Spruch:
Verhandelt und entscheidet das Berufungsgericht über eine im Berufungsverfahren geänderte bzw. auch bloß veränderte Klage, hat das Revisionsgericht die Sache so zu beurteilen, als ob die Klagsänderung oder Klagsveränderung im Berufungsverfahren nicht erfolgt wäre
OGH 8. Jänner 1976, 2 Ob 251/75 (LG Salzburg 32 R 70/75; BG Salzburg 13 C 2538/70)
Text
Am 25. Feber 1970 gegen 23.30 Uhr kam es in S in der M-Straße zu einem Verkehrsunfall, bei dem der Erstkläger Ernst H und seine Ehegattin Waltraud H, die Zweitklägerin, verletzt wurden. Der Erstkläger kam mit seinem PKW, in dem seine Ehegattin mitfuhr, ins Schleudern und stieß damit gegen einen Baum. Er wurde deswegen strafgerichtlich verurteilt.
Der Erstkläger gesteht einen Eigenverschuldensanteil von einem Drittel zu und verlangt vom Beklagten den Ersatz von zwei Drittel seines mit insgesamt 18 775.17 S bezifferten Schadens (Autoschaden, Verdienstentgang und Schmerzengeld), somit Zahlung von 12516.44 S samt Anhang.
Die Zweitklägerin verlangt vom Beklagten Zahlung von 13.734 S samt Anhang (Verdienstentgang und Schmerzengeld).
Die Kläger behaupteten in erster Instanz, ein dem Beklagten gehörender und in seiner Verwahrung stehender, aber nicht ordnungsgemäß verwahrter Hund sei plötzlich auf die Fahrbahn gelaufen und habe den Erstkläger zu einem Bremsmanöver auf der eisigen Fahrbahn veranlaßt.
Der Beklagte beantragte Abweisung der Klagebegehren, die er dem Grund und der Höhe nach bestritt. Er machte geltend, sein Hund habe mit dem Unfall der Kläger nichts zu tun, denn dieser sei zur Zeit des Unfalles im Haus des Beklagten und nicht auf der Straße gewesen.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren im wesentlichen mit der Begründung ab, daß dem Kläger der Beweis, daß der Hund des Beklagten den Unfall ausgelöst habe, nicht gelungen sei.
Die Berufung der Kläger hatte Erfolg. Das Berufungsgericht erkannte nach Wiederholung und Ergänzung des Beweisverfahrens und nachdem die einzelnen Ansprüche der Kläger der Höhe nach zum Teil außer Streit gestellt worden waren, mit Zwischenurteil, daß der Anspruch des Erstklägers dem Gründe nach zu drei Achtel und der der Zweitklägerin dem Gründe nach zur Gänze zu Recht bestehe. Es kam zu dem Ergebnis, daß es doch der Hund des Beklagten gewesen sei, der dem Erstkläger in die Fahrbahn gelaufen und diesen zum plötzlichen Abbremsen und Verreißen seines Fahrzeuges veranlaßt habe. In rechtlicher Beziehung ging das Berufungsgericht davon aus, daß ein Hund, dessen Neigung zum Herumlaufen im anschließenden Jagdrevier bekannt gewesen sei, besonders sorgfältig hätte verwahrt werden müssen; habe ein solcher Hund nachts auf die Straße gelangen können, dann könne er nicht ordnungsgemäßverwahrt gewesen sein. Dem Beklagten sei der Beweis seiner Schuldlosigkeit nicht gelungen. Es sei daher seine Haftung für den eingetretenen Schaden zu bejahen. Den Erstbeklagten treffe jedoch ein Eigenverschuldensanteil von drei Viertel, so daß das auf Ersatz von zwei Drittel seines Schadens gerichtete Begehren nur zu drei Achtel zu Recht bestehe.
Der dagegen vom Beklagten erhobenen Revision gab der Oberste Gerichtshof Folge. Er hob das Zwischenurteil auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht. Da im Beweisverfahren hervorgekommen war, daß der Beklagte den Hund seiner Gattin zur Verwahrung anvertraut hatte, hielt das Revisionsgericht die Frage für erörterungsbedürftig, ob die Gattin des Beklagten allenfalls als untüchtige Besorgungsgehilfin anzusehen sei. Es trug dem Berufungsgericht auf, diesen rechtlichen Gesichtspunkt mit den Parteien zu erörtern und sodann die allenfalls erforderlichen Feststellungen zu treffen.
Im zweiten Rechtsgang vor dem Berufungsgericht erklärten die Kläger, sie hätten zur Frage einer Haftung des Beklagten für ein Verschulden seiner Gattin im Sinne des § 1315 ABGB nichts weiter vorzubringen. Sie behaupteten aber nunmehr, es bestehe zwischen dem Beklagten und seiner Ehefrau eine allgemeine Gütergemeinschaft unter Lebenden und auf den Todesfall; auf Grund dieser Gütergemeinschaft hafte der Beklagte für alle Verbindlichkeiten seiner Gattin, somit auch für den Schaden, der ihnen durch die nachlässige Verwahrung des Hundes durch die Gattin des Beklagten entstanden sei. Die Kläger stellten ferner das Eventualbegehren, der Beklagte sei schuldig, dem Erstkläger 4693.85 S samt Anhang und der Zweitklägerin 13.734 S samt Anhang bei Exekution in das gütergemeinschaftliche Vermögen zu bezahlen.
Der Beklagte stellte den Bestand der behaupteten Gütergemeinschaft außer Streit, sprach sich aber gegen die Zulassung des diesbezüglichen neuen Vorbringens und gegen die vorgenommene Klagsänderung aus. Ferner wendete er ein, allfällige Ansprüche auf Schadenersatz gegenüber seiner Ehefrau seien bereits verjährt. Dagegen führten die Kläger aus, sie hätten nach dem bisherigen Vorbringen der Beklagten keinen Grund gehabt, den weiteren Rechtsgrund der Haftung des Beklagten für Verbindlichkeiten seiner Gattin auf Grund der Gütergemeinschaft ins Treffen zu führen; dieses Vorbringen sei erst dadurch notwendig geworden, daß nach der Rechtsansicht des OGH die Tatsache von Bedeutung sei, daß der Beklagte die Verwahrung des Hundes zur Zeit des Unfalles seiner Gattin anvertraut gehabt habe.
Das Berufungsgericht fällte nun neuerlich ein Zwischenurteil dahin, daß der Anspruch des Erstklägers dem Gründe nach zu drei Achtel und der der Zweitklägerin dem Gründe nach zur Gänze zu Recht bestehe, jedoch jeweils nur bei Exekution in das gütergemeinschaftliche Vermögen. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren, nämlich auf Zahlung bei Exekution ohne Beschränkung auf das gütergemeinschaftliche Vermögen, wies es ab. Hiebei ging das Berufungsgericht imwesentlichen von folgenden Feststellungen aus:
Der Erstkläger fuhr am 25. Feber 1970 mit seinem Volkswagen, in dem die Zweitklägerin mitfuhr, im Stadtgebiet von S durch die M-Straße stadtauswärts mit einer Geschwindigkeit von 67 km/h. Die Fahrbahn war naß und teilweise vereist. Als er sich etwa auf Höhe des Hauses des Beklagten befand, sah er einen Hund auf die Fahrbahn laufen, der von rechts über eine Böschung heraufgekommen war. Der Hund lief bis zur Fahrbahnmitte, blieb dort stehen, drehte sich um und lief dann wieder zurück. Es war der Hund des Beklagten. Der Erstbeklagte bremste sofort, verriß seinen Wagen nach links und kam damit ins Schleudern. Der Erstkläger stieß sodann mit einer Geschwindigkeit von noch etwa 40 km/h an einen am rechten Fahrbahnrand stehenden Baum. Dabei wurde das Fahrzeug des Erstklägers beschädigt. Beide Kläger wurden verletzt und waren vorübergehend erwerbsunfähig.
Die vom Abblendlicht des Wagens des Erstklägers ausgeleuchtete Strecke betrug höchstens 50 m. Der Anhalteweg des Wagens des Erstklägers aus einer Geschwindigkeit von 67 km/h hätte 61.90 betragen. Der Erstkläger hätte den Unfall vermeiden, jedenfalls aber dessen Folgen geringer halten können, wenn er mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h gefahren wäre.
Der Beklagte ist Kaufmann und Landwirt. Zusammen mit seiner Gattin ist er Eigentümer der Liegenschaft M-Straße 123. Der im Sommer 1969 angeschaffte Hund gehörte zu diesem Anwesen. Der Hund war zunächst frei herumgelaufen. Er wurde vom Vater des Erstklägers, der Aufsichtsjäger ist, wiederholt im Jagdgebiet entlang der M-Straße angetroffen. Auf Veranlassung des Vaters des Erstklägers ordnete der Beklagte dann an, daß der Hund derart verwahrt wird, daß er untertags angehängt und nachts im Hause gehalten wird. War der Beklagte nicht daheim, sorgte seine Gattin für die richtige Verwahrung des Hundes. Dennoch wurde der Hund auch in der Folge, und zwar nachts, im Jagdrevier und in der M-Straße gesehen. Zur Zeit des Unfalles war der Beklagte nicht daheim.
Der Beklagte und seine nachmalige Gattin hatten noch als Brautleute am 16. Juni 1950 eine Gütergemeinschaft hinsichtlich ihres gesamten Vermögens, und zwar des gegenwärtigen wie des zukünftigen, vom Tage der Eheschließung an begrundet. Dieser Ehepakt besteht noch aufrecht.
Die Gattin des Beklagten ist eine für die Verwahrung oder Beaufsichtigung des Hundes verläßliche, nicht aber eine untüchtige Person.
Rechtlich beurteilte das Berufungsgericht diesen Sachverhalt nunmehr folgendermaßen:
Der Beklagte sei Halter des in Rede stehenden Hundes, und zwar auch dann, wenn dieser in seinem und seiner Gattin Miteigentum gestanden sei. Er sei als Halter befugt gewesen, auch seine Gattin als Mithalterin mit der Beaufsichtigung und Verwahrung des Tieres zu betrauen. Für ein Verschulden dieser Person bei Verrichtung dieser Aufgaben hafte der Beklagte jedoch nur im Rahmen des § 1315 ABGB. im vorliegenden Fall habe der Beklagte mit dieser Aufgabe für die Zeit seiner Abwesenheit seine Gattin beauftragt. Daß diese in dieser Beziehung untüchtig gewesen wäre, sei nicht behauptet worden, so daß eine Haftung des Beklagten für ein Verschulden seiner Gattin bei der Verwahrung und Beaufsichtigung des Hundes nach § 1315 ABGB nicht Platz greife.
Nun stehe aber fest, daß die Gattin des Beklagten den Hund nicht in der nach den gegebenen Umständen erforderlichen Art verwahrt habe, denn sonst wäre es nicht möglich, daß der Hund nachts ins Freie habe gelangen können. Ihr falle daher ein Verschulden zur Last, das sie den Klägern gegenüber haftpflichtig mache. Aus der erwähnten allgemeinen Gütergemeinschaft hafte aber der Beklagte mit dem gütergemeinschaftlichen Vermögen für alle Verbindlichkeiten seiner Ehefrau. Auch für Schulden, die nur einen Ehegatten Persönlich angehen, wie die Verpflichtung zum Schadenersatz aus unerlaubter Handlung, hafte das ganze gemeinschaftliche Vermögen. Den anderen Ehegatten treffe insoweit eine beschränkte Haftung, als er zur Zahlung bei sonstiger Exekution in das gütergemeinschaftliche Vermögen verurteilt werden könne.
Dieser Rechtsgrund habe schon zur Zeit der Klageerhebung bestanden. Wenn ihn die Kläger nunmehr ausdrücklich hervorheben, so deshalb, weil er solange nicht zu beachten gewesen sei, als die Haftung des Beklagten auf Grund der Verletzung der ihn als Tierhalter treffenden Verwahrungspflicht gegeben schien. Dies habe sich mit der vom Höchstgericht mitgeteilten Rechtsansicht, daß diese Haftung nicht gegeben sei, geändert. Den Klägern sei daher nicht verwehrt, die Haftung des Beklagten auf die bestehende Gütergemeinschaft zu stützen.
Der Verjährungseinwand sei unbegrundet, denn die Tatsache, daß sich der Hund des Beklagten zur Zeit des Unfalles in Verwahrung und Beaufsichtigung der Gattin des Beklagten befunden habe, sei den Klägern erst in der Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung vom 11. Juli 1973 bekannt geworden. Die hier in Frage kommende dreijährige Verjährungszeit des § 1489 1. Satz ABGB sei daher noch nicht ab gelaufen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision Folge. Das angefochtene Urteil wurde dahin abgeändert, daß das Ersturteil einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Beklagte fühlt sich mit Recht dadurch beschwert, daß das Berufungsgericht auf die erst während des Berufungsverfahrens aufgeworfene Frage einer Haftung des Beklagten für eine Verbindlichkeit seiner Gattin auf Grund der bestehenden allgemeinen Gütergemeinschaft eingegangen ist. Er verweist nämlich vollkommen richtig darauf, daß im Berufungsverfahren weder Klagsänderungen noch Klageveränderungen zulässig sind. Nach § 482 Abs. 1 ZPO darf in der Verhandlung vor dem Berufungsgericht mit Ausnahme des Anspruches auf Erstattung der Kosten des Berufungsverfahrens weder ein neuer Anspruch noch eine neue Einrede erhoben werden. Weiters bestimmt § 483 Abs.3 ZPO ausdrücklich, daß eine Änderung der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Klage in der Berufungsverhandlung selbst mit Einwilligung des Gegners nicht zulässig ist. Vor dem Prozeßgericht erster Instanz haben die Kläger ihren Ersatzanspruch nur darauf gestützt, daß ein dem Beklagten gehörender Hund infolge mangelhafter Verwahrung und Beaufsichtigung auf die Fahrbahn habe gelangen können und daß dadurch eine Schädigung der Kläger eingetreten sei. Klagegrund war also ausschließlich ein Verschulden des Beklagten, allenfalls ein Verschulden eines Besorgungsgehilfen, für das der Beklagte einzustehen hat. Die Voraussetzungen einer solchen Haftung sind, wie sich aus dem Vorgesagten ergibt, nicht gegeben. Wenn die Kläger im Laufe des Berufungsverfahrens neu vorgebracht haben, sie stützten die Klage nunmehr auch auf die bestehende Gütergemeinschaft des Beklagten und seiner Ehefrau und auf die daraus zu schließende Haftung des Beklagten, dann stellt dies nicht nur eine nach § 482 ZPO unzulässige Neuerung, sondern darüber hinaus auch eine Änderung des Klagegrundes, also eine Klagsänderung im Sinne des ZPO dar, die im Berufungsverfahren nach § 483 Abs. 3 ZPO unzulässig ist. Wenn das Berufungsgericht dessen ungeachtet über die so geänderte Klage verhandelt und entschieden hat, dann liegt darin ein Verstoß gegen zwingende Vorschriften der Prozeßgesetze, der rückwirkend auch bei der Prüfung der materiellen Schlüssigkeit des geänderten Begehrens bzw. der geänderten Klage in den Kognitionsbereich des Revisionsgerichtes fällt. Das Revisionsgericht hat die Sache so zu beurteilen, als ob die Klagsänderung oder Klagsveränderung im Berufungsverfahren nicht erfolgt wäre (Fasching IV, 173).
Daraus folgt aber, daß der Klage der Erfolg zu versagen ist, weil der in erster Instanz geltend gemachte Klagegrund sich als nicht tragfähig erwiesen hat, auf den erst im Berufungsverfahren geltend gemachten weiteren Klagegrund nicht einzugehen ist.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)