OGH 4Ob15/82

OGH4Ob15/8216.2.1982

SZ 55/14

Normen

ABGB §863
UrlG §9
UrlG §10
ABGB §863
UrlG §9
UrlG §10

 

Spruch:

Hat der Arbeitnehmer einen Teil seines Urlaubs schon verbraucht, dann wird die Urlaubsabfindung nach § 10 UrlaubsG - ebenso wie die Urlaubsentschädigung nach § 9 dieses Gesetzes - nur für den noch offenen Urlaubsrest berechnet. Eine weitergehende Berücksichtigung schon konsumierter Urlaubsteile - etwa in der Form, daß der Anspruch auf Urlaubsabfindung oder -entschädigung durch sie ganz oder teilweise "abgegolten" wäre - ist dem Urlaubsgesetz fremd

Aus einer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegebenen Erklärung, daß sämtliche Ansprüche aus diesem Verhältnis befriedigt seien, kann nur unter besonderen Umständen (§ 863 ABGB) auf einen Verzicht des Arbeitnehmers auf noch offene Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geschlossen werden

OGH 16. Feber 1982, 4 Ob 15/82 (LGZ Wien 44 Cg 137/81; ArbG Wien 4 Cr 1519/80).

Text

Die Klägerin war seit dem 1. 1. 1978 bei der Beklagten als Angestellte mit einem monatlichen Bruttobezug (einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen) von 15 192 S beschäftigt; sie hat das Arbeitsverhältnis zum 31. 3. 1980 aufgekundigt. Die Klägerin hatte einen jährlichen Urlaubsanspruch im Ausmaß von 25 Arbeitstagen. Während sie diesen Urlaub in den Jahren 1978 und 1979 zur Gänze konsumiert hatte, verbrauchte sie im Jahr 1980 nur einen Urlaub von 7 Arbeitstagen. Die Klägerin hat am 31. 3. 1980, noch bevor sie die Abrechnung erhalten hatte, nachstehende Erklärung unterfertigt:

"Anläßlich meines Ausscheidens aus Ihren Diensten per 31. 3. 1980 erkläre ich, daß meine sämtlichen Ansprüche aus diesem Dienstverhältnis durch Sie befriedigt wurden, sodaß durch mich keine wie immer gearteten Ansprüche gegen Sie erhoben werden können."

Im vorliegenden, seit 11. 9. 1980 anhängigen Rechtsstreit verlangt die Klägerin von der Beklagten für die im Jahr 1980 nicht konsumierten 18 Urlaubstage eine - der Höhe nach unbestrittene - Urlaubsabfindung von 2629 S samt Anhang.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Der Klägerin sei mitgeteilt worden, daß sie im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit 31. 3. 1980 Anspruch auf eine Urlaubsabfindung von 13/52 des Urlaubsentgelts habe; sie habe es jedoch vorgezogen, statt dessen einen siebentägigen Urlaub in natura zu verbrauchen. Bei ihrem Ausscheiden habe die Klägerin überdies erklärt, auf allfällige weitere Ansprüche gegen die Beklagte zu verzichten; ihre nunmehrige Forderung verstoße gegen die guten Sitten.

Das Erstgericht erkannte iS des Klagebegehrens.

Das Begehren der Klägerin nach einer Urlaubsabfindung sei gemäß § 10 Abs. 1 des Bundesgesetzes BGBl. 390/1976 betreffend die Vereinheitlichung des Urlaubsrechtes und die Einführung einer Pflegefreistellung (im folgenden: UrlG) berechtigt; durch den Verbrauch eines Teilurlaubes werde der Anspruch auf Urlaubsabfindung für die restlichen Urlaubstage nicht berührt.

Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Nach Neudurchführung der Verhandlung gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 ArbGG hielt es die Berufung der Beklagten schon aus rechtlichen Erwägungen für begrundet. Obwohl der Urlaubsanspruch grundsätzlich nicht zu aliquotieren sei, ergebe sich doch aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 UrlG, daß verbrauchte Urlaubsteile sehr wohl auf den Anspruch auf Urlaubsentschädigung anzurechnen seien. Derselbe Gedanke liege offensichtlich auch der Regelung des § 10 UrlG zugrunde. Wenn die Klägerin in dem "Rumpfurlaubsjahr" von drei Monaten einen Teilurlaub im Ausmaß von rund einem Viertel ihres gesamten Urlaubsanspruches verbraucht habe, dann habe sie damit jenen Teil des Urlaubs, für den andernfalls eine Urlaubsabfindung gebührt hätte, bereits konsumiert, sodaß ihr eine weitere Urlaubsabfindung nicht mehr zustehe. Verbrauchte Urlaubsteile seien nicht nur auf die Urlaubsentschädigung nach § 9 UrlG, sondern auch auf die Urlaubsabfindung nach § 10 UrlG anzurechnen; mit der Vereinbarung über den Verbrauch von rund einem Viertel des Jahresurlaubs sei der Teilanspruch abgegolten, der andernfalls in Form einer Urlaubsabfindung hätte ausgezahlt werden müssen. Das Gesetz lasse eine deutliche Präferenz für den tatsächlichen Verbrauch des Urlaubes gegenüber seiner Ablöse in Geld erkennen; eine Vereinbarung, nach welcher statt einer sonst gebührenden (Teil-)Urlaubsabfindung ein Teil des Urlaubs in natura verbraucht werden soll, entspreche daher den Grundwertungen des Urlaubsgesetzes. Mit den von ihr tatsächlich verbrauchten sieben Urlaubstagen habe die Klägerin (aufgerundet) das erhalten, was sie sonst als Urlaubsabfindung bekommen hätte. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes sei also bei Verbrauch eines Urlaubsteils, der dem Anteil des zurückgelegten Urlaubsjahres entspricht, ein Anspruch auf Urlaubsabfindung nicht mehr gegeben; der tatsächlich gewährte Teilurlaub müsse vielmehr nach Art eines Vorschusses auf den Urlaubsabfindungsanspruch angerechnet werden. Die gegenteilige Auffassung würde zu einer durch nichts gerechtfertigten Besserstellung der Klägerin führen, welche von den nach Abzug des tatsächlich konsumierten Teilurlaubs verbleibenden Urlaubstagen noch 13/52 als Urlaubsabfindung bekommen würde. Da der eingeklagte Anspruch schon aus diesem Grund nicht zu Recht bestehe, brauche auf die Bedeutung der Erklärung vom 31. März 1980 ("Lohnbefriedigungsklausel") - welche im Zweifel als bloße Wissenserklärung angesehen werden müßte - nicht mehr eingegangen zu werden.

Der Oberste Gerichtshof stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Daß dem Urlaubsgesetz eine der Dauer des Arbeitsverhältnisses innerhalb des laufenden Arbeitsjahres entsprechende Aliquotierung des Urlaubsanspruches grundsätzlich fremd ist, die Klägerin vielmehr gemäß § 2 Abs. 2 UrlG mit Beginn des neuen Arbeits-(Urlaubs-)Jahres am 1. 1. 1980 einen Urlaubsanspruch im vollen Ausmaß von 25 Arbeitstagen erworben hatte (Klein - Martinek, Urlaubsrecht 42 § 2 UrlG Anm. 6), hat auch das Berufungsgericht richtig erkannt. Seine Auslegung des § 10 UrlG läuft jedoch im Ergebnis gerade auf eine solche Aliquotierung des Urlaubsanspruches der Klägerin hinaus; sie findet im Gesetz keine Stütze. Gemäß § 10 Abs. 1 UrlG gebührt dem Arbeitnehmer - falls er nicht ohne wichtigen Grund vorzeitig ausgetreten ist (Abs. 2) - eine Abfindung, wenn das Arbeitsverhältnis vor Verbrauch des Urlaubes endet und kein Anspruch auf Urlaubsentschädigung besteht; die Abfindung beträgt für jede Woche seit Beginn des Urlaubsjahres, in dem ein Urlaub nicht verbraucht wurde, 1/52 des Urlaubsentgeltes. Grundlage der Berechnung der Urlaubsabfindung ist also - ebenso wie bei der Urlaubsentschädigung nach § 9 UrlG - das Urlaubsentgelt, das dem Arbeitnehmer gebührt hätte, wenn im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaub verbraucht worden wäre (Klein - Martinek aaO 126 § 10 Anm. 5); während aber bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 UrlG eine Entschädigung im vollen Ausmaß dieses "noch ausstehenden" Urlaubsentgeltes gebührt (Arb. 9643 = ZAS 1978, 232; Klein - Martinek aaO 118 § 9 Anm. 5), sichert § 10 UrlG dem Arbeitnehmer eine Geldleistung in der Höhe desjenigen Teiles des Urlaubsentgeltes zu, welcher der Dauer des Arbeitsverhältnisses im laufenden Urlaubsjahr entspricht, also 1/52 des Urlaubsentgeltes für jede seit Beginn dieses Urlaubsjahres verstrichene Woche (Klein - Martinek aaO 126 f. § 10 Anm. 5). Hat der Arbeitnehmer einen Teil des ihm zustehenden Urlaubs schon in natura verbraucht, dann wird die Urlaubsabfindung - ebenso wie die Urlaubsentschädigung nach § 9 UrlG (Klein - Martinek aaO 118 § 9 Anm. 5) - nur für den noch nicht konsumierten Urlaubsrest berechnet; der Arbeitnehmer bekommt dann für jede im laufenden Arbeitsjahr zurückgelegte Woche 1/52 des für den noch offenen Resturlaub gebührenden Urlaubsentgeltes (Klein - Martinek aaO 127 § 10 Anm. 5; Cerny, Urlaubsrecht 107 f § 10 Anm. 4; Adametz - Basalka - Mayr - Stummvoll, Komm. Z. Urlaubsgesetz 107 § 10 Anm. 6).

Eine darüber hinausgehende Berücksichtigung schon verbrauchter Urlaubsteile - etwa in der Form, daß der Anspruch auf Urlaubsabfindung durch sie ganz oder teilweise "abgegolten" wäre - ist dem Urlaubsgesetz fremd. Die Meinung des Berufungsgerichtes, daß der schon in natura konsumierte Urlaubsteil "nach Art eines Vorschusses" auf den Geldanspruch nach § 10 UrlG anzurechnen wäre, widerspricht nicht nur dem Wortlaut des Gesetzes, sondern auch dem aus dem Zusammenhang seiner Bestimmungen klar erkennbaren Regelungszweck; danach soll der Arbeitnehmer für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (ganz oder teilweise) noch offenen Urlaubsanspruch eine dem "noch ausstehenden" Urlaubsentgelt entsprechende Geldleistung erhalten, und zwar regelmäßig als Urlaubsentschädigung in der vollen Höhe des (restlichen) Urlaubsentgelts (§ 9 UrlG), bei Fehlen der Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle jedoch gemäß § 10 UrlG in der Form einer Urlaubsabfindung entsprechend der im laufenden Urlaubsjahr zurückgelegten Dienstzeit. Mit der "deutlichen Präferenz des Gesetzgebers für einen Urlaubsverbrauch in natura" hat das überhaupt nichts zu tun. Für die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ist auch aus der von ihm zitierten Entscheidung Arb. 9643 = ZAS 1978, 232 nichts zu gewinnen; anders als im vorliegenden Fall war es nämlich damals um einen schon kraft Gesetzes - nämlich auf Grund des § 15 Abs. 3 MuttSchG - verkürzten Urlaubsanspruch gegangen, was dann mittelbar auch zu einer entsprechenden Minderung der Urlaubsentschädigung führen mußte (vgl dazu Klein - Martinek aaO 126 f § 10 Anm. 5).

Auch die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe es "vorgezogen", an Stelle der ihr gebührenden Urlaubsabfindung von 13/52 des Urlaubsentgeltes einen siebentägigen Urlaub in natura zu verbrauchen, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Selbst wenn man nämlich dieses Vorbringen zugunsten der Beklagten als richtig unterstellt, liefe eine derartige Vereinbarung der Sache nach darauf hinaus, daß die Klägerin als "Gegenleistung" für die Gewährung eines siebentägigen (Teil-)Urlaubes auf die ihr nach dem oben Gesagten für weitere 18 Urlaubstage zustehende Urlaubsabfindung verzichtet hätte. Ein solcher noch während des aufrechten Arbeitsverhältnisses erklärter Verzicht müßte aber angesichts der gesetzlichen Unabdingbarkeit der aus dem Urlaubsgesetz abgeleiteten Rechte (§ 12 UrlG) als rechtsunwirksam angesehen werden (Arb. 9693 = SozMIAC 189; Klein - Martinek aaO 132 § 12 Anm. 5.1). Daraus folgt aber zugleich, daß die Klägerin mit ihrem Begehren nach Zahlung einer Urlaubsabfindung auch nicht "wider Treu und Glauben gehandelt" oder "gegen die guten Sitten verstoßen" hat.

Verfehlt ist schließlich auch die Meinung der Beklagten, die Klägerin habe mit der - im übrigen noch vor dem Empfang der Abrechnung abgegebenen - "Entfertigungserklärung" vom 31. 3. 1980 auf alle noch offenen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, also auch auf die hier eingeklagte Urlaubsabfindung, verzichtet. Die Erklärung der Klägerin, daß ihre "sämtlichen Ansprüche aus diesem Dienstverhältnis .... befriedigt" seien, weshalb sie "keine wie immer gearteten Ansprüche gegen die Beklagte erheben" könne, bringt zunächst nicht mehr zum Ausdruck als die Meinung der Klägerin, die ihr gebührenden Leistungen im vollen Umfang erhalten zu haben. Sie ist also ihrem Wortlaut nach eine reine Wissenserklärung, nämlich nichts anderes als eine Quittung iS des § 1426 ABGB (Strasser, Der Verzicht auf unabdingbare arbeitsrechtliche Ansprüche, RdA 1955 H 15, 13 ff., 15; Bydlinski, Willens- und Wissenserklärungen im Arbeitsrecht, ZAS 1976, 83 ff., 126 ff.). Nun kann freilich auch eine Erklärung, die ihrem isoliert betrachteten Wortlaut nach eine bloße Wissenserklärung über die - nach Ansicht des Erklärenden - bestehende Rechtslage ist, ungeachtet ihrer rein deklarativen Formulierung im Einzelfall sehr wohl auch einen bestimmten Rechtsgestaltungswillen dokumentieren (Bydlinski aaO 84, 127; Arb. 9575 = JBl 1978, 48). Hält man sich aber vor Augen, daß der Arbeitnehmer bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses regelmäßig gar keinen Anlaß hat, auf irgendwelche Forderungen, die er gegen den Arbeitgeber hat (oder auch nur haben könnte), unentgeltlich zu verzichten, dann darf auch der Arbeitgeber vernünftigerweise nicht ohne weiteres mit einem solchen Verzichtswillen des Arbeitnehmers rechnen. Um aus einer "Entfertigungserklärung", wie sie hier vorliegt, über ihren Wortlaut hinaus einen (schlüssigen) Verzicht des Arbeitnehmers ableiten zu können, bedarf es deshalb besonderer Umstände, die bei sorgfältiger Prüfung aller Umstände des Falles keinen Grund daran zu zweifeln offen lassen (§ 863 ABGB), daß der Arbeitnehmer damit auf einzelne oder alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verzichten wollte (Strasser aaO; Bydlinski aaO). Da derartige Umstände hier weder von der Beklagten behauptet worden noch im Verfahren hervorgekommen sind, der bloße Wortlaut der Erklärung aber einen schlüssigen Anspruchsverzicht der Klägerin keineswegs zweifelsfrei erkennen läßt, steht auch diese Erklärung einem Erfolg des Klagebegehrens nicht entgegen.

Der berechtigten Revision der Klägerin war daher Folge zu geben und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das stattgebende Urteil der ersten Instanz wiederhergestellt wird.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte