Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 290 Abs 1 StPO. wird das erstgerichtliche Urteil in dem Ausspruch über die Anrechnung der Vorhaft gemäß § 38 Abs 1 Z. 1 StGB. dahin ergänzt, daß der Angeklagten auch die Verwahrungs- und Untersuchungshaft vom 10.Dezember 1982, 12,00 Uhr, bis 1.Februar 1983, 8,00 Uhr, angerechnet wird.
Gemäß § 390 a StPO. fallen der Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Das Schöffengericht verurteilte die am 26.Februar 1953 geborene jugoslawische Staatsangehörige Mira A wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 (Abs 1), 86 StGB. zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe und ordnete gleichzeitig ihre Unterbringung gemäß § 21 Abs 2 StGB. in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an. Gemäß § 38 Abs 1 Z. 1
StGB. wurde die Vorhaft ab 1.Februar 1983, 8,00 Uhr, angerechnet, jenem Zeitpunkt, als die Angeklagte vom Wagner-Jauregg-Krankenhaus in das Gefangenenhaus des Landesgerichts Linz überstellt wurde (S. 153, 159).
Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht keinen Umstand als erschwerend, als mildernd hingegen die bisherige Unbescholtenheit der Angeklagten und den dauernden seelischen Druck, unter dem sie zur Tatzeit stand, weil ihr Lebensgefährte sein Heiratsversprechen nicht erfüllte, die Vaterschaft zu dem von ihr geborenen Mädchen nicht anerkannte, ihr Untreue vorwarf, sie schlug, ihr kein Geld gab und schließlich sogar die Delogierung drohte.
Gegen dieses Urteil ergriff die Angeklagte die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung.
Rechtliche Beurteilung
Die Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom Obersten Gerichtshof bereits mit dem in nichtöffentlicher Sitzung gefaßten Beschluß vom 21. Juli 1983, 13 Os 117/83-6, aus dem sich der wesentliche Sachverhalt ergibt, zurückgewiesen. Im Gerichtstag war demnach über die Berufung, mit der Mira A (ersichtlich) eine Strafherabsetzung und die Ausschaltung der Anstaltsunterbringung nach § 21 Abs 2 StGB.
anstrebt, zu entscheiden.
Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.
Der Einwand, das Erstgericht habe den Milderungsgründen, insbesondere dem Umstand, daß die Tat durch den ständigen seelischen Druck ausgelöst wurde, unter dem Gesichtspunkt des § 34 Z. 11 (richtig wohl 1) StGB.
zu wenig Gewicht beigemessen, überzeugt keinesfalls. In Anbetracht der Tötung einer an den mißlichen Lebensumständen der Angeklagten unschuldigen, ihr sogar wohl gesonnenen alten Frau wird die Ausmessung der Strafe nahe dem gesetzlichen Mindestmaß nur vertretbar, wenn man die Verstandesschwäche der Angeklagten, ihre schwierige psychosoziale Situation und ihre schwer gestörte Persönlichkeit ins Kalkül zieht. Der hohe Unrechtsgehalt der Tat verbietet aber eine weitere Reduktion der, wie schon gezeigt, ohnehin milden Freiheitsstrafe.
Dem Erstgericht ist aber auch insoweit kein Fehler unterlaufen, als es die Voraussetzungen für die Einweisung der Angeklagten in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB. für gegeben und diese Unterbringung auch als notwendig erachtete. Das Gesetz ordnet eine derartige Maßnahme für zurechnungsfähige Rechtsbrecher, die eine geistige oder seelische Abartigkeit von höherem Grad aufweisen, an, wenn sie unter dem Einfluß dieser Abartigkeit eine Tat begangen haben, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und zwar unter der weiteren Voraussetzung, daß der Täter auch in Zukunft die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung mit schweren Folgen unter dem Einfluß seiner Abartigkeit befürchten läßt. Hiezu hat das Schöffengericht konform mit dem in der Hauptverhandlung ausführlich zu dieser Frage vernommenen Sachverständigen festgestellt, daß die Berufungswerberin zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig war, es sich bei ihr aber um eine schwer gestörte Persönlichkeit mit einer Dauerneigung zu impulsiver hochgradiger Affektentladung handelt. In diesem Zustand sind bei ihr die Kontroll- und Bremsmechanismen so weit reduziert, daß es bei auftretenden Konflikten mit der Umwelt, insbesondere, wenn sich (wieder einmal) ein Affektstau auf Grund ungelöster psychosozialer Situationen einstellt, zu weiteren aggressiven Handlungen mit schweren Folgen bis zum Totschlag kommen kann. Diese abnorme Persönlichkeitsstruktur mit der starken Neigung zu schweren affektiven Entladungen ist als seelische Abartigkeit höheren Grades anzusehen (S. 341).
Die Berufungsbehauptung, die schweren Aggressionstendenzen der Angeklagten seien durch die Folgen ihrer unbedachten Tat (gemeint offenbar die Inhaftierung) und die bisherige Therapie im Wagner-Jauregg-Krankenhaus bereits abgebaut, sodaß es keiner Behandlung mehr bedürfe, die Unterbringung vielmehr eine Verschlechterung ihres Zustands befürchten lasse, widerspricht den oben zusammengefaßten Ausführungen des Sachverständigen vollends. Dieser hat den Tatrichtern nämlich nicht nur berichtet, daß die Angeklagte trotz gewisser Behandlungserfolge (Beruhigung) auf Grund ihrer abnormen Persönlichkeitsstruktur auch noch während des Aufenthalts im Krankenhaus Aggressionshandlungen gesetzt hat (S. 322, 323), sondern auch dargestellt, daß eine Behandlung möglich und auch erforderlich ist (S. 325, 326). Für den behaupteten Abbau der Gefährlichkeit läßt sich somit aus den Akten kein Anhaltspunkt finden. Die Anstaltsunterbringung war darum, letztlich im wohlverstandenen Interesse der Berufungswerberin selbst, zu bestätigen. Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde war vom Obersten Gerichtshof gemäß § 290 Abs 1 StPO. von Amts wegen wahrzunehmen, daß das Urteil in seinem Ausspruch über die Anrechnung der Vorhaft (§ 38 Abs 1 Z. 1 StGB.) mit dem ungerügt gebliebenen, sich aber zum Nachteil der Angeklagten auswirkenden, materiellen Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z. 11 StPO. behaftet ist.
Mira A war kurz nach der Tat am 5.Dezember 1982
zunächst in das Allgemeine Krankenhaus der Stadt Linz eingeliefert und noch am selben Tag von dort in das Wagner-Jauregg-Krankenhaus in Linz überstellt worden (S. 53, 55, 61, 63). Am 10.Dezember 1982 erging ein richterlicher Haftbefehl (ON. 5), der von der Sicherheitsbehörde sogleich vollzogen wurde (S. 3 a, 59, 63), wird doch von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich der Beginn der Haftzeit der Angeklagten mit 10.Dezember 1982 angegeben (S. 45). Erst am 4.Jänner 1983 wurde vom Untersuchungsrichter des Landesgerichts Linz die Untersuchungshaft über die Angeklagte verhängt (S. 44).
Mira A befand sich demnach bereits ab dem 10.Dezember 1982 und nicht erst ab dem im Urteil gemäß § 38 StGB. berücksichtigten Zeitpunkt ihrer überstellung vom Wagner-Jauregg-Krankenhaus am 1.Februar 1983, 8,00 Uhr, in Haft (S. 83, 153). Maßgebend ist der Vollzug der sicherheitsbehördlichen Verwahrung (auf Grund des angeführten Haftbefehls) ab dem 10.Dezember 1982, weil die Freizügigkeit der damaligen Beschuldigten (§ 38 Abs 1 StPO., siehe S. 3 a) seit diesem Tag nicht nur faktisch infolge ihrer stationären Behandlung im Krankenhaus, sondern auch rechtlich als Folge der von der Sicherheitsdirektion kraft richterlichen Haftbefehls übernommenen Gewahrsamsausübung beschränkt war. Mangels Feststellbarkeit der Stunde des Vollzugs des Haftbefehls war die Vorhaft seit der Mittagsstunde des 10.Dezember 1982 anzurechnen (JMVBl. 1912 S. 428; SSt. XXIV/20, 9 Os 147/76).
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