OGH 2Ob75/80

OGH2Ob75/8024.6.1980

SZ 53/96

Normen

ABGB §1327
ABGB §1327

 

Spruch:

Ob der Rentenanspruch eines Hinterbliebenen aus dem Titel des Unterhaltsentganges mit dem Erreichen des Pensionsalters des getöteten Unterhaltspflichtigen zeitlich zu begrenzen ist, hängt davon ab, ob nach der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Entwicklung auch noch nach diesem Zeitpunkt mit einem Unterhaltsentgang des anspruchsberechtigten Hinterbliebenen zu rechnen ist

OGH 24. Juni 1980, 2 Ob 75/80 (LG Graz 6 R 2/80; LG Klagenfurt 18 Cg 253/78)

Text

Am 21. August 1974 wurde der am 13. Juni 1920 geborene F P, der Ehemann der Klägerin und von Beruf Beamter war, bei einem Verkehrsunfall getötet, den der Zweitbeklagte als Lenker eines bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten PKW verschuldet hatte. Die Klägerin begehrte aus dem Rechtsgrund des Unterhaltsentganges die Zahlung einer Rente ohne zeitliche Begrenzung. Das Erstgericht sprach der Klägerin eine Rente für die Zeit der mutmaßlichen Lebensdauer des Getöteten (bis 31. Juli 1993) zu. Das Berufungsgericht billigte diese Begrenzung der Rentendauer. Wie sich das Einkommen des Getöteten durch die mit 31. Dezember 1985 zu erwartende Pensionierung verändert hätte, könne derzeit nicht abgeschätzt werden, sodaß den Beklagten nur das Recht zustehe, zur gegebenen Zeit allenfalls eine Herabsetzung der Rente zu verlangen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten, soweit sie die Begrenzung der Rente mit dem Pensionsalter des Getöteten anstrebten, nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Beklagten führen aus, daß der verstorbene Ehemann der Klägerin am 31. Juli 1985 das Pensionsalter erreicht hätte. Da die Klägerin ihr Klagebegehren ausdrücklich auf die Vergleichung der Aktivbezüge des Getöteten abgestellt habe, diese aber mit dem angeführten Zeitpunkt wegfielen, könne die Rente schon jetzt bis zum 31. Juli 1985 begrenzt werden. Wenn später die richtigen Vergleichsziffern vorlägen, könne die Klägerin ein entsprechendes neues Begehren stellen. Umgekehrt stunde jedoch den Beklagten ein Klagerecht nach § 35 EO nicht zu, weil schon jetzt im Titelprozeß bekannt sei, daß das Einkommen des Getöteten nach Erreichung des Pensionsalters jedenfalls geringer als seine Aktivbezüge sein werde. Es gehe nicht an, schon jetzt den Beklagten die Beweislast dafür aufzuerlegen, daß der Anspruch der Klägerin dann nicht mehr so hoch sein werde. Die Beklagten könnten auch die Berechnungsgrundlagen für die Höhe der Pension des Getöteten nicht ermitteln.

Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis keine Berechtigung zu. Der Anspruch auf entgangenen Unterhalt gemäß § 1327 ABGB besteht so lange und in dem Umfange, als der Getötete nach dem Gesetz für den Unterhalt des Hinterbliebenen zu sorgen gehabt hätte. Es ist allgemein anerkannt, daß dem Hinterbliebenen auch nach dem Zeitpunkt, da der Getötete das Pensionsalter erreicht hätte, ein solcher Rentenanspruch gebühren kann. Auch in den Entscheidungen des OGH ZVR 1961/288 und SZ 44/168 wird entgegen den Ausführungen von Koziol (Haftpflichtrecht II, 131) nicht ausgesprochen, daß die Rente schlechthin mit jenem Zeitpunkt zu begrenzen sei, zu dem der Getötete in Pension gegangen wäre. Seit der grundsätzlichen Entscheidung SZ 44/183 wurde wohl ständig ausgesprochen, daß auf die offenkundige Tatsache der Beendigung der Erwerbstätigkeit nach Erreichung des Pensionsalters auch ohne Behauptung oder Einwendung einer Partei Bedacht zu nehmen sei; ob es aber bei Berücksichtigung des Pensionsalters zur Begrenzung der Rente kommt oder nicht, hängt immer von den Umständen des Einzelfalles ab.

Hinsichtlich der dabei zu treffenden Prognose über die künftige Entwicklung der Einkommensverhältnisse des Getöteten und des dem Hinterbliebenen nach Erreichung des Pensionsalters künftig entgehenden Unterhaltes ist grundsätzlich von den gegenwärtigen Verhältnissen auszugehen und auf Veränderungen in der Zukunft nach den bei Schluß der Verhandlung maßgebenden Verhältnissen Bedacht zu nehmen (ZVR 1975/168). Da sich eine künftige Entwicklung dieser Art nie mit unbedingter Sicherheit abschätzen läßt, genügt eine nach den Umständen mit großer Wahrscheinlichkeit eintretende Entwicklung, die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten ist (ZVR 1973/160).

Im vorliegenden Fall ist es in diesem Sinne nicht unwahrscheinlich, daß der Klägerin für die Zeit nach der Erreichung des Pensionsalters ihres getöteten Ehemannes ziffernmäßig annähernd derselbe Betrag entgehen wird wie bis dahin. Der Ruhegenuß des Getöteten hätte 80% des Aktivbezuges betragen. Die meisten Zulagen sind ruhegenußfähig. Es würden der Pensionsbeitrag entfallen und sich die prozentuelle Lohnsteuerbelastung verringern. Dazu kommt der Umstand, daß ein nicht mehr berufstätiger Mann nach der Pensionierung erfahrungsgemäß weniger für sich selbst verbraucht. Und schließlich kann auch die derzeit herrschende inflationäre Entwicklung nicht außer Betracht bleiben.

Bei dieser Sachlage ist die Verurteilung der beklagten Parteien zur Zahlung einer Rente an die Klägerin über das Pensionsalter hinaus frei von Rechtsirrtum.

Die von den Beklagten in ihrer Revision erörterten Gefahren im Zusammenhang mit einer späteren Klage nach § 35 EO können nicht auftreten, wenn die oben aufgezeigten Grundsätze beachtet werden. Ein Beweisnotstand der Beklagten ist schwer vorstellbar, weil die Höhe des Ruhegenusses eines Beamten genau durch Gesetze bestimmt wird und daher von jedermann zu ermitteln ist.

Stichworte