OGH 1Ob502/82

OGH1Ob502/8217.2.1982

SZ 55/19

Normen

ABGB §477
ABGB §477

 

Spruch:

Das nur im Rahmen der örtlichen Übung und nicht erkennbar als Rechtsbesitz ausgeübte sogenannte Pflugwenderecht (die Verpflichtung des Eigentümers, das Wenden des Pfluges des Nachbarn und das Umtreten des Zugviehs auf seinem Grund zu dulden), kann nicht ersessen werden und endet bei Wegfall seiner ortsüblichen Voraussetzungen

OGH 17. Feber 1982, 1 Ob 502/82 (LG Innsbruck 1 R 644/81; BG Lienz C 1187/80)

Text

Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke 597 und 602 KG S, der Beklagte Eigentümer des westlich angrenzenden Grundstückes 598 KG S das er im Jahr 1980 aufforstete und umzäunte.

Der Kläger begehrte zuletzt festzustellen, daß ihm ein Pflugwenderecht zwischen den genannten Grundstücken zustehe, und den Beklagten schuldig zu erkennen, den Zaun auf Verlangen des Klägers zu entfernen, sobald er vom Pflugwenderecht Gebrauch machen müsse. Der Kläger behauptet, daß ihm ein im Raum S allgemein übliches und überdies ersessenes Pflugwenderecht zustehe, dessen Ausübung der aufgestellte Zaun hindere.

Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß ein Pflugwenderecht nach allgemeinem Brauch nur bei beiderseitiger Ausübung bestehe. Eine Ersitzung habe nicht stattgefunden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es nahm im wesentlichen folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Die Grundstücke der Streitteile lägen auf einem Steilhang. Das Grundstück 598 des Beklagten sei nur über Grundstücke des Klägers zu erreichen. Wegen dieser ungünstigen Lage habe sich der Beklagte zur Aufforstung des Grundstückes entschlossen, es im Sommer 1980 mit Jungfichten bepflanzt und zum Schutz gegen Wildverbiß einen Maschendrahtzaun nahe der Grundgrenze errichtet. Die Fichten habe er so gesetzt, daß ein rund 4 m breiter Streifen des Grundstückes unbepflanzt geblieben sei. Der Kläger könne infolge der Errichtung des Zaunes mit seinem von einem Pferd gezogenen Pflug nicht mehr auf dem Grundstück 598 wenden. Wegen der Geländebeschaffenheit könne nur in Ost-Westrichtung (parallel zum Steilhang) gepflügt werden. Müsse der Pflug auf dem Grundstück des Klägers gewendet werden, bleibe ein zirka 4 m breiter ungepflügter Streifen, der von Hand bearbeitet werden müsse, was einen Mehraufwand zur Folge habe. Der Kläger und dessen Besitzvorgänger hätten vom Pflugwenderecht auf dem Grundstück 598 seit Menschengedenken, zumindest aber während des gesamten 20. Jahrhunderts, Gebrauch gemacht. Bis zum Jahre 1980 hätten beide Streitteile die genannten Grundstücke landwirtschaftlich genützt. Bis zum Jahre 1940 hätten beide die Grundstücke durch jeweils zirka drei Jahre zum Anbau von Getreidesorten und sodann durch jeweils zirka fünf Jahre als Wiese zur Heugewinnung (Wechselwirtschaft) verwendet. Der Kläger habe die Wechselwirtschaft auch nach 1940 beibehalten, während sich der Beklagte bis 1964 auf den Heuertrag beschränkt habe. Zwischen 1964 und 1980 habe der Pächter des Beklagten wiederum Wechselwirtschaft betrieben. Wenn die Grundstücke der Streitteile bebaut worden seien, hätten beide Teile beim Ackern das Pflugwenderecht in Anspruch genommen. Von 1940 bis 1964 sei dieses Recht nur vom Kläger ausgeübt worden. Wenn im Frühjahr bereits keimender Winterroggen vorhanden gewesen sei, habe - wie allgemein üblich - gefragt werden müssen, ob das Pflugwenden trotzdem geduldet werde, Ortliche Übung sei es, daß ein Pflugwenderecht bei einer nicht schikanösen Kulturänderung eines der Grundstücke erlösche. Eine Übung, daß ein beiderseitiges Pflugwenderecht bei Aufforstung durch einen Partner in ein einseitiges Pflugwenderecht umgewandelt werde, bestehe nicht.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß das Pflugwenderecht nicht zu den Wegerechten iS des § 492 ABGB gehöre. Werde es, wie im vorliegenden Fall, nur wenige Tage pro Jahr und auch nicht jährlich hintereinander ausgeübt, so liege eine Dienstbarkeit vor, die an der Grenze zwischen einer unwiderruflichen und einer Scheinservitut stehe. Eine solche könne zwar nicht unmittelbar nach Gutdünken widerrufen, wohl aber mittelbar durch eine nicht schikanöse Kulturänderung beseitigt werden. Da weder die Aufforstung noch die Zaunerrichtung schikanös erfolgt sei, sei das Pflugwenderecht erloschen. Da ein einseitiges Pflugwenderecht nur 24 Jahre lang ausgeübt worden, sei, sei es nicht ersessen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es dem Klagebegehren stattgab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 2000 S übersteigt. Das Berufungsgericht pflichtete dem Erstgericht darin bei, daß dem Kläger ein "einseitiges" Pflugwenderecht nicht zustehe. Es könne nur ein "gegenseitiges" Pflugwenderecht angenommen werden, das dem jeweiligen Nachbarn nur deshalb eingeräumt worden sei, weil auch dieser seinerseits das gleiche Recht auf seinem Gründe gestattet habe. Ein wechselseitiges Pflugwenderecht könne aber nicht dadurch zum Erlöschen gebracht werden, daß einer der Berechtigten den auf ihn entfallenden Teil nicht mehr ausübe oder gar darauf verzichte. Das Pflugwenderecht sei eine echte Dienstbarkeit und nicht bloß eine Scheinservitut. Für die Widerruflichkeit dieses Rechts oder für die Möglichkeit, es einseitig aufzulösen, fehle jeder Anhaltspunkt. Auch die Natur des Rechtes lasse nicht darauf schließen. Die Notwendigkeit der Ausübung des Rechts bei der landwirtschaftlichen Nutzung deute vielmehr auf das Gegenteil hin. Auch ein faktischer Widerruf durch Änderung der Kulturgattung sei nicht möglich. Das Berufungsgericht könne sich der von Ehrenzweig[2] I/2, 357 f. vertretenen Ansicht und der darauf gegrundeten Entscheidung des Landesgerichtes Klagenfurt (JBl. 1965, 95) nicht anschließen. Dem Gesetz sei auch nicht zu entnehmen, daß eine erworbene Dienstbarkeit einfach dadurch erlösche, daß der Eigentümer des dienenden Grundstückes dessen Kulturart verändere. Er hätte es dann in der Hand, willkürlich wohlerworbene Rechte seines Nachbarn zu beseitigen. Diese Grundsätze hätten für alle Dienstbarkeiten zu gelten. Die von Ehrenzweig gemachte Ausnahme für nachbarliche Befugnisse von untergeordneter Bedeutung finde im Gesetz keine Deckung. Im Übrigen werde der Beklagte durch die Ausübung der Dienstbarkeit des Pflugwenderechts in der nunmehrigen Bewirtschaftung seines Grundstückes nicht merklich behindert, da er bei der Aufforstung (auf Grund forstrechtlicher Vorschriften) ohnehin einen Abstand von 4 m einhalten müsse. Es sei nicht einzusehen, warum der Beklagte durch die Errichtung eines Zaunes die wohlerworbene Dienstbarkeit des Klägers vernichten könne.

Über die Revision des Beklagten änderte der Oberste Gerichtshof das Urteil des Berufungsgerichtes dahin ab, daß er das Urteil des Erstgerichtes wiederherstellte.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Kläger stützt seinen Anspruch auf eine im Raum S bestehende örtliche Übung, wonach dort jedermann beim Pflügen seines Feldes das Grundstück des Nachbarn zum Wenden des Pfluges benützen dürfe. Er ist der Ansicht, daß er auf Grund der "seit jeher" erfolgten unbeanstandeten Ausübung dieses Rechtes die Dienstbarkeit des Pflugwenderechts ersessen habe.

Zu den im österreichischen Recht nicht geregelten, auf örtlicher Übung beruhenden Eigentumsbeschränkungen privatrechtlicher Natur gehört auch das sogenannte Kehr-, Pflug- oder Anwenderecht, durch das der Gründeigentümer verpflichtet wird, das Wenden des Pfluges des Nachbarn (und das Umtreten des Zugviehs) auf seinem Grund zu dulden (Gierke, Deutsches Privatrecht II 439; Klang in seinem Komm.[2] II 166; Ehrenzweig[2] I/2, 139). Mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung schwankt die Praxis in der Behandlung dieser Eigentumsbeschränkungen. Sofern sie auf Grund von Ersitzung oder vertragsmäßiger Gestattung erworben wurden, behandelt sie sie als echte Dienstbarkeiten. Mangels eines solchen Titels nimmt sie widerrufliche nachbarliche Gefälligkeit an (Klang aaO; Ehrenzweig aaO 138 und 357 FN 75; vgl. etwa GlU 9078 und 12 544).

Das Gesetz verlangt zum Erwerb des für die Ersitzung einer Dienstbarkeit geforderten (§ 1460 ABGB) Rechtsbesitzes, daß man ein (wirkliches oder angenommenes) Recht gegen jemanden gebraucht und dieser sich fügt (Ehrenzweig aaO 79; ähnlich Koziol - Welser aaO 1128). Es ist keine Rechtsausübung iS des § 313 ABGB, wenn nicht ein individuelles Recht ("im eigenen Namen"), sondern ein "Gemeingebrauch" (EvBl. 1973/113; SZ 41/86; SZ 39/77 ua.; Schey - Klang in Klang[2] II 76; Koziol - Welser[5] II 7, 9) oder - wie hier - eine jedermann unter bestimmten Voraussetzungen mögliche örtliche Übung in Anspruch genommen wird. Die Besitzausübung muß so beschaffen sein, daß derjenige, in dessen Besitz eingegriffen wird, die Ausübung eines bestimmten (individuellen) Rechtes erkennen kann (EvBl. 1961/296; SZ 31/71 ua.). In welchem Umfang Besitz erworben wird, hängt davon ab, welches Recht der eine Teil ausüben und der andere dulden wollte. Dabei ist immer nur der erkennbare oder nach den Umständen anzunehmende Wille zu beachten (Ehrenzweig aaO 80).

Der Kläger behauptet gar nicht, daß er über die örtlichen Gewohnheiten hinaus Rechte auf dem Grundstück des Beklagten ausgeübt habe. Die Duldung des Pflugwendens durch den Beklagten beruhte somit nur darauf, daß er die allgemeine nachbarschaftliche Übung im Raume S respektierte (und bei eigenem Bedarf auch in Anspruch nahm). Daß der Kläger nicht mehr in Anspruch nahm, ergibt sich insbesondere auch aus der Rücksichtnahme auf die nachbarlichen Interessen, wenn auf dem benachbarten Feld bereits keimender Winterroggen vorhanden war; in diesem Falle fragte der Kläger, wie allgemein üblich, ob das Pflugwenden dennoch geduldet werde. Übte der Kläger aber ein über die örtliche Übung hinausgehendes Individualrecht nicht erkennbar aus, fehlte es ihm an einem zur Ersitzung eines Pflugwenderechts als eine ihm persönlich zustehende Dienstbarkeit tauglichen Rechtsbesitz. Das auf Feststellung des Bestehens einer Dienstbarkeit gerichtete Begehren ist schon aus diesem Grund abzuweisen. Auf die Frage, ob es sich - wenn ein Rechtsbesitz erworben worden wäre - um eine sogenannte bedingte Dienstbarkeit handeln könnte, die wegen ihrer geringen Bedeutung für die Bewirtschaftung des herrschenden Gründes davon abhängig wäre, daß ihre Ausübung eine Änderung der Bewirtschaftungsart oder eine Verbauung des dienenden Gründes nicht hindern würde, (so Klang in seinem Komm.[2] II 608; Ehrenzweig, JBl. 1904, 219 ff. derselbe System[2] I/2, 356 f. FN 75; dieser Lehrmeinung folgend LG Klagenfurt JBl. 1965, 95) ist unter diesen Umständen nicht einzugehen.

Auch den Anspruch auf Entfernung des Zaunes kann der Kläger unter diesen Umständen nicht auf die im Raume S bestehende örtliche Übung der Duldung des Pflugwendens im Nachbarschaftsbereich grunden, weil dieses Recht nach seinem von den Vorinstanzen festgestellten Inhalt im Falle einer nicht schikanösen Widmungsänderung des Nachbargrundstückes erlischt und damit jedenfalls während der Dauer der geänderten Widmung nicht in Anspruch genommen werden kann. Es ist dann auf die Frage, ob der Kläger einen nur auf örtlicher Übung beruhenden, gesetzlich nicht geregelten Anspruch überhaupt durchsetzen könnte, nicht einzugehen.

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