OGH 5Ob587/77

OGH5Ob587/7731.5.1977

SZ 50/78

Normen

ABGB §5
ABGB §92
ABGB §5
ABGB §92

 

Spruch:

Aus § 92 Abs. 3 ABGB, der die Feststellung vorsieht, daß die gesonderte Wohnungnahme durch einen Ehegatten rechtmäßig war oder ist, folgt, daß Gegenstand des außerstreitigen Verfahrens nach § 92 Abs. 3 ABGB nicht nur das einleitende, bereits in der Vergangenheit liegende und allenfalls bereits wieder beendete Verhalten der gesonderten Wohnungnahme eines Ehegatten, sondern auch der noch andauernde und gegenwärtige Zustand sein soll

OGH 31. Mai 1977, 5 Ob 587/77 (LGZ Wien 44 R 18/77; BG Mödling 2 Nc 70/75)

Text

Dipl.-Kfm. Dietrich S und Dr. Heide S sind seit 22. August 1969 miteinander verheiratet. Aus der Ehe entstammen zwei Kinder, die am 10. Dezember 1971 und am 24. Jänner 1973 geboren wurden. Die Ehefrau verließ nach einer Auseinandersetzung mit ihrem Gatten am 27. Juni 1974 die Ehewohnung in M und wohnt seither mit den beiden Kindern bei ihrer Schwester Dr. Traude R in Wien 9.

Der Ehemann stellte zunächst am 2. Oktober 1975 den Antrag, die Ehefrau zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft zu verhalten. Im Hinblick auf die geänderte Rechtslage modifizierte er den Antrag am 13. Jänner 1976 dahingehend, daß festgestellt werde, daß die gesonderte Wohnungnahme durch seine Ehegattin unrechtmäßig war und ist. Die Ehefrau stellte ihrerseits den Antrag auf Feststellung, daß die gesonderte Wohnungnahme durch sie im Juni 1974 gerechtfertigt gewesen sei.

Das Erstgericht stellte fest, daß die gesonderte Wohnungnahme durch die Antragsgegnerin Dr. Heide S im Juni 1974 rechtmäßig war, jedoch (derzeit) unrechtmäßig ist (Punkt 1). Im Punkte 2 seines Beschlusses wies das Erstgericht den Antrag des Dipl.-Kfm. S ab, das Gericht möge feststellen, daß die gesonderte Wohnungnahme durch die Antragsgegnerin Dr. Heide S unrechtmäßig war. Sachverhaltsmäßig lag dem zugrunde, daß die Ehefrau bereits im Jahre 1971 zum ersten Male nach einer Auseinandersetzung mit ihrem Gatten die eheliche Wohnung verlassen habe, nach einer Versöhnung aber wieder dorthin zurückgekehrt sei. Am 5. Feber 1973 sei es zwischen den Ehegatten neuerlich zu einer Auseinandersetzung gekommen, die beiderseits in Tätlichkeiten ausartete. Darnach habe es wohl weitere wörtliche Auseinandersetzungen gegeben, die Antragsgegnerin sei von ihrem Gatten aber weder mit Mißhandlungen bedroht noch tatsächlich mißhandelt worden. Dieser habe sich auch bis zum Auszug der Antragsgegnerin am 27. Juni 1974 nicht so verhalten, daß der Antragsgegnerin das Verbleiben in der Ehewohnung unzumutbar gewesen wäre. Ihr nervlicher Zustand habe sich aber sehr verschlechtert, zumal sie sich durch die Haushaltsführung und Kindererziehung überlastet gefühlt habe. Sie habe schließlich am 31. Mai 1974 von ihrer behandelnden Ärztin den Rat erhalten, mit den Kindern gesondert Wohnung zu nehmen. Nach medikamentöser Behandlung habe die Antragsgegnerin schließlich am 27. Juni 1974 ohne Wissen und Willen ihres Gatten die eheliche Wohnung verlassen, nachdem sie nach einer Verschlechterung ihres nervlichen Zustandes vergeblich versucht hätte, ihre Ärztin zu erreichen. Bei einer Aussprache im August 1974 seien zwischen den Ehegatten im wesentlichen nur vermögensrechtliche Probleme erörtert worden. Die Ehefrau habe eine am 17. September 1974 eingebrachte Scheidungsklage in der Folge wieder zurückgezogen. Sie wolle die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder aufnehmen und beabsichtige, die Scheidung der Ehe auf der Grundlage des § 55 EheG zu erwirken. Die Antragsgegnerin sei seit Jänner 1975 berufstätig und ziehe dies einer Haushaltsführung vor. Sie befinde sich in nervlich gutem Zustand. Die beiden Kinder würden von der Mutter gut versorgt und betreut. Sie seien beiden Elternteilen sehr zugetan und verbrächten einer Vereinbarung entsprechend einen erheblichen Teil der Wochenenden bei ihrem Vater. Über seinen Antrag auf Überlassung der Kinder in Pflege und Erziehung sei noch nicht rechtskräftig entschieden worden. Der Antragsteller habe bereits mehrfach die Antragsgegnerin zu einer Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft zu bewegen versucht, wozu zwei Wohnungen zur Verfügung stunden.

Das Erstgericht ging bei seiner rechtlichen Beurteilung von den Bestimmungen der §§ 90, 92 ABGB in der Fassung des Gesetzes über die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe, BGBl. 412/1975, aus. Es erachtete die gesonderte Wohnungnahme der Antragsgegnerin auf der Grundlage des § 92 Abs. 2 zweiter Fall ABGB aus gesundheitlichen Gründen für rechtmäßig, zumal ein Weiterverbleib in der Ehewohnung eine Verschärfung der nervlich angespannten Situation bewirkt hätte und demzufolge auch für die Kinder mit nachteiligen Folgen verbunden gewesen wäre. Demzufolge gelangte das Erstgericht auch zur Abweisung des entgegengesetzten Antrages des Antragstellers. Eine derartige gesonderte Wohnungnahme könne aber lediglich vorübergehender Natur sein, eine Trennung der Ehegatten über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren könne im Hinblick auf die Bestimmung des § 90 ABGB nach der die Ehegatten zu einer umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet seien, nicht mehr als vorübergehend im Sinne des § 92 Abs. 2 ABGB angesehen werden, der ja nur bezwecke, eine akute unzumutbare Situation oder wichtige persönliche Angelegenheit zu bereinigen. Im vorliegenden Fall sei ihr Zweck, die Lösung der bestehenden nervlichen Anspannung zu bewirken und eine Fortsetzung des Ehelebens zu ermöglichen. Dieser Zweck sei bereits nach relativ kurzer Zeit erreicht worden. Der nervliche Zustand der Antragsgegnerin habe sich so weit gebessert, daß die gesonderte Wohnungnahme derzeit nicht mehr für gerechtfertigt angesehen werden könne. Es würde auch dem Wohl der Kinder entsprechen, wenn ihre Mutter in die Ehewohnung zurückkehren und die Lebensgemeinschaft mit dem Vater trotz weiterhin bestehender Schwierigkeiten wieder aufnehmen würde.

Das Rekursgericht hat den erstgerichtlichen Beschluß, der in seinem Ausspruch über die Rechtmäßigkeit der gesonderten Wohnungnahme der Antragsgegnerin im Juni 1974 und hinsichtlich des abweisenden Ausspruches in seinem Punkte 2 als unbekämpft unberührt blieb, in seinem Ausspruch, die gesonderte Wohnungnahme der Antragsgegnerin sei derzeit unrechtmäßig, aufgehoben. Diese Aufhebung stellt in Wahrheit eine Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses im Sinne der Abweisung des diesbezüglichen Antrages dar, weil das durch § 92 Abs. 3 ABGB geschaffene außerstreitige Verfahren auf eine bereits vor dem 1. Jänner 1976 erfolgte gesonderte Wohnungnahme nicht anwendbar sei. Da das EheRwG keine diesbezüglichen Übergangsbestimmungen aufweise, sei von den allgemeinen Grundsätzen über den zeitlichen Wirkungsbereich von Rechtsnormen auszugehen. Gemäß § 5 ABGB wirkten Gesetze nicht zurück und hätten daher auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher erworbene Rechte keinen Einfluß. Die gesonderte Wohnungnahme, deren Rechtmäßigkeit in diesem Verfahren nunmehr festgestellt werden solle, sei im Juni 1974, also lange vor Inkrafttreten der gegenständlichen gesetzlichen Neuregelung erfolgt. Die neue Rechtslage könne daher auf die Beurteilung dieser Wohnungnahme nicht angewendet werden. Die bloße Beurteilung der Fortwirkungen einer solchen Wohnungnahme nach dem 1. Jänner 1976 würde aber über die im Gesetze geregelten Fälle des § 92 Abs. 1 und 2 ABGB hinausgehen, weil damit eigentlich nur negativ die Pflicht der Antragsgegnerin, dem Antragsteller zu folgen, umschrieben wäre und es hiefür an einer gesetzlichen Grundlage fehle. Dadurch sei allerdings die Beurteilung der Rechtswirkungen der gesonderten Wohnungnahme und deren Beibehaltung nach dem 1. Jänner 1976 als Vorfrage in einem anderen Hauptverfahren nicht berührt, so daß die Parteien durch die Verweigerung einer im außerstreitigen Verfahren zu treffenden Entscheidung nicht beschwert würden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Antragstellers Folge, hob den angefochtenen Beschluß im Ausspruch über die derzeitige Unrechtmäßigkeit der gesonderten Wohnungnahme der Antragsgegnerin auf und trug dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den diesbezüglichen Ausspruch des erstgerichtlichen Beschlusses auf.

Rechtliche Beurteilung

Begründung

Es trifft zwar zu, daß die Wirkungen einer Gesetzesänderung grundsätzlich nicht Tatbestände ergreifen, die vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes verwirklicht wurden, weil gemäß § 5 ABGB Gesetze nicht zurückwirken. Sofern es sich aber um Dauertatbestände handelt, ist der weiterhin andauernde Zustand nach den Vorschriften des neuen Gesetzes zu beurteilen, falls nicht Übergangsbestimmungen etwas anderes anordnen. Die persönlichen Rechtsbeziehungen der Ehegatten zueinander sind aber ein Dauertatbestand, der, wiewohl unter der Herrschaft des alten Rechtes begrundet, nach den Bestimmungen des neuen Rechtes stetig weiter zu verwirklichen ist (vgl. Ent - Hopf,

Die Neuordnung der persönlichen Rechtwirkungen der Ehe, Manzsche Sonderausgabe, 199). Das Verfahren nach § 92 Abs. 3 ABGB sieht die Feststellung der Rechtmäßigkeit der gesonderten Wohnungnahme durch einen Ehegatten deshalb vor, weil darüber Gewißheit geschaffen werden soll und eine solche Feststellung in ein weiteres Verfahren hineinwirkt, soweit ihre Rechtskraft reicht (Ent - Hopf a. a. O., 42). Schon aus dem Umstand, daß das Gesetz die Feststellung vorsieht, daß die gesonderte Wohnungnahme durch einen Ehegatten rechtmäßig war oder ist, erhellt, daß Gegenstand des außerstreitigen Verfahrens nach § 92 Abs. 3 ABGB nicht nur das einleitende, bereits in der Vergangenheit liegende und allenfalls bereits wieder beendete Verhalten der gesonderten Wohnungnahme eines Ehegatten, sondern auch der noch andauernde und gegenwärtige Zustand sein soll.

Dem Rekursgericht kann also nicht in der Auffassung beigepflichtet werden, daß das Begehren auf Feststellung der Rechtmäßigkeit des gegenwärtigen Zustandes der gesonderten Wohnungnahme der Antragsgegnerin schon mangels einer gesetzlichen Grundlage abzuweisen wäre. Da das Rekursgericht, ausgehend von einer anderen Rechtsauffassung, eine abschließende Festlegung des maßgeblichen Sachverhaltes im Hinblick auf die Anfechtung der erstgerichtlichen Feststellungen unterlassen hat, ist die Sache noch nicht spruchreif. Es trifft wohl zu, daß die gesonderte Wohnungnahme aus wichtigen persönlichen Gründen im Sinne des § 92 Abs. 2 zweiter Fall ABGB im allgemeinen nur zeitlich begrenzt sein kann und der Ehegatte im Hinblick auf die im § 90 ABGB festgelegte Verpflichtung zum gemeinsamen Wohnen nach Wegfall des Rechtfertigungsgrundes, in die eheliche Wohnung zurückzukehren hat. Eine Frist, die die Dauer des Zustandes der gesonderten Wohnungnahme absolut abgrenzt, ist aber nicht festgelegt. Es kommt vor allem auf ihren Grund an (vgl. Ent - Hopf a. a. O., 100 f.). Wenn der Wunsch eines Ehegatten auf Aufrechterhaltung der umfassenden Lebensgemeinschaft einschließlich der Wohnungsgemeinschaft dem Bedürfnis des anderen Ehegatten nach gesonderter Wohnungnahme aus persönlichen Gründen gegenübersteht, dann hat eine Abwägung der beiderseitigen schutzwürdigen Interessen dahin stattzufinden, ob die objektiv gegebenen persönlichen Gründe derartig gewichtig sind, daß sie eine Lösung der Wohngemeinschaft rechtfertigen. Dabei ist auf die gesamten Umstände der Familie, insbesondere auch auf das Wohl der Kinder Bedacht zu nehmen. Es erscheint zweckmäßig, in der Entscheidung den Ort der gesonderten Wohnungnahme anzuführen (vgl. Ent - Hopf a. a. O., 103)

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