Spruch:
Nach § 1320 ABGB haftet für den Tierschaden in erster Linie, wer schuldhaft durch aktives Tun das schädigende Verhalten des Tieres veranlaßt hat
OGH 15. März 1979, 8 Ob 5/79 (LG Salzburg 32 R 100/78; BG Salzburg 14 C 311/77)
Text
Am 24. Dezember 1976 wurde in Salzburg der auf der Zufahrtsstraße zur Tiefgarage des Kaufhauses G parkende PKW der Klägerin von einem Pferdefuhrwerk der St-Brauerei, das von den Pferden in Abwesenheit des Kutschers in Bewegung gesetzt wurde, beschädigt. Der Beklagte hatte das Pferdegespann vorher von seinem Standort an der Verladerampe des genannten Kaufhauses, wo es der Kutscher zur Durchführung der Entladetätigkeit zum Stillstand gebracht hatte, etwas nach vorne gezogen.
Die Klägerin begehrt Ersatz des Fahrzeugschadens und der Taxispesen von 6875 S und brachte vor, der Beklagte habe den Pferdewagen bei angezogener Spindelbremse nach vorne gezogen, wodurch auf dem gesamten Geschirr ein starker Zug entstanden sei, dem die Pferde auch nach Anhalten weiterhin ausgesetzt gewesen seien. Die an sich gutmütigen Pferde seien bei dem Versuch, sich von dem bestehenden qualvollen Zustand zu befreien, in Bewegung geraten und hätten dabei den PKW der Klägerin beschädigt. Der Beklagte habe durch sein unsachgemäßes Hantieren mit dem Pferdegespann den Schaden schuldhaft herbeigeführt.
Der Beklagte macht geltend, er habe das Pferdefuhrwerk mit angezogener Bremse nur ein Stück nach vorne gezogen, wodurch das Zurückrollen des Fahrzeuges und der Unfall nicht verursacht worden sei.
Das Erstgericht gab der Klage mit Ausnahme eines Zinsenteilbegehrens statt.
Es stellte hiezu im wesentlichen fest:
P L ist seit 33 Jahren Kutscher von Pferdegespannen, seit 21 Jahren bei der St-Brauerei in Salzburg. Am 24. Dezember 1976 stellte er am Vormittag das Gespann vor der Entladerampe des Kaufhauses G ab, um den Wagen entladen zu können. Während er die letzten Fässer in das Restaurant brachte, zog der Beklagte - ohne Wissen und ohne Ermächtigung des Kutschers - das Pferdefuhrwerk etwas nach vorne, um selbst an die Rampe heranzukommen. Er brauchte dabei die angezogene Spindelbremse nicht zu lösen, da auf der damals eisglatten Fahrbahn das Ziehen des Gespannes auch mit angezogener Bremse und blockierenden Rädern möglich war. Nachdem die Pferde an der Stelle, an die sie der Beklagte vorgezogen hatte, einige Zeit gestanden waren, setzten sie sich plötzlich in Bewegung. Dieses Gespann war zwar in all der Zeit vorher, in der es von P L geführt worden war, immer an derselben Stelle, an der es vom Kutscher zum Halten gebracht wurde, stehen geblieben. Diese Pferde haben eine besonders große Standortfestigkeit und starke Beziehung zu ihrem Betreuer und Führer. Sie bleiben immer verläßlich dort stehen, wo sie von ihrem Kutscher angehalten werden und setzten sich erst wieder über seine Aufforderung in Bewegung. Werden sie jedoch vorher von einem Fremden, den sie nicht als ihren Führer kennen, von dem ursprünglichen, von ihrem Kutscher bestimmten Standort weggebracht, so wird ihre Standortfestigkeit - die sich nur auf den von ihrem Kutscher gewählten Standort bezieht -, aufgehoben. Es gibt dann keine Gewähr dafür, daß sie an dieser Stelle bleiben. Das Pferdegespann bewegte sich nach vorne und zog den Wagen auf der eisglatten Fahrbahn mit angezogener Bremse und blockierenden Rädern hinter sich. Der Beklagte wurde erst darauf aufmerksam, als sich die Pferde bereits ein Stück von dem Standort, an den er sie gebracht hatte, entfernt hatten. Sie bogen soeben nach rechts in die Auffahrt der Tiefgarage des Kaufhauses ein. Der Beklagte lief dem Gespann sofort nach, konnte es jedoch erst einholen, als es bereits von einem Fremden angehalten wurde. Er konnte nicht mehr verhindern, daß das Gespann den ordnungsgemäß auf der Zufahrtsstraße der Tiefgarage - in einer Entfernung von 65 m von dem letzten Standort der Pferde - abgestellten PKW der Klägerin beschädigte. Zur Behebung des Schadens waren Reparaturkosten von 6789 S erforderlich. Während der Reparaturarbeiten erwuchsen der Klägerin Taxispesen von 86 S.
Das Erstgericht bejahte die Haftung des Beklagten für den der Klägerin entstandenen Schaden. Der Beklagte habe dadurch rechtswidrig gehandelt, daß er eigenmächtig Hand an das Gespann gelegt habe. Es treffe ihn auch ein Verschulden, weil er mit den ihm fremden Pferden nicht so vertraut gewesen sei, daß er ihre Reaktion auf das eigenmächtige Vorziehen hätte kennen können. Sein Verhalten sei fahrlässig, da er mit einer nicht absehbaren Reaktion der Pferde habe rechnen müssen. Es sei die Haftung des Beklagten nach § 1320 ABGB gegeben, da er die Pferde fahrlässig im Sinne dieser Gesetzesstelle angetrieben habe.
Dieses Urteil blieb hinsichtlich der Abweisung des Zinsenmehrbegehrens unangefochten.
Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf.
Es führte aus, die Haftungsbestimmungen des § 1320 ABGB seien unter Zugrundelegung der auch von der Berufung nicht bekämpften Feststellungen auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Beklagte die Pferde weder angetrieben noch gereizt habe. Um aber beurteilen zu können, ob dem Beklagten durch das Wegführen des Pferdefuhrwerkes um einige Meter bei angezogener Bremse auf ebener Straße ein Verschulden angelastet werden könne, bedürfe es noch der Feststellung der Zeitspanne zwischen dem Vorziehen des Gespannes durch den Beklagten und dem Zeitpunkt, da sich das Pferdegespann in Bewegung gesetzt habe. Der Beklagte sei nach dem Vorziehen des Gespannes verpflichtet gewesen, seine Aufmerksamkeit darauf zu richten, ob das Gespann am neuen Platz auch tatsächlich stehen bleibe. Um beurteilen zu können, ob sich der Beklagte dem entsprechend sorgfältig die Sicherheit dahin verschafft habe, daß die Pferde am neuen Standort stehen bleiben werden, reiche die Feststellung des Erstgerichtes, daß die Pferde an der Stelle, an welche sie der Beklagte gebracht habe, einige Zeit gestanden seien, bis sie sich in Bewegung gesetzt haben, nicht aus.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Klägerin wendet sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Haftungsbestimmungen des § 1320 ABGB auf das Verhalten des Beklagten nicht anzuwenden seien. Sie ist der Auffassung, daß der Beklagte durch die Standortveränderung des Pferdefuhrwerkes fahrlässig das schädigende Verhalten der Pferde herbeigeführt habe.
Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.
Nach § 1320, 1. Satz, ABGB ist derjenige für den Tierschaden verantwortlich, der das Tier dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Diese Bestimmung wurde durch die dritte Teilnovelle, mit der die Tierhalterhaftung nach § 1320 2. Satz ABGB eingeführt wurde, unverändert gelassen. Nach dieser Eingangsnorm, die nur eine Anwendung der allgemeinen Normen über die Verschuldenshaftung darstellt (vgl. Mayr, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, ff. Bd. III. Buch, 319; Wolff in Klang VI, 109 ff; Koziol, Haftpflichtrecht II, 326 und 331), ist in erster Linie der unmittelbar Schuldtragende für den Tierschaden verantwortlich (vgl. Mayr a. a. O; Gschnitzer, Schuldrecht, Besonderer Teil und Schadenersatz, 181). Dies trifft für das Reizen oder Antreiben eines Tieres zu, wenn jemand das Tier schuldhaft durch aktives Tun wie durch Antreiben, Reizen und dergleichen zu dem schädigenden Verhalten veranlaßt hat (vgl. Zeiller, Kommentar zum ABGB, Bd.III/2, 571; Koziol a. a. O, 331 ff; Wolff a. a. O., 109). Die Haftung besteht dann, wenn die Veranlassung schuldhaft geschah, d. h., wenn der Betreffende bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkennen können, daß er durch sein aktives Tun das Tier zu schädigendem Verhalten veranlassen könnte.
Wenn der Beklagte als den Tieren völlig fremde Person plötzlich durch die Standortveränderung des Fuhrwerkes eingriff, so war es für ihn völlig ungewiß, wie die beiden Pferde, die nur an die Befolgung der Anordnungen des Kutschers als Führungsperson gewöhnt sind, darauf reagieren werden. Er hätte bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen können, daß die Tiere durch seinen Eingriff beunruhigt werden könnten und ihr Beharrungsvermögen, an dem ihnen angewiesenen Standort zu verbleiben, wohin sie gebracht wurden, aufgehoben werden könnte. Dabei muß die Reaktion der Pferde auf den Eingriff des Beklagten durch Fortziehen des Fuhrwerkes von dem Standort, an den sie vom Beklagten gebracht wurden, nicht sofort erfolgt sein. Sie können durch den Eingriff des Beklagten auch erst nach einem gewissen Intervall, der nicht ohne weiteres abschätzbar ist, zu ihrem willkürlichen Verhalten veranlaßt worden sein. Es bedarf daher nicht der vom Berufungsgericht aufgetragenen Feststellung der Zeitspanne zwischen dem Vorziehen des Gespannes durch den Beklagten und dem Zeitpunkt, da sich die Pferde in Bewegung setzten. Der Beklagte hat daher fahrlässig durch aktives Tun in das Verhalten der Pferde eingegriffen und sie unter der Voraussetzung, daß die Fortbewegung des Fuhrwerkes durch die Pferde von dem Standort, an den sie vom Beklagten gebracht wurden, durch den Eingriff des Beklagten ausgelöst wurde, schuldhaft zu dem schädigenden Verhalten veranlaßt. Nun hat das Erstgericht in Bezug auf die Kausalität des Verhaltens des Beklagten auch Feststellungen über die Standortfestigkeit der Pferde und deren Aufhebung durch den Eingriff fremder Personen getroffen, die vom Beklagten mit der Beweisrüge seiner Berufung bekämpft worden sind. Da das Berufungsgericht auf die Beweisrüge des Beklagten in dieser Richtung nicht eingegangen ist, kann daher vom Gesichtspunkte der Kausalität des Verhaltens des Beklagten noch nicht abschließend Stellung genommen werden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)