OGH 7Ob56/79

OGH7Ob56/796.12.1979

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Neperscheni als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick, Dr. Petrasch, Dr. Wurz und Dr. Jensik als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*****-AG, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Jeannée, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Leopold S*****, vertreten durch Dr. Erwin Dillinger, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen 111.407 S sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. September 1979, GZ 18 R 121/79-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichts St. Pölten vom 2. Mai 1979, GZ 6 Cg 105/79-5, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Beklagte war am 12. 7. 1977 bei der Klägerin mit seinem „Mofa, Marke Zündapp“, mit dem polizeilichen Kennzeichen *****, gegen Haftpflicht versichert. An diesem Tage verschuldete er mit dem versicherten Fahrzeug in St. Pölten einen Verkehrsunfall, bei dem Christine H***** verletzt wurde. Der Beklagte hatte das Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von ca 50 km/h gelenkt. Die Klägerin hat Versicherungsleistungen an Christine H***** erbracht, die sie mit der vorliegenden Klage mit der Begründung zurückverlangt, die Verwendung eines Mopeds, das eine Geschwindigkeit von mehr als 40 km/h erreichen kann, begründe eine Gefahrenerhöhung, die zur Leistungsfreiheit des Versicherers führe. Die Klägerin habe im Übrigen Versicherungsschutz abgelehnt und dies dem Beklagten unter Hinweis auf die Bestimmung des § 12 Abs 3 VersVG mitgeteilt.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren mit der Begründung abgewiesen, eine Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit um ca 10 km/h begründe keine wesentliche Gefahrenerhöhung, zumal hiedurch nicht die Herbeiführung eines Gefahrenzustands von gewisser Dauer bewirkt werde.

Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Rechtlich vertrat es den Standpunkt, im Hinblick auf § 2 Z 14 KFG müsse das Einhalten einer Geschwindigkeit von 50 km/h als erhebliche Überschreitung angesehen werden. Dies führe aber für sich allein noch nicht zu einer Leistungsfreiheit der Klägerin. Eine solche wäre nur anzunehmen, wenn der Beklagte in Kenntnis der durch die Möglichkeit des Erreichens einer höheren Geschwindigkeit begründeten Gefahrenerhöhung eine längere Fahrt mit der generellen Absicht der Weiterbenützung des Kraftfahrzeugs angetreten hätte. Diesbezüglich fehle es an entsprechenden Feststellungen. Zu prüfen werde aber vor allem sein, ob es sich tatsächlich um ein Fahrzeug im Sinne des § 2 Z 14 KFG 1967 gehandelt habe, weil andernfalls die bloße Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit keine Gefahrenerhöhung wäre.

Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, ihn aufzuheben und dem Berufungsgericht eine Sachentscheidung aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht gerechtfertigt.

Im Verfahren erster Instanz wurde übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Beklagte ein Motorfahrrad benützt hat. Hiebei spielt es keine Rolle, dass nicht dieser Ausdruck, sondern die im allgemeinen Sprachgebrauch üblichen Abkürzungen (Moped und Mofa) verwendet worden sind. Die Klägerin ließ in der Klage eindeutig erkennen, dass sie die Verwendung eines Fahrzeugs, das den Zulassungsbestimmungen nicht entsprochen hat, rügt und dass sie nicht etwa einen Risikoausschluss geltend machen wolle. Sie beruft sich vielmehr ausdrücklich auf die Bestimmungen des Art 7 AKHB und der §§ 23 und 25 VersVG, die alle eine Gefahrenerhöhung zum Gegenstand haben. Der Beklagte geht ebenfalls von jenen Bestimmungen aus, die sich mit Motorfahrrädern beschäftigen. Demnach haben beide Parteien zweifelsfrei erkennen lassen, dass sie der Beurteilung der Rechtssache die Verwendung eines Motorfahrrads durch den Beklagten zugrunde legen wollen. Aus diesem Grunde bedarf es keiner weiteren Erhebungen in dieser Richtung.

Im Übrigen ist nicht einzusehen, was für die Klägerin gewonnen sein sollte, falls der Beklagte mit einem Motorrad und nicht mit einem Motorfahrrad gefahren wäre. Diesfalls käme nämlich die von der Klägerin geltend gemachte Gefahrenerhöhung keinesfalls in Frage, weil dann die Geschwindigkeitsbeschränkung des § 2 Z 14 KFG 1967 nicht gelten würde. Einen Risikoausschluss hat aber die Klägerin gar nicht geltend gemacht.

In der Sache selbst ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, derzufolge sich die Klägerin auf § 12 Abs 3 VersVG nicht mit Erfolg berufen könne, zutreffend, weil die Klägerin bereits gezahlte Beträge zurückverlangt. Leistet aber der Haftpflichtversicherer vor Ablauf der Klagsfrist des § 12 Abs 3 VersVG Zahlungen an den geschädigten Dritten, so stellen sich diese noch als Erfüllung der Verpflichtung zur Gewährung des Versicherungsschutzes dar, weil der Anspruch auf diesen erst mit fruchtlosem Ablauf der Klagsfrist untergeht. Diesfalls muss der Versicherer, der Leistungsfreiheit in Anspruch nehmen will, hiefür materielle Gründe beweisen (VersR 1978, 191 ua).

Feststeht, dass der Beklagte mit einem sogenannten Motorfahrrad gefahren ist. Nach § 2 Z 14 KFG 1967 versteht man darunter ein Kraftrad mit einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 40 km/h bei einer Belastung von 75 kg. Der Einwand des Beklagten, diese Bestimmung sei für die Beurteilung der Frage der Gefahrenerhöhung ohne Bedeutung, weil andernfalls eine Versicherung nicht vorläge, wenn das Fahrzeug infolge geringerer Belastung eine größere Geschwindigkeit erreichen könne, ist nicht stichhaltig, weil es sich bei der genannten Belastung um ein reines Meßkriterium handelt. Die genannte Geschwindigkeit darf unter Voraussetzung dieser Belastung bei Windstille nicht überschritten werden können (EB zur Regierungsvorlage des KFG 1967 zu § 2 Z 14).

Dass das Fahren mit einem Fahrzeug, das die höchstzulässige Bauartgeschwindigkeit überschreiten kann, objektiv eine Gefahrenerhöhung bedeutet, ergibt sich aus dem Schutzzweck der Normen, die es dem Kraftfahrer zur Pflicht machen, die zulässige Geschwindigkeit nicht zu überschreiten. Der Zweck dieser Normen liegt eben darin, alle Gefahren im Straßenverkehr zu verhindern, die eine überhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt (ZVR 1976/74, ZVR 1970/86 ua). Dass § 2 Z 4 KFG 1967 auch die Pflicht zur Nichtüberschreitung der dort genannten Geschwindigkeit begründet, ergibt sich aus ihrem Zusammenhang mit § 58 Abs 2 KDV 1967, derzufolge mit Kraftfahrzeugen, für die besondere Bestimmungen des KFG 1967 und der aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen nur gelten, wenn nach ihrer Bauart und Ausrüstung dauernd gewährleistet ist, dass mit ihnen auf gerader waagrechter Fahrbahn bei Windstille eine bestimmte Geschwindigkeit nicht überschritten werden kann, diese Geschwindigkeit nicht überschritten werden darf (8 Ob 182/79, 8 Ob 75/77, 2 Ob 221/78 ua).

Es ergibt sich somit, dass dem Versicherungsvertrag ein Fahrzeug zugrunde gelegt worden ist, das nach seiner Bauart 40 km/h nicht überschreiten können darf, mit dem der Beklagte aber diese Geschwindigkeit nicht unerheblich überschritten hat. Es kann nämlich nicht verkannt werden, dass die Überschreitung immerhin 25 % der zulässigen Höchstgeschwindigkeit betrug, wobei allerdings nicht feststeht, inwieweit die weiteren Voraussetzungen des § 58 Abs 2 KDV 1967 (waagrechte Fahrbahn und Windstille) sowie des § 2 Z 14 KFG 1967 (Belastung von 75 kg) vorlagen. Bevor die tatsächlichen Bedingungen nicht geklärt sind und daher nicht feststeht, ob unter den gesetzlichen Meßkriterien eine Überschreitung der Geschwindigkeit von 40 km/h möglich wäre, erscheint die Sache nicht spruchreif. Hätte das Fahrzeug diesen Kriterien entsprochen, käme eine aus einem Verstoß gegen § 2 Z 14 KFG 1967 abgeleitete Gefahrenerhöhung nicht in Frage. Eine solche Gefahrenerhöhung wäre überhaupt nur unter dem Gesichtspunkt des Art 7 AKHB denkbar. Nach dieser Bestimmung gelten Umstände, deretwegen das Fahrzeug dem KFG 1967 oder den aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen nicht entspricht und deretwegen eine weitere Verwendung des Fahrzeugs die Verkehrssicherheit gefährdet, soferne das Fortbestehen dieser Umstände auf grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen ist, als Erhöhung der Gefahr im Sinne des VersVG. Lag demnach ein solcher Umstand nicht vor, entsprach also das Fahrzeug den Bestimmungen des KFG 1967 und den hiezu ergangenen Verordnungen, so kann von einer Gefahrenerhöhung im Sinne des Art 7 AKHB keine Rede sein. Sind aber die Voraussetzungen des Art 7 AKHB gegeben, muss beachtet werden, dass gemäß § 29 VersVG nur erhebliche Gefahrenerhöhungen zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen können (Ehrenzweig, Versicherungsvertragsrecht, 118, Möller, Versicherungsvertragsrecht³, 145). Wie bereits ausgeführt, würde allerdings die Erhöhung der Geschwindigkeit um 25 % über das zulässige Ausmaß eine erhebliche Gefahrenerhöhung begründen. Ob eine solche Überschreitung hier vorlag, kann erst geprüft werden, wenn feststeht, welcher Überschreitung unter den gesetzlichen Meßkriterien die tatsächliche Überschreitung entsprochen hat.

Sollte das Fahrzeug den Zulassungsbestimmungen nicht entsprochen haben, läge eine Gefahrenerhöhung vor, wenn das objektiv verkehrswidrige Fahrzeug vom Versicherungsnehmer weiter benutzt wurde. Nicht in der Unterlassung der Reparatur oder der Nichtherstellung eines der Zulassung entsprechenden Zustands, sondern in der Tatsache der Weiterbenützung trotz Kenntnis dieses Zustands, liegt die Erhöhung der Gefahr. Aber schon objektiv wird eine auf gewisse Dauer berechnete Weiterbenützung verlangt. Insoweit hängt auch der objektive Tatbestand von subjektiven Momenten ab. Zum Beweis des objektiven Tatbestands ist es daher für den Versicherer erforderlich nachzuweisen, dass die Weiterbenützung auf eine gewisse Dauer entweder erfolgt ist oder doch geplant war. Den Gegensatz bildet dagegen die bloße Beendigung der Fahrt, auf der sich die Betriebsuntauglichkeit herausstellt, oder die nach der Feststellung der Betriebsuntauglichkeit erforderlich werdende Fahrt zur Werkstatt (Wussow, KFZ-Versicherung10, 112 f, 7 Ob 11/79 ua). Dass im vorliegenden Fall das Fahrzeug des Beklagten allenfalls von allem Anfang an den Zulassungsbestimmungen nicht entsprochen hat, würde keine Rolle spielen. Die Folgen der Gefahrenerhöhung treten nämlich auch ein, wenn ein Fahrzeug in seiner Bauart von jenen Voraussetzungen abweicht, die das Gesetz für seine Zulassung fordert, weil es bei der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nicht üblich ist, das Fahrzeug vor Abschluss der Versicherung auf seinen Zustand zu untersuchen (VersR 1970, 412). Benützt demnach der Versicherungsnehmer ein Motorfahrrad mit einer wesentlich höheren Geschwindigkeit, als diese durch die Bauart bestimmt ist, so liegt eine Gefahrenerhöhung vor, gleichgültig ob dieser Zustand schon bei Abschluss des Versicherungsvertrags bestand oder ob er erst später geschaffen wurde (Pienitz-Flöter, AKB4 S 14 zu § 2, VersR 1970, 412).

Wird demnach im vorliegenden Fall bewiesen, dass das Fahrzeug der Bestimmung des § 2 Z 14 KFG 1967 nicht entsprach und dass der Beklagte dieses Fahrzeug in Kenntnis dieses Umstands in der Absicht, es weiterhin zu benützen, in Betrieb genommen hat, läge die entsprechende Gefahrenerhöhung vor, wobei der Kenntnis die beharrliche Missachtung ins Auge fallender Umstände, also das Wissenmüssen infolge Sinnfälligkeit der Gefahr, gleichzusetzen wäre (VersR 1974, 454, EvBl 1970/262 ua). Diesfalls könnte der Beklagte gemäß Art 7 AKHB lediglich beweisen, dass ihn am Fortbestand der Gefahr kein grobes Verschulden trifft. Ferner obläge ihm, falls er diesen Beweis nicht erbringen kann, gemäß § 25 VersVG der Beweis, dass die erhöhte Gefahr auf den Schadenseintritt und auf den Umfang der Leistung der Klägerin keinen Einfluss hatte.

Der Einwand des Rekurses, die Klägerin hätte die erforderlichen Behauptungen nicht aufgestellt, ist unzutreffend, weil die Klägerin die durch die Verwendung eines der Zulassung nicht entsprechenden Fahrzeugs bewirkte Gefahrenerhöhung und deutlich erkennbar auch die Kenntnis dieses Umstands seitens des Beklagten behauptet hat. Dass den Versicherten an der Verwendung des Fahrzeugs trotz des zulassungswidrigen Zustands nach dessen Kenntnis kein Verschulden treffe oder dass dieser Zustand für den Versicherungsfall oder das Ausmaß der Versicherungsleistung nicht kausal gewesen wäre (§ 25 VersVG), hat der Versicherungsnehmer zu behaupten und zu beweisen.

Eine Ergänzung des erstgerichtlichen Verfahrens im aufgezeigten Sinn erweist sich sohin als erforderlich.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte