OGH 7Ob671/78

OGH7Ob671/7819.10.1978

SZ 51/144

Normen

ABGB §871
ABGB §871

 

Spruch:

Der Irrtum eines Vertragspartners muß dem Gegner offenbar auffallen, wenn dieser den Irrtum objektiv bei der im Verkehr üblichen, nach Treu und Glauben vorausgesetzten Aufmerksamkeit hätte bemerken oder wenn er wenigstens den Verdacht auf das Vorliegen eines Irrtums hätte schöpfen müssen. Ohne Belang für die Irrtumsanfechtung ist es, daß dem Irrenden selbst der Irrtum hätte auffallen müssen oder daß er gar damit rechnen konnte, seinem Vertragspartner werde der Irrtum auffallen, sowie ob letzterem der Irrtum tatsächlich aufgefallen ist. - Bei einem Vertragsabschluß durch Bevollmächtigte genügt es, daß der dem anderen Vertragspartner unterlaufene Irrtum für den Machthaber spätestens im Zeitpunkte des Vertragsabschlusses erkennbar war

Ein Irrtum bei der Preiskalkulation im drei Dezimalstellen muß dem Großeinkäufer einer Ware selbst dann auffallen, wenn er sonst nicht damit handelt

OGH 19. Oktober 1978, 7 Ob 671/78 (OLG Linz 4 R 11/78; LG Linz 10 Cg 1150/75)

Text

Zwischen den Streitteilen bestanden bereits seit Herbst 1974 Geschäftsbeziehungen, die sich jedoch auf die Anfrage von Preisen allenfalls zu beziehender Produkte beschränkten. Bei diesen ersten geschäftlichen Kontakten schritten auf Seite der Klägerin Karl-Heinz B und für die Erstbeklagte regelmäßig der Zweitbeklagte ein.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von beiden Beklagten zur ungeteilten Hand die Lieferung von 25 t des Insektizides Lindane Zug um Zug gegen Zahlung eines Betrages (Kaufpreises) von 6625 DM. Im Falle der Feststellung der Unerschwinglichkeit dieser Leistung für die Beklagten begehrt die Klägerin das positive Vertragsinteresse von 51 012.50 S samt Anhang. Die Beklagten hätten der Klägerin mündlich und schriftlich die Lieferung von 25 t des vorgenannten Insektizides zum Preis von 265 DM je Tonne zum Kaufe angeboten. Die Klägerin habe dieses Anbot angenommen. Die Beklagten beantragen Klagsabweisung und behaupten, daß es zu einem Vertragsabschluß nicht gekommen sei. Der Zweitbeklagte habe zwar der Klägerin das von ihr behauptete Lieferanbot unterbreitet, dieses jedoch noch rechtzeitig vor einer Annahme durch die Klägerin dahin korrigiert, daß der Preis des Insektizides Lindane nicht 265 DM pro Tonne, sondern 265 S je kg koste und nur zu diesem Preis geliefert werden könnte. Der Klägerin hätte außerdem als branchenkundigem Unternehmen bekannt sein müssen, daß das ursprüngliche Anbot der Beklagten auf einem Irrtum beruhe. Im Hinblick auf den tatsächlichen Preis des Insektizides Lindane wäre die begehrte Leistung überdies für die Beklagten mit finanziellen Opfern verbunden, die ihnen nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden könnten. Es liege daher auch Unmöglichkeit der begehrten Leistung im Sinne des § 1447 ABGB vor. Der Zweitbeklagte sei schließlich nur Angestellter der Erstbeklagten. Ihm fehle daher die passive Klagslegitimation.

Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab. Nach seinen Feststellungen fragte im August 1975 die Firma U bei der Klägerin wegen einer Lieferung des Produktes Lindane, eines Chemikals zur Unkraut- und Insektenvertilgung, an. Karl-Heinz B führte am 19. August 1974 ein Telefongespräch mit dem Zweitbeklagten und erkundigte sich bei ihm, ob er in der Lage wäre, ein Anbot über 25 t Lindane zu machen. Der Zeitbeklagte erklärte, daß er zirka 10 bis 15 t Lindane lagern habe und den Rest in kürzester Zeit beschaffen könnte. Bei diesem Gespräch, bei dem eine Einigung über die Lieferung noch nicht zustandekam, nannte der Zweitbeklagte einen Preis von 265 DM je Tonne Lindane. Unmittelbar nach diesem Telephonat erstellte der Zweitbeklagte das schriftliche Anbot vom 19. August 1975 folgenden Inhaltes: "Wir beziehen uns auf das heutige Telephonat und bieten Ihnen fest an, 25 t Lindane zum Preis von 265 DM je Tonne ab Lager L." Dieses Schreiben übersandte es per Post an die Klägerin. Karl-Heinz B setzte sich hierauf mit dem angestellten der Firma U, David Bl. in Verbindung. Dieser erklärte, seine Firma sei bereit, zu dem von B genannten Preis von 530 DM zu kaufen, verlangte aber vorher ein schriftliches Angebot. Am Morgen des 20. August 1975 rief daher Karl-Heinz B wieder bei der Erstbeklagten an und sprach mit dem Zweitbeklagten. Dieser sagte ihm, daß er nur 8 bis 10 t Lindane lagern habe, und bestätigte abermals, daß eine Tonne dieses Produktes 265 DM koste. Karl-Heinz B erklärte hierauf, daß er zu diesem Preis fest kaufe, verlangte aber vom Zeitbeklagten ein schriftliches Anbot, der ihm erwiderte, daß dieses bereits zur Post gegeben worden sei. Kurze Zeit nach diesem Telefongespräch fiel dem Zweitbeklagten auf, daß ihm bei der Preisbekanntgabe des Insektizides Lindane, das in Wahrheit 265 S je Kilogramm kostet (der Tonnenpreis beträgt daher 265 000 S) ein Irrtum unterlaufen war. Der Handel mit derartigen Produkten (Chemikalien) war für die Klägerin branchenfremd. Karl-Heinz B fiel daher der dem Zweitbeklagten unterlaufene Irrtum nicht auf. Bereits um 11 Uhr des 20. August 1975 rief der Zweitbeklagte im Büro der Klägerin an, um den Irrtum aufzuklären. Er konnte jedoch Karl-Heinz B nicht antreffen und hinterließ daher einen Telefonbericht, in dem dieser um Rückruf ersucht wurde. Bereits vor diesem Telephonat war jedoch der Angestellte der Firma U, David Bl., bei der Klägerin erschienen und hatte mit ihr einen Kaufvertrag über die Lieferung von 25 t Lindane abgeschlossen. Als Karl-Heinz B nach seiner Rückkehr ins Büro beim Zweitbeklagten anrief, teilte ihm dieser mit, daß der ursprünglich genannte Preis für das Produkt Lindane von 265 DM pro Tonne auf einem Irrtum beruhe. Das Insektizid Lindane koste vielmehr 265 S pro Kilogramm. Nach diesem Telephonat übersandte Karl-Heinz B an den Zweitbeklagten ein Telegramm, in dem er mitteilte, daß die Richtigstellung verspätet eingelangt sei. Das Erstgericht war der Ansicht, daß der Zweitbeklagte keine als Anbot zu qualifizierende Willenserklärung abgegeben habe. Das schriftliche Anbot sei vom Zweitbeklagten widerrufen und außerdem von der Klägerin nicht angenommen worden. Ein Vertragsverhältnis (Kaufvertrag über 25 t Lindane) sei daher zwischen den Streitteilen nicht zustandegekommen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, 50 000 S übersteigt. Es war der Ansicht, daß ein für die Beklagten verbindlicher Kaufvertrag über die Lieferung von 25 t des Insektizides Lindane schon deshalb nicht vorliege, weil der Klägerin der Irrtum des Zweitbeklagten bei der Preiskalkulation hätte auffallen müssen. Ob die vom Zweitbeklagten im Fernsprechweg abgegebenen Erklärungen tatsächlich als Anbot zu qualifizieren seien, brauche daher nicht untersucht zu werden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In ihrer Rechtsrüge vertritt die Revisionswerberin die Ansicht, sie habe sich keiner Verletzung der im Geschäftsverkehr üblichen Sorgfalt schuldig gemacht. Den Beklagten sei nämlich bekannt gewesen, daß sie über keinerlei Kenntnisse auf dem Gebiete des Chemikalienhandels verfüge. Die Beklagten hätten daher nicht darauf vertrauen können, daß der Revisionswerberin der ihnen unterlaufene Irrtum auffallen werde. Dies sei aber Voraussetzung für eine erfolgreiche Irrtumsanfechtung.

Wie der OGH bereits in seiner (den Rechtsstreit zwischen David Bl. und der Revisionswerberin betreffenden) Entscheidung 7 Ob 677/77 unter Hinweis auf die Lehre (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 131; vgl. auch Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechtes[4] I, 105) ausgesprochen hat, mußte der Irrtum eines Vertragspartners seinem Gegner dann offenbar auffallen, wenn dessen Erklärungen so geartet waren, daß sein Kontrahent den Irrtum (objektiv) bei der im Verkehr üblichen, nach Treu und Glauben vorausgesetzten Aufmerksamkeit hätte bemerken oder wenigstens den Verdacht auf das Vorliegen eines Irrtums hätte schöpfen müssen (JBl. 1967, 426; 6 Ob 189/61). In diesem Falle kommt dem Vertragspartner der Schutz seines Vertrauens auf die Richtigkeit der vom Irrenden abgegebenen Erklärungen nicht zustatten (Klang[2] IV, 131). Daß der Irrende damit rechnen konnte, seinem Vertragspartner werde der Irrtum auffallen, ist schon im Hinblick auf das Wesen des Irrtums nicht denkbar. Ob dem Vertragspartner der dem anderen Teil unterlaufene Irrtum auffallen mußte, läßt sich nur nach den Umständen des Einzelfalles beurteilen. Es kann allerdings schon der Preis, den der Irrende verlangt oder bietet, dessen Irrtum für den anderen Vertragspartner erkennbar machen (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 131). Ohne Belang für die Irrtumsanfechtung ist hingegen, daß dem Irrenden sein Irrtum selbst hätte auffallen müssen (Gschnitzer in Klang[2]IV/1, 118; SZ 26/71, 36/72; 7 Ob 677/77). Bei einem durch Bevollmächtigte erfolgten Vertragsabschluß genügt, daß der dem anderen Vertragspartner unterlaufene Irrtum für den Machthaber - spätestens im Zeitpunkte des Vertragsabschlusses - erkennbar war (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 132).

Hier hätte der für die Revisionswerberin die Verhandlungen mit dem Zweitbeklagten führende Karl-Heinz B schon im Hinblick auf den ganz besonders niedrigen, vom Zweitbeklagten für das Insektizid Lindane genannten Preis von 265 DM pro Tonne (das sind nur 26 1/2 Pfennig = zirka 1.90 S pro Kilogramm) den Verdacht schöpfen müssen, daß dem Zweitbeklagten bei der Kalkulation ein Irrtum unterlaufen sein könnte. Karl-Heinz B war nämlich bekannt, daß es sich bei dem Produkt Lindane um ein chemisches Mittel zur Insektenvertilgung und zur Unkrautbekämpfung handelt. Er hätte daher bei Aufwendung der im Geschäftsverkehr üblichen Sorgfalt auch ohne vorherige Einholung von Vergleichspreisen annehmen müssen, daß dieses Produkt im Großhandel kaum um einen Kilopreis von 1.90 S erhältlich sein werde. Auf die ihr fehlenden Erfahrungen auf dem Gebiete des Chemikalienhandels kann sich die Revisionswerberin nicht berufen, weil es ihre Sache gewesen wäre, sich vor dem Geschäftsabschluß mit der Firma U entsprechend zu informieren. Ohne Bedeutung ist auch, ob Karl-Heinz B der Irrtum des Zweitbeklagten tatsächlich nicht aufgefallen ist (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 131). Der von der Revisionswerberin behauptete Kaufvertrag ist daher, selbst wenn dieser entgegen der Ansicht des Erstgerichtes wirklich zustandegekommen sein sollte, für die Beklagten im Hinblick auf den dem Zweitbeklagten bei der Preiskalkulation unterlaufenen Irrtum nicht verbindlich (§ 871 ABGB). Die Abweisung des Hauptbegehrens ist somit schon aus diesem Gründe berechtigt. Liegt aber ein für die Beklagten verbindlicher Kaufvertrag nicht vor, so kann die Revisionswerberin von diesen auch nicht das Erfüllungsinteresse begehren.

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