OGH 3Ob134/75

OGH3Ob134/7516.9.1975

SZ 48/91

Normen

ABGB §914
ABGB §933
HGB §346
HGB §377
ABGB §914
ABGB §933
HGB §346
HGB §377

 

Spruch:

Die Zusicherung des "Alleinvertriebsrechtes" verpflichtet grundsätzlich nicht zur Gewährung absoluten Gebietsschutzes im Sinne der Verhinderung von Parallelimporten aus Drittländern

Hat ein Lieferant den Verkäufer seiner Erzeugnisse beauftragt, berechtigte Gewährleistungsansprüche seiner Kunden zu befriedigen und ihm Rückersatz zugesichert, so unterliegt der Rückersatzanspruch den allgemeinen Verjährungsvorschriften

OGH 16. September 1975, 3 Ob 134/75 (OLG Wien 2 R 248/74; HG Wien 12 Cg 88/72)

Text

Die Klägerin hatte der Erstbeklagten, deren persönlich haftender Gesellschafter der Zweitbeklagten ist, vor Jahren den Alleinvertrieb ihrer mit dem Warenzeichen I versehenen Reifen in Österreich übertragen. Das Vertragsverhältnis wurde von der Klägerin mit Schreiben vom 11. Juni 1971 zum 31. Dezember 1971 aufgekundigt.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin von den Beklagten für "im Zuge dieser Geschäftsverbindung" gelieferte Fahrzeugreifen unter Berücksichtigung geleisteter Zahlungen und Gutschriften zuletzt die Zahlung zur ungeteilten Hand von 26.064.85[3] (einschließlich der Verzugszinsen bis 31. Mai 1972) samt stufenweisen Zinsen ab 1. Juni 1972, umgerechnet in Schilling.

Die Beklagten bestritten die zunächst außer Streit gestellte ziffernmäßige Richtigkeit der Klagsforderung und wendeten mehrere Gegenforderungen zur Aufrechnung ein. Zwischen den Streitteilen sei vereinbart worden, daß die Erstbeklagte Kundenreklamationen bereinige und hiefür von der Klägerin Ersatz erhalte. Die Klägerin habe für die von der Erstbeklagten im Jahre 1971 erbrachten Reklamationsleistungen von 85.828 S bisher keinen Ersatz geleistet. Die Klägerin sei verpflichtet gewesen, der Erstbeklagten als Alleinimporteur ihrer Erzeugnisse für Österreich Gebietsschutz zu gewähren, habe es aber dennoch der Schweizer Firma Peter G & Co. AG ermöglicht, größere Mengen ihrer Erzeugnisse in Österreich zu Schleuderpreisen zu verkaufen. Die Erstbeklagte habe daher die Reifen gleichfalls billiger verkaufen müssen und dadurch einen Schaden von 550.456 S erlitten. Außerdem habe sie wegen der Schleuderverkäufe der Firma G 34 Kunden verloren, wodurch ihr ein weiterer Schaden in der Höhe der restlichen Klagsforderung entstanden sei. Die Klägerin habe diese Verkäufe der Firma G geduldet, obwohl sie die Möglichkeit gehabt habe, sie zu verhindern.

Die Klägerin bestritt die Gegenforderungen und brachte ihrerseits vor, daß sie der Erstbeklagten zwar den Alleinvertrieb ihrer Produkte in Österreich übertragen, aber mit ihr keinen Gebietsschutz vereinbart habe. Sie habe die Firma G mehrmals aufgefordert, weitere Lieferungen nach Österreich zu unterlassen. Ein weiteres Vorgehen gegen die Firma G sei der Klägerin nicht möglich gewesen. Die Klägerin sei dazu auch nicht verpflichtet gewesen. Die Geltendmachung der Ersatzleistungen für Kundenreklamationen sei verspätet.

Das Erstgericht entschied, daß die Klagsforderung zu Recht, die eingewendeten Gegenforderungen hingegen nicht zu Recht bestehen. Es verurteilte daher die Beklagten als Solidarschuldner im Sinne des eingeschränkten Klagebegehrens zur Zahlung von 26.064.85[3] samt Anhang.

Das Erstgericht stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest: Zu Beginn des Jahres 1961 fanden zwischen dem Zweitbeklagten und dem damaligen stellvertretenden Verkaufssekretär der Klägerin namens J in Wien die ersten Verhandlungen zwecks Gründung einer protokollierten Firma durch den Zweitbeklagten statt, die den Alleinvertrieb der bis dahin in Österreich im Handel nicht erhältlichen Produkte der Klägerin mit dem Markenzeichen I übernehmen sollte. Bei diesen Besprechungen übertrug die Klägerin der zu grundenden Firma den Alleinvertrieb der genannten Produkte in Österreich, was sie mit Schreiben vom 21. Feber 1961, Beilage S, bestätigte. Die Klägerin betonte dabei, daß diese Vereinbarung zunächst nur bis zum Ende des Jahres gelten solle; sie werde aber nach beiderseitig befriedigendem Ablauf dieser Probezeit einen endgültigen Vertrag abschließen. Zusammen mit Karl und Edith G als Kommanditisten grundete der Zweitbeklagte die "I-Reifenvertrieb E & Co.", aus der Karl und Edith G schon 1962 ausschieden. Die Klägerin sprach sich in ihrem Schreiben vom 21. Feber 1961, Beilage S, gegen die Verwendung des namens "I" in der Firmenbezeichnung aus, stimmte aber schließlich dem für die Zeit zu, als die Erstbeklagte ihre Alleinvertriebsberechtigte in Österreich sei. Die 1961 abgeschlossene Vereinbarung wurde in der Folge mündlich verlängert, zu dem vorgesehenen Abschluß eines schriftlichen Vertrages kam es jedoch nicht. Die Erstbeklagte kaufte laufend von der Klägerin Reifen und verkaufte sie weiter. Außerdem unterhielt die Erstbeklagte ein Konsignationslager für Waren, welche bis zum Abverkauf Eigentum der Klägerin blieben. In den folgenden Jahren wurde der Zweitbeklagte jeweils von den zuständigen Herren der Klägerin besucht, und zwar zunächst von J, dann in den Jahren 1968 bis 1970 von Harold R und im Jahre 1972 von Charles William K. Dabei wurden insbesondere die Ausweitung des Umsatzes und die Unterstützung der Erstbeklagten durch die Klägerin besprochen. Eine Abänderung der ursprünglichen Vereinbarung oder deren Ersatz durch ein neues Abkommen wurde nicht vereinbart. Mit dem in englischer Sprache abgefaßten Schreiben der Klägerin vom 2. April 1969, Beilage I, wurde neuerlich ein schriftlicher Vertrag, der eine Kündigungsfrist von drei Monaten enthalten sollte, in Aussicht gestellt. Auch zum Abschluß dieses Vertrags kam es nicht, doch teilte die Klägerin der Erstbeklagten auf deren Ersuchen mit

Schreiben vom 8. Jänner 1970, Beilage C, folgendes mit:

"Es wird hiemit bescheinigt, daß Sie für den Alleinvertrieb unserer mit dem I-Warenzeichen versehenen Reifen in der gesamten österreichischen Republik zuständig sind.

Dieses Abkommen gilt für beide Firmen als bindend und kann nur durch schriftliche Bekanntgabe von einer der Parteien unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von mindestens drei Monaten gelöst werden."

Die in diesem Schreiben, das von den Beklagten nicht beantwortet wurde, festgehaltene Kündigungsfrist von drei Monaten war vorher zwischen R und dem Zweitbeklagten vereinbart worden. Das Schreiben vom 8. Jänner 1970, Beilage C, ist das einzige Schriftstück, in welchem der Inhalt des Vertrages zwischen den Streitteilen festgehalten wurde. Aus der Geschäftsverbindung der Streitteile, die mit Ende 1971 beendet wurde, steht der Klägerin eine Forderung in Höhe des eingeklagten Betrages von 26.064.85[3] zu. Zwischen den Streitteilen war vereinbart, daß die Erstbeklagte Kundenreklamationen erledige und der Klägerin hierüber berichte, die dann die entsprechenden Gutschriften erteilen werde. Die Erstbeklagte ließ jeweils mehrere Reklamationen zusammenkommen und berichtete der Klägerin in unregelmäßigen, bis zu sechs Monaten währenden Abständen, wogegen die Klägerin nichts einzuwenden hatte. Die diesbezüglich geltend gemachten Ersatzleistungen wurden von der Erstbeklagten von November 1971 bis März 1972 erbracht und der Klägerin erstmals in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 21. Feber 1973 bekanntgegeben. Die Schweizer Firma G, die ebenfalls von der Klägerin beliefert wird, bot ab Mai oder Juni 1971 in Österreich I-Reifen an, und verkaufte solche auch an eine Reihe österreichischer Firmen. Hierüber beschwerte sich der Zweitbeklagte bei Charles William K anläßlich eines wahrscheinlich im Jänner 1972 in Wien stattgefundenen Besuches. Zu diesem Zeitpunkt war der Vertrag zwischen den Streitteilen schon beendet, doch besuchte K den Zweitbeklagten, um einen Weg für die Fortsetzung der Geschäftsverbindung zu suchen. Schon vor 1971 war es zu geringen Importen von I-Reifen aus der Schweiz gekommen, worüber sich die Erstbeklagte bei der Gengerin beschwert hatte. Es ist nicht erwiesen, daß die Klägerin Gebietsschutz zugesagt, oder sich ausdrücklich verpflichtet hat, Importe aus Drittländern nach Österreich zu verhindern.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß die Geltendmachung der Ersatzleistungen für Kundenreklamationen verspätet sei, weil die Beklagte die Mängel nicht rechtzeitig (§ 377 HGB) anzeigte und auch die Frist des § 933 ABGB nicht einhielt. Dem Beklagten stehe auch aus der Nichtbeachtung des Alleinvertriebsrechtes durch die Firma G kein Ersatzanspruch zu, weil die Vereinbarung eines Gebietsschutzes nicht erwiesen sei. Mangels einer besonderen Vereinbarung könne nicht verlangt werden, daß die Klägerin die Verletzung des Alleinvertriebsrechtes durch Dritte verhindere.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das angefochtene Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es hatte keine Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes und übernahm dessen Feststellungen. Rechtlich war das Berufungsgericht der Ansicht, daß österreichisches Recht anzuwenden sei, weil der von den Streitteilen abgeschlossene Vertrag die Vertretung der Klägerin in Österreich betreffe. Die Kompensation mit einer auf Schillinge lautenden Gegenforderung sei zulässig, da die Klagsforderung in österreichischer Währung gezahlt werden könne. Das Erstgericht habe zu Unrecht eine verspätete Geltendmachung der Ersatzleistungen aus den Kundenreklamationen angenommen. Auf die Einhaltung der Frist des § 377 HGB sei einvernehmlich verzichtet worden, da die Erstbeklagte nach der Vereinbarung Reklamationen von Kunden erledigen und der Klägerin darüber berichten sollte, die Reklamationen von Kunden bei der Erstbeklagten aber wohl erst erheblich nach dem Zeitpunkt der Lieferung der Klägerin einlangen konnten. Daraus, daß die Klägerin die Übung der Erstbeklagten, in unregelmäßigen Zeitabständen über mehrere Reklamationen gemeinsam zu berichten, nicht beanstandet habe, könne auch auf einen Verzicht der Klägerin auf die Einhaltung der Gewährleistungsfrist des § 933 ABGB geschlossen werden, da diese Frist möglicherweise zu dem Zeitpunkt, als die Kunden bei der Erstbeklagten reklamierten, schon abgelaufen sein konnte. Es seien daher Feststellungen über Höhe und Art der geltend gemachten Aufwendungen der Erstbeklagten erforderlich. Die Erstbeklagte sei in dem ihr vertraglich zugesicherten Alleinvertriebsrecht schon dann beeinträchtigt, wenn andere Händler in Österreich I-Reifen verkaufen. Sie könne in solchen Fällen von der Klägerin als ihrer Vertragspartnerin Abhilfe verlangen. Die Klägerin habe daher der Erstbeklagten auch den Schaden zu ersetzen, den diese wegen des Verkaufes von I-Reifen durch die Firma G erlitten habe, es sei denn, daß die Klägerin beweisen könne, sie sei ohne ihr Verschulden nicht in der Lage gewesen, das Alleinvertriebsrecht der Erstbeklagten zu schützen. Da das Erstgericht Feststellungen über Grund und Höhe des der Erstbeklagten aus dem Verhalten der Firma G entstandenen Schadens nicht getroffen habe, bedürfe es auch insoweit einer Verfahrensergänzung.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Auszugehen ist von der Feststellung der Untergerichte, daß zwischen den Parteien zwar kein Gebietsschutz der Erstbeklagten vereinbart wurde, daß aber die Klägerin der Erstbeklagten das "Alleinvertriebsrecht" einräumte. Welche gegenseitige Rechte und Pflichten den Parteien nach ihrer Absicht aus dieser Vereinbarung erwachsen sollten, konnte nicht festgestellt werden. Den Standpunkt, daß dieses "Alleinvertriebsrecht" der Erstbeklagten mangels Bestimmtheit seines Inhaltes überhaupt keine vertraglichen Rechte und Pflichten der Streitteile begrundete (§ 869 ABGB), vertritt nicht einmal die Klägerin. Der Ausdruck "Alleinvertriebsrecht" ist auch tatsächlich weder unverständlich noch unbestimmt. Daß es sich um einen in der Branche üblichen Fachausdruck handelte (vgl. HS 1503), wurde weder behauptet noch festgestellt. Der Vertrag ist daher gemäß § 914 ABGB so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Nach dieser Auslegungsregel ist unter Alleinvertriebsrecht das einem Vertragspartner vertraglich eingeräumte Recht zu verstehen, eine bestimmte Ware in einem bestimmten Gebiet als einziger zu vertreiben. Die Beschränkungen, denen der Vertragsgegner des Alleinvertriebsberechtigten unterworfen ist, können verschiedener Art sein. Dem vorgenannten Recht des Alleinvertriebsberechtigten entspricht jedenfalls notwendigerweise die Verpflichtung desjenigen, der das Alleinvertriebsrecht vergibt, Vertragsware im Schutzgebiet nur an seinen Vertragspartner zu verkaufen. Weitergehende Beschränkungen werden wohl häufig vereinbart, sind aber kein wesentlicher und unabdingbarer Bestandteil eines Alleinvertriebsvertrages. Eine Verpflichtung zur Gewährung des absoluten Gebietsschutzes im Sinne der Verhinderung von Parallelimporten aus Drittländern ist daher nur dann anzunehmen, wenn sie von den Vertragsschließenden besonders - sei es ausdrücklich oder sei es stillschweigend - vereinbart wurde. Wenn die Parteien, wie im vorliegenden Fall, lediglich die Einräumung eines Alleinvertriebsrechtes der Erstbeklagten für Österreich vereinbarten ohne dabei die gegenseitigen Rechte und Pflichten näher zu regeln, so kann ihnen nicht im Wege der Vertragsauslegung oder Vertragsergänzung der übereinstimmende Parteiwille unterstellt werden, daß der Alleinvertriebsberechtigte absoluten Gebietsschutz genießen sollte. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist somit den Beklagten der ihnen obliegende Beweis, daß die Klägerin einen solchen Schutz zugesagt habe, nicht gelungen. Damit ist der Rechtsbestand der von den Beklagten auf die behauptete Verletzung des Alleinvertriebsrechtes gestützten Gegenforderung nicht bewiesen, so daß es diesbezüglich keiner Ergänzung des erstinstanzlichen Verfahrens bedarf.

Der Anspruch auf Ersatz der von der Erstbeklagten auf Grund von Kundenreklamationen erbrachten Leistungen beruht nicht auf den Gewährleistungsvorschriften, sondern auf einer zwischen der Klägerin und der Erstbeklagten geschlossenen Vereinbarung. Die Klägerin hat mit dieser Vereinbarung die Haftung für Mängel ihrer Erzeugnisse übernommen, so daß die Erstbeklagte Gewährleistungsansprüche ihrer Abnehmer nur als Beauftragte der Klägerin erfüllte. Die Geltendmachung der Ersatzansprüche der Erstbeklagten aus Kundenreklamationen unterliegt daher nur den Verjährungsvorschriften. Da das Erstgericht von einer abweichenden Rechtsansicht ausgehend, keine Feststellungen getroffen hat, ob und welche Aufwendungen der Erstbeklagten durch Erledigung von - berechtigten - Kundenreklamationen erwachsen sind, ist das Verfahren erster Instanz mangelhaft geblieben, so daß das erstgerichtliche Urteil mit Recht aufgehoben wurde.

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