OGH 1Ob556/82

OGH1Ob556/825.5.1982

SZ 55/69

Normen

ABGB §364
ABGB §421
ABGB §422
ABGB §364
ABGB §421
ABGB §422

 

Spruch:

Dem Gründeigentümer ist es grundsätzlich gestattet, auch an der Grenze Bäume oder Sträucher zu pflanzen; er wird durch Zuwachs Eigentümer jener Wurzeln und Äste, die sich in oder über fremdem Grund befinden. Der Nachbar ist nicht berechtigt, vom Eigentümer der Bäume oder Sträucher die Unterlassung "des Wachsenlassens von Ästen" zu begehren

OGH 5. Mai 1982, 1 Ob 556/82 (KG Wiener Neustadt R 316/81; BG Neunkirchen C 423/80 )

Text

Die Kläger sind Eigentümer der Liegenschaft EZ 1093 KG S mit den Grundstücken 316 Baufläche samt Haus F 92 und 200/91 Garten. Die Beklagte ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 946 KG S mit dem Grundstück 229 Baufläche Haus F 53. Die Grundstücke der Streitteile haben eine gemeinsame Grenze von rund 60 m. Entlang dieser Grenze verläuft ein 1.3 m hoher Drahtmaschenzaun. Auf dem Grundstück der Beklagten sind in einer Entfernung von 20 bis 50 cm zur Grenze der Kläger Ligustersträuche gesetzt. Diese wurden von der Beklagten bis vor rund fünf Jahren auf eine Höhe von 1.3 bis 1.5 m zurückgeschnitten. Seit dieser Zeit wuchsen die Sträucher aber ungehindert. Sie sind derzeit 2 bis 3 m hoch und ragen durch und über den Drahtmaschenzaun 20 cm bis 1 m in den Luftraum des Grundstückes der Kläger.

Die Kläger begehren die Fällung des Urteiles, die Beklagte sei schuldig, es zu unterlassen, von ihrem Grundstück Ligusterstauden auf das Grundstück der Kläger wachsen zu lassen. Der dauernde Wuchs der Stauden stelle eine empfindliche Beeinträchtigung des Eigentumsrechtes der Kläger dar, ihnen stehe daher wegen dieser vom Grundstück der Beklagten ausgehenden Einwirkungen, die völlig unzumutbar seien und das den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß bei weitem überstiegen, analog § 364 Abs. 2 ABGB ein Unterlassungsanspruch zu.

Die Beklagte wendete ein, sie hätte keine Möglichkeit, die Stauden auf ihrem Grundstück abzuschneiden, da zwischen Zaun und Gebüsch kein Zwischenraum sei. Ein Abschneiden vom Grundstück der Kläger aus sei ihr aber untersagt worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte fest, die Beklagte habe die Sträucher deshalb ungehindert in die Höhe wachsen lassen, um die vom Grundstück der Kläger ausgehenden Beeinträchtigungen durch Lärm, Kraftfahrzeuge und Mopeds möglichst hintanzuhalten. Der Drahtmaschenzaun der Kläger sei durch die Hecke nicht beschädigt worden.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß eine analoge Anwendung der Bestimmung des § 364 Abs. 2 ABGB nicht in Betracht komme. Die durch Gewächse an der Grenze bestehenden Rechtsprobleme seien durch § 422 ABGB abschließend und ausschließlich geregelt. Ein Nachbar, der sich durch Gewächse beeinträchtigt fühle, sei nur berechtigt, den Überhang selbst zu beseitigen. Einen Unterlassungsanspruch gewähre ihm das Gesetz nicht.

Der Berufung der Kläger gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteige. Die Vorschrift des § 422 ABGB sei auch auf Sträucher anzuwenden. Aus dieser Vorschrift könne eine Verpflichtung des Baumeigentümers zum Zurückschneiden der Aste und Wurzeln nicht abgeleitet werden. Der beeinträchtigte Eigentümer könne nur zur Selbsthilfe greifen. Eine Schikane liege nach den Feststellungen des Erstgerichtes nicht vor.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Frage, ob über das in § 422 ABGB normierte Selbsthilferecht (SZ 2/119) hinaus die Möglichkeit besteht, ein auf § 523 ABGB gestütztes Begehren zu stellen, wurde, wie die Vorinstanzen zutreffend aufzeigten, in der österreichischen Lehre und durch die allerdings schon lange zurückliegende Rechtsprechung verneint, die Rechte des Nachbarn seien im § 422 ABGB abschließend geregelt, dem Nachbarn stehe neben dem dort normierten Selbsthilferecht ein auf sein Eigentumsrecht gestützter Beseitigungsanspruch nicht zu (Klang[2] II 295; Ehrenzweig[2] I/2, 149; Gschnitzer, Sachenrecht 62; Schuster in GZ 1883, 78; GlUNF 1262; GlU 3548). Den dagegen von der Revision vorgetragenen Bedenken, die Gewährung eines Selbsthilferechtes lasse nicht erkennen, daß durch die Einräumung eines Überhangsrechtes die sonst jedem Eigentümer zustehende Befugnis der Erhebung einer Eigentumsfreiheitsklage genommen werden sollte, trug in der Bundesrepublik Deutschland der Bundesgerichtshof Rechnung. Die in der Rechtsprechung deutscher Oberlandesgerichte nicht einheitlich beantwortete Frage wurde vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung BGHZ 60, 235, 237 dahin gelöst, daß ein Recht, Zweige von Bäumen in den Machtbereich des Nachbarn eindringen zu lassen, nirgends, insbesondere nicht in § 910 BGB bestimmt sei und daher der Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB durch die Regelung des Selbsthilferechtes im § 910 BGB nicht ausgeschlossen werde. Dieser Entscheidung schloß sich die jüngere Lehre an (Bassenge in Palandt[41] 1010; Augustin in BGB-RGRK[12], Rz. 2 zu § 910; Soergel - Baur[11], Rz. 7 zu § 910 BGB).

Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die Frage, ob dem Nachbarn ein Beseitigungsanspruch oder ein Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Beseitigung, wie ihn der Bundesgerichtshof anerkannte, zusteht, da die Kläger nicht solche Ansprüche, sondern ein Unterlassungsbegehren stellen. Ein Unterlassungsanspruch wird, wie der Revision beizupflichten ist, zur Abwehr von Immissionen nicht nur gewährt, sondern als das einzig zulässige Abwehrmittel angesehen, da der Eigentümer des gefährdeten Besitzes es seinem Gegner überlassen muß, welche Schutzmaßnahmen er zur Verhinderung weiterer Immissionen ergreift, und daher nicht berechtigt ist, bestimmte Vorkehrungen zu deren Vermeidung zu begehren (SZ 50/99 mwN). Immissionen werden stets vom Nachbarn neu veranlaßt, so daß die Verpflichtung zur Unterlassung von störenden Maßnahmen einen ausreichenden Schutz gegen künftige Eigentumsverletzungen darstellt. Das Wachsen von Bäumen oder Sträuchern, die der Nachbar auf eigenem Grund pflanzte, ist aber ein natürlicher Vorgang, der durch ein bloßes Nichtstun (Unterlassen) nicht verhindert werden kann. Der Nachbar könnte nur verpflichtet sein, Bäume und Sträucher an der Grenze oder in Grenznähe nicht zu pflanzen, so daß Wurzeln und Aste nicht über die Grenze wachsen können, oder die Wurzeln und Aste seiner Bäume und Sträucher stets so rechtzeitig abzuschneiden, daß sie nicht über die Grenze reichen. Eine solche Verpflichtung besteht aber nach österreichischem Recht nicht. Es gestattet vielmehr auch das Pflanzen von Bäumen an der Grenze und läßt sogar Eigentum durch Zuwachs entstehen, wenn sich die Wurzeln in einem angrenzenden Grund verbreiten, da sich auch dann das Eigentum ausschließlich "nach dem Stamme bestimmt, der aus dem Gründe hervorragt" (§ 421 ABGB). Es ist einhellige Auffassung, daß dann, wenn der Stamm eines Baumes ganz auf dem Grund eines Liegenschaftseigentümers steht, ihm der Baum als Alleineigentum bleibt, auch wenn dessen Wurzeln und Aste sich in den Raum des Nachbarn ausbreiten (Ehrenzweig aaO 149; Koziol - Welser[5] II 39; Gschnitzer, Sachenrecht 62; Klang[2] II 294). Nichts anderes gilt für Sträucher, die das Gesetz nicht besonders erwähnt (vgl. § 910 Abs. 1 BGB). Es handelt sich insoweit um eine Eigentumsbeschränkung des Gründeigentümers aus Rücksichten der Nachbarschaft (Koziol - Welser[5] II 134). Der Nachbar ist damit nicht berechtigt, vom Eigentümer des Baumes oder Strauches an der Grenze eine (ihm auch nach den Gesetzen der Natur gar nicht mögliche) Unterlassung des Wachsenlassens von Ästen zu begehren. Schon aus diesem Grund haben die Vorinstanzen das Klagebegehren zu Recht abgewiesen, ohne daß noch auf die Frage einzugehen ist, ob und inwieweit gegen die Beklagte ein Beseitigungsanspruch oder ein Anspruch auf Bezahlung von Beseitigungskosten besteht bzw. ob ein solcher Anspruch nur insoweit bestunde, als die Aste die Benützung des Grundstücks der Kläger beeinträchtigen (vgl. § 910 Abs. 2 BGB).

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