Spruch:
Mangels einer Einwendung des Versicherers, daß die Ersatzforderung des Verletzten die Haftungshöchstsumme übersteigt und diese somit gem. § 156 Abs. 3 VersVG zu verteilen sei, ist im Prozeß über die Direktklage nur zu prüfen, ob das Leistungsbegehren in der sich aus § 59 Abs. 3 KFG 1967 ergebenden Haftungssumme Deckung findet
OGH 27. November 1975, 2 Ob 216/75 (OLG Wien 8 R 72/75; LG Eisenstadt 1 Cg 321/74)
Text
Der bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherte PKW geriet am 17. Juli 1971 in einer Kurve von der Fahrbahn ab und überschlug sich. Helmut G erlitt als Insasse dieses PKW eine Querschnittlähmung. Der Erstbeklagte wurde mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes G vom 21. Juni 1972 schuldig erkannt, diesen Unfall durch Einhaltung einer für die Beschaffenheit der Straße und die Bereifung des Fahrzeuges überhöhten Geschwindigkeit verschuldet zu haben.
Die klagende Partei gewährt Helmut G seit 6. Feber 1972 eine Invaliditätspension und einen Hilflosenzuschuß. Sie führt in ihrer Klage aus, der Erstbeklagte habe den Unfall dadurch verschuldet, daß er bei regennasser Asphaltbahn mit überhöhter Geschwindigkeit und völlig abgefahrenen MS-Reifen auf den Hinterrädern eine Rechtskurve befuhr. Die klagende Partei begehrt von den beiden Beklagten den Ersatz der bis 30. Juni 1974 geleisteten Sozialleistungen in der im Rechtsmittelverfahren nicht mehr stritten Höhe von 122.347.40 S sowie die Feststellung, daß die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand verpflichtet sind, der klagenden Partei alle Leistungen zu ersetzen, die sie aus Anlaß des Verkehrsunfalles vom 17. Juli 1971 an ihren Versicherten Helmut G wegen unfallsbedingter Invalidität und Hilflosigkeit zu erbringen hat, soweit diese Leistungen in den Ansprüchen Deckung finden, die Helmut G ohne die in § 332 Abs. 1 ASVG vorgesehene Legalzession gegen die Beklagten selbst zu stellen berechtigt wäre, und zwar der Erstbeklagte unbeschränkt und die Zweitbeklagte als Haftpflichtversicherer bis zur Höhe der gesetzlichen bzw. vertraglichen Haftpflichtversicherungshöchstsumme. Die Ersatzansprüche Helmut G seien in § 1325 ABGB in Verbindung mit §§ 1 ff. EKHG begrundet und gemäß § 332 ASVG auf die klagende Partei im Umfang der von ihr erbrachten gesetzlichen Pflichtleistungen an Helmut G übergegangen.
Die beklagten Parteien beantragen die Abweisung des Klagebegehrens und brachten vor, nicht der Erstbeklagte, sondern der Verletzte Helmut G sei Lenker des Fahrzeuges gewesen. Die zweitbeklagte Partei führte überdies aus, daß sie hinsichtlich des Unfalles im Hinblick auf die Verwendung untauglicher Reifen gegenüber dem Erstbeklagten wegen Gefahrenerhöhung leistungsfrei sei, so daß sie nur im Rahmen der Bestimmungen des § 158c VersVG hafte und der Erstbeklagte auf Grund der Leistungsfreiheit gegenüber der zweitbeklagten Partei regreßpflichtig sei.
Das Erstgericht entschied im Sinne des Klagebegehrens. Es führte aus, der Einwand, daß der Erstbeklagte das Fahrzeug nicht gelenkt habe, sei gemäß § 268 ZPO unbeachtlich.
Das Berufungsgericht gab der nur von der zweitbeklagten Partei erhobenen Berufung teilweise Folge. Es änderte das Ersturteil nur hinsichtlich der Feststellung, daß die zweitbeklagte Partei bis zur Höhe der vertraglichen Haftpflichtversicherungshöchstsumme hafte, dahin ab, daß dieser Ausspruch zu entfallen habe.
In der rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes erachtete das Berufungsgericht, daß, weil der Erstbeklagte mit völlig abgefahrenen Reifen gefahren sei, von der Leistungsfreiheit der zweitbeklagten Partei auszugehen sei. Diese habe zur Folge, daß die Zweitbeklagte gemäß § 158c Abs. 3 VersVG dem geschädigten Dritten gegenüber nur im Rahmen der amtlich festgesetzten Mindestversicherungssumme hafte. Dies sei für das Leistungsbegehren ohne Bedeutung. Wohl begehre die klagende Partei gemäß § 332 ASVG Ersatz für eine dem Verletzten gewährte Rente, sie fordere diese jedoch im nachhinein in der Gesamthöhe des bisher geleisteten Betrages. Sie stelle somit kein Rentenbegehren, sondern fordere einen Kapitalbetrag. Da die zweitbeklagte Partei selbst ausführe, sie habe auf Grund des Unfalles bisher 342.261.14 S geleistet, finde der vom Erstgericht zugesprochene Betrag von 122.347.40 S in der Mindesthaftpflichtversicherungssumme noch Deckung, so daß die Berufung hinsichtlich dieses Betrages nicht berechtigt sei. Der Ausspruch im feststellenden Urteil hinsichtlich der Haftung der Zweitbeklagten bis zur vertraglichen Versicherungshöchstsumme habe jedoch zu entfallen, weil die Zweitbeklagte gemäß § 158c Abs. 3 VersVG nur bis zur Höhe der amtlich festgesetzten Mindestversicherungssumme, diesfalls bis zu 1.000.000 S, hafte.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Zweitbeklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Bei der rechtlichen Beurteilung der klagsgegenständlichen Regreßforderung ist von den Bestimmungen des § 332 ASVG und des § 158c Abs. 1 und 3 VersVG auszugehen. Nach den letzteren Gesetzesstellen bleibt, wenn der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung dem Versicherungsnehmer gegenüber ganz oder teilweise frei ist, seine Verpflichtung in Ansehung des Dritten gleichwohl bestehen (Abs. 1); der Versicherer haftet aber nur im Rahmen der amtlich festgesetzten Mindestversicherungssummen (vgl. Prölß - Martin[20], Anm. 8 zu § 158c VVG). Die unmittelbare Inanspruchnahme des Versicherers ist nach § 63 Abs. 1 KFG 1967 zulässig, da § 158c Abs. 5 VersVG gemäß § 63 Abs. 5 KFG 1967 in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nicht anwendbar ist.
Die beklagten Parteien haben gegen den mit der Klage geltend gemachten Regreßanspruch des Legalzessionars (§ 332 ASVG) in erster Instanz lediglich das Verschulden des Erstbeklagten am Unfall sowie das Bestehen eines Deckungsfonds für die Ansprüche der Klägerin bestritten und im übrigen nur "eingewendet", daß die zweitbeklagte Partei gegenüber dem Erstbeklagten leistungsfrei sei, sie der Klägerin nur im Rahmen der Bestimmungen des § 158c VersVG hafte und der Erstbeklagte ihr auf Grund der Leistungsfreiheit regreßpflichtig sei.
Die Behauptung, mangels Verschuldens des Erstbeklagten nicht zu haften und daß ein zureichender Deckungsfonds nicht gegeben sei, hat die Revisionswerberin schon im Berufungsverfahren nicht mehr aufrecht erhalten. Ihre "Einwendung", daß sie dem Erstbeklagten gegenüber leistungsfrei und dieser ihr regreßpflichtig sei, ist für das vorliegende Verfahren zwischen beschädigtem Dritten und Schädiger bzw. Versicherer belanglos.
Die Revisionswerberin hat indes in erster Instanz nicht vorgebracht, daß die Mindestversicherungssumme nicht ausreiche oder diese (wie nunmehr in der Revision neu und daher unzulässig behauptet wird) von den Schadenersatzforderungen des Verletzten Helmut G und jenen seiner Legalzessionare überstiegen werde, woraus sich ergäbe, daß die Haftungshöchstsumme gemäß § 156 Abs. 3 VersVG zu verteilen sei. Nur ein diesbezügliches Sachvorbringen hätte eine nähere Prüfung und insbesondere die von der Revisionswerberin vermißte Feststellung der Höhe der Mindestversicherungssumme = Haftungshöchstsumme, erfordert. Mangels einer derartigen Einwendung war aber nur zu prüfen, ob das Leistungsbegehren in der sich aus § 59 Abs. 3 KFG 1967 ergebenden Haftungssumme Deckung findet. Dies haben die Untergerichte zu Recht bejaht und das Berufungsgericht hat dabei zutreffend darauf verwiesen, daß es sich bei dem mit der Klage verlangten Betrag nicht um ein Rentenbegehren, sondern um eine Kapitalforderung handelt. Werden nämlich zur Zeit des Urteiles fällige Rentenbeträge in Kapitalform zugesprochen, so braucht sich die Kapitalsumme lediglich im Rahmen der Mindestversicherungssumme zu halten; das Kapital muß nicht auf Grund des Jahresrentenbetrages berechnet werden (RG 5. 4. 1937 = VAE 1937, Nr. 378). Der Schuldner wird durch diese Regelung insofern nicht ungünstiger gestellt, als er keinesfalls über die Mindestversicherungssumme hinaus haftet (RGZ 151, Nr. 2 S. 5 ff.). Dies gilt auch für Regreßforderungen des Legalzessionars des Geschädigten, bezüglich dessen lediglich das Bestehen eines zureichenden Deckungsfonds maßgeblich ist.
Eine ziffernmäßige Angabe der Haftungsbegrenzung der zweitbeklagten Partei im Feststellungsteil des Urteilsspruches ist entbehrlich. Sache der zweitbeklagten Partei würde es sein, im Falle künftiger Inanspruchnahme zu behaupten und zu beweisen, mit welchem Betrag ihre Haftung begrenzt und daß dieser, also die Mindestversicherungssumme = Haftungshöchstsumme, allenfalls erschöpft sei.
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