OGH 6Ob536/81

OGH6Ob536/8125.2.1981

SZ 54/23

Normen

ABGB §785
ABGB §1487
ABGB §785
ABGB §1487

 

Spruch:

Der Anspruch auf Ergänzung des Pflichtteils um den Betrag, der sich aus einem Verlangen gemäß § 785 ABGB auf Berücksichtigung von Schenkungen errechnet, unterliegt auch dann der kurzen Verjährung nach § 1487 ABGB, wenn der Erblasser den Noterben - ohne erkennbare Anordnung der Berücksichtigung bestimmter Schenkungen im Sinne des § 785 ABGB - in seiner letztwilligen Verfügung auf den Pflichtteil gesetzt hat

OGH 25. Feber 1981, 6 Ob 536/81 (OLG Graz 3 R 124/80; LGZ Graz 23 Cg 19/78)

Text

Heribert S, der Vater des Klägers, ist am 12. Dezember 1974 gestorben. Er hatte die Beklagte, seine Ehefrau, im wechselseitigen Testament vom 8. November 1965 zur Alleinerbin eingesetzt. Gleichzeitig verfügten die Ehegatten ausdrücklich, daß ihre Nachkommenschaft aus dem Nachlaß des Erstversterbenden nur den Pflichtteil zu erhalten habe. Das Testament wurde am 17. Jänner 1975 kundgemacht. Die Beklagte gab auf Grund dieses Testamentes zum Nachlaß ihres Ehemannes die unbedingte Erbserklärung ab. Ihr wurde der Nachlaß auch zur Gänze eingeantwortet. Der Erblasser hinterließ außer seiner Witwe zwei volljährige Söhne, den Kläger und dessen jüngeren Bruder H. Diese meldeten im Abhandlungsverfahren ihre Pflichtteilsforderungen an. Die Beklagte zahlte dem Kläger aus diesem Rechtsgrund auf der Grundlage eines Nachlaßwertes von 822 298.60 S den Betrag von 154 180.98 S (= 3/16).

Der Erblasser hatte mit dem als Übergabs- und Versorgungsvertrag bezeichneten Übereinkommen vom 29. März 1972 sein unter der protokollierten Firma S geführtes Unternehmen dem jüngeren Sohn H übergeben.

Am 12. Dezember 1977 brachte der Kläger gegen seine Mutter eine Klage auf Zahlung von 70 000 S als Schenkungspflichtteil ein. Dabei behielt er sich ausdrücklich eine Ausdehnung seines Begehrens vor. In der Tagsatzung vom 2. März 1979 dehnte der Kläger sein Begehren um 305 000 S samt 4% Zinsen ab 3. März 1979 aus. Im Rechtsmittelverfahren ist nur noch dieses Teilbegehren streitverfangen.

Nach dem Standpunkt des Klägers habe der Bruttowert des seinem Bruder H übergebenen Unternehmens des Erblassers etwa 3 140 000 S betragen, während die vom Erwerber übernommenen Verpflichtungen nur mit 1 230 000 S zu bewerten seien. Im Unterschiedsbetrag von 1 910 000 S oder aufgerundet 2 Mill. S liege eine gemäß § 785 ABGB zu veranschlagende Schenkung.

Die Beklagte bestritt jede in der Betriebsübergabe des Erblassers an seinen jüngeren Sohn enthaltene Schenkung. Gegenüber dem Teilbegehren, um das der Kläger sein Begehren am 2. März 1979 ausdehnte, wendete die Beklagte ausdrücklich Verjährung ein, weil die Testamentskundmachung am 17. Jänner 1975 erfolgt sei und der geltend gemachte Pflichtteilsergänzungsanspruch der kurzen Verjährung des § 1487 ABGB unterliege.

Dem Verjährungseinwand entgegnete der Kläger, daß er im Testament auf den Pflichtteil gesetzt worden sei und daß sein Anspruch deshalb nicht der kurzen Verjährungsfrist unterläge.

Das Erstgericht - das dem ursprünglichen Klagebegehren auf Zahlung von 70 000 S samt 4% Zinsen seit 16. Dezember 1977 stattgab - wies das den Gegenstand der Klagsausdehnung bildende Teilbegehren wegen Verjährung ab.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers nicht statt. Es vertrat dazu in rechtlicher Beurteilung die Ansicht, daß die Geltendmachung eines auf § 785 ABGB gestützten Anspruches auch in dem Fall nicht als Geltendmachung eines Anspruches auf Erfüllung der letztwilligen Verfügung des Erblassers anzusehen sei, daß der Erblasser in seinem Testament den Noterben auf den Pflichtteil gesetzt habe. Eine auf § 785 ABGB gestützte Anspruchsverfolgung richte sich vielmehr gegen den Willen des Erblassers. Die Unterwerfung der nach § 785 ABGB geltend gemachten Ansprüche unter die kurze Verjährung nach § 1487 ABGB liege im Interesse der Rechtssicherheit für den Erben, der nach Ablauf von drei Jahren wissen sollte, ob er mit Pflichtteilsergänzungsansprüchen auf Grund angeblicher Schenkungen, von denen er unter Umständen nicht einmal Kenntnis habe, rechnen müsse. Die mit der Testamentskundmachung vom 17. Jänner 1975 in Lauf gesetzte Dreijahresfrist des § 1487 ABGB sei zur Zeit der Klagsausdehnung vom 2. März 1979 bereits abgelaufen gewesen. Durch den in der Klage ausgesprochenen Vorbehalt der Klagsausdehnung sei diese Frist nicht gewahrt worden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei der Ermittlung des Sinngehaltes einer generellen Norm nach ihrem Zweck ist der vom Normsetzer als typisch vorausgesetzte Lebenssachverhalt und der auf dieser Grundlage gebotene Interessenausgleich zugrunde zu legen. Ob ein auf § 785 ABGB gestütztes Forderungsrecht der Verjährungsfrist des § 1487 ABGB unterliegt, muß nach allgemein vorhandenen Kriterien beurteilt werden, nicht nach den im konkreten Fall gegebenen Kenntnissen und Möglichkeiten der Beklagten als Erbin. Die Einzelfallgestaltung muß vorerst unbeachtet bleiben.

Die Rechtsverhältnisse am Nachlaß eines Verstorbenen sollen sich in erster Linie nach seinem - formgerecht erklärten - Willen bestimmen. Die Beachtlichkeit letztwilliger Verfügungen wird aber durch das Pflichtteilsrecht gesetzlich beschränkt. Auszugehen ist dabei von den Verhältnissen zur Zeit des Erbfalles, die den gesetzlichen Anspruch eines Pflichtteilsberechtigten nach dem Vermögensstand und dem Kreis der überlebenden Angehörigen erst inhaltlich bestimmen. Die Ableitung einer Forderung aus der Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 762 ABGB auf einen durch § 765 (oder § 766) ABGB bestimmten Betrag ist die Berufung auf den gesetzlichen Pflichtteilsanspruch. Dieser kann mit einem Anspruch aus einer letztwilligen Verfügung konkurrieren (arg. aus § 808 letzter Satz ABGB). Die beiden konkurrierenden Ansprüche können inhaltlich deckungsgleich sein. Das ist dann anzunehmen, wenn die vom Erblasser angeordnete Zuweisung an den Pflichtteilsberechtigten durch eine Verweisung auf seinen gesetzlichen Anspruch (nach Art und Ausmaß) erfolgt. Dann ist dem Pflichtteilsberechtigten eine Forderung in der Höhe des Pflichtteils vermacht.

Erblickte man in der Bestimmung des § 785 ABGB eine bloße Berechnungsvorschrift, dann läge es nahe, einer letztwilligen Verfügung daß ein Kind "nur den Pflichtteil erhalten" solle, den Willen des Erblassers zu unterstellen, er habe mit seiner Anordnung auch den sogenannten Schenkungspflichtteil erfaßt. Betrachtete man dagegen den sich aus § 785 ABGB ergebenden Teilanspruch als einen selbständigen Forderungsteil mit besonderen Anspruchsvoraussetzungen, dann läge es nahe, eine letztwillige Verfügung der oben zitierten Art nicht auch auf den sogenannten Schenkungspflichtteil zu erstrecken.

Wenn der Erblasser in seiner letztwilligen Verweisung eines Angehörigen auf seinen Pflichtteilsanspruch die Berücksichtigung von Schenkungen im Sinne des § 785 ABGB nicht als von seinem Willen mitumfaßt erkennen läßt, muß jedenfalls davon ausgegangen werden, daß ihm die ehestmögliche Klarheit und Gewißheit für den eingesetzten Erben näher lag als eine zeitliche Ausdehnung der Anspruchsverfolgung im Interesse des Noterben. Denn in der Erbseinsetzung liegt doch eine offenkundige Bevorzugung des Eingesetzten vor dem Pflichtteilsberechtigten. Wenn daher der gesetzliche Pflichtteilsanspruch in Ansehung des sogenannten Schenkungspflichtteils voraussetzt, daß der Berechtigte innerhalb der Frist des § 1487 ABGB das "Verlangen" im Sinne des § 785 ABGB stellt, ist zu unterstellen, daß auch ein auf dem Willen des Erblassers gegrundeter Legatsanspruch in der Höhe des Pflichtteils in Ansehung des sogenannten Schenkungspflichtteils vom rechtzeitigen "Verlangen" im Sinne des § 785 ABGB abhängig sein soll. Den in § 1487 ABGB enthaltenen erbrechtlichen Tatbeständen ist die Tendenz zu entnehmen, daß alle Ansprüche, die von einer Gestaltung der Rechtslage durch den Anspruchsberechtigten abhängig sind, der kurzen Verjährung unterliegen sollen. Aus dieser Erwägung gelangt der OGH zu dem Rechtssatz: Der Anspruch auf Ergänzung des Pflichtteiles um den Betrag, der sich aus einem Verlangen gemäß § 785 Abs. 1 ABGB auf Berücksichtigung von Schenkungen errechnet (sog. Schenkungspflichtteil), unterliegt auch dann der kurzen Verjährung nach § 1487 ABGB, wenn der Erblasser den Noterben - ohne erkennbare Anordnung der Berücksichtigung bestimmter Schenkungen im Sinne des § 785 ABGB - in seiner letztwilligen Verfügung auf den Pflichtteil gesetzt hat.

Die Verjährungsfrist wahrt aber ein Noterbe, dem die Regelung des § 162 AußStrG nicht zustatten kommt, nur durch Geltendmachung des Anspruches in einem prozessualen Antrag auf urteilsmäßige Entscheidung.

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