OGH 4Ob603/75

OGH4Ob603/752.12.1975

SZ 48/129

Normen

JN §76
JN §76

 

Spruch:

Mit einer Anerkennung des Scheidungsurteils in den USA ist mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu rechnen, wenn auch nur einer der Ehegatten sein "Domizil" in Österreich hat; mit Sicherheit, wenn beide Parteien ihr Domizil - im Sinne des amerikanischen Rechts - in Österreich haben

"Domizil" nach amerikanischem Recht ist der Ort, an dem eine Person ihr "Heim" hat oder der ihr kraft Gesetzes - z. B. bei mj. Kindern - als Domizil zuerkannt ist; von maßgebender Bedeutung ist hiefür neben dem tatsächlichen Aufenthalt vor allem die Absicht, dieses Heim beizubehalten oder im Fall der Abwesenheit wieder dorthin zurückzukehren

OGH 2. Dezember 1975, 4 Ob 603/75 (OLG Linz 2 R 120/75; LG Salzburg 3 Cg 124/75)

Text

Die Parteien haben am 9. Mai 1947 vor dem Standesbeamten in New York (Staat New York, USA) die Ehe geschlossen.

Der Kläger begehrt die Scheidung dieser Ehe aus dem Verschulden der Beklagten. Beide Parteien seien amerikanische Staatsbürger; Ehescheidungsurteile österreichischer Gerichte würden von den Gerichten und Verwaltungsbehörden des Staates New York anerkannt.

Die Beklagte hat sich gegen das Scheidungsbegehren ausgesprochen und die Einrede der "Unzulässigkeit des inländischen Rechtsweges" erhoben. Da der Kläger - welcher in der Klage eine Wiener Anschrift angegeben hatte - seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Wahrheit nicht mehr in Österreich habe, die inländische Gerichtsbarkeit daher gemäß § 76 Abs. 3 Z. 1 JN nur dann gegeben wäre, wenn das Scheidungsurteil eines österreichischen Gerichtes vom Heimatstaat des Mannes anerkannt würde, und in den USA das Eherecht von den einzelnen Gliedstaaten geregelt werde, werde der Kläger zunächst einmal behaupten und beweisen müssen, welches Heimatrecht für ihn überhaupt in Betracht komme; erst dann werde beurteilt werden können, ob das österreichische Scheidungsurteil vom Heimatstaat des Mannes anerkannt werde.

Unbestritten ist geblieben, daß beide Parteien amerikanische Staatsbürger sind und die Beklagte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in E (Salzburg) hat.

Das Erstgericht wies die Prozeßeinrede der Beklagten zurück. Da die amerikanischen Gerichte die Jurisdiktion eines ausländischen Gerichtes in Ehescheidungssachen schon dann bejahten, wenn auch nur einer der Ehegatten im Urteilsstaat ein bona-fide-Domizil habe, und unter dieser Voraussetzung auch Scheidungsurteile ausländischer Gerichte in den USA anerkannt würden, sei im konkreten Fall die Anerkennung des österreichischen Scheidungsurteils nach dem Heimatrecht des Klägers mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Eine solche Wahrscheinlichkeit reiche aber gemäß § 76 Abs. 3 Z. 1 JN zur Begründung der inländischen Gerichtsbarkeit aus.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluß auf und trug dem Erstgericht auf, über die von der Beklagten erhobene Einrede des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit nach Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden; zugleich ordnete es an, daß das Verfahren in erster Instanz erst nach Rechtskraft dieses Beschlusses fortzusetzen sei. Da § 76 Abs. 3 Z. 1 JN zwingendes Recht sei, dürfe sich das Gericht weder hinsichtlich der Staatsbürgerschaft der Parteien noch hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthaltsortes einer Partei im Inland mit ungeprüften Parteienangaben begnügen; es sei diesbezüglich nicht an fingierte Tatsachenzugeständnisse oder Außerstreitstellungen gebunden, sondern habe die erwähnten Umstände von Amts wegen zu prüfen. Das Erstgericht werde infolgedessen die Parteien aufzufordern haben, ihre Staatsangehörigkeit und ihren Aufenthaltsort im Inland durch geeignete Urkunden darzutun. Sollte diese Prüfung ergeben, daß die Beklagte tatsächlich ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich habe, dann werde zu untersuchen sein, ob eine Anerkennung der Entscheidung des österreichischen Gerichtes im Heimatstaat des Klägers zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Dabei komme dem Begriff des "Domizils" ausschlaggebende Bedeutung zu: Hätten beide Parteien ihr Domizil - im Sinne des amerikanischen Rechtes - in Österreich, dann sei die Anerkennung der Jurisdiktion eines österreichischen Gerichtes mit Sicherheit zu erwarten. Treffe diese Voraussetzung aber nur bei einem der Ehegatten zu, dann könne diese Frage nicht allgemein gelöst werden; vielmehr müsse dann das Domizil des Klägers in den USA erhoben und geprüft werden, ob nach dortigem Recht die Entscheidung des österreichischen Gerichtes im konkreten Fall anerkannt würde.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wenn keiner der Ehegatten die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt, kann gemäß § 76 Abs. 3 Z. 1 JN über Klage auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung sowie auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe von einem österreichischen Gericht nur entschieden werden, wenn

a) der gewöhnliche Aufenthaltsort des Mannes oder der Frau im Inland gelegen ist und b) nach dem Heimatrecht des Mannes die von dem österreichischen Gericht zu fällende Entscheidung anerkannt werden wird (oder auch nur einer der Ehegatten staatenlos ist).

Wie das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, ist diese Bestimmung zwingendes Recht. Der Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit in Ehesachen kann daher niemals durch Prorogation im Sinne des § 104 JN beseitigt werden (SZ 23/293 = EvBl. 1950/516; EvBl. 1967/327; Fasching I, 402 § 76 JN Anm. 13). Daraus folgt zwar, daß das Gericht bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Anwendung des § 76 Abs. 3 Z. 1 JN weder an das Klagevorbringen noch an Außerstreitstellungen der Parteien gebunden ist, vielmehr - und zwar in jeder Lage des Verfahrens - durch geeignete Erhebungen von Amts wegen zu prüfen hat, ob die Behauptungen, aus denen die inländische Gerichtsbarkeit

abgeleitet wird, den Tatsachen entsprechen (SZ 23/293 = EvBl.

1950/516; EvBl. 1963/31 = JBl. 1963, 270). Entgegen der im

angefochtenen Beschluß vertretenen Auffassung muß aber ein solches amtswegiges Prüfungsverfahren nicht in jedem Fall eingeleitet werden; das Gericht wird die Angabe der Parteien nur dann nicht ohne weiteres hinnehmen dürfen und eine entsprechende Überprüfung vorzunehmen haben, wenn es begrundete Zweifel am Vorliegen der behaupteten Prozeßvoraussetzungen hegt (Fasching I, 260 § 41 JN Anm. 2).

Im vorliegenden Fall hat das Rekursgericht die Außerstreitstellung des Umstandes, daß beide Parteien US-Staatsbürger sind, und die Beklagte ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Österreich hat, als nicht ausreichend angesehen und dem Erstgericht insoweit eine Verfahrensergänzung aufgetragen. Ob die darin zum Ausdruck kommenden Bedenken gegen die Richtigkeit der entsprechenden Parteienbehauptungen im konkreten Fall angesichts der bisherigen Verfahrensergebnisse - welche keinen Anhaltspunkt für eine beabsichtigte Erschleichung der inländischen Gerichtsbarkeit durch unrichtige Parteienbehauptungen und fingierte Außerstreitstellungen geben - wirklich gerechtfertigt waren, mag zweifelhaft sein, ist aber hier nicht zu erörtern. Dem Obersten Gerichtshof, welcher auch im Rekursverfahren nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz ist, ist es in jedem Fall verwehrt, einem, wie hier, auf richtiger rechtlicher Beurteilung beruhenden Ergänzungsauftrag der zweiten Instanz entgegenzutreten und die Zweckmäßigkeit der vom Rekursgericht für notwendig befundenen ergänzenden Erhebungen nachzuprüfen. Er muß sich daher in diesem Zusammenhang auf den Hinweis beschränken, daß - was das Rekursgericht offenbar übersehen hat - zumindest die amerikanische Staatsangehörigkeit des Klägers durch die Bestätigung der Konsularabteilung der Botschaft der Vereinigten Staaten in Österreich vom 12. Dezember 1974 (Beilage C) schon jetzt urkundlich bescheinigt ist.

Sollte das fortgesetze Verfahren die Annahme des Erstgerichtes bestätigen, daß auch die Beklagte nicht österreichische Staatsbürgerin ist, sie zumindest aber ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat, dann wird die Berechtigung der Prozeßeinrede der Beklagten nach der mehrfach zitierten Bestimmung des § 76 Abs. 3 Z. 1 JN davon abhängen, ob die Entscheidung des österreichischen Gerichtes nach dem Heimatrecht des Mannes anerkannt werden wird oder nicht. Dabei ist, wie der angefochtene Beschluß zutreffend hervorhebt, keineswegs absolute Gewißheit einer solchen Anerkennung erforderlich; im Sinne der nunmehr herrschenden Meinung muß es vielmehr als ausreichend angesehen werden, wenn die Anerkennung der Entscheidung im Heimatstaat des Mannes auch nur mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann (JBl. 1963, 214; Hoyer, Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen im Ausland (1951), 5;

Schwind, Ehescheidung britischer Staatsbürger in Österreich, ÖJZ 1947, 307 (308); Schwind, Komm. zum Österr. Eherecht, 283;

gegenteilig Fasching I, 403 § 76 JN Anm. 15 unter Hinweis auf EvBl. 1946/44 = JBl. 1946, 100).

Die anschließenden, vor allem auf Bergmann (Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht[3], VII - USA 52 ff.) und Hoyer (71) gestützten Ausführungen des Rekursgerichtes über die Voraussetzungen einer Anerkennung ausländischer Scheidungsurteile durch amerikanische Behörden geben die von den genannten Autoren mitgeteilte Rechtslage in den Vereinigten Staaten richtig und vollständig wieder; zur Vermeidung von Wiederholungen kann daher auf diese Darstellung des angefochtenen Beschlusses verwiesen werden. Soweit das Rekursgericht daraus in rechtlicher Hinsicht ableitet, daß eine Anerkennung der Jurisdiktion eines österreichischen Gerichtes und damit auch des von diesem Gericht gefällten Urteils durch das Heimatrecht des Klägers jedenfalls dann mit Sicherheit zu erwarten ist, wenn beide Parteien ihr Domizil - im Sinne des amerikanischen Rechtes - in Österreich haben, stimmt diese Auffassung mit dem gesamten einschlägigen Schrifttum überein und begegnet insoweit keinen Bedenken. Die weitere, auf Hoyer (77) gegrundete Auffassung des Rekursgerichtes, daß dann, wenn nur einer der Ehegatten sein Domizil in Österreich hat, die Aussichten einer Anerkennung des österreichischen Scheidungsurteils in den USA in jedem Einzelfall besonders geprüft werden müßten, ist jedoch durch die neuere Rechtsentwicklung in den Vereinigten Staaten überholt: Schon Bergmann hat in diesem Zusammenhang - wie das Rekursgericht übrigens an anderer Stelle selbst erwähnt - darauf verwiesen, daß die vom US-Supreme Court als bindend im interlokalen Bereich der US-Gliedstaaten anerkannten Grundsätze unter dem Gesichtspunkt der "comity" auch im internationalen Bereich entsprechende Anwendung finden und man daher davon ausgehen kann, daß amerikanische Gerichte ausländische Scheidungsurteile anerkennen werden, wenn sie die Jurisdiktion des ausländischen Scheidungsgerichtes bejahen - was unter anderem schon dann zutrifft, wenn auch nur ein Ehegatte im Staate des Forums ein bona-fide-Domizil hat - und die public policy (der ordre public) des Staates, in dem das Urteil anerkannt werden soll, dem nicht entgegensteht. In die gleiche Richtung weisen die Ausführungen von Albers (in Baumbach - Lauterbach, dZPO[33], 1145 § 606b Anm. 3 B), wonach die Übung in den einzelnen Staaten der USA zwar nicht ganz einheitlich sei, die Anerkennung ausländischer Scheidungsurteile aber im allgemeinen davon abhängen werde, ob ein Ehegatte im Land der Klage seinen Wohnsitz (im amerikanischen Sinn) habe, dieser Wohnsitz nicht unter Gesetzesumgehung begrundet wurde und der Beklagte persönlich geladen wurde oder sich persönlich oder durch einen Anwalt beteiligt hat. Übereinstimmend damit berichten auch Nußbaum (Grundzüge des Internationalen Privatrechts unter besonderer Berücksichtigung des amerikanischen Rechts, 234) und Raape (Internationales Privatrecht[5], 301 bei und in FN, 88), daß nach der neueren, der zunehmenden Unabhängigkeit der Frau in den USA Rechnung tragenden Praxis ausländische Scheidungsurteile von den amerikanischen Gerichten schon dann anerkannt werden, wenn auch nur einer der Ehegatten - gegebenenfalls auch nur die Frau - im Urteilsstaat seinen Wohnsitz hat. Schließlich ist auch nach Makarov (Grundriß des Internationalen Privatrechts, 160) mit einer Anerkennung ausländischer Scheidungsurteile in den USA grundsätzlich immer dann zu rechnen, wenn zwar nicht beide Parteien, wohl aber der Beklagte in dem betreffenden Staat domiziliert war.

Entgegen der im angefochtenen Beschluß vertretenen Auffassung ist also mit einer Anerkennung des im vorliegenden Scheidungsprozeß zu fällenden Urteils nach dem Heimatrecht des Klägers beim derzeitigen Stand der Rechtsentwicklung schon dann mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu rechnen, wenn auch nur einer der Ehegatten sein "Domizil" in Österreich hat. Dabei ist, wie schon das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, das "Domizil" nach amerikanischem Recht der Ort, an dem eine Person ihr "Heim" hat oder der ihr kraft Gesetzes - z. B. bei mj. Kindern - als Domizil zuerkannt ist; von maßgebender Bedeutung ist hiefür neben dem tatsächlichen Aufenthalt vor allem die Absicht, dieses Heim beizubehalten oder im Fall der Abwesenheit wieder dorthin zurückzukehren (Hoyer, 71 ff.; Bergmann, 44 ff.; Parker, Die Konfliktsnormen des amerikanischen Eherechtes, ZfRV 1961, 12 ff, (14 f.) u. a.). Ob aber im konkreten Fall zumindest eine der Parteien tatsächlich in Österreich ein "Domizil" im angeführten Sinn hat - und nicht bloß einen "gewöhnlichen Aufenthaltsort" im Sinne des § 76 JN, welcher nicht die Absicht voraussetzt, dauernd an dem betreffenden Ort zu bleiben (vgl. Fasching I, 397 f. § 76 JN Anm. 9) -, steht bisher nicht fest und wird daher vom Erstgericht im fortgesetzten Verfahren klarzustellen sein. Sollte das Erstgericht zu einer Bejahung dieser Frage kommen, dann wird im Sinne der obigen Rechtsausführungen eine Anerkennung der zu fällenden Entscheidung im Heimatstaat des Ehemannes mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten und damit die inländische Gerichtsbarkeit im Sinne des § 76 Abs. 3 Z. 1 JN als gegeben anzunehmen sein.

Zur Behebung der aufgezeigten Verfahrensmängel hat daher das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes im Ergebnis mit Recht aufgehoben.

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