OGH 6Ob601/77

OGH6Ob601/7714.7.1977

SZ 50/106

Normen

HGB §346
HGB §346

 

Spruch:

Die Richtlinien für das Inkassogewerbe sind als allgemeine Geschäftsbedingungen anzusehen

OGH 14. Juli 1977, 6 Ob 601/77 (LGZ Wien 42 R 16/77; BG Innere Stadt Wien 36 C 296/76)

Text

Die Klägerin begehrte Zahlung eines Betrages von 13 000 S samt Anhang, den die Beklagte als Inkassantin von der Schuldnerin Albine B vereinnahmt habe. Von insgesamt 19 500+S, die bei der Beklagten eingegangen seien, habe die Klägerin nur 6500 S erhalten.

Die Beklagte berief sich darauf, die Klägerin sei damit einverstanden gewesen, daß die Beklagte von den eingegangenen Beträgen ihre Inkassokosten einbehalten könne.

Das Erstgericht sprach der Klägerin einen Teilbetrag von 9536.70 S samt Anhang zu und wies ein Mehrbegehren von 3463.30 S samt Anhang ab. Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil änderte das Berufungsgericht die Entscheidung erster Instanz dahin ab, daß es der Klägerin 10 700 S zusprach und ein Mehrbegehren von 2300 S samt Anhang abwies. Die untergerichtlichen Urteile beruhen auf nachstehendem Sachverhalt:

Die Klägerin war mit Johann S befreundet. Als er von ihr erfuhr, daß sie eine Forderung gegen Albine B habe, schlug er ihr vor,"ihm das Ganze zu übergeben, es koste sie nichts, er werde das schon machen". Unter dieser Voraussetzung unterschrieb die Klägerin im Jahre 1966 einen Inkassoauftrag an die Beklagte und zwei Vollmachten blanko. Nach der Vereinbarung sollte die Beklagte 25 000 S von der Schulderin eintreiben, wobei der Klägerin keine Inkassokosten verrechnet werden sollten; die Kosten sollten vielmehr von der Schuldnerin hereingebracht werden. In der Folge unternahm die Beklagte keine oder erfolglose Inkassoversuche. Über Urgenz der Klägerin im Jahre 1972 traf Johann S namens der Beklagten am 5. Oktober 1972 mit der Schulderin B eine Vereinbarung, wonach diese einen Gesamtbetrag von 29 800 S (25 000 S Kapital, 2500 S Zinsen und 2300 S Inkassokosten) in monatlichen Raten von 500 S an das Inkassobüro zahlen solle. Auf diese Art bezahlte Albine B an das Inkassobüro insgesamt 19 500 S, wovon die Klägerin 6500 S erhalten hat. Die zwischen ihr und Johann S entstandenen Unstimmigkeiten brachten es schließlich mit sich, daß die Beklagte nach Aufkündigung des Inkassoverhältnisses der Klägerin "Abrechnungen" schickte, nach deren einer das Honorar der Beklagten 17 170.60 S und nach deren anderer das Honorar 14 510.60 S betragen sollte. Die Klägerin verweigerte jede Honorarübernahme und beansprucht alle eingegangenen Zahlungen für sich.

Zur rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes führte das Berufungsgericht aus:

Die rechtliche Lösung ergebe sich aus dem Zusammenhalt der Vereinbarung zwischen den Parteien (für den Auftraggeber - Klägerin - kostenloses Inkasso, Kosten werden von der Schulderin eingetrieben) und der Vereinbarung der Beklagten mit der Schulderin (29 800 S in monatlichen Raten von 500 S, davon 25 000 S Kapital, 2500 S Zinsen und 2300 S Kosten). Die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung schließe ausdrücklich ein, daß die Beklagte berechtigt gewesen sei, gegenüber der Schulderin Kosten geltend zu machen und einzutreiben. Bedenke man, daß die Beklagte ein auf Gewinn gerichtetes Gewerbe betreibe, könne nicht unterstellt werden, daß die Parteien bei ihrer Vereinbarung im Auge gehabt hätten, die Beklagte grundsätzlich dahin zu beschränken, ihre Kostenforderung gegenüber der Schulderin auch vorweg mit Zahlungen der Schulderin abzudecken. Die Bestimmung des § 915 ABGB lasse es nicht zu, davon auszugehen, daß die Beklagte auch das Risiko einer späteren Zahlungsunfähigkeit der Schulderin tragen sollte. Aus dem dem Inkassoauftrag zugrundeliegenden Interesse der Klägerin, ihre Forderung möglichst rasch und zur Gänze hereinzubringen, sei aber auch ableitbar, daß die Beklagte nicht berechtigt sein sollte, "Schuldnerkosten" in beliebiger Höhe zu Lasten der Klägerin zuerst einzukassieren. Da aber grundsätzlich ein Inkassoauftrag vorliege, könnten zur Auslegung des Vertrages zwischen den Parteien die Richtlinien für das Inkassogewerbe herangezogen werden, zumal beide Parteien Kaufleute seien. Die zwanglose Auslegung des Vertrages zwischen den Parteien in der Richtung, daß das Inkassobüro grundsätzlich berechtigt gewesen sei, Schuldnerkosten zuerst einzunehmen, sei auch in den Richtlinien für das Inkassogewerbe (Abschnitt B Z. 10) enthalten. Dieser Punkt der Richtlinien berechtige das Inkassobüro aber nur, die Schuldnerkosten zuerst abzudecken, die im Abschnitt C genannt seien. Die Berechnung dieser Kosten durch das Erstgericht führe aber noch nicht zu dem Betrag, den die Beklagte von den von der Schuldnerin eingezahlten Geldern für sich zuerst abzuziehen berechtigt gewesen sei. Diese berechneten Kosten bilden nur den Höchstbetrag; das Erstgericht habe übersehen, daß die Beklagte, legitimiert durch die Vereinbarung mit der Klägerin, mit der Schuldnerin eine ausdrückliche Vereinbarung auch hinsichtlich dieser Kosten getroffen habe. Durch diese Vereinbarung sei klar bestimmt gewesen, daß Zahlungen nur der Abdeckung der in dieser Vereinbarung genannten Forderungsteile dienen konnten, wovon nur 2300 S vereinbarte Kosten gewesen seien. Die Beklagte habe daher niemals nach den Richtlinien errechnete Auftraggeber- oder Schuldnerkosten in Empfang genommen, sie könne diese daher auch nicht zurückbehalten. Wegen der entgegenstehenden Vereinbarung fehle der Beklagten jeder Rechtstitel für eine Forderung, die sie im Verfahren compensando gegen die Klagsforderung einwenden könnte oder die zu einer vorprozessualen Aufrechnungserklärung hätte führen können (soweit die Einwendungen der Beklagten im Prozeß überhaupt in Richtung einer Zahlung an die Klägerin durch Kompensation verstanden werden könnten). Aus den gleichen Gründen erscheine es im Wege der Auslegung unabweislich, daß die Beklagte in Wahrung ihrer Geschäftsinteressen - in konsequentem Vollzug der Vereinbarung mit der Klägerin - mit der Schulderin vereinbart habe, daß die vereinbarten Kosten von 2300 S zuerst durch die Ratenzahlungen abzudecken seien. Auch dabei handle es sich um eine sich zwingend ergebende Auslegung der Vereinbarung zwischen der Beklagten und der Schuldnerin. Somit ergebe sich, daß die Beklagte in Wahrheit hinsichtlich der Forderung der Klägerin nur 17 000 S erhalten habe, während ein Betrag von 2300 S vorweg der Abdeckung der Kostenforderung der Beklagten gegenüber der Schulderin gedient habe. Weder habe die Klägerin behauptet, daß auch ein Betrag von nur 2300 S den Berechnungssätzen nach Abschnitt C der Richtlinien nicht entspreche noch habe die Beklagte behauptet, die Vereinbarung zwischen ihr und der Schulderin vom 5. Oktober 1972 sei in der Richtung noviert worden, daß eine höhere Kostenforderung zwischen ihr und der Schulderin entstanden sei. Deshalb erübrige sich auch eine Berechnung der Auftraggeber- oder Schuldnerkosten nach den Berechnungssätzen der Richtlinien. Gehe man somit davon aus, daß die Beklagte im Rahmen der Vereinbarung mit der Klägerin zu Recht Schuldnerkosten von 2300 S mit der Schuldnerin vereinbart habe, die von den Zahlungen der Schuldnerin zuerst einzubehalten seien, dann habe die Beklagte nicht 19 500 S, sondern nur 17 200 S zur Befriedigung der Forderung der Klägerin erhalten. Berücksichtige man, daß die Klägerin davon schon 6500 S erhalten habe, so habe sie von der Beklagten nur mehr 10 700 S zu fordern.

Der Oberste Gerichtshof gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es unter Einbeziehung des bereits vom Berufungsgericht rechtskräftig zugesprochenen Teilbetrages die beklagte Partei schuldig erkannte, der klagenden Partei den Betrag von 13 000 S samt 4% Zinsen aus 9536.70 S seit 9. März 1976 und 4% Zinsen aus 3463.30 S seit 1. Jänner 1975 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es trifft nicht zu, daß das Berufungsgericht das Prozeßrecht unrichtig angewendet hätte. Es hat keineswegs eine nicht aufgestellte Kompensandoeinwendung unzulässigerweise zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Die vom Berufungsgericht in seine rechtlichen Erwägungen einbezogenen Gedankengänge beruhen durchaus auf dem Prozeßvorbringen und den Rechtsstandpunkten der Parteien.

In der materiellrechtlichen Beurteilung der Sache kann aber dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden. Die Richtlinien für das Inkassogewerbe, deren Bestimmung Abschnitt B Z. 10 das Berufungsgericht zur Begründung dafür herangezogen hat, daß die Beklagte von den Zahlungen der Schuldnerin vorweg die Kosten in der verglichenen Höhe von 2300 S für sich einbehalten durfte, sind als allgemeine Geschäftsbedingungen anzusehen. Als solche haben sie keinen normativen Charakter und gelten nur kraft Parteiwillens. Den Parteien steht es frei, im Einzelfall individuelle Vereinbarungen, abweichend von den allgemeinen Geschäftsbedingungen, zu treffen. Ein solcher Fall liegt vor, weil vereinbart wurde, daß das Inkasso die Klägerin nichts kosten dürfe. Daß die Beklagte kraft Vereinbarung der Schulderin Kosten verrechnen durfte, ändert nichts daran, daß die geleisteten Zahlungen solange der Klägerin zukommen mußten, bis deren Kapital- und Zinsenanspruch voll befriedigt wurde. Nach den Feststellungen hat die Beklagte nur einen Teil der Forderung der Klägerin hereingebracht. Trotzdem hat sie ihre Kosten einbehalten, was unvereinbar damit ist, daß im Verhältnis der Parteien das Inkasso die Klägerin nichts kosten darf. Bedeutsam ist dabei, daß nicht etwa die Klägerin willkürlich das Inkassomandat widerrufen und die Beklagte dadurch der Möglichkeit beraubt hat, von der Schulderin nach dem Kapital und den Zinsen die von dieser vereinbarungsgemäß zu leistenden verglichenen Inkassokosten hereinzubringen. Es war vielmehr die Beklagte, die das Mandatsverhältnis ihrerseits löste und die daraus für sie entstandenen Nachteile zu tragen hat. Die Klägerin hat Anspruch auf den vollen Betrag der Zahlungen der Schuldnerin, weshalb sich das Klagebegehren im vollen Umfang als berechtigt erweist.

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