OGH 4Ob594/78

OGH4Ob594/7830.1.1979

SZ 52/11

Normen

ABGB §7
ABGB §1009
ABGB §1016
4. Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art8 Nr. 11
Wechselgesetz
ABGB §7
ABGB §1009
ABGB §1016
4. Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art8 Nr. 11
Wechselgesetz

 

Spruch:

Wer seine Unterschrift auf einen Wechsel setzt, ohne dazu ermächtigt zu sein, haftet demjenigen, der diesen Mangel der Vertretungsmacht gekannt hat, entgegen der allgemeinen Regel des Art. 8 WG nicht wechselmäßig. Das gilt auch dann, wenn sich der falsus procurator den Anschein einer Organstellung gibt. Grundsätze für die Auslegung des - auf einem internationalen Abkommen beruhenden - Wechselgesetzes

OGH 30. Jänner 1979, 4 Ob 594/78 (OLG Wien 2 R 207/78; HG Wien 15 Cg 28/78)

Text

Der Beklagte fertigte den von der S-GmbH auf die D-KG gezogenen, auf eine Summe von 4 177 200 S lautenden Wechsel an der für die Unterschrift des Annehmers vorgesehenen Stelle. Der Beklagte ist für die persönlich haftende Gesellschafterin der Bezogenen, die D-GmbH (Komplementärgesellschaft), allein nicht zeichnungsberechtigt.

Mit der Behauptung, daß der Beklagte gemäß Art.8 WG hafte, weil er den Wechsel, ohne hiezu ermächtigt gewesen zu sein, unterfertigt habe, beantragte die Klägerin als Indossatarin die Erlassung eines Wechselzahlungsauftrages.

Das Erstgericht erließ den beantragten Wechselzahlungsauftrag.

Der Beklagte erhob fristgerecht Einwendungen und brachte unter anderem vor, daß die Klägerin beim Erwerb des Wechsels den Mangel der Vertretungsmacht des Beklagten für die Komplementärgesellschaft (und damit auch für die Bezogene) gekannt habe.

Das Erstgericht hielt den Wechselzahlungsauftrag mit der Begründung aufrecht, daß Art. 8 WG als lex specialis der Bestimmung des Art. 8 Nr. 11 EVHGB vorgehe und die Haftung des falsus procurator im Bereich des Wechselrechtes abschließend regle; dieser hafte selbst dann wechselmäßig, wenn die Klägerin gewußt habe, daß die Bezogene durch zwei Geschäftsführer (der Komplementär-GmbH) kollektiv vertreten werde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge; es hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Der im bürgerlichen Recht und im Handelsrecht geltende Rechtssatz, daß der falsus procurator nicht hafte, wenn der andere Teil den Mangel der Vertretungsmacht gekannt habe, gelte auch im Wechselrecht. Diese Frage werde sowohl von der österreichischen als auch von der deutschen Lehre einmütig bejaht und insbesondere damit begrundet, daß demjenigen, der das Fehlen der Vertretungsmacht kannte, der durch Art. 8 WG gewährte Vertrauensschutz nicht zukomme.

Diese Frage sei für jeden Wechselberechtigten gesondert zu prüfen. Es treffe daher nicht zu, daß sich der Indossatar die Kenntnis des Vollmachtsmangels des Indossanten entgegenhalten lassen müsse. Wer im fremden Namen handle, ohne vertretungsbefugt zu sein, gelte als Scheinvertreter, gleichgültig, welche Art von Vertretungsmacht vorliege. Die Regeln über den falsus procurator seien auch anzuwenden, wenn sich der Scheinvertreter den Anschein einer Organstellung gebe.

Das Verfahren sei daher mangelhaft geblieben, weil das Erstgericht das von einer abweichenden Rechtsansicht ausgegangen sei, die Behauptung des Beklagten, daß die Klägerin den Mangel seiner Vertretungsmacht gekannt habe, nicht geprüft habe.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Klägerin ist der Ansicht, daß die in Art. 8 WG normierte Haftung des falsus procurator unabhängig davon eintrete, ob der Wechselberechtigte den Mangel der Ermächtigung gekannt habe. Für die analoge Anwendung einer derartigen, im Handelsrecht und im BGB verankerten Einschränkung der Scheinvertreterhaftung sei im Wechselrecht kein Raum. Dort verlange die Bedachtnahme auf die Umlauffähigkeit des Wechsels den Schutz des jeweiligen Wechselnehmers ohne Rücksicht auf die Kenntnisse, die irgendein Wechselberechtigter habe. Es sei daher der Lehre von Kapfer (Komm. z. WG, 61 f.) zu folgen, daß Art. 8 WG als spezielle Norm den bürgerlich-rechtlichen und handelsrechtlichen Bestimmungen über die falsus-procurator-Haftung vorgehe. Dafür spreche insbesondere, daß die wechselrechtliche Regelung auf einem internationalen Abkommen beruhe, so daß bei Entscheidung einer wechselrechtlichen Streitfrage mangels eines innerstaatlichen Vorbehalts kein Rückgriff auf das jeweilige "gemeine Recht" zulässig sei.

Die fehlende Alleinvertretungsbefugnis des Beklagten für die Komplementär-GmbH schließe nicht aus, daß er auf Grund einer besonderen Ermächtigung dennoch zur Alleinzeichnung berechtigt gewesen sei. Solange er dies aber nicht behauptet habe, sei vom Mangel der Ermächtigten auszugehen, gleichgültig, welche Kenntnisse die Klägerin für den Mangel der firmenmäßigen Zeichnung des Beklagten gehabt habe.

Diesen Ausführungen ist nicht beizupflichten: Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit der österreichischen und der deutschen Lehre (Stanzl, Wechsel-, Scheck- und Wertpapierrecht,43; derselbe, Böser Glaube im Wechselrecht, 124 f. mit weiteren Literaturhinweisen FN 6; Stranz, Wechselrecht[14], 72; Baumbach - Hefermehl, WG[12], 104 mit weiteren Hinweisen auf die deutsche Rechtsprechung; Jacobi, Wechselrecht, 245; Knur - Hammerschlag, WG 64) zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß derjenige, der seine Unterschrift auf einen Wechsel setzt, ohne hiezu ermächtigt zu sein, jenem Wechselberechtigten gegenüber, der den Mangel der Vertretungsmacht gekannt hat, der allgemeinen Regel des Art. 8 WG zuwider nicht wechselmäßig haftet. Die Haftung nach Art. 8 WG beruht nämlich auf einem Schein, auf den der Dritte infolge des Verhaltens des Vertreters vertraut hat, so daß kein Anlaß besteht, den Wechselberechtigten, der den Mangel der Ermächtigung gekannt hat, zu schützen. Die deutsche Lehre hat diesen allgemeinen, in Art. 8 WG allerdings nicht verankerten Rechtsgedanken aus § 179 III Satz 1 BGB abgeleitet (Baumbach - Hefermehl, WG[12], 104; Jacobi 245), der im wesentlichen dem Art. 8 Nr. 11 EVHGB entspricht. Der Ansicht der Rekurswerberin, daß dieser Rechtsgedanke bei der Auslegung des Art. 8 WG nicht herangezogen werden dürfe, weil dieses Gesetz auf einem internationalen Abkommen beruhe, kann im Ergebnis nicht beigepflichtet werden:

Das Wechselgesetz ist Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung. Die Tatsache, daß es auf einem internationalen Abkommen zur Schaffung eines einheitlichen Wechselrechts für alle Vertragsstaaten beruht, hat allerdings zur Folge, daß bei der Auslegung des Gesetzes zunächst versucht werden muß, jeden Rechtssatz aus dem Zusammenhang des Wechselgesetzes selbst zu interpretieren, und daß der Rechtsvergleichung (mit dem Recht anderer Vertragsstaaten) besondere Bedeutung zukommt. Das Gebot möglichst einheitlicher Auslegung in allen Vertragsstaaten kann aber nicht dazu führen, daß, wenn diese Auslegungsmittel versagen, in Abweichung von § 7 ABGB auf "die Gründe anderer damit verwandter Gesetze" nicht "Rücksicht genommen" werden dürfte (vgl. hiezu Baumbach - Hefermehl, WG[12],33).

Für den gegenständlichen Fall ergibt sich jedoch schon aus verwandten Bestimmungen des Wechselgesetzes selbst, daß sich der Wechselinhaber auf den äußeren Anschein einer gültigen Wechselverpflichtung nicht berufen kann, wenn er den wahren Sachverhalt gekannt hat (Art. 10, 16 Abs. 2, Art. 17 WG). Daß es gerade bei Art. 8 anders sein sollte, kann auch der von der Rekurswerberin zitierten Ansicht von Kapfer nicht entnommen werden. Kapfer behandelt nämlich an der angegebenen Stelle (HdKomm. z. WG, 61 f.) die Haftung des angeblich vertretenen und führt aus, "daß dieser dem Dritten sogar dann nicht haftet, wenn dieser das Fehlen der Vertreterbefugnis weder kannte noch kennen mußte. Diese Haftung des falsus procurator nach dem Wechselgesetz geht über die Haftung des falsus procurator nach § 1009 ABGB und auch noch über die weiterreichende Haftung des falsus procurator nach Art. 8 Nr. 11 EVHGB hinaus". Diese Belegstelle behandelt also die Haftung des angeblich Vertretenen und die Folgen, die sich daraus für die Haftung des falsus procurator ergeben. Aus der Diktion ist jedenfalls nicht mit Sicherheit erkennbar, ob sie sich überhaupt auf das vorliegende Problem bezieht.

Die Vorschriften des Art. 8 WG gelten auch, wenn sich der falsus procurator den Anschein einer vorhandenen Organstellung gibt. Wenn sich einer von mehreren Gesamtvertretern als einzelvertretungsbefugt ausgibt, behauptet er eine Vollmacht, die er nicht hatte. Es liegt daher ein "gewöhnlicher Fall" (so Welser, Vertretung ohne Vollmacht, 231) der Vertretung ohne Vertretungsmacht vor. Für die wechselrechtliche Haftung ist es unerheblich, daß hier in dieser Weise nur mittelbar (nämlich für die Komplementär-GmbH) gehandelt wurde (Baumbach - Hefermehl, WG[12], 104).

Es ist auch nicht richtig, daß der Klägerin eine - allfällige - positive Kenntnis vom Fehlen der satzungsgemäßen Alleinvertretungsbefugnis des Beklagten schon deshalb nicht zugerechnet werden könne, weil bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgegangen werden müsse, daß der Beklagte auf Grund eines besonderen Vollmachts- oder Auftragsverhältnisses dennoch allein Wechsel zeichnen dürfe. Gemäß § 18 Abs. 2 GmbHG bedarf es zur Willenserklärung, insbesondere zur Zeichnung der Geschäftsführer für die Gesellschaft, wenn im Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt ist, der Mitwirkung sämtlicher Geschäftsführer. Die Klägerin hat sich bisher nur auf den Mangel der Organstellung des Beklagten, nicht aber darauf berufen, daß dieser vor dem Erwerb des Wechsels durch sie fälschlich eine besondere, über seine satzungsgemäße Organstellung hinausgehende Vollmacht zur Alleinzeichnung von Wechseln für die Bezogene behauptet habe. Das Vorbringen der Klägerin, "daß sie mit Rücksicht auf die bekannten Vorgänge" (gemeint wohl: die später erwähnte Verfügungsberechtigung über das Konto) der Annahme sein durfte, daß der Beklagte für die Bezogene allein zeichnungsberechtigt sei, berührt nur die Frage des Verschuldens an der Unkenntnis des Vollmachtsmangels. Hierauf hat sich aber der Beklagte gar nicht berufen, sondern vorgebracht, daß aus der Rückstellung von zwei Akzepten, auf denen die Unterschrift des zweiten Geschäftsführers gefehlt habe, zu schließen sei, daß die Klägerin den Mangel der alleinigen Vertretungsmacht des Beklagten gekannt habe.

Der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes beruht daher auf richtiger rechtlicher Beurteilung.

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