OGH 7Ob61/80

OGH7Ob61/806.11.1980

SZ 53/145

Normen

VersVG §61
VersVG §68a
VersVG §61
VersVG §68a

 

Spruch:

Sehen Versicherungsbedingungen die Leistungsfreiheit des Versicherers für den Fall vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung eines Schadens vor, so ist der Folgesatz:

"Leistungsfreiheit gilt bei rechtskräftiger Verurteilung wegen des herbeigeführten Schadens zu einer Strafe als festgestellt" ebenfalls nur für die genannten Verschuldensgrade zu verstehen

OGH 6. November 1980, 7 Ob 61/80 (OLG Wien 14 R 83/80; LGZ Wien 35 Cg 807/78)

Text

Der Kläger begehrt Deckung eines Brandschadens aus der bei der Beklagten geschlossenen Feuerversicherung. Die Beklagte behauptet Leistungsfreiheit nach Art. 12 ABS. Diese Bestimmung lautet:

"Schuldhafte Herbeiführung des Schadenfalles; arglistige Täuschung.

(1) Wenn der Versicherungsnehmer oder eine der in leitender Stellung für die Betriebsführung verantwortlichen Personen den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt oder sich bei der Ermittlung des Schadens oder der Entschädigung einer arglistigen Täuschung schuldig macht, ist der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber von jeder Verpflichtung zur Leistung aus diesem Schadenfall frei.

(2) Ist der Versicherungsnehmer oder eine der in leitender Stellung für die Betriebsführung verantwortlichen Personen wegen des herbeigeführten Schadens oder wegen eines bei Ermittlung der Entschädigung begangenen Betruges oder Betrugsversuches rechtskräftig zu einer Strafe verurteilt, so gilt die Leistungsfreiheit als festgestellt."

Der Kläger wurde vom Strafgericht mit rechtskräftiger Strafverfügung wegen des Vergehens der fahrlässigen Herbeiführung einer Feuersbrunst nach § 170 Abs. 1 StGB dadurch, daß er als Lokalinhaber eine mit Pappkarton verkleidete Holzkiste als Abfallbehälter auch für das Entleeren von Aschenbechern zur Verfügung stellte, zu einer Strafe verurteilt.

Das Erstgericht wies die Deckungsklage ab. Es vertrat die Rechtsansicht, gemäß § 268 ZPO an das Urteil des Strafgerichtes gebunden zu sein, woraus die Leistungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 2 ABS ungeachtet der Frage des nur nach Art. 12 Abs. 1 ABS relevanten Verschuldensgrades folge.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil aus dessen Gründen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Revisionswerber läßt die zutreffende Ansicht des Berufungsgerichtes unbekämpft, daß der Zivilrichter gemäß § 268 ZPO an das rechtskräftige verurteilende Straferkenntnis gebunden ist, auch wenn dieses im Wege eines Protokoll- und Urteilsvermerkes erging und daß demnach das Zivilgericht davon auszugehen hat, daß das Schadenfeuer durch ein fahrlässiges Handeln oder Unterlassen des Klägers entstand. Das Strafurteil bindet andererseits nicht in Richtung eines nicht zum strafrechtlichen Tatbestand gehörenden besonderen Grades des Verschuldens, wie zum Beispiel grober Fahrlässigkeit (EvBl. 1961/504; SZ 45/53 u. a.).

Der Revisionswerber bekämpft aber mit Recht die Ansicht der Vorinstanzen, daß Art. 12 Abs. 2 ABS für den Fall einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Strafe die Leistungsfreiheit über Abs. 1 hinaus auch für eine bloß leicht fahrlässige Herbeiführung des Schadens begrunde. Den gleichen Standpunkt hat allerdings der OGH zu der gleichlautenden Bestimmung des Art. 18 AFB in der Entscheidung VersR 1959, 794 = VersSlg. 143 vertreten. Diese Entscheidung wurde aber von Wahle (VersR 1959, 794), Bauerreiß (VRdSch 1959, 403) und Grubmann (VRdSch 1960, 313) mit gewichtigen Argumenten bekämpft, denen sich der OGH bei einer neuen Prüfung der Rechtsfrage nicht verschließen kann.

Gesetzliche Grundlage der Leistungsfreiheit wegen schuldhafter Herbeiführung des Versicherungsfalles ist § 61 VersVG. Danach ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführt. Die Bestimmung enthält allerdings nicht zwingendes Recht (§ 68a VersVG). Eine Abweichung liegt aber in Versicherungszweigen keineswegs nahe, in denen nach der Verkehrsanschauung auch gegen eigenes leicht fahrlässiges Verhalten vorgesorgt werden soll und zu denen die wichtige Sparte der Feuerversicherung gehört. Ein Abstellen der Leistungspflicht darauf, ob ohne Strafurteil grobes Verschulden vorliegt oder eine strafgerichtliche Verurteilung auch nur wegen leichten Verschuldens, würde vom Verhalten des Versicherungsnehmers her gleiche Sachverhalte grob ungleich behandeln und ist schon deshalb im Zweifel als nicht beabsichtigt anzusehen. Art. 12 Abs. 2 ABS und gleichlautende Bestimmungen in anderen Versicherungsbedingungen lassen auch unschwer im Zusammenhang mit Abs. 1 die Auslegung zu, daß das rechtskräftige Strafurteil nur nach Maßgabe des § 268 ZPO einen Beweis erspart. Dies hat Wahle a. a. O. auch historisch belegt. Er hat mit Recht auch darauf verwiesen, daß es von Zufällen wie z. B. dem Tod des Versicherungsnehmers vor einer strafgerichtlichen Verurteilung abhängen kann, ob der Fall des Art. 12 Abs. 2 eintritt. Nach Maßgabe des Strafgesetzes hinge die Leistungspflicht des Versicherers schließlich davon ab, ob durch ein bloß leicht fahrlässiges Verhalten des Versicherungsnehmers zufällig über den Schaden am eigenen Eigentum hinaus eine Gefahr für Leib oder Leben oder (wie hier) im großen Ausmaß für das Eigentum anderer Personen herbeigeführt wurde (§ 169 Abs. 2, § 170 StGB). Daß aber das Interesse des Versicherers eines fahrlässig handelnden Brandstifters durch solche Umstände nicht berührt wird, bedarf keiner näheren Darlegung.

Schließlich hat sich auch die Versicherungsaufsichtsbehörde dem dargestellten milderen Standpunkt angeschlossen (Veröffentlichung des Bundesministeriums für Finanzen betreffend die Vertragsversicherung 1960, 13, mitgeteilt auch bei Prölss - Martin, VVG[21], 492).

Der beklagte Feuerversicherer wird demnach das von ihm behauptete grobe Verschulden zu beweisen haben (SZ 48/65 u. v. a.). Hiezu sind weitere Tatsachenfeststellungen über das im Straferkenntnis festgestellte Zurverfügungstellen der mit Pappkarton verkleideten Holzkiste als Abfallbehälter auch für das Entleeren von Aschenbechern erforderlich, weil ein solches Verhalten zwar grundsätzlich auf grobe Fahrlässigkeit hindeutet, im Einzelfall aber durch die vom Kläger behauptete Weisung an sein Personal entschärft worden sein könnte, die Zigarettenreste erst bei Betriebssperre in die Holzkiste zu deponieren und diese sodann auf einen freien Platz vor dem Lokal abzustellen. Auch der wenngleich nicht näher konkretisierte Beweisantrag des Klägers, daß ihn keine grobe Fahrlässigkeit treffe, war erkennbar in Richtung der unmittelbar vorangegangenen Parteiaussage zu verstehen.

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