European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0020OB00224.75.1030.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger ist schuldig, den Beklagten die mit 1.407,70 S (davon 95,40 S Umsatzsteuer und 120 S Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 3. Juli 1973 kam es im Ortsgebiet von S* auf der Kreuzung der Bundesstraße 303 mit der Landeshauptstraße 50 zu einem Zusammenstoß zwischen dem vom Kläger gelenkten und ihm gehörenden Personenkraftwagen Marke Mercedes und einem vom Erstbeklagten gelenkten Volkswagen, dessen Halter und Eigentümer der Zweitbeklagte war. Dieses Fahrzeug war bei der Drittbeklagten haftpflichtversichert. Dabei wurden beide Fahrzeuge beschädigt; der Kläger und der Zweitbeklagte erlitten leichte Verletzungen. Das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren wurde nach § 90 StPO eingestellt, weil die Verletzungen des Zweitbeklagten eine drei Tage übersteigende Gesundheitsstörung nicht nach sich gezogen hatten.
Der Kläger verlangte von den Beklagten schließlich zur ungeteilten Hand Zahlung von 17.350,09 S (Reparaturkosten 11.850,09 S, Wertminderung 4.000 S und Schmerzengeld 1.500 S) samt Anhang mit der Behauptung, das Alleinverschulden treffe den Erstbeklagten, weil er mit absolut überhöhter Geschwindigkeit, nämlich mit 70 km/h, von der Bundesstraße in die Landesstraße eingebogen sei und dadurch dem Kläger die Möglichkeit genommen habe, ihn noch vor Beginn des Zufahrens zur Haltelinie vor der Bundesstraße wahrzunehmen.
Die Beklagten bestritten der Höhe nach nur die behauptete Wertminderung, dem Grunde nach aber das gesamte Klagebegehren. Sie wendeten ein, der Kläger allein habe den Unfall verschuldet, denn er habe den dem Erstbeklagten zukommenden Vorrang verletzt; die vom Erstbeklagten benützte Bundesstraße 303 sei durch ein auf der Landeshauptstraße 50 befindliches Gefahrenzeichen „Achtung Vorrangverkehr“ abgesichert. Außerdem wenden die Beklagten Schadenersatzansprüche von insgesamt 17.310 S samt Zinsen aufrechnungsweise ein, die vom Kläger – mit Ausnahme der Zinsen – der Höhe nach außer Streit gestellt wurden.
Das Erstgericht sprach – ausgehend von einer Verschuldensteilung im Verhältnis von 3 : 4 zu Lasten des Klägers, einem Schaden des Klägers von 13.350,09 S und einem solchen des Zweitbeklagten von 17.310 S – aus, daß die Klagsforderung mit 5.721,47 S samt 4 % Zinsen aus 5.078,61 S seit 14. März 1974 und aus 642,86 S seit 30. April 1974, die Gegenforderung des Zweitbeklagten mit 9.891,43 S samt 4 % Zinsen seit 12. April 1974 zu Recht bestehe und daß daher das Klagebegehren abgewiesen werde.
Die Berufung der Beklagten, mit der Abänderung des Ersturteiles dahin angestrebt wurde , daß das Klagebegehren schon wegen des Nichtbestandes der Klagsforderung abgewiesen werde, hatte Erfolg. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß es das Klagebegehren schon wegen des Nichtbestehens der Klagsforderung abwies.
Dagegen richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern, allenfalls es aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Beklagten beantragen, der Revision nicht Folge zugeben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht gerechtfertigt.
Der Entscheidung des Berufungsgerichtes liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die von R* kommende Landeshauptstraße mündet – von Norden her – trichterförmig in die von E* nach Ro* führende Bundesstraße. Im Einmündungsbereich befindet sich eine Verkehrsinsel. Auf der von R* kommenden Straße steht 22,40 m vor Beginn des Einmündungsbereiches ein Nachrangzeichen. Die von E* kommende Straße beschreibt am Ortsbeginn von S* eine leichte, durch Häuser unübersichtliche Linkskurve. Sie wird im Einmündungsbereich, insbesondere in Richtung auf die nach R* führende Straße vollends unübersichtlich. Die von E* kommende Straße hat zunächst ein Gefälle von 3 %, in der nach R* führenden Straße beträgt das Gefälle im Bereich der Schutzinsel 5 %. Auf der anderen Seite der Verkehrsinsel (Richtung von Ro* nach R*) beträgt das Gefälle 8 %. Von jener Stelle aus, an der der Lenker eines von R* kommenden Fahrzeuges den rechten Fahrbahnrand verlassen muß, um in Richtung Ro* einzubiegen, beträgt die Sichtweite in Richtung auf ein aus E* kommendes Fahrzeug 30 bis 35 m.
Am 3. Juli 1973 lenkte der Erstbeklagte den 4,07 m langen und 1,54 m breiten Volkswagen des Zweitbeklagten von einem Feldweg, der etwa 120 m vor der Unf allskreuzung in die aus E* kommende Straße einmündet, auf diese und bog dann bei der genannten Kreuzung in die nach R* führende Straße ein. Von der Einmündung des Feldweges aus besteht freie Sicht über die rechte Straßenhälfte der Bundesstraße bis etwas über den Einmündungsbereich der Landeshauptstraße hinaus. Zur selben Zeit fuhr der Kläger aus Richtung R* kommend zu dieser Kreuzung, um nach links nach Ro* einzubiegen. Sein Fahrzeug war 4,73 m lang und 1,80 m breit. Er hatte zunächst eine Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h, bremste bei Annäherung an die Kreuzung auf etwa 25 km/h ab, betätigte den linken Blinker und ordnete sich zum Linkseinbiegen so ein, daß er vom rechten Fahrbahnrand einen Abstand von etwa 1 m einhielt. Er hatte den zweiten Gang eingelegt und erblickte beim Passieren des Ecks des auf der Gendarmerieskizze eingezeichneten Wohnhauses den Volkswagen des Zweitbeklagten von rechts auf sich zukommen. Der Kläger versuchte, einen Zusammenstoß dadurch zu vermeiden, daß er Vollgas gab. Er nahm an, der Erstbeklagte werde dann hinter ihm vorbeifahren können. Der Erstbeklagte, der eine Geschwindigkeit von etwa „37 bis 50 km/h“ einhielt, bremste sein Fahrzeug sofort ab, als er auf die oben genannte Sichtstrecke den Wagen des Klägers erblickte. Er hielt dabei „die sich aus den Bremsspuren der Gendarmerieskizze ergebende Fahrlinie“ ein. Die Bremswirkung wurde durch Sand und kleinkörnigen Schotter sowie durch das festgestellte Gefälle herabgesetzt. Der Erstbeklagte konnte den Wagen nicht mehr rechtzeitig zum Stillstand bringen. Dieser stieß mit der rechten Vorderfront gegen die linke (richtig wohl: rechte) Seitenwand des Fahrzeuges des Klägers, bei dem die rechte hintere Türe, der rechte hintere Kotflügel und das rechte Hinterrad beschädigt wurden. Am Fahrzeug des Zweitbeklagten wurden die vordere Stoßstange, der rechte Scheinwerfer, der Kofferraumdeckel und der rechte vordere Kotflügel beschädigt. Die Geschwindigkeit des Wagens des Zweitbeklagten betrug zu Beginn des Zusammenstoßes etwa 25 km/h, die des Fahrzeuges des Klägers war etwas höher. Dessen Kontaktlösungsgeschwindigkeit betrug etwa 27 km/h. Der Kläger begann sofort zu bremsen, als er den Zusammenstoß wahrnahm. Sein Fahrzeug wurde durch den Zusammenstoß um 98 Grad verdreht. Der Personenkraftwagen des Zweitbeklagten fuhr nach dem Zusammenstoß noch über 4 m gebremst weiter.
Eine merkantile Wertminderung ist am Fahrzeug des Klägers nicht eingetreten.
Das Erstgericht ging davon aus, daß beide Fahrzeuglenker ein Verschulden an dem Unfall treffe. Es lastete ihnen an, sie seien mit einer für die örtlichen Verhältnisse zu hohen Geschwindigkeit gefahren. Das Verschulden des Klägers überwiege, weil er sich im Nachrang befunden habe.
Das Berufungsgericht war hingegen der Ansicht, es liege nur auf Seite des Klägers ein Verschulden vor, der mit so hoher Geschwindigkeit gefahren sei, daß er den dem Erstbeklagten zukommenden Vorrang nicht habe wahren können. Dem Erstbeklagten könne eine Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht vorgeworfen werden. Da er sich im Vorrang befunden habe, habe für ihn keine Verpflichtung bestanden, eine der Vorschrift des § 20 Abs. 1 StVO 1960 entsprechende Geschwindigkeit allein deshalb herabzusetzen, weil er sich einer Kreuzung mit einer Straße ohne Vorrang genähert habe, bei der die einmündende Straße schlecht einzusehen gewesen sei. Sollte der Erstbeklagte aber doch mit einer etwas zu hohen Geschwindigkeit gefahren sein, so wäre das darin gelegene Verschulden gegenüber dem grob fahrlässigen Verhalten des Klägers als so geringfügig anzusehen, daß es bei der Verschuldensabwägung zu vernachlässigen wäre und auch eine Ausgleichspflicht nach § 11 Abs 1 EKHG nicht zu begründen vermöchte.
Demgegenüber vertritt der Kläger in der Revision die Ansicht, eine Haftung der Beklagten für die Folgen des Unfalles vom 3. Juli 1973 sei vom Berufungsgericht zu Unrecht verneint worden. Es wäre zumindest Sache des Zweitbeklagten als Fahrzeughalters gewesen, den Beweis zu führen, daß er bzw. der Lenker des Fahrzeuges jede erdenkliche Vorsicht angewendet habe, um den Unfall zu verhindern. Da nach den Feststellungen die Möglichkeit bestehe, daß der Erstbeklagte eine Geschwindigkeit von 50 km/h eingehalten habe, die jedenfalls als relativ überhöht anzusehen wäre, könne dieser Beweis nicht als erbracht angesehen werden. Zumindest im Hinblick auf die Halterhaftung müßten allfällige Unklarheiten über den Unfallsablauf zu Lasten des Zweitbeklagten gehen. Es wäre daher von einer Geschwindigkeit des Erstbeklagten von 50 km/h auszugehen und demzufolge ein Mitverschulden in dem vom Erstgericht angenommenen Ausmaß anzunehmen gewesen.
Damit verkennt der Kläger, der offenbar auf die Bestimmungen des § 9 EKHG betreffend die Haftungsbefreiung anspielt, das Wesen dieser Bestimmung und den Unterschied zu der Regelung des § 11 EKHG über die Rückgriffs- und Ausgleichsansprüche der Unfallsbeteiligten. Im vorliegenden Fall steht ein Verschulden des Klägers unbestrittenermaßen fest. Für die Beurteilung der gegenseitigen Ersatzpflicht der Beteiligten ist daher § 11 Abs. 1, Satz 2, EKHG anzuwenden. Nach dieser Bestimmung kommt es aber nicht auf die Erbringung des Entlastungsbeweises im Sinne des § 9 EKHG an. Zufolge der dort aufgestellten Rangordnung ist für die Ersatzpflicht in erster Linie maßgebend, wieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Beteiligten verschuldet wurde; in der nächsten Rangstufe folgt die außerordentliche Betriebsgefahr und nach dieser die überwiegende gewöhnliche Betriebsgefahr (ZVR 1974/227, 2 Ob 34/75, 8 Ob 176/75, 8 Ob 158/75). Bei der Beurteilung der Frage eines Mitverschuldens des Erstbeklagten kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß er mit einer höheren Geschwindigkeit als 37 km/h in die Kreuzung eingefahren ist. Der Satz, daß unaufgeklärte Umstände des Unfallsablaufes zu Lasten des Halters gehen, gilt nur für den Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG. Für seine Anwendung ist hier aber kein Raum. Geht man aber von einer Geschwindigkeit des Erstbeklagten von 37 km/h aus, dann kann darin auch kein Verstoß gegen die Bestimmung des § 20 Abs. 1 StVO 1960 erkannt werden. Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist der im Vorrang befindliche Verkehrsteilnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet, seine an sich zulässige Geschwindigkeit allein wegen der Annäherung an eine Kreuzung mit einer Straße ohne Vorrang oder deshalb herabzusetzen, weil die Querstraße schlecht einzusehen war (ZVR 1973/81, 2 Ob 66/75; vgl. dazu auch ZVR 1970/103). Dem Berufungsgericht ist daher beizupflichten, daß der Erstbeklagte gemäß § 3 StVO 1960 darauf vertrauen durfte, daß ein auf der nachrangigen Straße herankommender Verkehrsteilnehmer sich verkehrsordnungsgemäß verhalten werde, und daß die ungünstigen Sichtverhältnisse an der Unfallskreuzung für den Kläger hätten Anlaß sein müssen, nicht eher die Fahrbahn des Erstbeklagten zu kreuzen, ehe er sich vergewissert hatte, daß von der Bundesstraße kein Fahrzeug herankommt.
Für die Annahme eines Mitverschuldens des Erstbeklagten findet sich daher kein Anhaltspunkt. Da auch sonst kein Anlaß besteht, ihn zum Ausgleich nach § 11 Abs. 1, Satz 2, EKHG heranzuziehen, mußte der Revision ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.
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