OGH 5Ob609/76

OGH5Ob609/7619.10.1976

SZ 49/123

Normen

Bundesstraßengesetz 1971 §18
EisbEG §4
Bundesstraßengesetz 1971 §18
EisbEG §4

 

Spruch:

Bei Enteignung einer Grundfläche, auf der ein gewerbliches Unternehmen betrieben wurde, ist nur der Aufwand zu entschädigen, der erforderlich ist, um eine andere aus der Entschädigung für die enteignete Grundfläche angeschaffte Grundfläche in gleicher Weise nutzen zu können; dazu gehören die Kosten der Betriebsverlegung

OGH 19. Oktober 1976, 5 Ob 609/76 (LG Salzburg 32 R 303/75; BG Hallein 1 Nc 44/72)

Text

Mit Bescheid vom 22. Dezember 1971, Zahl I-8169/17-1971, hat das Amt der Salzburger Landesregierung eine Teilfläche von 647 m2 der dem Antragsgegner allein gehörigen Liegenschaft EZ 194 KG M zugunsten der Antragstellerin enteignet und die Entschädigung dafür mit insgesamt 2 348 347.80 S festgesetzt, wovon 1 353 500 S als Entschädigung für das auf der enteigneten Teilfläche vom Antragsgegner betriebene Gemischtwarenhandelsunternehmen und 12 000 S als Übersiedlungskosten veranschlagt wurden. Nach der nunmehr vorliegenden Endvermessungsurkunde hat sich das Ausmaß der enteigneten Teilfläche um 12 m2 verringert. Die Antragstellerin, die Republik Österreich, begehrte in offener Frist; die Entschädigung des Antragsgegners neu festzusetzen.

Das Erstgericht bestimmte die Entschädigungssumme mit 1 364 624 S, davon 1 034 710 S als Verkehrswert der enteigneten Teilfläche, 297 614 S als Ertragswert des Unternehmens, 20 000 S als Verlust durch Abverkauf des Warenlagers und 12 300 S als Entschädigung für den verlorenen Obstgarten.

Gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes hatten beide Parteien Rekurs ergriffen. Die Antragstellerin begehrte, die Entschädigungssumme mit höchstens 897 619.68 S festzusetzen. Der Antragsgegner beantragte, den Entschädigungsbetrag zumindest in dem von der Verwaltungsbehörde bestimmten Ausmaß von 2 348 347.80 S festzusetzen.

Das Rekursgericht gab beiden Rekursen insofern Folge, als es den Beschluß des Erstgerichtes aufhob und diesem auftrug, nach Ergänzung der Beweisaufnahme neuerlich zu entscheiden. Die enteignete Teilfläche mit dem darauf befindlichen Gebäude sei zumindest zu zwei Dritteln, also überwiegend, für den Betrieb des Gemischtwarenhandels verwendet worden und demnach überwiegender Bestandteil des von der Enteignung betroffenen Unternehmens gewesen. Für die Bemessung der ihm dafür gebührenden Globalentschädigung sei maßgebend, welchen Erlös der Antragsgegner zum Zeitpunkt der Enteignung (Ende 1971) beim Verkauf des Unternehmens hätte erzielen können, freilich ohne Berücksichtigung der drohenden Enteignung. Eine Entschädigung für den entgehenden Ertrag des Unternehmens gebühre dem Antragsgegner daneben nicht mehr, er brauche aber auch nicht zu besorgen, daß der Wert seines Unternehmens nach dem schlechten Geschäftserfolg der letzten Jahre bemessen werde, der nur eine Folge seines Alters und seiner Kränklichkeit gewesen sei. Es werde jedoch der dadurch verringerte Kundenstock bei der Wertbemessung von Bedeutung sein, denn es hätte ein Käufer des Unternehmens wegen des schlechten Geschäftserfolges weniger geboten als für ein Unternehmen, das in der höchstmöglichen Blüte stehe, da er den Kundenstock erst wieder vergrößern müßte. Wenn Ende 1971 die abstrakte Möglichkeit vorhanden gewesen sei, den Kundenstock des Unternehmens zu vergrößern, so habe sie einen Wert dargestellt, der im Kaufpreis seinen Niederschlag gefunden hätte und deshalb jetzt auch in der Entschädigungssumme zum Ausdruck kommen müsse. Es sei allerdings fraglich, ob die globale Entschädigungssumme für das Unternehmen im Vergleichswertverfahren berechnet werden könne. Es komme zwar immer wieder vor, daß derartige Unternehmen verkauft werden, es sei jedoch mehr als zweifelhaft, ob eine genügend große Anzahl annähernd vergleichbarer Unternehmen mit Liegenschaften innerhalb eines gewissen Zeitraumes vor und nach der Enteignung frei verkauft worden seien. Es werde wohl nichts übrigbleiben, als daß das Erstgericht mit Hilfe eines weiteren Sachverständigen den Wert des Enteignungsgegenstandes durch Schätzung ermittle. Dabei werde sich in Anbetracht der theoretischen Möglichkeit für den Antragsgegner, wenige Schritte vom früheren Unternehmensstandort entfernt sein Unternehmen in einem gekauften oder gebauten Haus, allenfalls in einem hiefür gemieteten Gebäude, fortzuführen, die Frage stellen, was ein Käufer zur Zeit der Enteignung für das ganze Unternehmen bezahlt hätte. Die Antwort werde je nachdem, ob der Antragsgegner bereit gewesen wäre, sich zur Unterlassung einer Konkurrenzierung zu verpflichten oder nicht, verschieden ausfallen: Im ersteren Falle werde der Kaufpreis viel höher ausfallen als im letzteren, weil der Käufer nicht erwarten müsse, daß der Verkäufer seine Kundschaft bei Fortführung des Unternehmens mit sich ziehe. Die Sachverständigen müßten von der Annahme ausgehen, daß der Käufer das Unternehmen unter all den äußeren Bedingungen fortführen könne, unter denen es der Verkäufer bis zur Enteignung geführt habe. Der Verkäufer wäre nicht vollauf entschädigt, bekäme er für ein relativ konkurrenzfreies Unternehmen den Preis eines Unternehmens, das sich gegen schwere Konkurrenz behaupten müsse. Wenn auch eine Globalsumme für das ganze Unternehmen mit der Liegenschaft zu ermitteln sei, so könne doch der Wert der einzelnen Teile bei der Schätzung nicht ohne Bedeutung sein, es müßten jedoch die einzelnen Teilbeträge aufeinander Bezug nehmen. Der aus dem Geschäft zu erzielende Gewinn werde in der neu zu fällenden Entscheidung zu berücksichtigen sein. Dabei werde nicht allein der Gewinn zugrunde gelegt werden können, den der siebzigjährige, kränkliche Antragsgegner habe erzielen können, vielmehr werde man sich den gedachten Käufer als einen Mann auf der Höhe seiner Schaffenskraft vorstellen müssen. Dieser hätte sich nämlich gefragt, welchen Gewinn er aus dem Unternehmen werde ziehen können, und hätte sich dann zu einem solchen Preis verstanden, bei dem er noch auf seine Rechnung gekommen wäre; die Ertragslage des Unternehmens in früheren Jahren könne dabei als Hinweis dienen. Es sei richtig, daß der Ertragswert des Enteignungsobjektes niemals über dem Sachwert liegen könne, denn die Möglichkeit höherer Erträge schlage sich ohnedies im Wert der Liegenschaft nieder. Es sei jedoch nicht klargestellt worden, ob der Ertragswert von den Sachverständigen zu hoch oder zu niedrig angenommen wurde. Es könne nur die durch einen Wirtschaftstreuhänder durchzuführende Berechnung zum Ziele führen, aus der sich ergebe, welcher Bestandzins angesichts der zu erwartenden Erträgnisse des Geschäftsbetriebes wirtschaftlich gerechtfertigt wäre. Übersiedlungskosten gebührten dem Antragsgegner nicht, denn er würde solche auch bei freihändigem Verkauf seiner Liegenschaft nicht verlangen und erhalten. Der objektive Wert der durch die Enteignung eingetretenen Vermögensminderung werde durch die Zuerkennung des Verkehrswertes der Liegenschaft vollständig abgegolten. Wollte man ihm auch noch zusätzlich Übersiedlungskosten geben, so wäre er bereichert, denn er wäre bessergestellt, als wenn er sein Unternehmen verkauft hätte.

Dem Revisionsrekurs der Antragstellerin gab der Oberste Gerichtshof nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es ist davon auszugehen, daß keineswegs das vom Antragsgegner auf der enteigneten Grundfläche betriebene Unternehmen einer Gemischtwarenhandlung enteignet worden ist. Gegenstand der Enteignung war vielmehr nur die Grundfläche und das darauf befindliche (gemischte) Wohn- und Betriebsgebäude ("Geschäftshaus") samt einem Garagengebäude. Dadurch wurde allerdings dem Antragsgegner die Ausübung des Gewerbebetriebes auf der enteigneten Grundfläche unmöglich gemacht und nur insoweit wurde sein gewerbliches Unternehmen von der Enteignung mitbetroffen, ohne jedoch selbst Gegenstand des Enteignungsaktes gewesen zu sein. Die Antragstellerin als Enteignerin hatte das Unternehmen als Enteignungsobjekt auch gar nicht in Anspruch genommen, so daß es dem Antragsgegner möglich gewesen wäre, es nach einer Betriebsverlegung fortzuführen. Insoweit entstand auch kein Schaden am Grundstückswert (Substanzwert), da der Gewerbebetrieb ohne innerem Wertzusammenhang rein äußerlich mit der enteigneten Grundfläche verbunden war und in jedem anderen Hause ebenso wieder hätte eingerichtet werden können. Bei der Entschädigung für die Enteignung der Grundfläche ist der Gewerbebetrieb deshalb nicht zu berücksichtigen (BGH 6. Dezember 1965, NJW 1966, 495 und Gelzer, Der Umfang des Entschädigungsanspruches aus Enteignung und enteignungsgleichem Eingriff, 81). Da der Enteignete seine persönlichen Eigenschaften und - diesfalls altersbedingt beschränkten - Fähigkeiten sowie die daraus erfließenden Erträgnisse auf jeder anderen Grundfläche, auf der er den dorthin verlegten Betrieb des Unternehmens fortführt, genauso nutzen könnte, sind auch diese Umstände bei der Entschädigung für die Grundfläche außer acht zu lassen (so auch BGH, 495). Als "unmittelbarer Folgeschadenersatz" aus dem Enteignungsakt gebührt ihm indessen - über den Wert der enteigneten Grundfläche hinaus - ohne Rücksicht darauf, ob er von der Möglichkeit einer Betriebsverlegung Gebrauch machen will oder (aus persönlichen Gründen) kann oder die Entschädigungssumme anders anlegt, Entschädigung bis zum Betrag des Aufwandes, der erforderlich ist, um eine andere Grundfläche in gleicher Weise wie die enteignete zur (gedachten) Fortführung des Betriebes des Gemischtwarenhandelsunternehmens zu nutzen (Gelzer, 93). Dabei kann der Anschaffungspreis für eine gleichartige Grundfläche nicht berücksichtigt werden, da diese Kosten bereits durch den Entschädigungsbetrag für die enteignete Grundfläche erfaßt sind (BGH, 496). Wohl aber gehören zu den abstrakt zu berechnenden nachteiligen Folgen einer durch den Enteignungsakt notwendigen Betriebsverlegung auch die Kosten dieser Verlegung und der Übersiedlung der im (gemischten) Wohn- und Betriebsgebäude befindlichen Wohnung des Enteigneten (EvBl. 1976/49; 5 Ob 218/74 u. a.; Klang in Klang[2] II, 195; Krzizek, ÖJZ 1969, 569; so auch schon Grünhut, Das Enteignungsrecht, 103 ff.); ein Vergleich mit einem angenommen freiwilligen Verkauf des enteigneten Objektes, bei dem solche Kosten nicht berechnet werden, ist hier wegen der durch den hoheitsrechtlichen Enteignungsakt geschehenen Nötigung des Enteigneten zum Sonderopfer des betroffenen Vermögens völlig unzulässig (EvBl. 1976/49).

Diese Grundsätze entsprechen der allgemein anerkannten Aufgabe der Enteignungsentschädigung, die durch die Enteignung eintretende Vermögenseinbuße auszugleichen, so daß der Vermögensstand des Enteigneten vor und nach der Enteignung im Endergebnis gleich ist (Krzizek, 567).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte