OGH 4Ob101/77

OGH4Ob101/776.9.1977

SZ 50/115

Normen

AO §61 Abs1
HGB §128
HGB §161
Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art7 Nr. 12
KO §46
KO §§50 ff
KO §53
AO §61 Abs1
HGB §128
HGB §161
Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art7 Nr. 12
KO §46
KO §§50 ff
KO §53

 

Spruch:

Das Konkursvorrecht einer Masseforderung ist nicht ein neben der Forderung bestehendes, ausschließlich für ein bestimmtes Konkursverfahren wirksames Recht, sondern eine besondere Eigenschaft dieses Rechtes, welche ihm kraft Gesetzes zukommt und auf dem Entstehensgrund der Forderung beruht; einer Masseforderung im Konkurs einer handelsrechtlichen Personengesellschaft kommt daher diese Eigenschaft auch im Konkurs des persönlich haftenden Gesellschafters zu

OGH 6. September 1977, 4 Ob 101/77 (LG Linz 12 Cg 10/77; ArbG Rohrbach Cr 1/77)

Text

Der Kläger war von Anfang Dezember 1975 bis zum 9. Oktober 1976 als Werbeleiter bei der P-GmbH und Co. KG (im folgenden kurz KG genannt) gegen ein 14mal jährlich zu zahlendes Monatsbruttogehalt von 8000 S beschäftigt. Er hat am 9. Oktober 1976 dem Masseverwalter gegenüber seinen vorzeitigen Austritt erklärt, weil er die Gehaltsbezüge für Juli, August und September 1976 nicht erhalten hatte. Die P-GmbH ist persönlich haftende Gesellschafterin der KG (Komplementärin). Am 17. August 1976 wurde über das Vermögen der KG und über jenes der genannten Gesellschafterin der Ausgleich und am 17. September 1976 der Anschlußkonkurs eröffnet. Der - der Höhe nach unbekämpft gebliebene Klagsbetrag umfaßt die Ansprüche des Klägers auf Gehalt für die Zeit vom 17. Juli bis 9. Oktober 1976 samt Sonderzahlungen sowie die Kündigungsentschädigung und Auslagen für Dienstfahrten. Im Gesellschafterkonkurs wurden Masseforderungen aus Arbeitsverhältnissen angemeldet, welche die Kapitalshöhe der Gesellschafterin übersteigen. Das Vermögen der Gesellschafterin reicht nicht aus, um alle Verfahrens- und sonstigen Massekosten decken zu können.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage vom Beklagten - dem Masseverwalter in beiden Konkursen - die Zahlung des Klagsbetrages als Masseforderung aus der Konkursmasse der KG und darüber hinaus, soweit diese Masse zur Deckung nicht ausreicht, die Zahlung des Ausfalles als Masseforderung aus dem Konkurs über das Vermögen der Komplementärin. Er führt dazu aus, er habe dem Beklagten gegenüber seine Masseforderungen erfolglos geltend gemacht.

Der Beklagte anerkannte den ersten Teil des Klagebegehrens und beantragte die Abweisung des den Gesellschafterkonkurs betreffenden Mehrbegehren mit der Begründung, der Kläger sei nicht Arbeitnehmer der Komplementärin gewesen und habe daher gegen diese keinen Entgeltanspruch erworben. Ein Anerkenntnis der Ausfallsforderung hätte eine Verkürzung jener Masseforderungen zur Folge, die aus Arbeitsverhältnissen stammten, die unmittelbar mit der Gesellschafterin abgeschlossen worden seien.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es vertrat die Rechtsansicht, daß Masseforderungen im Gesellschaftskonkurs diese Eigenschaft auch im Gesellschafterkonkurs besäßen, weil die Gesellschafter die wahren Träger der Rechte und Pflichten der Gesellschaft seien.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung, die in ihrem den Gesellschaftskonkurs betreffenden ersten Teil unbekämpft geblieben war, dahin ab, daß es das den Gesellschafterkonkurs betreffende Mehrbegehren abwies. Es schloß sich der von Petschek - Reimer - Schiemer, Das österr. Insolvenzrecht, 519, unter Berufung auf Jaeger, Komm. zur deutschen Konkursordnung[8], § 57 Anm. 1 a, sowie Reimer, Die Ausgleichsordnung und ihre Anwendung auf die OHG 88 vertretenen Auffassung an, wonach die Beziehung der Masseforderung zu einer bestimmten Konkursmasse nicht bewirke, daß jene Masseforderung schon wegen der Mithaftung eines anderen Schuldners in dessen Konkurs die Stellung einer Masseforderung genieße. Der Kläger sei Angestellter der KG und nicht der Komplementärin gewesen. Gemeinschuldner der Lohnforderungen sei die Gesamtheit der Gesellschafter, nicht aber ein einzelner Gesellschafter.

Der Oberste Gerichtshof stellte das Urteil des Erstgerichtes auch in seinem den Gesellschafterkonkurs betreffenden Ausspruch wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Entscheidung des Rechtsstreites hängt hinsichtlich des allein dem Gegenstand des Revisionsverfahrens bildenden Begehrens auf Zahlung des Ausfalles als Masseforderung aus dem Gesellschafterkonkurs ausschließlich von der Beantwortung der Frage ab, ob eine Masseforderung im Gesellschaftskonkurs auch im Gesellschafterkonkurs als Masseforderung zu behandeln ist. Der OGH hat zu dieser Frage, soweit dies überblickt werden kann, bisher noch nicht ausdrücklich Stellung genommen. In der Literatur haben Petschek - Reimer - Schiemer a. a. O. diese Frage ohne nähere Begründung verneint.

Reimer hat sich gegen einen solchen Durchgriff der Wirkung auf den Gesellschafterkonkurs gleichfalls ausgesprochen. Das Vorrecht der Forderung, so führt er a. a. O. aus, habe mit der Haftung nichts zu tun und sei nur für ein bestimmtes Insolvenzverfahren, und zwar für jenes des Hauptschuldners, angeordnet. Außerhalb dieses Verfahrens äußere es keine Wirkung und könne auf andere Verfahren nicht übertragen werden. Es werde ja schließlich eine im Verfahren des Schuldners bevorrechtete Forderung im Verfahren des Bürgen auch nicht als bevorrechtet behandelt. Aus der Vorschrift des § 61 Abs. 1 AO ergebe sich, daß ein Gesellschafter durch seinen Ausgleich von einer weiterreichenden Haftung für Gesellschaftsschulden aller Art befreit werde.

Diesem Argument hat Kastner (in der Besprechung der Monographie Reimers in ÖJZ 1968, 56) mit Recht entgegenhalten, daß die Bestimmung des § 61 Abs. 1 AO, auf die Reimer seine Auffassung ausdrücklich stützt, nur klarstellen soll, daß die in § 53 Abs. 1 AO normierte Schuldkürzung auch gegenüber den Gesellschaftsgläubigern wirkt, ohne daß diese Bestimmung aber den Vorrang berührt. Ebensowenig ist aus dem Argument über das - allgemein anerkannte - mangelnde Konkursvorrecht im Konkurs des Bürgen für den Standpunkt Reimers etwas zu gewinnen. Konkursvorrechte beruhen auf zwingenden gesetzlichen Anordnungen und können daher durch - die Rechtsstellung aller Konkursgläubiger berührende - Vereinbarungen der Parteien nicht ins Leben gerufen werden (BGHZ 34, 293 = NJW 1961, 1022 f.). Für den deutschen Rechtsbereich wird die gestellte Frage auch von Jaeger verneint (KO[8] II/2, § 212 Anm. 8). Auch er vertritt die Auffassung, das Konkursvorrecht sei eine einer Forderung innewohnende Eigenschaft, die ihr aber nicht schlechthin, sondern nur in bezug auf einen bestimmten Konkurs zukomme.

Die deutsche Judikatur (BGHZ 34, 293; NJW 1973, 468 u. v. a.) sowie der weitaus überwiegende Teil der deutschen Literatur bejahen jedoch den Durchgriff des im Gesellschaftskonkurs bestehenden Vorrechts auf den Gesellschafterkonkurs (Mentzel - Kuhn, KO[8], 755, 433; Böhle - Stamschräder, KO[12], 257; Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft[4], 386 f.; Schlegelberger, HGB[4] II, 1136; Baumbach - Duden, HGB[21] zu § 128 Anm.9; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch[2], 397; vgl. auch Klaus Müller. Die Einwirkung des Konkurses der OHG auf die persönliche Haftung des Gesellschafters, NJW 1968, 255). Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, daß das Konkursvorrecht einer Forderung eine dieser Forderung zugehörige Eigenschaft sei, die an der rechtlichen Natur der Forderung Teilhabe und weder materiellrechtlich noch prozessual von der Forderung getrennt werden könne. Das Vorrecht beruhe auf dem Entstehungsgrund der Forderung.

Der OGH vertritt gleichfalls die Auffassung, daß das im Gesellschaftskonkurs bestehende Vorrecht auch im Gesellschafterkonkurs wirkt. Auszugehen ist im vorliegenden Fall von der Bestimmung des § 161 HGB, derzufolge der Komplementär einer Kommanditgesellschaft dieselbe Stellung wie der Gesellschafter einer OHG besitzt. Er haftet daher gemäß § 128 HGB für Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern persönlich. Die Verbindlichkeiten der Gesellschaft sind zugleich Schulden der Gesellschafter und beruhen auf einer einheitlichen (gesetzlichen) Verpflichtung. Wird sowohl über das Gesellschaftsvermögen als auch über das Vermögen der persönlich haftenden Gesellschafter ein Konkursverfahren eröffnet, so können die Gesellschaftsgläubiger nur wegen des Ausfalls Befriedigung suchen, den sie im Konkurs (oder Ausgleichsverfahren) über das Gesellschaftsvermögen erlitten haben. Dies wird für den österreichischen Rechtsbereich durch Art. 7 Nr. 12 EVHGB angeordnet. Da diese Bestimmung der Vorschrift des § 212 dKO entspricht, ist die Rechtslage in beiden Rechtsbereichen grundsätzlich gleich. Art. 7 Nr. 12 EVHGB nimmt lediglich eine Beschränkung der Gesellschaftsgläubiger im Gesellschafterkonkurs für den im Gesellschaftskonkurs erlittenen Ausfall vor und ist erst bei der Verteilung der Masse zu berücksichtigen (5 Ob 247/71); er ist auf die Rangordnung ohne Einfluß.

Der OGH tritt auch der von der herrschenden Meinung geteilten Auffassung bei, daß das Konkursvorrecht einer Masseforderung nicht ein neben der Forderung bestehendes, sich notwendigerweise ausschließlich auf das eine Konkursverfahren beziehendes Recht, sondern vielmehr eine besondere Eigenschaft dieses Rechtes ist, das diesem kraft Gesetzes zukommt und auf dem Entstehungsgrund der Forderung beruht. Haftet nun für die Forderung sowohl die Gesellschaft als auch deren persönlich haftender Gesellschafter und findet, wie dies in den meisten Fällen geschieht, sowohl gegen die Gesellschaft als auch gegen die Gesellschafter ein Konkursverfahren statt, dann besitzt wegen des dargelegten Charakters der bevorrechten Forderung und infolge der besonders engen Verflechtung der persönlich haftenden Gesellschafter mit der Gesellschaft und deren Verbindlichkeiten eine Masseforderung im Gesellschaftskonkurs diese Eigenschaft - nicht zuletzt auch im Interesse einer dieser Rechtslage entsprechenden notwendigen gleichartigen Durchsetzbarkeit dieses Vorrechtes - in dem für den Gesellschaftskonkurs maßgebenden Umfang auch im Gesellschafterkonkurs.

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