Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der zur Tatzeit noch siebzehnjährige, zuletzt beschäftigungslose Hilfsarbeiter Helmut A der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 88 Abs. 3 (§ 81 Z. 1) StGB, des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB, der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB und der Entziehung eines Minderjährigen aus der Macht des Erziehungsberechtigten nach § 195 Abs. 1 StGB (Antrag S. 9) schuldig erkannt.
Der Sache nach nur gegen die Schuldsprüche nach § 94 Abs. 1, 125 und 195 Abs. 1 StGB wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Gründe der Z. 4, 8 und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
In Ausführung des erstgenannten Nichtigkeitsgrunds erachtet sich der Beschwerdeführer zunächst dadurch in seinen Verteidigungsrechten verletzt, daß in bezug auf den Schuldspruch ob § 94 StGB (wonach er es nach von ihm mit einem Messer fahrlässig zugefügter Verletzung des Markus B unterlassen hat, diesem die erforderliche Hilfe zu leisten) sein in der Hauptverhandlung vom 4.Juli 1979 gestellter Antrag auf Vernehmung der Zeugen C und B (gemeint ersichtlich: Mario C und Markus B) zum Beweis dafür, daß er von einer Verletzung des letzteren nichts gesehen habe, vom Schöffensenat abgewiesen wurde (S. 233, 234).
Rechtliche Beurteilung
Dem ist zu erwidern, daß diese Zeugen jedenfalls nicht hätten bekunden können, die Verletzung sei nicht wahrnehmbar gewesen, weil sie selbst zu dieser Frage bereits vernommen wurden und jeweils von der Entstehung eines Blutflecks sprachen (S. 26, 32, Verlesung S. 233;
S. 54, Verlesung S. 232; S. 147). Eine negative Beweisführung durch andere Personen dahingehend, daß eine bestimmte Person einen für sie wahrnehmbaren Umstand tatsächlich nicht wahrgenommen hat, ist aber nach den Denkgesetzen nicht möglich. Die Durchführung dieser Zeugenvernehmungen wäre daher in keinem Fall geeignet gewesen, an der auf mehrfache Erwägungen gestützten Feststellung, wonach der Angeklagte bemerkte, daß er B mit dem Messer verletzt hatte, etwas zu ändern.
Auch ein weiterer Antrag auf Vornahme eines Lokalaugenscheins sowie auf Ausforschung und zeugenschaftliche Vernehmung eines von der Zeugin Karoline D als Tatzeuge bezeichneten Kindes zum Beweis dafür, daß der Beschwerdeführer entgegen einem weiteren Anklagevorwurf (Schuldspruch Punkt III) deren Fensterscheiben (eine Außen- und eine Innenscheibe) nicht vorsätzlich eingeschlagen habe, verfiel mit Recht der Ablehnung. Was den begehrten Lokalaugenschein anlangt, so hat das Erstgericht in seinem abweisenden Beschluß darauf verwiesen, daß die in Rede stehende Örtlichkeit durch vorhandene Lichtbilder eindeutig geklärt ist (S. 234). Eben aus dieser Lichtbildmappe samt Beschreibung (ON. 48, Verlesung S. 233) geht aber - worauf im Urteil zutreffend hingewiesen wird - hervor, daß es im Hinblick auf die Besonderheit der Örtlichkeit als technisch ausgeschlossen angesehen werden muß, daß ein dort Vorbeigehender im Zug eines Ausgleitens versehentlich mit einer Hand die äußere und die dahinterliegende innere Fensterscheibe einschlägt;
denn das Fenster befindet sich in einer gegenüber der Baulinie des Hauses und damit auch gegenüber dem Gehsteig 45 cm zurückversetzten Nische und beginnt erst (unterer Fensterrahmen) in einer Höhe von 1,45 m, wobei der Abstand zwischen innerem und äußerem Fenster 12,5 cm beträgt. Darnach erübrigte sich die Ausforschung der Knaben, der laut Zeugin D übrigens berichtet hat, daß der Angeklagte die Scheibe 'eingeschlagen' habe (S. 232 oben). Einer Befassung mit der untergerichtlichen Argumentation, man könne von 'einem zur Tatzeit fünfjährigen Kind eine beweiskräftige Aussage nicht erwarten' (S. 234), bedarf es nach dem Gesagten ebensowenig.
Die Verfahrensrüge versagt daher.
Eine überschreitung der Anklage (§ 281 Abs. 1 Z. 8 StPO) erblickt der Beschwerdeführer darin, daß er des Vergehens nach § 94 Abs. 1 StGB schuldig erkannt wurde, obgleich der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung vom 4. Juli 1979 eine Ausdehnung des Anklagevorwurfs in diese Richtung bloß unter dem Titel einer 'Eventualklage' vorgenommen habe (S. 233), was nur bedeuten könne, daß ein Absprechen über diese Tathandlung von der Anklagebehörde nur unter einer bestimmten - hier aber schließlich nicht genannten - Bedingung gewünscht werde. Auch insoweit irrt der Beschwerdeführer. Der Staatsanwalt hat die Anklageausdehnung in der Richtung des Vergehens nach § 94 Abs. 1 StGB als 'Eventualklage' (offenbarer Schreibfehler, richtig: 'Eventualanklage') bezeichnet.
Er hat hiedurch mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß er eine Alternativanklage (siehe JABl. 1977/22, sowie Leukauf-Steininger2 RN. 34 zu § 94 StGB) für den - sodann wirklich eingetretenen - Fall erhebt, daß der Schöffensenat die dem B zugefügte Stichverletzung nicht konform der Anklageschrift nach den § 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 1 StGB, sondern gemäß einem mit geringerer Strafe bedrohten Tatbestand aburteilen sollte.
Zufolge der Subsidiaritätsklausel des § 94 Abs. 4 StGB ist der Täter nach den Absätzen 1 und 2 dieser Gesetzesstelle nicht zu bestrafen, wenn er schon wegen der Verletzung mit der gleichen oder einer strengeren Strafe bedroht ist. Dies wäre bei anklagekonformer Verurteilung in diesem Punkt der Fall gewesen (Strafdrohung des § 84 Abs. 2 StGB:
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren; Strafdrohung des § 94 Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen). Als sich auf Grund der Verfahrensergebnisse die Möglichkeit abzeichnete, daß die Verletzungstat nur als fahrlässiges Vergehen nach § 88 Abs. 3 (§ 81 Z. 1) StGB geahndet wird (Strafdrohung: Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen, hat der Staatsanwalt die Anklage pflichtgemäß (s. abermals JABl. 1977/22) auf § 94 StGB eventualiter ausgedehnt. Von einer überschreitung der Anklage unter Verletzung der Vorschriften der § 262, 263 und 267 StPO (§ 281 Abs. 1 Z. 8 StPO) seitens des Schöffensenats kann folglich nicht im entferntesten die Rede sein.
In Ausführung seiner Rechtsrüge vertritt der Beschwerdeführer zunächst (sachlich § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO relevierend) die Ansicht, er habe durch die Aufforderung an den von ihm mit einem Messer verletzten und unmittelbar neben dem Tatort wohnenden B, er möge sofort nach Hause gehen, seiner Hilfeleistungspflicht genügt, zumal er keine weitere Möglichkeit einer Hilfeleistung gehabt habe. Dem ist zu entgegnen, daß der Angeklagte, festgestelltermaßen in Kenntnis der dem B mit dem Messer zugefügten blutenden Verletzung in der Leistengegend, verpflichtet gewesen wäre, sogleich und persönlich dafür zu sorgen, daß dem Verletzten ärztliche Hilfe zuteil wird. Eine solche Hilfeleistung war dem Angeklagten sowohl möglich als auch zumutbar. Geradezu unbegreiflich wird das diesbezügliche Vorbringen des Angeklagten, wenn man bedenkt, daß es sich bei dem Verletzten um einen zur Tatzeit erst zwölfjährigen, geistig schwer behinderten Knaben handelte (B ist am 24.November 1964
geboren, siehe S. 17; daher im Urteil S. 244, bezogen auf die Tatzeit, irrig: 'dreizehnjährig'). Da der Angeklagte sich trotzdem darauf beschränkte, das von ihm gestochene und blutende Kind aufzufordern, nach Hause zu gehen (und dort wahrheitswidrig anzugeben, es habe sich mit einer Glasscherbe verletzt), obwohl er außerdem sah, daß dem verletzten Knaben auch niemand anderer half (S. 244, 245, 253), braucht in Erledigung dieses Teils der Beschwerde nicht mehr gesagt werden.
Schließlich wendet sich die Rechtsrüge, wieder der Sache nach den Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO zur Darstellung bringend, gegen den Schuldspruch ob § 195 StGB Darnach hat der Rechtsmittelwerber während zweier Zeitabschnitte im Jahr 1977 die am 20.August 1962 geborene Lydia E dadurch, dß er ihr in der Wohnung eines Freundes Unterschleif gab, sie auch mit Nahrung versorgte, der Macht der erziehungsberechtigten Mutter entzogen bzw. vor dieser verborgen.
Der Beschwerdeführer bezweifelt, daß das geschilderte Verhalten den Tatbestand erfülle. Indes ist das nicht nur dann der Fall, wenn die minderjährige Person erst über Einwirken des Täters den Erziehungsberechtigten verläßt, sondern auch dann, wenn der Täter die durch das freiwillige Entweichen der minderjährigen Person geschaffene rechtswidrige Lage aufrechterhält und es hiedurch dem Erziehungsberechtigten unmöglich macht, die Erziehungsrechte auszuüben. Hiezu genügt es, daß - wie vorliegend -
der Täter der minderjährigen Person Unterkunft verschafft, sie also verbirgt und sie verpflegt. Im übrigen hat sich der Angeklagte zum zweiten Tatzeitpunkt auch an der Abholung des Mädchens, welches aus dem Wohnungsfenster kletterte, beteiligt. Der Schuldspruch gemäß § 195 Abs. 1
StGB ist sonach irrtumsfrei.
Soweit der Angeklagte abschließend behauptet, er habe in seinem Verhalten in bezug auf Lydia E 'nichts Unrechtes erblicken können' und sich solcherart auf einen Rechtsirrtum (§ 9 StGB) beruft, den er nach seinen weiteren Ausführungen für nicht vorwerfbar hält, so ist ihm bloß zu entgegnen, daß in Österreich die Rechtswidrigkeit des Verbergens einer gegen den Willen der Erziehungsberechtigten aus deren Muntgewalt entwichenen Minderjährigen als zum Kernbestand des Strafrechts gehörig allgemein - auch bei Personen gerade noch jugendlichen Alters, wie dies auf den Angeklagten zur Tatzeit zutraf
-
bekannt ist. Das Unrecht der Unterschleifgewährung war daher für den Angeklagten wie für jedermann leicht erkennbar, ein solcher Irrtum, sollte er tatsächlich bestanden haben, wäre ihm vorzuwerfen. Da der Beschwerdeführer vorsätzlich handelte, wäre sohin auch für den Fall eines Rechtsirrtums gemäß § 9 Abs. 3 StGB die für die vorsätzliche Tat vorgesehene Strafdrohung anzuwenden und folglich für ihn daraus nichts zu gewinnen.
Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war sonach zu verwerfen.
Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach den § 28 und 84 Abs. 1 StGB in Anwendung des § 11
JGG. sowie unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB auf die Urteile des Landesgerichts Innsbruck vom 20.Juni 1977, GZ. 23 Vr 704/77-12, und vom 7.November 1978, GZ. 25 Vr 1945/78-18, sowie auf die Strafverfügung des BG Innsbruck vom 7.November (richtig: 12.August) 1977, GZ. 18 U 992/77-3, eine zusätzliche Freiheitsstrafe von drei Monaten und fünfundzwanzig Tagen. In Bemessung dieser Strafe hielt es für erschwerend das Zusammentreffen von fünf Vergehen, die Wiederholung bezüglich des Vergehens nach § 195 StGB, eine einschlägige Vorstrafe und den raschen Rückfall; als mildernd hingeen erachtete es lediglich ein Teilgeständnis.
Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung dieser Zusatzstrafe an.
Der Berufung bleibt ein Erfolgt versagt.
Das dem § 195 Abs. 1 StGB unterstellte Verhalten des Angeklagten ist nämlich keineswegs als 'einheitlicher Gesamtvorgang zu beurteilen', sondern zerfällt in zwei zeitlich wie auch in der Begehungsweise deutlich voneinander unterscheidbare Tathandlungen, weshalb hiezu die Tatwiederholung zu Recht als erschwerend gewertet wurde. Auch der Umstand, daß die (zu den übrigen Delikten vergleichsweise untergeordnete) Sachbeschädigung (III) nicht ohne Einwirkung anderer geschah, ist kein Gesichtspunkt, der eine Reduzierung des Strafmaßes vertretbar erscheinen ließe. Die Zusatzstrafe erweist sich vielmehr nicht als überhöht, bedenkt man die vorliegende Deliktskonkurrenz, die offenkundige Neigung des Berufungswerbers zur Aggressivität und seinen schlechten Leumund (S. 12).
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