OGH 6Ob814/81

OGH6Ob814/8116.12.1981

SZ 54/192

Normen

AußstrG §9
JWG §26
AußstrG §9
JWG §26

 

Spruch:

Das Einverständnis der Erziehungsberechtigten zur einstweiligen freiwilligen Heimunterbringung eines Kindes schließt nicht aus, daß eine solche Erziehungshilfemaßnahme durch pflegschaftsgerichtlichen Beschluß abgesichert wird. Gegen einen solchen Beschluß steht dem Erziehungsberechtigten trotz seines Einverständnisses das Rekursrecht zu

OGH 16. Dezember 1981, 6 Ob 814/81 (JGH Wien 15 R 21/81; JGH Wien 22 P 5/80)

Text

Heribert I wurde am 24. November 1977 in Wien geboren. Seine Mutter hatte am 23. Jänner 1971 Gustav Bruno L geheiratet. Diese Ehe wurde mit dem seit 2. Dezember 1977 rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 4. November 1977, 15 Cg 188/77-7, geschieden. Der geschiedene Ehemann der Mutter bestritt die Ehelichkeit. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien erkannte mit dem seit 5. Juni 1979 rechtskräftigen Urteil vom 20. April 1979, 8 Cg 708/79-6, daß das am 24. November 1977 geborene Kind kein Kind des Gustav Bruno L ist. Das Kind erhob am 20. November 1979 gegen den nunmehrigen Ehemann der Mutter, Heribert R, die Klage auf Feststellung seiner Vaterschaft. Das Verfahren über diese Klage ist zur Zahl 38 C 116/79 beim Bezirksgericht Innere Stadt anhängig. Heribert R hat bisher weder die Vaterschaft zu Heribert I im Sinne des § 163c ABGB formell anerkannt noch wurde seine Vaterschaft urteilsmäßig festgestellt. Die Mutter des Kindes befindet sich ebenso wie deren Ehemann seit 12. Jänner 1981 in Haft.

Der Magistrat der Stadt Wien beantragte mit dem am 21. Jänner 1981 beim Jugendgerichtshof Wien eingelangten Schriftsatz vom 16. Jänner 1981 in Ansehung des am 24. November 1977 geborenen Kindes die gerichtliche Erziehungshilfe durch Genehmigung der am 12. Jänner 1981 erfolgten Heimunterbringung anzuordnen.

Nach dem Antragsvorbringen lebten die Mutter und ihr Ehemann mehr als ein Jahr vor ihrer Festnahme, um dieser zu entgehen, unangemeldet und im Untergrund an verschiedenen Wiener Adressen, wurden in der Nacht vom 11. auf den 12. Jänner 1981 von der Polizei aufgegriffen und in die entsprechenden Gefangenenhäuser überstellt. In dieser Lage habe zwar die Mutter einer Überstellung des Kindes in das Zentralkinderheim zugestimmt. Ihr Ehemann habe aber seine Zustimmung zur Übernahme des Kindes in Gemeindepflege verweigert. Nach den weiteren Antragsbehauptungen habe der Jugendgerichtshof Wien zu 19 P 8/75 in Ansehung zweier Halbgeschwister des Kindes die gerichtliche Erziehungshilfe angeordnet und die im Jänner 1976 geborene Schwester des Kindes habe im November 1979 in das Kinderheim L aufgenommen werden müssen.

Der Ehemann der Mutter wurde nicht nur im Antrag des Jugendamtes als Vater des Kindes bezeichnet, er wurde auch vom Gericht als solcher am Verfahren beteiligt. Am 10. Feber 1981 gab er die Erklärung zu gerichtlichem Protokoll, derzeit mit der Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe und der Heimunterbringung des Kindes einverstanden zu sein.

Nach dem Erhebungsbericht des Jugendamtes vom 19. Feber 1981 war der Dreijährige bei seiner Aufnahme in das Heim (am 12. Jänner 1981) "ein blasses, anämisches, medizinisch nicht betreutes Kind".

Der Jugendgerichtshof Wien ordnete antragsgemäß die gerichtliche Erziehungshilfe an und genehmigte die am 12. Jänner 1981 erfolgte Heimunterbringung. Dies begrundete das Gericht mit der Zustimmung der Eltern, die sich beide in Haft befänden.

Die Mutter erhob gegen diesen Beschluß mit der Begründung Rekurs, daß sie sich mit der einstweiligen freiwilligen Heimunterbringung einverstanden erklärt habe. Nach einer vom Rekursgericht eingeholten Auskunft des Jugendamtes hat auch der Ehemann der Mutter am 25. Mai 1981 eine entsprechende schriftliche Zustimmungserklärung abgegeben.

Als Rekursinstanz bestätigte der Jugendgerichtshof Wien seinen erstinstanzlichen Beschluß.

Dabei unterstellte das Rekursgericht, daß Heribert I ein Kind des Ehemannes der Mutter sei und dieser als Erziehungsberechtigter weder zur Zeit der Antragstellung noch zur Zeit der erstinstanzlichen Entscheidung der ergriffenen Erziehungshilfemaßnahmen zugestimmt habe.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Mutter Folge, hob die vorinstanzlichen Entscheidungen auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach § 26 Abs. 1 Satz 3 JWG darf das Vormundschaftsgericht die gerichtliche Erziehungshilfe nur anordnen, wenn sie deshalb geboten ist, weil die Erziehungsberechtigten ihre Erziehungsgewalt mißbrauchen oder die damit verbundenen Pflichten nicht erfüllen. Zu den Erziehungsberechtigten zählen nach § 39 JWG die Eltern, wenn ihnen im Einzelfall nach bürgerlichem Recht ein Erziehungsrecht zusteht, der Vater eines unehelichen Kindes jedoch nur, wenn er die Sorge für den Minderjährigen tatsächlich ausübt. Auf das gerichtliche Verfahren finden gemäß § 34 Abs. 5 JWG die Vorschriften des Verfahrens außer Streitsachen unter Bedachtnahme auf die besonderen Regelungen der ersten vier Absätze des § 34 JWG Anwendung.

Heribert I gilt - nach den vom OGH ermittelten und eingangs dargelegten familienrechtlichen Verhältnissen - derzeit mangels einer im Sinne des § 163b ABGB wirksamen Vaterschaftsfeststellung des Ehemannes der Mutter als deren uneheliches, unter Amtsvormundschaft stehendes Kind. Pflege und Erziehung des Kindes kommen derzeit gemäß § 170 ABGB der Mutter allein zu.

Das Rekursgericht hat ohne die nach § 2 Abs. 2 Z. 5 AußStrG gebotene Untersuchung die Antragsbehauptung unterstellt, daß der Ehemann der Mutter der eheliche Vater des Minderjährigen sei und ihm als solchem ein Erziehungsrecht zustehe. Diese Annahme trifft aus den dargelegten Umständen nicht zu. Zulässigkeit und Notwendigkeit der vormundschaftsgerichtlich genehmigten Maßnahmen der Erziehungshilfe hat das Rekursgericht ausschließlich mit einem Verhalten des Ehemannes der Mutter begrundet. Dessen Stellungnahme zu den Erziehungshilfemaßnahmen kam aber keine rechtserhebliche Bedeutung zu. Die gegenteilige Annahme steht mit den zitierten Bestimmungen der §§ 26 und 39 JWG sowie der §§ 163b und 170 ABGB in einem augenfälligen Widerspruch.

Dem angefochtenen Beschluß haftet in dieser Hinsicht eine offenbare Gesetzwidrigkeit an, weil nicht die nach den konkreten Umständen des Falles abzuwägenden Notwendigkeiten und Zweckmäßigkeiten von Erziehungshilfemaßnahmen, sondern das Vorliegen einer gesetzlich unmißverständlich formulierten Anordnungsvoraussetzung unrichtig beurteilt wurden.

Mit dem Hinweis auf diese Gesetzeswidrigkeit allein ist aber das von der Mutter der Sache nach gerügte Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen für die gerichtliche Erziehungshilfe noch nicht dargetan.

Ein Mißbrauch der Erziehungsgewalt oder eine Vernachlässigung der Erziehungspflichten (§ 26 Abs. 1 JWG), die dazu führen, daß es dem Kind an der nötigen Erziehung fehlt (§ 25 Abs. 1 Wr. JWG), ist zwar nicht damit begrundbar, daß der Ehemann der Mutter aus Anlaß seiner und ihrer Inhaftierung einer Heimunterbringung des dreijährigen Kindes nicht zustimmte. Im Antrag des Jugendamtes, der seine Ergänzung im Erhebungsbericht vom 19. Feber 1981 gefunden hat, wurden nicht nur die Inhaftierung der Mutter und ihres Ehemannes als unmittelbarer Anlaß der wegen Gefahr im Verzug sofort getroffenen Erziehungshilfemaßnahme dargelegt, sondern auch die Pflegeverhältnisse und damit die Erziehungsbedingungen in der Zeit vor den am 12. Jänner 1981 erfolgten Verhaftungen als Vernachlässigung der Erziehungspflichten dargestellt und zur Illustration auf die Erziehungsverhältnisse der Geschwister des Minderjährigen hingewiesen.

Diese Umstände könnten einerseits einen Erziehungsnotstand im Sinne des § 26 Abs. 1 JWG begrunden und anderseits eine Heimunterbringung des Kindes als Maßnahme der Erziehungshilfe unabhängig vom jeweils widerruflichen Einverständnis der Erziehungsberechtigten erforderlich machen, um den gebotenen Erziehungserfolg sicherzustellen. In einem solchen Fall schließt das Einverständnis der Erziehungsberechtigten zur einstweiligen freiwilligen Heimunterbringung nicht aus, daß gegen den Willen der Erziehungsberechtigten, das heißt unabhängig von deren Einverständnis und daher unter Umständen auch ohne diese, eine Erziehungshilfemaßnahme in ihrem Bestand durch pflegschaftsgerichtlichen Beschluß abgesichert werde.

Diese Voraussetzungen für eine gerichtliche Erziehungshilfe im Sinne des § 26 JWG bedürfen allerdings in tatsächlicher Hinsicht noch einer ergänzenden Erhebung und Feststellung.

Die Vormundschaftssache war aus diesem Grund zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an den nach § 22 Abs. 1 Z. 2 lit. a JGG zuständigen Jugendgerichtshof Wien (wobei der im Antrag geltend gemachte Erziehungsnotstand gleichzeitig ein zuständigkeitsbegrundendes und ein maßnahmenrechtfertigendes Tatsachenelement darstellt) zurückzuweisen.

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