OGH 6Ob645/81

OGH6Ob645/8127.1.1982

SZ 55/7

Normen

ABGB §970
ABGB §970

 

Spruch:

Durch die zum Zwecke der Garagierung eines PKW erfolgte Übergabe der Wagenschlüssel an einen Bediensteten, der Fremde beherbergt, übernimmt der Gastwirt die der Höhe nach unbeschränkte Verwahrungspflicht als selbständige Nebenpflicht des Gastaufnahmevertrages

OGH 27. Jänner 1982, 6 Ob 645/81 (LGZ Wien 42 R 32/81; BG Innere Stadt Wien 34 C 1025/76)

Text

Der Kläger brachte vor, er habe in der Nacht vom 7. bis 8. 9. 1975 im Hotel der Beklagten logiert. Der Wagenmeister der Beklagten habe ihm bei der Ankunft mitgeteilt, er werde den PKW Mercedes in der Garage "unterstellen". Der Wagenmeister habe nicht erwähnt, daß "die Unterstellung" nicht in einer zum Hotel gehörigen Garage, sondern in der A-Garage erfolgen werde. Der Kläger habe angenommen, daß es sich um eine hoteleigene Garage handle. Der Wagenmeister habe erklärt, der Kläger solle nur das notwendigste Gepäck dem PKW entnehmen, das restliche Gepäck könne im PKW verbleiben, dies geschehe immer so, in der Garage sei noch nie etwas abhanden gekommen. Der Kläger habe dem Wagenmeister den Schlüssel des PKW gegeben. Erst am nächsten Tag habe der Kläger erfahren, daß der PKW nicht in einer hoteleigenen Garage, sondern in der A-Garage eingestellt worden sei, die von der Beklagten zur Einstellung der Kraftfahrzeuge der Hotelgäste benützt werde. Der Kläger habe feststellen müssen, daß alle Fenster des PKW geöffnet und die Türen nicht verschlossen gewesen seien. Er habe sofort bemerkt, daß ein Koffer abhanden gekommen sei und habe dies der Hotelleitung gemeldet. Durch das Abhandenkommen des Koffers mit den in der Klage näher bezeichneten Gegenständen sei ihm ein Schaden in der Höhe von 14 699.09 DM entstanden. Die Beklagte hafte gemäß § 970 ABGB. Eine Begrenzung der Haftung finde nicht statt, weil ein Verschulden des Wagenmeisters gegeben sei, da er den Kläger nicht darauf hingewiesen habe, daß der Wagen nicht in einer hoteleigenen Garage eingestellt werde und alle Sachen aus dem PKW entfernt werden müßten, wie dies der Anleitung des Garagenbesitzers entsprochen habe. Die Haftungsbegrenzung sei auch deshalb nicht gegeben, weil die Beklagte als Unternehmer iS des § 970 Abs. 2 ABGB anzusehen sei. Es liege ein Verschulden des Wagenmeisters vor, für welches die Beklagte zu haften habe.

Der Kläger begehrte daher von der Beklagten die Bezahlung von 14

618.89 DM samt Anhang.

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein: Der Kläger habe mit der Beklagten lediglich einen Beherbergungsvertrag abgeschlossen, den PKW aber nicht eingebracht. Der PKW sei lediglich unter Vermittlung des Wagenmeisters als Privatperson in einer Garage eingestellt worden. Der Wagenmeister habe vor Übergabe des PKW den Kläger ausdrücklich aufmerksam gemacht, daß keine Gegenstände im Fahrzeug verbleiben dürften. Nichtsdestoweniger habe der Kläger "angeblich" einen Koffer im Wagen liegenlassen, wodurch sicherlich ein grobes Mitverschulden seinerseits gegeben sei. Der Kläger habe nicht damit rechnen dürfen, daß sich der Beherbergungsvertrag auch auf das Fahrzeug erstrecke. Die Höhe des Klagebegehrens werde bestritten, weil der Kläger jeweils die Preise für neu angeschaffte Sachen aus dem Titel des Schadenersatzes begehre, es sich aber durchwegs um bereits vor längerer Zeit gekaufte und somit gebrauchte Gegenstände gehandelt habe. Der Koffer sei nicht als eingebracht zu betrachten, weil der Garagenunternehmer im selben Umfang hafte.

Das Erstgericht sprach dem Kläger den Gegenwert von 6537 DM in österreichischen Schilling samt Anhang zu und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Im Jahre 1975 hielt sich der Kläger zunächst mit Vera H in Spanien auf und flog anschließend mit ihr zur Jagdsafari nach Afrika. Unterdessen hatte er seinen PKW Mercedes in Frankfurt abgestellt. Er verlud nach seiner Rückkehr das gesamte Gepäck, welches er sowohl für den Spanienaufenthalt als auch für die Jagdsafari benötigte, in seinen PKW, wobei aus Platzmangel auch Gepäckstücke im Fond des Fahrzeuges verstaut werden mußten. Nachdem der Kläger bereits am 1. 7. 1975 bei der beklagten Partei ein Zimmer für den 7. 9. 1975 vorgebucht hatte, kam er am Abend des 7. 9. 1975 gemeinsam mit Vera H bei der Beklagten an. Da er ursprünglich nur eine Nacht in deren Hotel verbringen wollte, fragte er den Wagenmeister, ob in der Garage noch Platz frei sei und ob das Gepäck im Wagen verbleiben könne. Dieser bejahte beides. Daraufhin ließ der Kläger von einem Gepäckträger lediglich einen Koffer und eine Reisetasche aus dem Fahrzeug holen und auf sein Zimmer bringen. Sein Fahrzeug mit den Wagenschlüsseln vertraute er dem Wagenmeister H an. Der Wagenmeister der Beklagten unterließ es, den Kläger darauf hinzuweisen, daß keine Gegenstände bei der Garagierung in den Fahrzeugen verbleiben dürften. Er verständigte von der Portierloge aus den Garagenmeister der A-Garage, der den PKW des Klägers abholte. Das Fahrzeug wurde in der A-Garage entsprechend gesetzlichen Vorschriftenunversperrt und mit steckendem Zundschlüssel abgestellt. Nachdem der Kläger am nächsten Tag vom Portier der Beklagten verständigt worden war, daß er Opernkarten besorgt hätte, entschloß er sich, seinen Aufenthalt um einen Tag zu verlängern und wollte gemeinsam mit Vera H Bekleidungsstücke aus seinem Fahrzeug holen. Als sie erfuhren, daß dieses nicht in einer hoteleigenen Garage untergebracht war, waren sie sehr erstaunt und begaben sich zu der vom Portier bezeichneten A-Garage. An Ort und Stelle mußten sie feststellen, daß die Fensterscheiben des PKW heruntergekurbelt waren und das Fahrzeug unversperrt war. Außerdem fiel ihnen auf, daß einer von mehreren am Rücksitz deponierten Koffern, und zwar ein Mädler Koffer im Ausmaß 75 x 52 x 24 fehlte. Dieser Koffer samt Inhalt hatte einen Zeitwert von 6537 DM.

Als der Kläger das Fehlen des Koffers merkte, erstattete er sofort Meldung an den Direktionsassistenten der Beklagten Herbert S, der sich mit ihm zum PKW begab. Dort überzeugte sich Herbert S davon, daß sich nur mehr drei Koffer im Fond des klägerischen PKW befanden; vom Wagenmeister H wurde ihm bestätigt, daß sich beim Abstellen des PKW vier Koffer im Fond des Wagens befunden hätten.

Der Zeuge fertigte ein Gedächtnisprotokoll über den Vorfall an und fragte den Kläger, was sich im Koffer befunden habe.

Dieser erklärte, erst nach Auspacken der weiteren Koffer feststellen zu können, was im verschwundenen Koffer gewesen sei. An Ort und Stelle packte der Kläger weder das weitere Gepäck aus noch ließ er dieses ins Hotel bringen. Er ließ vielmehr die drei Koffer weiter im Fond des unversperrten PKW.

Am Abend desselben Tages besuchte der Kläger mit seiner Begleiterin die Oper und setzte am 9. 9. 1975 die Reise nach Budapest fort. Dort stellten sie beim Auspacken des gesamten Gepäcks fest, was in dem klagsgegenständlichen Koffer sich befunden hatte.

Am 19. 2. 1976, ein halbes Jahr nach dem Vorfall, sandte der Kläger eine Liste samt Belegen über die angeblich im Koffer befindlichen Gegenstände an die beklagte Partei.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, daß den Wagenmeister der Beklagten ein Verschulden am Abhandenkommen des Koffers treffe, wofür die beklagte Partei gemäß § 1313a ABGB einzutreten habe. Der Kläger habe daher Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens gemäß § 1295 ABGB im Umfang des § 1323 ABGB, wobei der Schätzwert, der von der Beklagten zu ersetzen wäre, jener Wert wäre, den eine neue Sache gleicher Art zur Zeit der Beschädigung nach Abzug der verhältnismäßigen Abnützungsquote hätte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es übernehme die Feststellungen des Erstgerichtes und führte zur Rechtsrüge der Beklagten aus, diese habe für das Verschulden ihres Wagenmeisters gemäß § 1313a ABGB einzutreten. Der Wagenmeister hätte den Kläger zumindest darauf aufmerksam machen müssen, daß das Fahrzeug in einer öffentlichen Garage abgestellt werde und Gepäckstücke nicht im Fahrzeug verbleiben dürften, zumal der Kläger den Wagenmeister ausdrücklich gefragt habe, ob die Koffer im Fahrzeug verbleiben könnten oder nicht. Dies stelle eine Verletzung der zweifellos bestehenden Schutz-, Sorgfalts- und Aufklärungspflichten beim Abschluß eines Beherbergungsvertrages dar, weshalb das Verhalten rechtswidrig sei. Die ordnungsgemäße Garagierung durch den Wagenmeister sei als Nebenverpflichtung zum Beherbergungsvertrag zu verstehen. Die Beklagte wäre zur sorgfältigen Verwahrung verpflichtet gewesen und habe gegen vertragliche Nebenpflichten verstoßen, zumal der Rücksitz eines offenen PKW wohl keineswegs als tauglicher Aufbewahrungsort eines Koffers anzusehen sei, sofern das Fahrzeug in einer öffentlichen Garage abgestellt und nicht versperrt werden soll. Die Berufungsausführungen, wonach die Kausalität fehle, seien nicht überzeugend. Für die Vermutung, der Kläger hätte selbst dann die Koffer im Wagen gelassen, wenn der Wagenmeister seinen Aufklärungspflichten nachgekommen wäre, fehle jeder gesicherte Hinweis; es entferne sich die Berufung insoweit vom festgestellten Sachverhalt. Was die Schadensberechnung betreffe, so sei auch diesbezüglich dem Erstgericht kein Rechtsirrtum unterlaufen. Die Heranziehung des Einkaufswertes unter Einrechnung eines für die Abnützung angemessenen Abschlages zur Berechnung des Schadens entspreche durchaus den Bestimmungen des § 1323 ABGB.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Gastwirte, die Fremde beherbergen, haften nach den Bestimmungen der §§ 970 ABGB ff. für Schäden an den eingebrachten Sachen, außer sie können beweisen, daß der Schaden weder von ihnen noch von ihren Leuten verschuldet noch von fremden, im Haus aus- und eingehenden Personen verursacht wurde. Eingebracht sind Sachen, die dem Wirt oder einem seiner Leute übergeben oder an einen von diesen angewiesenen oder bestimmten Ort gebracht worden sind. Von dieser Einbringung zu unterscheiden ist die Übergabe der Sachen zur Verwahrung. Während die Haftung des Gastwirtes für eingebrachte Sachen nämlich nach dem Gesetz BGBl. 638/1921 idF BGBl. 259/1951 auf insgesamt 3000 S beschränkt ist, fällt diese Schranke weg, wenn die Sache zur Aufbewahrung übergeben worden ist oder den Unternehmer oder seine Leute ein Verschulden trifft (vgl. Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II, 292; SZ 49/10). Nicht zum Tragen kommt diese Schranke nach dem genannten Gesetz zugunsten der Unternehmer von Stallungen und Aufbewahrungsräumen, die gemäß § 970 Abs. 2 Satz 2 ABGB hinsichtlich der Haftung grundsätzlich den Gastwirten iS des Abs. 1 gleichgestellt sind und für die Fahrzeuge und die darin befindlichen Sachen haften (vgl. Koziol aaO, 288). Im Falle der Übernahme von Sachen zur Verwahrung durch den Gastwirt oder eine Person, die nach den Umständen bevollmächtigt erscheint, kann sich der Gastwirt von der (vollen) Haftung nur befreien, wenn er den im § 970 Abs. 1 ABGB genannten Beweis erbringt, daß also weder ihn noch seine Leute ein Verschulden an dem Schaden trifft und auch keine Verursachung des Schadens durch fremde, im Haus ein- und ausgehende Personen vorliegt.

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, dann ist zunächst festzuhalten, daß durch die festgestellte Übernahme des PKW samt Schlüsseln durch den Wagenmeister der Beklagten zur Verwahrung in der Garage, von welcher der Kläger gar nicht wußte, wo sie sich befand, eine besondere Verwahrung im Vergleich zur üblichen Einbringung vorliegt. Während bei letzterer dem Gast nur ein Raum zur Verfügung gestellt wird, dessen sich der Gast auf eigene Gefahr bedienen kann (vgl. Staudinger, BGB[12], Rdz. 35 vor § 688), erlangte der Wagenmeister der Beklagten durch die Übergabe des Wagens und der Wagenschlüssel die tatsächliche Verfügungsgewalt über den PKW und war dem Kläger die Möglichkeit genommen, selbst für Diebstahlssicherung oder gegen Beschädigung Vorsorge zu treffen (vgl. Staudinger aaO, Rdz. 28 vor § 688 mwN). Da auch nicht bezweifelt werden kann, daß der Wagenmeister der Beklagten zu einer solchen Übernahme des Wagens zur Verwahrung bevollmächtigt erscheinen mußte, ist bezüglich des PKW und seines Inhaltes eine Verwahrungspflicht zumindest als selbständige Nebenpflicht der Beklagten entstanden. Ohne Bedeutung ist dabei die Frage des Entgeltes für die Verwahrung, weil das Gesetz die unbeschränkte Haftung hinsichtlich der zur Verwahrung übernommenen Sachen nicht von einem Entgelt für diese Verwahrung abhängig macht. An dieser durch die Übernahme zur Verwahrung eingetretenen Haftung iS des § 970 ABGB ohne die Beschränkung nach dem Bundesgesetz BGBl. 638/1921 idF des Bundesgesetzes BGBl. 259/1951 hat sich durch die Veranlassung des Wagenmeisters der Beklagten, daß der PKW in der A-Garage, welche nicht von der Beklagten betrieben wird, eingestellt wurde und in welcher es zum festgestellten Verlust der Sachen des Klägers gekommen ist, nichts geändert. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob und bejahendenfalls durch welche Maßnahmen der Gastwirt iS des § 970 Abs. 1 ABGB die spezifische Gefahr des offenen Hauses (vgl. Koziol aaO, 291) beseitigen und damit die Haftung nach den §§ 970 ff. ABGB ausschließen kann. Keinesfalls konnte dies dadurch geschehen, daß der zur Verwahrung übernommene PKW in eine Garage gebracht wurde, zu der verschiedene Personen Zutritt hatten, bei der also ebenfalls die "Gefahr des offenen Hauses" bestand. Die Beklagte haftet daher zumindest so, wie wenn sie den PKW in eine von ihr betriebenen Garage gestellt hätte. Dazu gehört auch die Haftung für von fremden, im Haus aus- und eingehenden Personen verursachte Schäden. Da die Beklagte nicht einmal behauptet hat, der Schaden sei nicht durch solche Personen verursacht worden, sie in dieser Richtung also den möglichen Freibeweis gar nicht angetreten hat, muß davon ausgegangen werden, daß der Schaden durch eine solche Person verursacht wurde. Dies führt zur Bejahung der Haftung der Beklagten für den festgestellten Verlust der Sachen des Klägers, ohne daß es einer Prüfung in der Richtung bedarf, ob die Beklagte oder ihre Leute rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben.

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