OGH 1Ob39/80

OGH1Ob39/803.6.1981

SZ 54/86

Normen

AVG §73
AHG §1
AHG §2 Abs2
B-VG Art12
B-VG Art132
AVG §73
AHG §1
AHG §2 Abs2
B-VG Art12
B-VG Art132

 

Spruch:

Die Säumnisbeschwerde gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 bzw. Art. 132 B-VG ist ein Rechtsmittel im Sinne des § 2 Abs. 2 AHG, dessen Unterlassung einen Amtshaftungsanspruch ausschließen kann

Landesagrarsenate sind Landesbehörden; für Rechtsverletzungen durch Verzögerung der Entscheidungspflicht haftet der Rechtsträger Land nach dem Amtshaftungsgesetz

OGH 3. Juni 1981, 1 Ob 39/80 (OLG Innsbruck 1 R 248/80; LG Innsbruck 6 Cg 104/80)

Text

Vom Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz wird in der KG B das Grundzusammenlegungsverfahren N durchgeführt. Der Kläger ist Eigentümer von Grundstücken, die in das Zusammenlegungsverfahren einbezogen wurden.

Der Kläger begehrt die Verurteilung der beklagten Partei zur Bezahlung eines Betrages von 100 000 S und machte geltend, er habe gegen den Zusammenlegungsplan des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 30. Jänner 1974 im März 1974 Berufung erhoben. Trotz Ablauf von fünfeinhalb Jahren sei über die Berufung vom Landesagrarsenat noch nicht entschieden; es seien nicht einmal die erforderlichen Erhebungen und Ermittlungen im Berufungsverfahren durchgeführt worden, sodaß von der Berufungsbehörde keine Entscheidung getroffen werden könne. In der Untätigkeit der Agrarbehörde erster Instanz bzw. des Landesagrarsenats liege ein grobes Verschulden dieser Organe der beklagten Partei. Die Säumnis des Landesagrarsenats sei mit Erkenntnis des VwGH vom 29. September 1979, Zl. 1565/77-8, festgestellt worden. Der VwGH habe die Rechtsansicht des Obersten Agrarsenats, der keine Säumnis des Landesagrarsenats angenommen und den Devolutionsantrag abgelehnt habe, nicht gebilligt. Durch die Untätigkeit der Agrarbehörden sei ihm, Kläger, ein Schaden dadurch entstanden, daß er bisher nicht die ihm auf Grund des Gesetzes zustehenden Abfindungsflächen erlangt habe. Er erleide auch einen Nutzungsentgang, weil ihm minderwertige Abfindungsgrundstücke vorläufig übergeben worden seien. Bei ordnungsgemäßer Durchführung des Berufungsverfahrens hätte er die ihm zustehenden Grundstücke bereits erlangt und keine so große Ertragseinbuße erlitten. Es treffe auch nicht zu, daß er im Zusammenlegungsverfahren wertgleich abgefunden worden sei. Die Behörde sei nämlich bei der Bewertung der ihm übergebenen Grundstücke von falschen Bewertungsziffern ausgegangen. Er, Kläger, mache derzeit einen Schaden von 100 000 S geltend.

Die beklagte Partei, das Land Tirol, beantragt Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe den von ihm behaupteten Schaden nicht erlitten. Selbst wenn der Kläger aber einen Schaden erlitten hätte, hätte er diesen Schaden, den er auf die Verzögerung der Entscheidung durch den Landesagrarsenat zurückführe, durch Devolutionsantrag gemäß § 73 AVG bzw. Säumnisbeschwerde gemäß Art. 132 B-VG abwenden können und müssen. Der Kläger habe derartige Anträge, wenn auch mit großer zeitlicher Verspätung, gestellt. Durch rechtzeitige Antragstellung wäre der von ihm behauptete Schaden vermieden worden. Demnach sei das Begehren auf Schadenersatz nicht gerechtfertigt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Aufnahme von Beweisen ab. Der Kläger stütze seine Schadensersatzansprüche darauf, daß über die von ihm im März 1974 gegen den Zusammenlegungsplan vom 30. Jänner 1974 erhobene Berufung nicht entschieden worden sei. Eine Unterlassung sei dann rechtswidrig, wenn das Organ trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht tätig geworden sei. Im vorliegenden Fall sei die Entscheidungspflicht der Behörde im § 73 AVG und Art. 132 B-VG normiert. Der Landesagrarsenat hätte demnach binnen sechs Monaten nach Erhebung des Rechtsmittels zu entscheiden gehabt. Die Unterlassung der Entscheidung innerhalb dieser Frist sei nicht rechtswidrig. Die Verzögerung der Entscheidung über diese Frist hinaus sei zwar rechtswidrig, doch lasse sich hieraus ein Schadenersatzanspruch in der Regel nicht ableiten, weil gemäß § 2 Abs. 2 AHG ein Ersatzanspruch dann nicht bestehe, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hätte abwenden können. Gemäß § 73 AVG könne die Partei verlangen, daß die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Oberbehörde übergehe. Wenn die oberste Instanz nicht binnen sechs Monaten entschieden habe, könne die Partei die Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erheben. Nur wenn der Schaden auch durch den Devolutionsantrag und die Säumnisbeschwerde nicht hätte abgewendet werden können, könnte eine Schadenersatzforderung gerechtfertigt sein. Im vorliegenden Fall habe die klagende Partei aber nach ihrem eigenen Vorbringen die ihr zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe noch nicht ausgeschöpft. Die Entscheidungspflicht sei zufolge Devolutionsantrages auf den Obersten Agrarsenat übergegangen, der noch nicht entschieden habe. Vor Fällung der Entscheidung des Obersten Agrarsenats könnten Schadenersatzansprüche aber nicht geltend gemacht werden. Werde nämlich der Zusammenlegungsplan vom 30. Jänner 1974 vom Obersten Agrarsenat bestätigt, sei für Schadenersatzansprüche des Klägers kein Raum mehr. Schon daraus sei ersichtlich, daß derzeit die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen nicht statthaft sei.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es billigte die rechtliche Beurteilung des Erstrichters.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Auszugehen ist davon, daß der Kläger sein Begehren auf Leistung von Schadenersatz auf die rechtswidrige und schuldhafte Verzögerung der Entscheidung des Landesagrarsenates über seine gegen den Zusammenlegungsplan des Amtes der Tiroler Landesregierung erhobene Berufung grundet. Auch in der Revision wird nur ausgeführt, daß der behauptete Schaden durch die jahrelange Verzögerung der Entscheidung durch den Landesagrarsenat entstanden sei. Gemäß Art. 12 Abs. 2 B-VG steht in Angelegenheiten der Bodenreform (Art. 12 Abs. 1 Z. 3 B-VG), wozu kraft ausdrücklicher Erwähnung auch agrarische Operationen wie Grundstückszusammenlegungen gehören (vgl. Melichar JBl. 1968, 287), die Entscheidung in der Landesinstanz Senaten, den Landesagrarsenaten, zu. Einrichtung, Aufgaben und Verfahren der Senate wird durch Bundesgesetz geregelt (Agrarbehördengesetz 1950, BGBl. 1/1951, i.d.F. der Agrarbehördengesetz-Novelle 1974, BGBl. 76/1974, und Agrarverfahrensgesetz 1950, BGBl. 173/1950, in der geltenden Fassung). Die Landesagrarsenate, sind ungeachtet ihrer Schaffung durch Bundesgesetz Landesbehörden (Walter, Österreichisches Verfassungsrecht, 589; Walter - Mayer, Grundriß des Österreichischen Bundesverfassungsrechts[3], 227). Daran ändert nichts, daß die Sonderregelung des Art. 12 Abs. 2 B-VG einen Instanzenzug vom Landesagrarsenat als einer Landesbehörde an den beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft eingerichteten Obersten Agrarsenat als Bundesbehörde vorsieht (Walter a.a.O., 590; Walter - Mayer a.a.O., 227). Da die Vollziehung in Angelegenheiten der Agrarreform Landessache ist (Art. 12 B-VG), ist der Landesagrarsenat als Landesbehörde bei Vollziehung der die Zusammenlegung näher regelnden landesgesetzlichen Normen wie insbesondere im vorliegenden Fall des Tiroler Flurverfassungslandesgesetzes funktionell für das Land Tirol tätig, sodaß die Passivlegitimation der beklagten Partei für den erhobenen Anspruch gegeben ist (vgl. SZ 51/2 u. a.).

Die Vorinstanzen gingen zutreffend davon aus, daß ein rechtswidriges und schuldhaftes Organverhalten in Vollziehung der Gesetze, das den Rechtsträger gemäß § 1 AHG zum Schadenersatz verpflichtet, auch in einer Unterlassung bestehen kann, wenn eine Pflicht des Organs zum Tätigwerden bestand und pflichtgemäßes Handeln den Schaden abgewendet hätte (JBl. 1980, 539; EvBl. 1969/93; Loebenstein - Kaniak, Komm., 53). Eine Rechtspflicht zum Handeln der Behörde besteht in den Fällen, in denen eine Entscheidungspflicht normiert ist (Bericht und Antrag des Ausschusses für Verwaltungsreform bei Loebenstein - Kaniak a.a.O., 163). Gemäß § 1 AgrVG 1950 finden in Angelegenheiten der Bodenreform für die Agrarbehörden, insbesondere auch für den Agrarsenat, grundsätzlich die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 (mit Ausnahme dessen § 78) Anwendung. § 73 Abs. 1 AVG normiert eine allgemeine Entscheidungspflicht. Die Behörden haben, wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien, insbesondere auch über Berufungen, ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Wird der Partei innerhalb der Frist von sechs Monaten ein ihren Antrag erledigender Bescheid der angerufenen Behörde nicht verkundet oder/und zugestellt, so kann sie bei der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde schriftlich verlangen, daß die Zuständigkeit zur Entscheidung auf diese übergeht (§ 73 Abs. 2 AVG; Devolutionsantrag). Liegen die Voraussetzungen für den Devolutionsantrag, die Nichterledigung eines Antrages durch sechs Monate, vor, so geht mit dem Einlangen dieses Antrages die Zuständigkeit zur Entscheidung über den zugrunde liegenden Antrag an die Oberbehörde über (§ 73 Abs. 2 AVG; VwSlgNF 7072 A). Der Devolutionsantrag ist aber von der Behörde abzuweisen, wenn zwar die Voraussetzung der Säumnis der Unterbehörde gegeben ist, aber die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen ist (§ 73 Abs. 2 AVG). Weist die Oberbehörde den Devolutionsantrag ab, so geht der Rechtszug gegen diesen verfahrensrechtlichen Bescheid an deren Oberbehörde; bei Erschöpfung des Instanzenzugs steht die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof offen (vgl. Walter - Mayer, Grundriß des Österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts[2], 200 ff.).

Gemäß § 2 Abs. 2 AHG besteht, wie schon die Vorinstanzen zutreffend erkannten, ein Ersatzanspruch dann nicht, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hätte abwenden können. Unter Rechtsmittel im Sinne des § 2 Abs. 2 AHG sind nur prozessuale Rechtsbehelfe, wenn auch im weiteren Sinn, zu verstehen, die dazu dienen, fehlerhafte Entscheidungen, sei es im Instanzenzug, sei es auf andere Weise, zu beseitigen (JBl. 1980, 485). Der Rechtsmittelbegriff des AHG umfaßt demnach alle prozessualen Anfechtungsmittel im weiteren Sinn, sodaß nur für nicht sanierbare Akte der Vollziehung Ersatz zu gewähren ist. Das Gesetz überläßt auf diese Weise zunächst dem Betroffenen selbst die Wahrung seiner Interessen und gewährt ihm Amtshaftungsansprüche nur dort, wo er innerhalb des betreffenden Verfahrens alle Anfechtungsmittel vergeblich ausgeschöpft hat (JBl. 1980, 42). Der Devolutionsantrag nach § 73 Abs. 2 AVG sowie die Säumnisbeschwerde an den VwGH gemäß Art. 132 B-VG sind Rechtsmittel im Sinne des § 2 Abs. 2 AHG (1 Ob 699/55; 1 Ob 226/59; 1 Ob 171/62; Loebenstein - Kaniak a.a.O., 57 sowie Bericht und Antrag des Ausschusses für Verwaltungsreform bei Loebenstein - Kaniak, 163).

Der Kläger behauptet nicht, daß schon die im Jahre 1969 erfolgte provisorische Übergabe von Ersatzgrundstücken gesetzwidrig gewesen wäre. Sein Schaden könnte also nur daraus entstanden sein, daß durch die Verzögerung des weiteren Verfahrens die Übergabe der dem Kläger endgültig zustehenden (angeblich anderen und besseren) Grundstücke verzögert worden wäre. Einen solchen durch die Verzögerung entstandenen Schaden hätte der Kläger aber zunächst durch rechtzeitig gestellten Devolutionsantrag bzw. Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof abzuwenden versuchen müssen.

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