OGH 6Ob778/81

OGH6Ob778/814.11.1981

SZ 54/159

Normen

ABGB §936
ABGB §988
EheG §66
ABGB §936
ABGB §988
EheG §66

 

Spruch:

Bei Ausschluß der Umstandsklausel hat der Unterhaltsberechtigte die Gefahr einer Geldentwertung nur zu tragen wenn dies ausdrücklich vereinbart wurde. Eine Anpassung des Unterhaltsbetrages an den Kaufkraftverlust kann aber - anders als bei Wertsicherungsklauseln - nicht fortlaufend, sondern nur dann erfolgen, wenn die Geldentwertung ein solches Ausmaß angenommen hat, daß ein auffallendes Mißverhältnis zum Wert der Kaufkraft im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses eingetreten ist

OGH 4. November 1981, 6 Ob 778/81 (LGZ Wien 44 R 1009/81; BG Floridsdorf 1 C 2/80)

Text

Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil vom 6. April 1959 aus dem Verschulden des damaligen und auch nunmehrigen Beklagten geschieden. Anläßlich der Ehescheidung schlossen die Streitteile am 6. April 1959 einen Unterhaltsvergleich ab, der folgenden Wortlaut hat:

"Der Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin zu deren eigenen Handen mit Wirksamkeit vom 1. Mai 1959 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 200 S bei Exekution jeweils monatlich im vorhinein zu leisten, und zwar auch im Fall geänderter Verhältnisse."

Mit der vorliegenden Klage begehrte die Beklagte vom Kläger an Stelle des vergleichsweise vereinbarten Unterhaltes von 200 S ab Klagstag einen Unterhalt von 1000 S monatlich im wesentlichen mit der Begründung, die Lebenshaltungskosten seien seit Vergleichsabschluß so gestiegen, daß ein Betrag von 200 S heute einem solchen von 1000 S entspreche. Eine Aufwertung des vergleichsweise vereinbarten Unterhaltes sei trotz des Ausschlusses der Umstandsklausel zulässig.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen und wendete ein, dem Begehren stehe der Ausschluß der Umstandsklausel entgegen. Die Klägerin besitze überdies ein ausreichendes eigenes Einkommen, während der Beklagte für seine nur teilzeitbeschäftigte Gattin und zwei Kinder sorgepflichtig sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise Folge und verurteilte den Beklagten ab Klagstag zur Bezahlung eines Unterhaltsbetrages von 526 S monatlich an Stelle des mit Vergleich vereinbarten Unterhaltsbetrages von 200 S und wies das Mehrbegehren auf Zahlung von weiteren 474 S monatlich ab. Es stellte folgen den wesentlichen Sachverhalt fest: Zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses befand sich die Klägerin nach einer Herzoperation in sehr schlechtem Gesundheitszustand und ging keiner Erwerbstätigkeit nach. Vor Vergleichsabschluß errechnete der Richter an Hand der ihm vorliegenden Gehaltsauskunft einen über dem Betrag von 200 S liegenden, vom Beklagten zu leistenden Unterhaltsbetrag als der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung entsprechend. Die Klägerin erklärte jedoch, sie sei mit der Fortzahlung der vom Beklagten seit Aufhebung der Haushaltsgemeinschaft geleisteten Unterhaltszahlung von 50 S wöchentlich einverstanden, sodaß der vom Beklagten monatlich zu leistende Betrag mit 200 S festgesetzt wurde. Weder der Fall einer Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Klägerin noch der weiteren Sorgepflicht des Beklagten wurde ausdrücklich erörtert. Die Formulierung des Unterhaltsvergleiches, insbesondere der Worte "auch im Fall geänderter Verhältnisse", erfolgte durch den Richter. Der Richter belehrte den Beklagten dahingehend, daß eine Änderung seiner Einkommensverhältnisse keine Auswirkungen auf die Höhe seiner Unterhaltsverpflichtung haben könne. Die Auswirkung einer Geldentwertung auf die Unterhaltsbemessung wurde nicht erörtert. Der Verbraucherpreisindex II (1958 = 100) betrug für den April 1959 99.8, die verkettete Vergleichsziffer für Jänner 1980 262.4. Der Geldwert des Betrages von 200 S im April 1959 entspricht demnach einem solchen von 526 im Jänner 1980.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, der Ausschluß der Umstandsklausel schließe ein Erhöhungsbegehren aus dem Grund der Geldentwertung nicht aus, zumal der innere Wert der im Jahre 1959 vereinbarten Unterhaltsleistung in krassem Mißverhältnis zum derzeitigen Wert stehe.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der Berufung des Beklagten Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Es vertrat die Rechtsansicht, daß dann, wenn bei Vertragsabschluß eine Geldentwertung als möglich angesehen werde oder auch nur voraussehbar gewesen sei, der Unterhalt nicht gemäß der gesunkenen Kaufkraft neu festgesetzt werden könne. Andererseits sei auch bei allgemeinem Verzicht auf die clausula rebus sic stantibus ein bei Vertragsabschluß nicht bedachter Währungsverfall zu berücksichtigen. Die vor dem Ersten Weltkrieg zumindest stabil erscheinende Währung habe in der Folgezeit zur fortschreitenden Inflation geführt, so daß man geradezu vom "Jahrhundert der Inflation" gesprochen habe. Die Partei, die vor Gericht behaupten wolle, sie habe immer an die Stabilität der Währung geglaubt, werde nicht mehr ernst genommen. Sie könne nur behaupten, sie habe das Ausmaß der Inflation unrichtig eingeschätzt. Im Jahr 1959 sei der Währungsverfall seit langem im Gange gewesen, ein weiterer Verfall - wenn auch nicht unbedingt im dann eingetretenen Ausmaß - sei für Vertragspartner damals nicht nur vorhersehbar, sondern geradezu notwendig anzunehmen gewesen. Damit fehle es aber im vorliegenden Fall an den Voraussetzungen für eine Neufestsetzung des Unterhaltes gemäß der gesunkenen Kaufkraft.

Der Oberste Gerichtshof stellte über Revision der Klägerin das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Im vorliegenden Fall wurde zwar im Vergleich die Umstandsklausel ausgeschlossen, doch wurde der Inhalt der vom Richter formulierten Vereinbarung zwischen den Parteien nicht näher erörtert. Der Richter belehrte den Beklagten lediglich darüber, daß eine Änderung seiner Einkommensverhältnisse keine Auswirkungen auf die Höhe der Unterhaltsverpflichtung habe. Die Frage einer Geldentwertung wurde ebensowenig erörtert wie die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Klägerin und die Erhöhung der Sorgepflichten des Beklagten. Schon aus diesen Feststellungen des Erstgerichtes - die von den Parteien im Rechtsmittelverfahren nicht bekämpft wurden - würde sich ergeben, daß die Parteien die Frage der Geldwertveränderung nicht in ihre Überlegungen bei Abschluß des Vergleiches einbezogen haben. Bei Unterhaltsforderungen ist nach der Absicht der Parteien die Geldzahlung nur ein Mittel zur Beschaffung des Lebensunterhaltes. Sie stellt nur eine bestimmte Menge von Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen dar (SZ 5/53). Im Falle einer Geldentwertung tritt zwar weder auf Seite des Unterhaltsberechtigten noch auf jener des Unterhaltspflichtigen eine Änderung der Verhältnisse ein, aber die Unterhaltsleistung, die nach der Absicht der Parteien jedenfalls erbracht werden sollte, kommt dadurch, daß der vereinbarte Geldbetrag seinen inneren Wert verliert, ganz oder teilweise in Wegfall. Wollte man in einem solchen Fall dem Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit, eine Erhöhung zu beantragen, absprechen, dann würde dies der Parteiabsicht zuwiderlaufen, nach der dem Unterhaltsberechtigten Unterhalt in dem Umfang jener Gütermenge gewährt werden sollte, die im Zeitpunkt der Vereinbarung um den bedungenen Betrag erworben werden konnte. Wäre daher die Absicht der Parteien dahin gegangen, daß die Klägerin auch die Gefahr einer Geldentwertung hätte tragen und damit in Kauf nehmen sollen, daß sie eines Tages einen Betrag erhält, der nur mehr einem weit geringeren Warenwert entspricht, dann hätte dies ausdrücklich vereinbart werden müssen (SZ 7/400; EFSlg. 10 088, 29 635; 2 Ob 608/56, 5 Ob 207/62). Daran ändert auch nichts, daß seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Inflation teils langsamer, teils rascher fortgeschritten ist. Mit Rücksicht auf den Zweck der Unterhaltsleistung kann auch im Falle des Ausschlusses der Umstandsklausel das Risiko der Geldwertverdünnung ohne ausdrückliche Vereinbarung nicht einseitig auf die Unterhaltsberechtigte abgewälzt werden. Insofern kann daher die Ansicht von Stanzl (in Klang[2] IV/1, 721) und die in den älteren Entscheidungen 3 Ob 587/51 und 1 Ob 684/52 vertretene Ansicht, der Unterhalt könne nicht gemäß der Kaufkraft neu festgesetzt werden, wenn eine Geldentwertung auch nur vorhersehbar gewesen sei, nicht uneingeschränkt geteilt werden. Allerdings wird eine solche Anpassung des Unterhaltes an den Kaufkraftverlust nicht - wie etwa bei Wertsicherungsklauseln - fortlaufend, sondern nur dann möglich sein, wenn die - plötzlich oder schleichende - Geldentwertung ein so erhebliches Ausmaß angenommen hat, daß ein auffallendes Mißverhältnis zum Wert an Kaufkraft im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses eingetreten ist.

Das Berufungsgericht hat daher die Abweisung des Klagebegehrens zu Unrecht darauf gestützt, daß eine Anpassung an den veränderten Geldwert wegen Ausschlusses der Umstandsklausel unter keinen Umständen zulässig sei.

Da der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt nicht strittig ist und der Beklagte auch nichts gegen die Anwendung des Verbraucherpreisindex II im Rahmen der Anpassung der Unterhaltsleistung an die geänderten Geldwertverhältnisse vorbringt und dagegen auch keine Bedenken bestehen, ist die Rechtssache spruchreif im Sinne einer Wiederherstellung des Urteils erster Instanz in der Hauptsache. Soweit der Beklagte in seiner Berufung und auch im Revisionsverfahren darauf verweist, daß bei einer Neubemessung des Unterhaltes auch seine nunmehr erhöhten Sorgepflichten, sein derzeitiges Einkommen, der derzeitige Gesundheitszustand der Klägerin und ihr Einkommen zu berücksichtigen seien, kann ihm nicht beigepflichtet werden. Die Berücksichtigung derartiger geänderter Verhältnisse ist - anders als die Geldwertverdünnung - wegen des Ausschlusses der Umstandsklausel im Vergleich nicht möglich. Zu den Änderungen der Verhältnisse, welche in einem solchen Falle nicht berücksichtigt werden sollen, gehören regelmäßig die Einkommensverhältnisse der Parteien und ihre Sorgepflichten. Diesbezügliche Abweichungen von der Regel hätten daher ausdrücklich vereinbart werden müssen.

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