OGH 1Ob780/81

OGH1Ob780/8116.12.1981

SZ 54/188

Normen

ABGB §918 Abs2
ABGB §918 Abs2

 

Spruch:

Der Grundsatz, daß ein Vertragsteil wegen einer bei Erfüllung eines Vertrages durch den anderen Vertragsteil unterlaufenen Verzögerung nicht von einem anderen zwischen denselben Parteien abgeschlossenen Vertrag zurücktreten darf, gilt nicht bei einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen zwei Verträgen; dieser rechtfertigt die rechtliche Behandlung beider Verträge wie einen einzigen, so daß der vertragstreue Teil in sinngemäßer Anwendung des § 918 Abs. 2 ABGB auch vom zweiten Vertrag zurücktreten kann, obwohl der Vertragspartner bei Erfüllung dieses Vertrages noch nicht im Verzug ist

OGH 16. Dezember 1981, 1 Ob 780/81 (LGZ Wien 45 R 434/81; BG Schwechat C 103/80 )

Text

Der Beklagte bestellte für sein Haus in L, das er auf einer ihm und seiner Lebensgefährtin je zur Hälfte gehörenden Liegenschaft errichten ließ, bei der klagenden Partei am 8. April 1979 ein Vollwärmeschutzsystem samt Innenputz zum Preis von 150 330 S zuzüglich Umsatzsteuer und am 21. April 1979 eine B-Dacheindeckung mit Dachrinnen, für die die klagende Partei 60 489.40 S verrechnete.

Die klagende Partei begehrte mit zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen Zahlung des restlichen Werklohns für die Dacheindeckung in der Höhe von zuletzt 10 620 S samt Anhang (C 103/80 des Erstgerichtes) und Zahlung von 44 347.35 S samt Anhang als Aufwandsersatz und Verdienstentgang wegen grundloser Abbestellung des Vollwärmeschutzsystems samt Innenputz durch den Beklagten (C 160/80 des Erstgerichtes).

Der Beklagte beantragte Abweisung beider Klagebegehren und wendete ein, daß die klagende Partei die Mängel der Dachdeckung trotz Aufforderung drei Monate hindurch nicht behoben habe, so daß er zur Ersatzvornahme durch einen anderen Unternehmer gezwungen gewesen sei. Infolge dieser Säumnis habe er jedes Vertrauen zur klagenden Partei verloren, weshalb er den Vollwärmeschutz samt Innenputz abbestellt habe. Außerdem habe er im November 1979 das Haus verkauft, weshalb er auch nicht mehr in der Lage sei, den Auftrag durchführen zu lassen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zu C 103/80 des Erstgerichtes - insoweit rechtskräftig - ab und gab dem Klagebegehren zu C 160/80 des Erstgerichtes mit Ausnahme der unbekämpft gebliebenen Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens statt. Es stellte fest, daß die klagende Partei die Dacheindeckung im Juli 1979 ausgeführt habe. Der Beklagte und seine Lebensgefährtin Ilse S hätten Mängel festgestellt. Ilse S habe persönlich und telefonisch bei der klagenden Partei die ungleiche Farbtönung und die teilweise schlechte Verlegung bemängelt und Behebungsfristen gesetzt. Am 19. Juli 1979 habe ein Angestellter der klagenden Partei im Auftrage des Geschäftsführers die bemängelten Arbeiten besichtigt und Ausblühungen an den Dachsteinen festgestellt. Wegen der bemängelten Dachsteine habe sich die klagende Partei an die Firma B gewendet, die erklärt habe, daß die Ausblühungen nach einigen Regenfällen von selbst vergehen würden. Am 6. August 1979 habe der Beklagte schriftlich bemängelt, daß die Dachziegel ausgebleicht seien, die Vermauerung der Firste nicht fachgerecht erfolgt sei, beim Rauchfang Wasser eindringe und das ganze Dach bei Sturm klappere. Er habe eine Verbesserungsfrist bis 13. August 1979 gesetzt. Nachdem dieses Schreiben bei der klagenden Partei eingegangen sei, habe Ing. Heinz N ein Antwortschreiben verfaßt, das aber auf Weisung des Geschäftsführers der klagenden Partei nicht abgeschickt worden sei, weil man erwartete, daß die Firma B die Sache erledigen werde. Die klagende Partei habe von sich aus nichts mehr unternommen. Sie habe auch das Schreiben des Beklagten vom 7. Oktober 1979, in dem er darauf hingewiesen hatte, daß die Dacheindeckung nach dreimonatiger Wartezeit noch nicht in Ordnung gebracht worden sei, weshalb er zur Ersatzvornahme gezwungen sei, unbeantwortet gelassen. Der Beklagte habe sich vor der Ersatzvornahme durch den Dachdeckermeister Josef S ein Privatgutachten erstellen lassen. Im schriftlichen Gutachten vom 5. Oktober 1979 habe der Sachverständige ausgeführt, daß die ungleiche Tönung der zur Eindeckung verwendeten Dachsteine darauf zurückzuführen sei, daß es sich sehr wahrscheinlich um Restziegel von verschiedenen Baustellen handle. Er habe festgestellt, daß die unfertigen Firste und Grate mit durchgefärbtem Mörtel noch verputzt, der Grat gartenseitig zum Haus 13, bei dem der erste Gratstein um 10 cm zu tief angesetzt worden sei, geöffnet, die vorstehende Gratlatte abgeschnitten und die Gratziegel richtig in Mörtel versetzt werden müßten. Er habe im Gutachten die Kosten der Fertigstellungsarbeiten mit 6000 S zuzüglich 18% Umsatzsteuer beziffert. Der Beklagte habe hierauf den Dachdeckermeister Josef S mit der Verbesserung beauftragt, die dieser am 8. Oktober 1979 durchgeführt habe. Für das Privatgutachten habe Josef S 3540 S und für die Dacheindeckung 6000 S + 18% Umsatzsteuer verlangt, so daß der Beklagte an ihn insgesamt einen Betrag von 10 620 S bezahlt habe.

Diesen Betrag habe er von der Rechnung der klagenden Partei abgezogen. Für die Ausführung des Vollwärmeschutzes und des Innenputzes sei ein bestimmter Ausführungstermin nicht vereinbart worden, da vorerst der Rohbau fertiggestellt werden sollte. Es sei jedoch geplant gewesen, die Arbeiten, noch im Jahr der Bestellung, also 1979, auszuführen. Die vorgedruckten Auftragsbedingungen hätten die Bestimmung enthalten, daß die Auftragserteilung unwiderruflich erfolge. Zur Durchführung der bestellten Verputzarbeiten sei es nicht gekommen, weil der Beklagte und seine Lebensgefährtin wegen der Arbeiten der klagenden Partei bei der Dacheindeckung unzufrieden und verärgert gewesen seien. Die Lebensgefährtin des Beklagten habe, als sie am 17. Oktober 1979 vom Auslieferungslager der klagenden Partei angerufen und gefragt worden sei, wann der Verputz gemacht werden könne, erklärt, daß der Beklagte und sie diesen nicht mehr machen ließen. Der Anrufer könne vom Geschäftsführer P der klagenden Partei den Grund hiefür erfahren. Der Beklagte und seine Lebensgefährtin hätten die Liegenschaft samt Rohbau im November 1979 verkauft, gegenüber dem Käufer aber nichts von dem bei der klagenden Partei bestellten Außen- und Innenputz erwähnt. Der Beklagte habe auch die klagende Partei vom Hausverkauf vorerst nicht verständigt. Als die klagende Partei am 10. Jänner 1980 abermals um Benachrichtigung, wann sie den bestellten Vollwärmeschutz ausführen könne, ersuchte, erhielt sie die Durchschrift des Schreibens mit dem am 28. Jänner 1980 gesetzten Vermerk: "Will stornieren" zurück. Im Frühjahr 1980 habe der Beklagte einem wegen der Verputzarbeit nachfragenden Vertreter der klagenden Partei erklärt, daß er das Haus verkauft habe und mit Rücksicht auf die mangelhaften Dachdeckerarbeiten den Verputz nicht mehr machen lassen könne.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß das Verhalten der klagenden Partei bei Durchführung des Auftrages zur Dacheindeckung eine Abbestellung der anderen Arbeiten nicht rechtfertige. Der Beklagte wäre durch die gesetzlichen Gewährleistungsbedingungen genügend abgesichert gewesen, wenn die klagende Partei auch die Verputzarbeiten mangelhaft ausgeführt hätte. Der klagenden Partei stehe daher gemäß § 1168 Abs. 1 ABGB das vereinbarte Entgelt zu, so daß sie jedenfalls den Ersatz der getätigten Aufwendungen (bereits ausbezahlte Vertreterprovision) und des erlittenen Verdienstentganges (mindestens 5% der Auftragssumme) verlangen könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und änderte das -angefochtene Urteil dahin ab, daß es das auf Zahlung von 44 347.35 S samt Anhang gerichtete Klagebegehren (C 160/80 des Erstgerichtes) abwies. Es war der Ansicht, daß dem Unternehmer gemäß § 1168 ABGB das vereinbarte Entgelt gebühre, wenn er zur Leistung bereit sei und durch Umstände, die auf seiten des Bestellers lägen, daran verhindert worden sei. Er müsse sich nur anrechnen lassen, was er infolge Unterbleibens der Arbeiten erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt habe. Dieser beschränkte Entgeltanspruch stehe dem Unternehmer immer nur dann zu, wenn die Verhinderung in Umständen ihren Grund habe, die auf Seite des Bestellers lägen. Voraussetzung sei aber stets, daß nicht ein Verschulden des Unternehmers unterlaufen sei. Die vom Beklagten mit der klagenden Partei zu verschiedenen Zeiten abgeschlossenen Werkverträge stunden in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang, zumal die Durchführung des früher erteilten Werkauftrages von der Vollendung der Arbeiten im Rahmen des später erteilten abhängig sei. Die klagende Partei habe sich bei Durchführung der Dachdeckerarbeiten mehrfach vertragswidrig verhalten. Sie habe trotz sofortiger telefonischer und späterer schriftlicher Mängelrüge nur eine Besichtigung durch einen Angestellten veranlaßt, jedoch keinerlei Maßnahmen zur Mängelbehebung gesetzt, bis sie der Beklagte schließlich durch einen anderen Dachdecker beheben ließ. Die Unterlassung der Mängelbehebung trotz wiederholter Aufforderung stelle ein schuldhaftes vertragswidriges Verhalten dar, das den Beklagten berechtigt habe, von dem noch offenen Werkvertrag abzugehen und eine weitere Tätigkeit der klagenden Partei abzulehnen. Die Ausführung des Werkes sei sohin nicht durch Umstände unterblieben, die auf Seite des Bestellers lagen; vielmehr habe der Beklagte infolge des vertragswidrigen Verhaltens der klagenden Partei deren weitere Tätigkeit zu Recht abgelehnt. Die klagende Partei habe daher keinen Entgeltanspruch. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß der Auftrag unwiderruflich erteilt worden sei, da diese Klausel nur dahin verstanden werden könne, daß sie für den Fall des vertragskonformen Verhaltens der klagenden Partei Geltung haben sollte.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Rechtsrüge stützt die Revisionswerberin darauf, daß ihr Entgeltanspruch aufrecht geblieben sei, weil das ihr angelastete Verschulden nicht jenes Rechtsgeschäft betreffe, bei dem die Abbestellung erfolgt sei. Grundsätzlich kann allerdings ein Vertragsteil wegen einer bei Erfüllung eines Vertrages durch den anderen Vertragsteil unterlaufenen Verzögerung nicht von einem anderen zwischen denselben Parteien abgeschlossenen Vertrag zurücktreten (SZ 8/279; vgl. hingegen die von Ehrenzweig[2] II/1, 207 FN 13 erwähnte Ausnahmebestimmung des § 2 der KaisV vom 12 Juni 1915, RGBl. 158, für Militärlieferungsverträge, bei denen, wenn den Lieferanten ein Verschulden traf, der Staatsschatz von anderen mit dem Militärlieferanten geschlossenen Verträgen zurücktreten konnte). Auch im vorliegenden Fall schlossen die Streitteile über verschiedene, am Haus des Beklagten und seiner Lebensgefährtin vorzunehmende Arbeiten am 8. April und 21. April 1979 getrennte Verträge ab. Nicht zuletzt durch die Bestimmung einer zeitlichen Reihenfolge der Ausführung - die Verputzarbeiten sollten noch im Jahr der Bestellung (1979), aber erst nach Fertigstellung des Rohbaus (und damit nach der später bestellten Dacheindeckung) vorgenommen werden - wurden aber die beiden auch in engem sachlichem Zusammenhang stehenden Verträge so miteinander verknüpft, daß sie rechtlich so zu behandeln sind, als wären sie zum selben Zeitpunkt geschlossen worden. Wären die vereinbarten Werkleistungen Gegenstand desselben Vertrages gewesen, wäre die Regel des § 918 Abs. 2 ABGB unmittelbar anzuwenden, da dann ein Vertrag vorläge, der von beiden Seiten in voll brauchbaren (vgl. dazu Bydlinski in Klang[2] IV/2, 199) Teillieferungen zu erfüllen war. Der enge sachliche und zeitliche Zusammenhang zwischen beiden Verträgen rechtfertigt für Fälle wie den vorliegenden die sinngemäße Anwendung dieser Regel, gilt doch das Motiv für die Einführung des § 918 Abs. 2 ABGB, daß der Gläubiger "an den unverläßlichen Kontrahenten für die Zukunft nicht mehr gebunden sein" soll (HHB, 165; Koziol - Welser[5] I, 203), in einem solchen Fall nicht minder.

Ist die Erfüllung eines Vertrages auf beiden Seiten teilbar, kann nach § 918 Abs. 2 ABGB der vertragstreue Teil, wenn nach seinen Erfahrungen anläßlich der Erbringung der ersten Teilleistung die vertragsgemäße Bewirkung der späteren Teilleistung in Frage gestellt ist, für die noch ausstehende Teilleistung vom Vertrag zurücktreten; er erhält also das Recht, den Rücktritt für eine Leistung zu erklären, mit der der Vertragspartner noch gar nicht im Verzug ist (Koziol - Welser[5] I, 203; Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 464). Dies gilt mangels Sonderregelung auch für den Werkvertrag (vgl. Adler - Höller in Klang[2] V, 423).

Aus der sinngemäßen Anwendung des § 918 Abs. 2 ABGB auf den vorliegenden Fall folgt, daß der Beklagte berechtigt war, wegen der verzögerten Erfüllung der zunächst zu erbringenden Leistung vom Vertrag über die Anbringung eines Vollwärmeschutzsystems samt Innenputz abzugehen. Die monatelange Verzögerung der von ihm geforderten Verbesserung war nicht nur auf das Versagen eines Erfüllungsgehilfen, sondern auch darauf zurückzuführen, daß der Geschäftsführer der klagenden Partei selbst einem Angestellten den Auftrag erteilte, das Schreiben des Beklagten, mit dem er (neuerlich) Mängel geltend machte, nicht zu beantworten und die Sache der Firma B, die nicht Vertragspartnerin des Beklagten war, zu überlassen. Damit liegt auch nicht der von Ehrenzweig (a.a.O., 207) erwähnte Fall vor, daß dem Gläubiger das Recht, vom ganzen noch unerfüllten Vertrag zurückzutreten, wohl dann zu versagen sei, wenn die Verzögerung der einzelnen Teilleistungen ihren Grund in besonderen Umständen hat, die für die künftigen Leistungen nicht in Betracht kommen. Im vorliegenden Fall ist vielmehr durch das Verhalten der klagenden Partei ein Vertrauensverlust eingetreten, der den Beklagten mit Recht befürchten ließ, es könnte ihm bei der Ausführung des zweiten Werkes ähnlich ergehen. Ein wichtiger Grund zur Vertragsaufhebung (Gschnitzer a.a.O., 464) lag damit vor. Die Möglichkeit, die eigene Leistung bis zur Erlangung eines mängelfreien zweiten Werkes zurückzuhalten, bot in dieser Situation keinen ausreichenden Schutz der Interessen des Bestellers, dessen Vertrauen, daß der zweite Werkvertrag rechtzeitig und einwandfrei erfüllt werde, zerstört war. Damit stehen der klagenden Partei aus der "Abbestellung" keine Entgeltansprüche zu.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte