OGH 12Os143/78

OGH12Os143/7819.10.1978

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Oktober 1978

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Schneider und Dr. Steininger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Seidl als Schriftführer in der Strafsache gegen Karl A wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den § 142 Abs. 1, 143 StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 31. Mai 1978, GZ. 20 k Vr 2153/77-26, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, der Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Walter Strigl, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil werden aufgehoben und es wird die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 23. (unrichtig: 21.) September 1955 geborene Chemiehelfer Karl A auf Grund des Wahrspruches der Geschwornen des Verbrechens des schweren Raubes nach den § 142 Abs. 1, 143 StGB schuldig erkannt, weil er am 28. Jänner 1977 in Wien in Gesellschaft des abgesondert verfolgten (und bereits rechtskräftig abgeurteilten) Leopold B als Beteiligten (§ 12 StGB) einem Unbekannten dadurch, daß er auf ihn einschlug, sohin mit Gewalt gegen seine Person, 260 S Bargeld mit dem Vorsatz wegnahm, sich durch dessen Zueignung unrechtmässig zu bereichern. Die Geschwornen hatten die im Sinne der Anklage gestellte Hauptfrage

1) (mit 7 : 1 Stimmen) bejaht; die Beantwortung der auf das Vergehen der selbstverschuldeten vollen Berauschung nach dem § 287 StGB gerichteten Eventualfrage 2) entfiel demnach. Weitere Fragen waren nicht gestellt worden.

Dieses Urteil bekämpfen der Angeklagte mit einer auf den § 345 Abs. 1 Z 5, 6, 9 und 12 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die Staatsanwaltschaft mit Berufung.

Unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 345 Abs. 1 StPO rügt der Beschwerdeführer die Abweisung (vgl. dazu S. 170/171) seines in der Hauptverhandlung gestellten Antrages auf Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen zum Beweise dafür, daß er 1.) 'infolge seiner psychischen und neurologischen Veranlagung Erlebnisse nicht richtig wiedergeben kann und ......... ihm subjektiv unangenehme Erlebnisse' ins Unterbewußtsein verdrängt und

2.) sich zur Tatzeit 'in einem extremen Rauschzustand befunden hat (zum Beweis des § 287 StGB)', wobei der unter Punkt 1.) gestellte Beweisantrag zur Gewinnung eines Strafmilderungsgrundes diente (S. 163).

Rechtliche Beurteilung

Der Verfahrensrüge kommt Berechtigung zu.

Wenngleich die Ablehnung von Beweisanträgen, die nicht die Schuldfrage oder den anzuwendenden Strafsatz, sondern nur für die Ausmessung der Strafe innerhalb des Strafrahmens erhebliche Umstände betreffen, niemals den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 4 bzw. des § 345 Abs. 1 Z 5 StPO darstellt (siehe Foregger-Serini, StPO2, 289, und Gebert-Pallin-Pfeiffer III/2, Nr. 12 a zu § 281 Abs. 1 Z 4 StPO, und die dort zitierte Judikatur), sodaß schon deshalb auf die Rüge der Abweisung des zu Punkt 1.) gestellten Beweisantrages nicht näher eingegangen zu werden braucht, ist die Nichtigkeitsbeschwerde insofern begründet, als sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Beiziehung eines Sachverständigen zur (möglichst) genauen Klärung des Alkoholisierungsgrades des Beschwerdeführers zur Tatzeit (Punkt 2.) wendet.

Daß es sich bei diesem Beweisthema um ein erhebliches handelt, weil es auf die Lösung der Schuldfrage Einfluß üben könnte, ist schon angesichts der auf Tatbegehung im Zustande voller Berauschung lautenden Eventualfrage nicht zweifelhaft. Der vom Schwurgerichtshof in seinem abweislichen Zwischenerkenntnis vertretenen Meinung, der Beiziehung eines Sachverständigen bedürfe es deshalb nicht, weil die Menge der konsumierten alkoholischen Getränke 'nicht bekannt' sei, lägen doch diesbezüglich vom Angeklagten keine präzisen und von den Zeugen Leopold B und Helmut C unpräzise und widerspruchsvolle Angaben vor (siehe S. 171), kann nicht gefolgt werden. Denn wenn auch der beantragte Sachverständige ohne genaue Kenntnis der konsumierten Alkoholmengen den Blutalkoholgehalt nicht exakt errechnen konnte, so war doch nicht von vornherein die Möglichkeit auszuschließen, daß die Verantwortung des Angeklagten sowie die Angaben der Zeugen C und B über die kritische Zeit vor der Tat in Beziehung auf ein ungefähres Ausmaß und - vor allem - auf die Folgen des Alkoholkonsums, medizinisch fundierte Anhaltspunkte dafür hätte bieten können, ob eine solche Beinträchtigung des Bewußtseins vorlag, daß es dem Beschwerdeführer an der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit mangelte. So gab der Beschwerdeführer an, er sei zur Tatzeit infolge vorangegangenen Konsums von 'ziemlich vielen' alkoholischen Getränken, nämlich 'einigen' - sechs bis sieben großen Flaschen - Bier zwischen 18

und 24 Uhr im 'D-Keller', den er im schon 'ziemlich' betrunkenen Zustand betreten habe (s. S. 146 ff), 'sehr stark alkoholisiert' (S. 39) bzw. 'volltrunken' (S. 146) gewesen, sodaß er beim Tisch eingeschlafen sei und in der Folge Erinnerungslücken gehabt habe (S. 48, 146 ff).

Auch der Zeuge C sprach von einer Tatbegehung im volltrunkenen Zustand (S. 33), ferner davon, daß der Beschwerdeführer beim Tisch eingeschlafen sei und nicht allein habe aufstehen und (zum Tatort) gehen können (S. 156 ff). Der Zeuge B sagte aus, der Beschwerdeführer sei 'sehr stark angesoffen' gewesen (S. 54), allerdings auch, bei ihm (B), C und dem Beschwerdeführer habe keine Alkoholisierung bestanden (S. 35) bzw. 'weiß ich wie stark war keiner betrunken' (S. 164). Die divergierenden Angaben, nämlich jene des Zeugen B beim Untersuchungsrichter, des Zeugen C und des Beschwerdeführers einerseits und jene des Erstgenannten bei der Polizei und in der Hauptverhandlung andererseits waren - im Gegensatz zur (bereits wiedergegebenen) Meinung des Erstgerichtes - kein Hindernis für die Einholung des vom Verteidiger beantragten Sachverständigengutachtens über das Ausmaß bzw. den Grad der Alkoholisierung. Dieses Gutachten hätte nämlich entsprechend den beiden aufgezeigten Aussageversionen auch seinerseits zwei Versionen darstellen können, von denen sich die Geschwornen unter Berücksichtigung und im Zusammenhang mit den zitierten Angaben des Beschwerdeführers und der beiden Zeugen, im Rahmen der ihnen (allein) zustehenden freien Beweiswürdigung allenfalls für eine hätten entscheiden können.

Da somit dem angefochtenen Urteil ein den Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z 5 StPO verwirklichender Umstand anhaftet, war spruchgemäß zu entscheiden, ohne daß auf die weiteren, vom Beschwerdeführer geltend gemachten Nichtigkeitsgründe eingegangen werden mußte. (Zur Relevanz von Beweisanträgen, von denen nicht von vornherein die Möglichkeit ausgeschlossen werden kann, daß sie eine weitere Klärung des Sachverhalts herbeiführen, vgl. u.a. SSt 13/89 und EvBl. 1946/226).

Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu verweisen. Der Vollständigkeit halber ist zu bemerken, daß im Falle behaupteter Volltrunkenheit des Angeklagten zur Tatzeit auch bei Fehlen von Anhaltspunkten dafür, daß die volle Berauschung unverschuldet war, ein Drei-Fragen-Schema, und zwar: Hauptfrage zur Anklagetat, Zusatzfrage nach dem § 11 StGB und Eventualfrage nach dem § 287 StGB, geboten erscheint (vgl. u.a. ÖJZ-LSK 1975/112; zuletzt auch 13 Os 44/78). Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z 6 StPO wäre bei Außerachtlassung eines solchen Drei-Fragen-Schemas allerdings nur dann verwirklicht, wenn Anhaltspunkte für eine unverschuldete volle Berauschung gegeben sind. Im erneuerten Verfahren wird - im Sinne der vorstehenden Ausführungen - ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen sein, um den Geschwornen im Rahmen der Beweiswürdigung allenfalls eine weitere Grundlage für die entscheidungswesentliche Beurteilung des beim Beschwerdeführer zur Tatzeit gegeben gewesene Alkoholisierungsgrades zu bieten.

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