Spruch:
Die Abgabe der Verpflichtungserklärung durch den Minderjährigen und den Vater in einem Ausbildungsvertrag zur anschließend gleichlangen Dienstverpflichtung beim Ausbilder unter der Sanktion der Rückzahlung der Ausbildungskosten ist ein Geschäft von größerer Wichtigkeit im Sinne § 233 ABGB und unterscheidet sich grundlegend vom gemäß § 12 BAG nicht genehmigungspflichtigen gewöhnlichen Lehrvertrag. Mangels pflegschaftsbehördlicher Genehmigung ist diese Dienst- und Rückzahlungsverpflichtung gemäß § 865 ABGB ungültig
OGH 15. Juni 1976, 4 Ob 50/76 (LGZ Graz 2 Cg 5/76; ArbG Graz 1 Cr 168/75)
Text
Nach dem vor den Untergerichten unbestrittenen Sachverhalt ersuchte die am 16. Juli 1954 geborene Beklagte am 19. Mai 1971 um Aufnahme in die Kinderkranken- und Säuglingspflegeschule der klagenden Partei (Land Steiermark). Sie verpflichtet sich mit einer schriftlichen Erklärung vom selben Tag, unmittelbar nach Beendigung ihrer auf Kosten des Landes Steiermark erfolgten Ausbildung zur diplomierten Kinderkranken- und Säuglingsschwester drei Jahre hindurch in einer Krankenanstalt der klagenden Partei als Kinderkranken- und Säuglingsschwester zu den jeweils geltenden Bedingungen zu arbeiten. Sie verpflichtete sich ferner, der klagenden Partei die Kosten der Ausbildung zu ersetzen, wenn sie ohne triftige Gründe dieser Verpflichtung nicht nachkommen oder vorzeitig aus der Schule ausscheiden sollte. Diese Verpflichtungserklärung unterfertigten die Beklagte und ihr ehelicher Vater Alois G als gesetzlicher Vertreter. Diese Vereinbarung wurde pflegschaftsbehördlich nicht genehmigt.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die klagende Partei von der Beklagten die Rückzahlung ihrer Ausbildungskosten im - eingeschränkten - Betrag von 75.138 S samt Anhang mit der Begründung, die Beklagte habe nach der am 30. September 1974 erfolgten Beendigung ihrer Ausbildung den Dienst bei einer Krankenanstalt der klagenden Partei nicht angetreten.
Die Beklagte beantragte Klagsabweisung unter anderem aus der Erwägung, die Verpflichtungserklärung hätte zu ihrer Gültigkeit der - nicht eingeholten - pflegschaftsbehördlichen Genehmigung bedurft.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren im Hinblick auf die infolge der fehlenden pflegschaftsbehördlichen Genehmigung bestehende Rechtsungültigkeit der Verpflichtungserklärung ab.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil aus den gleichen Gründen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die klagende Partei hält in den Rechtsmittelausführungen an ihrer schon vor den Untergerichten vertretenen Auffassung fest, eine pflegschaftsbehördliche Genehmigung der von der Beklagten abgegebenen Verpflichtungserklärung sei ebensowenig wie die eines Lehr- oder Ausbildungsvertrages erforderlich. Zwischen einem Lehrvertrag und der gegenständlichen Verpflichtungserklärung, die den guten Sitten nicht widerspräche, bestehe nämlich kein Unterschied.
Dieser Auffassung kann jedoch nicht zugestimmt werden.
Nach herrschender Auffassung unterliegen die Verfügungen des ehelichen Vaters über die vermögensrechtlichen Ansprüche seines Kindes denselben Schranken wie jene des Vormundes oder Kurators, so daß der Vater als Verwalter des Vermögens seines Kindes insbesondere auch den Beschränkungen des § 233 ABGB. unterworfen ist (Wentzel - Plessl in Klang[2] I/2, 77; Ehrenzweig II/2, 252; EvBl. 1972/182; EvBl. 1971/134; EfSlg. 13.556; SZ 31/1; SZ 25/87; SZ 20/169 u. a.). Daraus folgt, daß der eheliche Vater über die Vermögensrechte seines Kindes nur dann ohne Genehmigung des Pflegschaftsgerichtes verfügen kann, wenn die Verfügung im ordentlichen Wirtschaftsbetrieb des Kindes erfolgt oder wenn sie nicht von größerer Wichtigkeit ist (§ 233 ABGB).
Zu prüfen ist daher, ob die von der Beklagten und ihrem Vater unterfertigte Verpflichtungserklärung ein den ordentlichen Wirtschaftsbetrieb übersteigendes außergewöhnliches Geschäft oder ein solches von größerer Wichtigkeit ist. Hiebei ist davon auszugehen, daß sich die Beklagte verpflichtet hat, nach Absolvierung ihrer dreijährigen Ausbildung drei Jahre hindurch in einer Krankenanstalt der klagenden Partei zu den jeweils geltenden Bedingungen als Kinderkranken- und Säuglingsschwester zu arbeiten und für den Fall, daß sie dieser Verpflichtung ohne triftige Gründe nicht nachkommen oder aus der Schule vorzeitig ausscheiden sollte, die Kosten ihrer Ausbildung zu ersetzen. Mit dieser Verpflichtung ist die Beklagte eine weit in die Zukunft und über ihre Minderjährigkeit hinausragende Bindung über ihre berufliche Tätigkeit eingegangen und hat auf die Möglichkeit, den Arbeitsplatz frei zu wählen und auf die Vertragsbedingungen Einfluß zu nehmen, für eine bedeutende Zeitspanne verzichtet. Sie hat sich darüber hinaus zur Rückzahlung der Ausbildungskosten in einer ihr unbekannten, aber jedenfalls sehr beträchtlichen und sie außerordentlich belastenden Höhe für den vorerwähnten Fall verpflichtet. Bedenkt man, daß insbesondere das Ausscheiden aus der Schule von Gründen abhängig sein kann, die außerhalb des Einflußbereiches der Beklagten liegen, dann bedeutet die Rückzahlungsverpflichtung für sie ein sehr ernst zu nehmendes Risiko. Die Verpflichtungserklärung ist daher, wie die Untergerichte richtig erkannt haben, ein Geschäft von größerer Wichtigkeit im Sinne des § 233 ABGB, übersteigt den ordentlichen Wirtschaftsbereich und unterscheidet sich entgegen der Auffassung der klagenden Partei grundlegend von einem gemäß dem § 12 Abs. 1 Satz 3 BAG allerdings nicht genehmigungspflichtigen gewöhnlichen Lehr- oder Ausbildungsvertrag, dem die Übernahme derartiger außergewöhnlicher, weit in die Zukunft reichender Belastungen fremd ist (vgl. SZ 25/109). Den Untergerichten ist daher beizustimmen, daß die Verpflichtungserklärung genehmigungsbedürftig im Sinne des § 233 ABGB ist. Mangels Vorliegens einer solchen pflegschaftsbehördlichen Genehmigung ist die Vereinbarung gemäß dem § 865 ABGB ungültig, so daß dem auf diese Vereinbarung gegrundeten Klagsanspruch schon aus diesem Grund die Berechtigung fehlt und eine Erörterung der übrigen Einwendungen der Beklagten, so auch jener der Sittenwidrigkeit, unterbleiben kann. Die Frage, ob allenfalls nachträglich eine schlüssige Genehmigung dieser Vereinbarung durch die Beklagte nach Erreichung der Volljährigkeit eingetreten ist, braucht mangels einer Prozeßbehauptung nicht untersucht zu werden. Mit dem Hinweis der Revision auf die Entscheidung 4 Ob 30/69 (= Arb. 8622) ist für die klagende Partei nichts gewonnen, weil in jenem wohl auch eine Rückzahlungsverpflichtung betreffenden Rechtsstreit die Frage der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung überhaupt nicht zur Diskussion stand.
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