OGH 11Os72/78

OGH11Os72/7812.9.1978

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. September 1978

unter dem Vorsitz des Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Schneider, Dr. Steininger und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Goldmann als Schriftführer in der Strafsache gegen Rainer A wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Linz vom 7. Februar 1978, GZ. 22 Vr 2103/77-50, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schneider, der Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Viktor V. Supplit, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch sowie das darauf beruhende Urteil werden aufgehoben und es wird die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 4. Mai 1959 geborene, zuletzt beschäftigungslos gewesene Rainer A des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 8. September 1977

in Linz (seine Mutter) Berta A durch Abgabe mehrerer gegen sie gerichteter Schüsse vorsätzlich getötet hatte.

Die Geschwornen hatten die - einzige - an sie gerichtete Hauptfrage auf Mord stimmeneinhellig bejaht und die auf Zurechnungsunfähigkeit und volle Berauschung lautenden (zwei) Zusatzfragen mit dem gleichen Abstimmungsergebnis verneint. Demgemäß entfiel die Beantwortung der Eventualfrage in Richtung des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich Mordes, im Zustande voller Berauschung.

Der Angeklagte ficht den Schuldspruch mit einer auf den Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z 6 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an, in der er die Unterlassung der - von ihm überdies ausdrücklich beantragten -

Stellung von Eventualfragen in Richtung des Verbrechens des Totschlages nach dem § 76 StGB und des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach dem § 80 StGB rügt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rüge kommt, soweit sie sich auf die Unterlassung der Stellung einer Eventualfrage nach dem Vergehen der fahrlässigen Tötung nach dem § 80 StGB bezieht, Berechtigung zu.

Eine Eventualfrage ist nach dem § 314 Abs. 1 StPO u.a. dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, wonach die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als jenes in der Anklageschrift angeführte. Sollen doch Eventualfragen den Geschwornen die Möglichkeit bieten, ihrer überzeugung Ausdruck zu geben, daß sich der Angeklagte einer anderen als der in der Anklage angeführten Handlung schuldig gemacht habe. Sie sind also eine Alternative zur korrespondierenden Hauptfrage im Sinne der Anklage. Demgemäß sind sie (auch) ein Ausfluß des Verteidigungsrechtes des Angeklagten, der auf eine Abschwächung des strengeren Standpunktes der Anklage hinwirken will; sie setzen die Geschwornen in die Lage, den Angeklagten zwar schuldig zu sprechen, jedoch (u.a.) einer solchen Tat, die unter ein nicht strengeres Strafgesetz fällt als das von der Anklage angenommene. Auch wenn der Schwurgerichtshof der überzeugung ist, daß sich die vorgebrachte Tatsache nicht zugetragen habe, darf er aus diesem Grund allein die Stellung einer Eventualfrage nicht unterlassen, weil die Lösung von Beweisfragen (aufgrund von in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachen) allein den Geschwornen obliegt (vgl. dazu Foregger-Serini, Erl. zu § 314

StPO2 und die dort zitierte Judikatur).

Berücksichtigt man auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen die Verantwortung des Beschwerdeführers, derzufolge er durch die Abgabe von ungezielten Schüssen (aus geringer Distanz) in Richtung seiner Mutter die Genannte nur 'schrecken' wollte, um sie von der Begehung des - seiner Meinung nach ernstlich - angedrohten Selbstmordes abzuhalten, wobei jedoch keine Tötungsabsicht bestanden habe (vgl. dazu insbesondere die Verantwortung in der Hauptverhandlung, S. 422 ff/I.Bd, aber auch die Angaben beim Untersuchungsrichter, S. 72 ff/I. Bd, und beim Sachverständigen Dozent Dr. Kaiser, S. 367 bis 369/I. Bd, in Verbindung mit S. 462 ff/I. Bd), gelangt man - insoweit im Gegensatz zur Meinung des Schwurgerichtshofes (vgl. dazu den die Stellung von Eventualfragen abweisenden Beschluß, S. 496/I. Bd) - zu dem Ergebnis, daß Eventualfragen in Richtung der Vergehen der fahrlässigen Tötung nach dem § 80 StGB (allenfalls auch der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach dem § 81 Z 1 StGB) an die Geschwornen zu richten gewesen wären. Denn wie dargelegt, ist es - unabhängig von der Glaubwürdigkeit (u.a.) einer Verantwortung - das Recht und die Pflicht allein der Geschwornen, die Beweisfrage des Vorsatzes auf der Basis des Vorbringens in der Hauptverhandlung zu lösen. (Die Fragestellung auch nach /schwerer/ Nötigung im Sinne der § 105 Abs. 1 f StGB aufgrund der Selbstmordverhinderungsversion kann mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 105 Abs. 2 StGB unterbleiben.) Der Beschwerdeführer ist hingegen nicht im Recht, wenn er unter Hinweis auf seine (weitere) Verantwortung, er habe sich zur Tatzeit infolge des unmittelbar vorangegangenen Verhaltens seiner Mutter ihm gegenüber (Versetzen einer Ohrfeige vor Freunden in Verbindung mit dem Verbot, Alkohol zu konsumieren, sodann - nach Entfernung der Freunde - Vorwürfe und eine ernst aufgefaßte Selbstmorddrohung) in einem 'außergewöhnlichen, noch nie erlebten Gemütszustand' befunden (vgl. dazu die beim Untersuchungsrichter aufrecht erhaltenen Polizeiangaben des Beschwerdeführers /S. 50/I. Bd. in Verbindung mit S. 72 ff/I. Bd./, die in der Hauptverhandlung verlesen wurden /S. 469/I.Bd/), die Unterlassung der Stellung (auch) einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlages rügt. Bei Beurteilung der - dem Schwurgerichtshof zustehenden - rechtlichen Erheblichkeit behaupteter Tatsachen, vorliegendenfalls der allgemeinen Begreiflichkeit der (behaupteten) heftigen Gemütsbewegung (§ 76 StGB) ist nämlich im Zusammenhang mit der Vorschrift (u.a.) des § 314 StPO zu prüfen, ob die in Rede stehende Tatsache bei richtiger Gesetzesauslegung die Unterstellung der Tat unter ein anderes Strafgesetz überhaupt gestattet (vgl. dazu Gebert-Pallin-Pfeiffer, III/2, Nr. 28 und 29 zu § 3l4 StPO). Geht man nun davon aus, daß sich nur eine solche heftige Gemütsbewegung als allgemein begreiflich darstellt, die für einen Durchschnittsmenschen - als objektiver Maßstab -

in dem Sinne verständlich ist, daß sich dieser vorstellen kann, auch er geriete unter den gegebenen besonderen Umständen in eine solche Gemütsverfassung (vgl. dazu u.a. 13 Os 93/75 = ÖJZ-LSK 1975/185), ergibt sich (in rechtlicher Hinsicht) vorliegend die Verneinung einer solchen allgemeinen Begreiflichkeit. Wie nämlich der Schwurgerichtshof insoweit rechtsrichtig ekannte (vgl. S. 495, 496/I. Bd.), war der die - behauptete - heftige Gemütsbewegung herbeiführende Anlaß, nämlich das schon wiedergegebene, vom Beschwerdeführer vorgebrachte Verhalten seiner Mutter, objektiv betrachtet nicht derart gravierend, daß die - vom Beschwerdeführer behauptete - heftige Gemütsbewegung verständlich im vorstehend dargelegten Sinn erschiene.

Der Schwurgerichtshof hat daher die Stellung einer auf Totschlag lautenden Eventualfrage rechtsrichtig abgelehnt.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

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