von Terrassen und Garagen ungeeignet gewesen, läge ein wesentlicher und unbehebbarer Mangel vor, sodaß der Beklagte zur Vertragsaufhebung berechtigt wäre. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes ist das Dichtungsmaterial bei Einhaltung der strengen Verlegungsvorschriften für den genannten Zweck geeignet. Diese Feststellung wurde aber vom Beklagten bekämpft. Das Berufungsgericht hat sich ausgehend von einer vom OGH nicht gebilligten Rechtsauffassung mit dieser Tatsachenrüge nicht befaßt und auch die damit im Zusammenhang stehende Mängelrüge des Beklagten nicht behandelt. Dies wird daher nachzuholen sein. Sollte das Berufungsgericht das Vorliegen eines Verfahrensmangels verneinen und die Feststellungen des Erstgerichtes übernehmen, wäre die Rechtssache iS einer Bestätigung des Ersturteils entscheidungsreif. Mangels Vorliegens des gerügten Fehlers kämen dann auch Schadenersatzansprüche nicht in Betracht. Sollte das Berufungsgericht auf Grund einer Beweiswiederholung zu dem Ergebnis gelangen, daß auch bei Einhaltung der strengen Verlegungsvorschriften das Dichtungsmaterial zu dem genannten Zweck ungeeignet ist, wäre das Klagebegehren abzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte