Normen
ZPO §500 Abs2
ZPO §500 Abs3
ZPO §502 Abs3
ZPO §502 Abs4
ZPO §500 Abs2
ZPO §500 Abs3
ZPO §502 Abs3
ZPO §502 Abs4
Spruch:
Behauptet der Kläger sowohl die Nichtanwendbarkeit der Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes als auch subsidiär Kündigungsgrunde des Mietengesetzes und hat das Berufungsgericht über beide Prozeßbehauptungen entschieden, hat es, auch wenn es die Revision nach § 500 Abs. 3 ZPO zuläßt, darüber hinaus zur behaupteten Mieterschutzfreiheit auszusprechen, ob der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, 60 000 S übersteigt
OGH 31. Oktober 1980, 1 Ob 661/80 (LG Salzburg 32 R 144/79; BG Zell am See C 541/77 )
Text
Die Klägerinnen sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft Z, D-Gasse 4. Sie kundigten der Beklagten das ebenerdige, nordseitig gelegene Geschäftslokal zum 31. März 1978 gerichtlich auf. Sie vertraten in der Aufkündigung die Ansicht, daß die Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes auf den vorliegenden Bestandvertrag nicht anzuwenden seien. Vorsichtshalber machten sie jedoch die Kündigungsgrunde nach § 19 Abs. 1, § 19 Abs. 2 Z. 6 und § 19 Abs. 6 MietG geltend.
Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf, das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil der Berufung der Klägerinnen keine Folge und erklärte die Revision für zulässig.
Der Oberste Gerichtshof trug dem Berufungsgericht auf, in analoger Anwendung des § 419 Abs. 3 ZPO sein Urteil durch den Ausspruch gemäß § 500 Abs. 2 zu ergänzen, ob der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteigt.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
§ 500 Abs. 3 ZPO ordnet an, daß das Berufungsgericht in Kündigungsstreitigkeiten der im § 502 Abs. 4 ZPO bezeichneten Art (Kündigungsstreitigkeiten aus Mietverhältnissen, auf welche die Bestimmungen über den Schutz der Mieter Anwendung finden), wenn es das Urteil erster Instanz bestätigt, auszusprechen hat, ob es die Revision für zulässig erklärt. Liegt eine Kündigungsstreitigkeit anderer Art vor und bestätigt das Berufungsgericht das Urteil erster Instanz, so hat es gemäß § 500 Abs. 2 ZPO im Urteil auszusprechen, ob der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteigt. Beurteilungsmaßstab, ob das Berufungsgericht nach § 500 Abs. 2 oder § 500 Abs. 3 ZPO vorzugehen hat, ist ausschließlich das Kündigungsvorbringen. Darauf, ob sich die Behauptungen der Kündigung schließlich als zutreffend erweisen, kommt es nicht an, da durch die Entscheidung des Berufungsgerichtes über diese Frage der Sachentscheidung nicht vorgegriffen werden darf (MietSlg. 28.609;
MietSlg. 26.528; MietSlg. 24.577; MietSlg. 4.836; 3 Ob 601/79;
Fasching, Ergänzungsband, 71; a. A. 1 Ob 6/68). im vorliegenden Fall hätte daher das Berufungsgericht auch einen Ausspruch nach § 500 Abs. 2 ZPO ins Urteil aufzunehmen gehabt.
Die Frage, ob ein Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs. 3 ZPO vom Revisionsgericht dahin umgedeutet werden darf, daß er (auch) als Ausspruch, der Wert des Streitgegenstandes übersteige 60 000 S, verstanden werden könne, wurde von der Rechtsprechung bisher nicht einheitlich beantwortet.
Die Entscheidung SZ 10/48 betraf einen Fall, in dem der Ausschluß der Anwendbarkeit des Mietengesetzes behauptet wurde. Das bestätigende Berufungsgericht sprach aus, die Revision sei nicht zulässig. Der OGH trug dem Berufungsgericht auf, im Urteil den Wert des Streitgegenstandes nach § 500 Abs. 2 ZPO zu bewerten. Der vom Berufungsgericht gebrauchte Ausspruch sei im Gesetz nicht vorgesehen. In gleicher Weise ging der OGH im Fall der Entscheidung MietSlg. 15.634 vor. Die Entscheidung MietSlg. 9.913/23 betraf eine Aufkündigung eines Generalpachtvertrages nach dem Kleingartengesetz. Das Berufungsgericht nahm rechtsirrig an, § 13 Abs. 2 Kleingartengesetz finde auch auf Generalpachtverträge Anwendung und erklärte die Revision für nicht zulässig. Der OGH trug auch hier die Berichtigung des Berufungsurteils im Sinne des § 500 Abs. 2 ZPO auf; eine Umdeutung des verfehlten Ausspruches wurde nicht in Erwägung gezogen. Dieselbe Ansicht wurde vom OGH in der Entscheidung MietSlg. 22.630 vertreten. Dort wurde ein Mietverhältnis aufgekundigt, auf das die Bestimmungen über den Schutz der Mieter nicht anzuwenden war. Den umgekehrten Fall betraf die Entscheidung RZ 1975/93. Dort hatte das Berufungsgericht bei der Wiederaufnahmsklage eine verfehlte Bewertung nach § 500 Abs. 2 ZPO vorgenommen. Der OGH trug die Berichtigung dieses Ausspruches dahin auf, daß zu prüfen sei, ob das Berufungsgericht nach § 500 Abs. 3 ZPO die Revision für zulässig erkläre.
Schon vorher hatte aber der OGH erstmals unter Berufung auf Fasching IV, 235 in zwei Entscheidungen (MietSlg. 21.815) ausgesprochen, daß trotz verfehlten Ausspruchs des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs. 3 ZPO eine Rückmittlung des Aktes an das Berufungsgericht zwecks Berichtigung entbehrlich sei, weil der verfehlte Ausspruch nach § 500 Abs. 3 ZPO als Ausspruch nach § 500 Abs. 2 ZPO, der Wert des Streitgegenstandes übersteige die Revisionsgrenze konformer Urteile, verstanden werden könne. Ohne Auseinandersetzung mit der vorhin dargestellten Rechtsprechung teilten die Entscheidungen MietSlg. 22.628; MietSlg. 23.665; SZ 47/74; 5 Ob 581/78 und 3 Ob 601/79 diese Auffassung. Bei dem den Entscheidungen 7 Ob 38/74; MietSlg. 31.735 und 6 Ob 722/79 zugrunde liegenden Sachverhalt unterlag nach den Ausführungen in der Aufkündigung das Bestandverhältnis den Kündigungsschutzbestimmungen des Mietengesetzes. Das Berufungsgericht bestätigte jeweils die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes die Revisionsgrenze konformer Urteile übersteige. Dieser Ausspruch wurde vom OGH dahin gewertet, daß das Berufungsgericht einen Ausspruch nach § 500 Abs. 3 ZPO in das Urteil aufnehmen wollte.
Die Entscheidung 5 Ob 525/80 betraf einen Fall, in dem ein Bestandverhältnis vom Bestandnehmer aufgekundigt wurde. Der Bestandgeber erhob Einwendungen, bestritt die Aktiv- und die Passivlegitimation und behauptete, Kündigungsfrist und Kündigungstermin seien vertragswidrig. Das Erstgericht hob die Aufkündigung wegen verfehlten Kündigungstermins auf, das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteige. Der OGH hielt eine Beurteilung, ob das Berufungsgericht nach § 500 Abs. 2 ZPO oder § 500 Abs. 3 ZPO vorzugehen gehabt hätte, unter Hinweis darauf, daß verfehlte Aussprüche wechselweise in zutreffende umgedeutet werden können, für nicht notwendig.
Nur in der nicht veröffentlichten Entscheidung 1 Ob 769/76 setzte sich der OGH mit den divergierenden Rechtsansichten zur Frage der Umdeutung eines verfehlten Ausspruches nach § 500 Abs. 2 ZPO und § 500 Abs. 3 ZPO auseinander. Er lehnte es ab, diese Aussprüche wechselweise füreinander zu verstehen. Die Voraussetzungen einerseits der Bewertung des Streitgegenstandes im Berufungsverfahren nach § 500 Abs. 2 ZPO und andererseits der Zulässigkeit der Revision in Kündigungsstreiten nach dem Mietengesetz gemäß § 500 Abs. 3 ZPO sind grundsätzlich verschieden:
Ihre Anwendung kann daher zu verschiedenen Ergebnissen führen. Die ausnahmsweise Zulässigerklärung der Revision in Kündigungsstreiten der im § 502 Abs. 4 ZPO bezeichneten Art hat den Sinn, schwierige Rechtsfragen einer Überprüfung durch den OGH zugängig zu machen. Ein derartiger Ausspruch kann daher auch in Kündigungsstreitigkeiten mit geringerem Streitwert gerechtfertigt sein, während umgekehrt die Unterlassung eines Ausspruches nach § 500 Abs. 3 ZPO durch das Berufungsgericht nichts über den allenfalls sehr hohen Streitwert im Sinne des § 500 Abs. 2 ZPO aussagt.
Bei neuerlicher Überprüfung der Rechtslage vermag sich der erkennende Senat nur der soeben dargelegten Rechtsansicht anzuschließen.
Zulässigkeitsbeschränkungen sind bei der Revision unumgänglich. Die Schaffung eines einzigen zentralen Höchstgerichtes für alle Zivilsachen und die damit verbundene Aufgabe, über Einheit und Qualität der Rechtsprechung zu wahren, zwingt zur Beschränkung der Revisibilität. Eine solche Beschränkung kann nach der Bedeutung der Rechtssache oder/und nach der Eignung des Entscheidungsgegenstandes erfolgen (Fasching IV, 245). Den Fall einer Zulassungsrevision enthält nur die Bestimmung des § 500 Abs. 3 ZPO im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 502 Abs. 4 ZPO. Der Gesetzgeber anerkannte in Kündigungsstreitigkeiten aus Mietverhältnissen, auf welche die Bestimmungen über den Schutz der Mieter Anwendung finden, wegen des davon betroffenen großen, meist sozial schwächeren Bevölkerungsteiles das Erfordernis, durch Eröffnung eines weiteren Rechtszuges an den OGH unabhängig von dem nach den Bestimmungen der §§ 54 bis 60 JN zu ermittelnden Wert des Streitgegenstandes für die einheitliche Auslegung einschlägiger gesetzlicher Bestimmungen Sorge zu tragen. Da das Hauptgewicht der Revisionszulässigkeit in diesem Bestreben der Vereinheitlichung der Rechtsprechung erblickt wird, genügte es auch, die Revision auf den Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO zu beschränken. Anders ist die vom Gesetz gewünschte Interessenlage bei der Bewertung nach § 500 Abs. 2 ZPO. Hier hat, soweit es sich nicht ohnehin um Prozesse handelt, deren Streitgegenstand überhaupt kein in Geld ausdrückbares Interesse erkennen läßt (z. B. Statusprozesse), sodaß auch konforme Berufungsentscheidungen immer revisibel sind, nur das Geldwerte Interesse der Prozeßparteien maßgebend zu sein. Das Berufungsgericht hat bei der Ermittlung des geldwerten Interesses der Parteien die Bestimmungen der §§ 54 bis 60 JN sinngemäß anzuwenden. Es ist zwar an die Bewertung durch die Parteien nicht gebunden, die es sonst in der Hand hätten, selbst die Revisibilität der Sache herbeizuführen; bei einem Ausspruch nach § 500 Abs. 2 ZPO liegt aber, wie durch den Hinweis auf die Vorschriften der §§ 54 bis 60 JN klargestellt wurde, immerhin ein gebundenes Ermessen des Berufungsgerichtes vor. Da bei einem die Revision ermöglichenden Ausspruch nach § 500 Abs. 2 ZPO im Gegensatz zur Vorschrift des § 500 Abs. 3 ZPO das geldwerte Interesse der Parteien maßgebend ist, stehen ihnen auch alle Revisionsgrunde des § 503 ZPO zur Anfechtung des Berufungsurteils offen.
Die verschiedenen Erwägungen, die das Berufungsgericht bei Aussprüchen nach § 500 Abs. 2 ZPO und § 500 Abs. 3 ZPO über die Revisibilität der Rechtssache anzustellen hat, verbieten es daher, eine Umdeutung eines verfehlten Ausspruches vorzunehmen. Behauptet der Kläger sowohl die Nichtanwendbarkeit der Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes als auch subsidiär Kündigungsgrunde des Mietengesetzes und hat das Berufungsgericht über beide Prozeßbehauptungen entschieden, hat es aber, auch wenn es die Revision nach § 500 Abs. 3 ZPO zuläßt, darüber hinaus zur behaupteten Mieterschutzfreiheit auszusprechen, ob der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, 60 000 S übersteigt. Nur dann, wenn auch letzterer Ausspruch vorliegt, kann der OGH die auch in der Revision aufrecht erhaltene Behauptung der Nichtanwendbarkeit der Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes prüfen.
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