OGH 12Os66/80

OGH12Os66/803.7.1980

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.Juli 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Friedrich und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Mohr als Schriftführer in der Strafsache gegen Andreas A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. über die vom Angeklagten erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie über die von der Staatsanwaltschaft erhobene Berufung gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 30.Jänner 1980, GZ. 20 e Vr 10525/78-82, nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Mayrhofer und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Melnizky, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird nicht Folge gegeben, jene des Angeklagten zurückgewiesen.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 27.März 1951 geborene, zuletzt beschäftigungslose Hilfsarbeiter Andreas A des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB.

schuldig erkannt, weil er am 21.Dezember 1978 in Wien Alfred B dadurch vorsätzlich tötete, daß er ihm mit einer Pistole (Kal. 7,65 mm) einen Kopfdurchschuß zufügte.

Dieser Schuldspruch beruht auf dem Wahrspruch der Geschwornen, welche die wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. anklagekonform an sie gerichtete Hauptfrage 1 mit sieben Ja-Stimmen gegen eine Nein-Stimme bejahten. Die in Richtung des § 287 (75) StGB. gestellte (erste) Eventualfrage 2, ob der Angeklagte die in der Hauptfrage beschriebene Tat im Zustand fahrlässig herbeigeführter voller Berauschung verübt habe, wurde von den Geschwornen einstimmig verneint, die weitere Eventualfrage 3 in der Richtung des Verbrechens der (vorsätzlichen) Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 StGB. ließen sie unbeantwortet. Die auf das Vorliegen der Voraussetzungen rechtfertigender (echter) Notwehr im Sinne des § 3 Abs. 1

erster Satz StGB. gerichtete Zusatzfrage 4 und die (richtigerweise nur im Fall der Bejahung der Hauptfrage 1 und der Zusatzfrage 4, oder aber bei Verneinung der Hauptfrage 1 zu beantwortende) Eventualfrage 5 in Richtung des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB., begangen in schuldhafter Notwehrüberschreitung im Sinne (eines) der beiden Fälle des § 3 Abs. 2 StGB., wurde von den Geschwornen einstimmig verneint; unbeantwortet ließen sie schließlich die weiteren Eventualfragen 6 und 7, jeweils gerichtet auf das Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 287 StGB., und zwar hinsichtlich der fahrlässigen Tötung (des Alfred B) nach § 80

StGB. (Nr. 6) bzw. der Körperverletzung (des Genannten) mit tödlichem Ausgang nach § 86 StGB. (Nr. 7).

Rechtliche Beurteilung

Den wegen des Verbrechens des Mordes gemäß § 75 StGB. gefällten Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit seiner auf die Z. 6, 8 und 9 des § 345 Abs. 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Mit Beziehung auf den erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund rügt der Beschwerdeführer als Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung das Unterbleiben einer - übrigens von keiner Seite beantragten - Eventualfrage (§ 314 Abs. 1 StPO.) wegen Verbrechens des Totschlages nach § 76 StGB.

Die Rüge versagt, weil vorliegend mangels eines entsprechenden Tatsachenvorbringens (in der Hauptverhandlung) ein eine solche (rechtliche) Beurteilung zulassendes Tatgeschehen konkret überhaupt nicht indiziert war. Ergeben doch weder die eigene Verantwortung des Angeklagten, der vorbrachte, daß er Alfred B, ohne dafür ein plausibles Motiv nennen zu können, geschlagen habe, ihm nachgelaufen sei und ihm die Pistole (die B in der Hand hielt) weggenommen habe, ihn dann damit niedergeschlagen und sodann 'in seinem Rausch' auf den schon am Boden Liegenden weiterhin eingeschlagen habe, wobei es zum (tödlichen) Schuß gekommen sei (S. 353 - 355), noch die damit im wesentlichen übereinstimmende Hergangsschilderung des Tatzeugen Andreas C (S. 383 - 386), noch etwa andere Verfahrensergebnisse einen Hinweis auf eine heftige Gemütsbewegung des Angeklagten im Zeitpunkt der Attacke und Schußabgabe gegen Alfred B, die als 'allgemein begreiflich' beurteilt werden könnte, was aber für eine Unterstellung der Tat unter den Tatbestand des § 76 StGB. und damit für die Zulassung einer diesbezüglichen (Eventual-) Frage seitens des Schwurgerichtshofes erforderlich gewesen wäre (vgl. Leukauf-Steininger2, RN. 4 ff. zu § 76; SSt. 28/19, 39/50, EvBl. 1978/119, 11 Os 108/76, 11 Os 72/78 u.a.).

In Ausführung des Nichtigkeitsgrundes der Z. 8 des § 345 Abs. 1 StPO. räumt der Beschwerdeführer zwar ein, daß die den Geschwornen schriftlich erteilte Rechtsbelehrung (Beilage E/ zu ON. 81) 'mit den einschlägigen Gesetzen und Grundsätzen des Strafverfahrens nicht in Widerspruch steht', meint aber, daß sie wegen ihres Umfanges und ihrer Ausführlichkeit sowie wegen des komplizierten Aufbaues der Fragestellung, geeignet war, eine irrtümliche Beantwortung der gestellten Fragen durch die Geschwornen herbeizuführen. Konkret bemängelt der Beschwerdeführer - ersichtlich mit Beziehung auf die in der Richtung des Vergehens nach § 287 StGB. gestellten Eventualfragen (Nr. 2, 6 und 7 des Fragenschemas) - das Fehlen eines Hinweises in der Rechtsbelehrung darauf, daß bei einem Blutalkoholgehalt von 4,5 %o grundsätzlich eine die Unterscheidungs- und Dispositionsfähigkeit des Täters ausschließende volle Berauschung anzunehmen sei.

Auch mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer nicht im Recht. Die (relative) Ausführlichkeit und der Umfang der den Geschwornen (auf 9 Maschinschreibseiten) erteilten Rechtsbelehrung ergab sich vorliegend zwangsläufig aus der Vielzahl der den Geschwornen zur Beantwortung vorgelegten Fragen, mit welchen insbesondere der auch in Richtung Notwehr, fahrlässiger Tötung in Notwehrüberschreitung (s. Zusatzfrage 4 und Eventualfrage 5);

weiters eines Handelns im Zustand (selbstverschuldeter) voller Berauschung (Eventualfragen 2, 6 und 7) bzw. ohne Tötungsvorsatz (Eventualfrage 3) deutbaren Verantwortung des Angeklagten - Rechnung getragen werden sollte. Der Inhalt der Niederschrift der Erwägungen der Geschwornen im Sinne des § 331 Abs. 3 StPO. (Beilage D/ zu ON. 81) läßt im übrigen deutlich erkennen, daß die Geschwornen die einzelnen Fragen auch in ihrem Zusammenhalt, ebenso wie die zugehörige Rechtsbelehrung, keineswegs mißverstanden haben, wie dies vom Beschwerdeführer ohne nähere Konkretisierung behauptet wird. Daß sie aber in ihrem Wahrspruch die im Fragenschema unter Nr. 2 aufscheinende Eventualfrage - ersichtlich infolge der insoweit (unbekämpft) erfolgten Anwendung des sogenannten 'Zweifragenschemas' (vgl. hiezu kritisch SSt. 44/32) - bei Bejahung der zugehörigen Hauptfrage 1, ebenso wie die Eventualfrage 5 des Fragenschemas trotz Verneinung der zugehörigen Zusatzfrage 4 - jeweils stimmeneinhellig mit nein -beantworteten, hingegen, im Hinblick auf § 317 Abs. 3 StPO. zutreffend, die restlichen Eventualfragen - darunter auch die vom Beschwerdeführer erwähnte Eventualfrage 3 (in Richtung des § 86 StGB.) -

unbeantwortet ließen, hat sich vorliegend ersichtlich nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt. Denn die Geschwornen brachten durch diese ausdrückliche Beantwortung der erstbezeichneten, durch einschlägige Verfahrensergebnisse wohl indizierten Eventualfragen 2 und 5 nur zum Ausdruck, daß sie sich auch mit den im Gegenstandsfall bedeutsamen Fragen einer (fahrlässig herbeigeführten) vollen Berauschung des Angeklagten im Tatzeitpunkt bzw. des Vorliegens einer (schuldhaften) Notwehrüberschreitung besonders befaßt, beide Fragen indes - und zwar ohne Widerspruch zur eingangs bejahten Hauptfrage auf das Verbrechen des Mordes - verneint haben. Auch hiedurch ist nach Lage des Falles weder ein Mißverständnis der Geschwornen über den Sinngehalt und Inhalt der ihnen erteilten schriftlichen Rechtsbelehrung und der gestellten Fragen indiziert, noch wurde im gegebenen Zusammenhang eine vom Beschwerdeführer unter Hinweis auf die - zutreffende - Nichtbeantwortung der in Richtung des § 86 StGB. gestellten Eventualfrage 3 unter dem Gesichtspunkt einer Urteilsnichtigkeit nach § 345 Abs. 1 Z. 9 StPO. relevierte Unvollständigkeit und Undeutlichkeit (noch ein innerer Widerspruch) der Antworten der Geschwornen auf die Fragen bewirkt (vgl. EvBl. 1978/119).

Schließlich macht auch das Fehlen eines Hinweises in der Rechtsbelehrung darauf, daß bei einem Blutalkoholwert von 4,5 %o stets eine volle Berauschung des Täters zu präsumieren sei, die Rechtsbelehrung nicht zu einer (infolge Unvollständigkeit) unrichtigen (vgl. SSt. 47/11) im Sinne des vom Beschwerdeführer (auch) geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes der Z. 8 des § 345 Abs. 1 StPO. Denn ein allgemeiner Erfahrungsgrundsatz, daß jeder Mensch bei Vorliegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration infolge Vollrausches zurechnungsunfähig wäre, besteht nicht; es kommt vielmehr stets auf die besonderen Umstände des konkreten Einzelfalles an (vgl. Leukauf-Steininger2, a.a.O., RN. 9 zu § 287), auf die zwar in der nach § 323 Abs. 2 StPO.

vorgesehenen Besprechung des Vorsitzenden mit den Geschwornen, nicht aber schon in der schriftlichen Rechtsbelehrung (§ 321 StPO.) einzugehen war (LSK. 1979/356).

Vorliegend kommt noch hinzu, daß beim Angeklagten ein auf seinen Zustand zur Tatzeit beziehbarer Blutalkoholwert gar nicht ermittelt werden konnte (S. 301) und die Geschwornen zudem ohnedies durch das auch zur Frage der Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit vom gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. Georg E erstattete Gutachten (S. 408) hinlänglich auf die Bedeutung eines nach den Trinkangaben des Angeklagten sich (nur) theoretisch ergebenden Blutalkoholwertes von etwa 4,5 %o informiert wurden, sodaß es auch aus diesen Gründen eines diesbezüglichen Hinweises in der Rechtsbelehrung, welche die Voraussetzungen einer vollen Berauschung im Sinne des § 287 StGB. besonders ausführlich und auch zutreffend erläutert, nicht bedurfte.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war mithin zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach § 75 StGB. zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe. Dabei erachtete es ersichtlich die - 'eher geringfügig' bewerteten - einschlägigen Vorstrafen als erschwerend; als mildernd wertete es hingegen das Mitverschulden des Opfers.

Gegen diesen Strafausspruch richten sich die (nicht ausgeführte) Berufung des Angeklagten und die der Staatsanwaltschaft, welche eine Erhöhung des Strafmaßes beantragt.

Der Angeklagte hat nach der Urteilsverkündung auch das Rechtsmittel der Berufung angemeldet (S. 412), in der Folge aber nur die Nichtigkeitsbeschwerde ausgeführt (S. 431 ff.). Da er bei der Anmeldung der Berufung nicht ausdrücklich erklärt hat, durch welche Punkte des Erkenntnisses er sich beschwert finde (§§ 294 Abs. 2 und 4, 344

StPO.), war seine angemeldete, jedoch nicht ausgeführte Berufung zurückzuweisen.

Aber auch der Berufung der Staatsanwaltschaft kommt keine Berechtigung zu.

Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe - wenn man von der ausdrücklichen Zitierung der einschlägigen Vorstrafen als besonderen Erschwerungsgrund absieht -

im wesentlichen richtig festgestellt, zumal die von der Anklagebehörde (zusätzlich) reklamierten Erschwerungsgründe in Wahrheit nicht vorliegen bzw. vom Tatbild des § 75 StGB. ohnedies umfaßt sind. Es hat unter diesem Gesichtspunkt die Zumessungsgründe zutreffend gewürdigt und solcherart ein Strafmaß gefunden, das dem Schuld- wie Unrechtsgehalt der Straftat und der Täterpersönlichkeit des Angeklagten entspricht. Für eine Korrektur der Strafhöhe nach oben bestand daher nach Lage des Falles keine Veranlassung, weshalb der Berufung der Staatsanwaltschaft (gleichfalls) ein Erfolg zu versagen war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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