European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0010OB00160.75.0903.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die untergerichtlichen Urteile werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur weiteren Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gleich Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen haben wird.
Begründung:
Der Erstrichter schied die am 1. März 1952 geschlossene Ehe der Streitteile, aus der zwei großjährige Kinder stammen, infolge der am 29. August 1972 erhobenen Klage des Mannes aus dem beiderseitigen Verschulden der Ehegatten mit dem Ausspruch, daß das Verschulden des Klägers überwiege. Während das im Revisionsverfahren nicht mehr strittige überwiegende Verschulden des Klägers auf den Feststellungen beruhte, daß der seiner Frau physisch überlegene Kläger öfters übermässig dem Alkohol zusprach, die Beklagte wiederholt nicht in Abwehr, sondern im betrunkenen Zustand mißhandelte und ihr dabei leichte Verletzungen zufügte sowie daß er schließlich Ende August 1972 aus der ehelichen Wohnung in * in sein Ferienhaus nach * zog und der Beklagten dort den Zutritt verweigert, erblickte der Erstrichter schwere Eheverfehlungen der Beklagten in deren ebenfalls „übermässigem“ Alkoholgenuß in den letzten vier Jahren, der (nach einer im Rahmen der rechtlichen Beurteilung geäußerten Ansicht des Gerichtes) in keinem Zusammenhang mit den Eheverfehlungen des Klägers stehe, und stellte überdies fest, daß die Beklagte den Kläger anläßlich eines Schikurses im Februar 1969 vor einem (mit betroffenen) Zeugen (grundlos) als einen „Warmen“ und im Jahre 1972 einmal mit „Hurenbock“ beschimpft habe. Die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Gemeinschaft sei nicht mehr zu erwarten.
Das Berufungsgericht gab den von beiden Parteien erhobenen Berufungen nicht Folge, übernahm die Feststellungen des Erstrichters als unbedenkliches Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens und trat seiner rechtlichen Beurteilung im wesentlichen bei.
Gegen den Ausspruch der Ehescheidung aus ihrem Mitverschulden erhebt die Beklagte Revision aus den Gründen des § 503 Z 2 bis 4 ZPO mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern oder es aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Als aktenwidrig rügt die Revisionswerberin zu Unrecht die Annahme des Berufungsgerichtes, daß den von ihr zum Beweise nicht vorliegender eigener Trunksucht geführten Zeuginnen in Anbetracht deren überwiegend losen Kontaktes zu der Beklagten für die Beurteilung ihres Alkoholkonsums keine Bedeutung zukomme. Abgesehen davon, daß die Annahme des Berufungsgerichtes über einen bloß losen Kontakt zur Beklagten wenigstens hinsichtlich der Zeugen K* und P* (in der Revision selbst nicht mehr bestritten) zutrifft, sind auch die anderen Zeuginnen (L*, T* und G*) mit der Beklagten nur solange ständig in Berührung gewesen, als sie in deren Geschäft mitarbeiteten, das ist nach ihren eigenen Aussagen nur bis zu den Jahren 1968, 1969 oder 1970 bezw. 1967. Da andererseits der Nervenfacharzt Dr. Z* für den Zeitpunkt Herbst 1968 eigene Angaben der Beklagten über einen höheren Alkoholkonsum und seine damalige Diagnose auf Alkoholabusus bestätigte, läuft die Rüge einer Aktenwidrigkeit in Wahrheit auf die unzulässige Bekämpfung der einer Anfechtung vor dem Obersten Gerichtshof entzogenen Beweiswürdigung hinaus. Das gleiche gilt für die Meinung des Berufungsgerichtes, daß die Beklagte (demnach) ihre Trinkgewohnheiten offenkundig so weit beherrscht habe, daß sie nichts davon an die Öffentlichkeit dringen ließ und ihren Pflichten in Beruf und Haushalt im wesentlichen nachkommen konnte.
Auch der Mängelrüge kommt keine Berechtigung zu. Die Übernahme der Feststellungen aus dem Ersturteil bedurfte keiner Beweiswiederholung durch das Berufungsgericht. Ebenso war es zulässig, daß die Untergerichte aus der Parteiaussage der Beklagten blosse Teile verwerteten, die sie selbst belasteten. Soweit die Revisionswerberin meint, daß dann auch ihrer zusammenfassenden Aussage, wohl Alkohol zu trinken, aber nur zwei- oder dreimal betrunken gewesen zu sein, hätte gefolgt werden müssen, bekämpft sie neuerlich die nicht mehr anfechtbare Beweiswürdigung der Untergerichte. Das gleiche gilt für die oben erläuterte Meinung des Berufungsgerichtes, daß die Beklagte ihre Trinkgewohnheiten vor der Öffentlichkeit verborgen habe. Vom Übergehen angebotener Beweise kann in diesem Zusammenhang, wie das Berufungsgericht zutreffend darlegte, nicht die Rede sein. Ob schließlich die Darstellung des Berufungsgerichtes, daß die Beklagte „regelmässig und reichlich“ dem Alkohol zuspricht, die erstrichterliche Feststellung eines „übermässigen“ Alkoholkonsums in unzulässiger Weise erweiterte, kann dahingestellt werden, weil beide Begriffe zu ungenau sind (siehe unten) und die weitere Überlegung des Berufungsgerichtes, daß sich aus den Einkaufsbüchern wegen des Gleichbleibens der Alkoholeinkäufe auch nach dem Ausziehen der beiden Kinder und des Klägers ihr alleiniger Genuß der gekauften Alkoholmengen ergebe, von der Revisionswerberin nicht erkennbar bekämpft wird.
Die Rechtsrüge läßt sich dahin zusammenfassen, daß der der Beklagten vorgeworfene übermässige, vom Berufungsgericht als „regelmäßig und reichlich“ bezeichnete Alkoholkonsum einer genaueren Bestimmung bedürfe und daß weiters die als Eheverfehlungen der Revisionswerberin erkannten Beschimpfungen des Ehemannes in den Jahren 1969 und 1972 bereits verfristet seien.
Der Revisionswerberin ist zuzugeben, daß die zur Frage ihrer „Trunksucht“ getroffenen Feststellungen des Erstrichters, die das Berufungsgericht übernahm, für eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht hinreichen. Zu einem wesentlichen Teil bestehen die „Feststellungen“ bloß aus der Wiedergabe von Zeugenaussagen (zB: „X bekundete, Y deponierte, Z bestätigte“). Derartige Wiederholungen von Aussagen erfüllen nicht das Gebot des § 417 Abs. 2 ZPO, wonach die Entscheidungsgründe unter anderem jene Tatsachen anzugeben haben, die das Gericht als festgestellt angenommen und seiner Entscheidung zugrundegelegt hat. Es muß klar und zweifelsfrei ausgesprochen werden, welche Tatsachen nach Meinung des Gerichts vorliegen. Die blosse Wiedergabe des Inhaltes der Beweisaufnahmen ist überflüssig und irreführend und erschwert die Überprüfung (Fasching III 800 f).
Werden die Ausführungen des Erstrichters zum Sachverhalt auf diesen Umfang erkennbarer gerichtlicher Überzeugung beschränkt, so ist nur ersichtlich, daß er die Richtigkeit der Eintragungen des Nervenfacharztes Dr. Z* auf dem Karteiblatt vom 11. Oktober 1968 und dessen damaliger Diagnose „depressive Phasen und Alkoholabusus“, sowie die Tatsache als erwiesen annahm, daß die Beklagte im Geschäft A* unter den Lebensmitteln und Getränken für den Haushalt täglich 2 bis 5 Flaschen Bier einkaufte (und nach der ergänzenden, in der Revision unbekämpften Darlegung des Berufungsgerichtes auch konsumierte) und daß sie in Gegenwart des Zeugen F* (zu nicht näher festgestellten Zeiten und in nicht festgestellten Abständen) „übermässig Most und Bier trank“ und nach eigenem Zugeständnis (in nicht festgestellter Häufigkeit) bei Besuchen, der J* in * betrunken und in der ehelichen Wohnung in * angetrunken, entgegen der Darstellung des Klägers als Partei aber nicht fast täglich betrunken war. Eine Vernachlässigung des Haushaltes infolge des zusammenfassend als „übermässig“ qualifizierten Alkoholkonsums der Beklagten hat der Erstrichter hingegen ebensowenig als erwiesen angenommen wie eine vom Kläger behauptete Tätlichkeit gegen seinen Vater oder (sonstige, über die oben genannten beiden Beschimpfungen hinausgehende) Beschimpfungen des Klägers (andererseits gibt der Erstrichter allerdings eine „Bekundung“ des Zeugen H* gegenteiliger Art wieder) oder Mißhandlungen des Klägers durch die Beklagte (wenngleich nach einer Erzählung des Klägers gegenüber einem Zeugen eine Kratzwunde durch sie zugefügt worden sein soll).
Der Revisionswerberin ist beizupflichten, daß „Übermaß“ ein unbestimmter Begriff ist, der einer Erläuterung im Einzelfall bedarf. Das gilt im besonderen für ein Übermaß an Alkoholkonsum, das als schwere Eheverfehlung qualifiziert werden soll. Trunksucht und Alkoholmißbrauch stellen nämlich wohl grundsätzlich auch dann als ehrloses oder unsittliches Verhalten einen Scheidungsgrund nach § 49 EheG dar, wenn sie nicht öffentlich in Erscheinung treten. Aber es kommt dabei auf die näheren Umstände an, insbesondere darauf, ob dadurch der Unterhalt der Familie beeinträchtigt oder gefährdet wird und ob der andere Gatte die Achtung verliert (verlieren mußte). Ebenso kann es von entscheidender Bedeutung sein, ob und in welchem Ausmaß das Laster auf das Verhalten des anderen Gatten zurückzuführen ist. (Schwind in Klang2 I/1 782). In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof Fälle übermässigen Alkoholismus (gesteigerter Trunksucht), die zu ständigen Auseinandersetzungen zwischen den Ehegatten, zu Zechschulden, die die wirtschaftlichen Grundlagen der Familie erschütterten, oder zur schweren Vernachlässigung des Haushaltes, zu häufigen Ruhestörungen, Beschimpfungen und anderen Exzessen führten, als schwere Eheverfehlungen anerkannt (7 Ob 242, 243/74 u.a.). Aber auch Apathie oder sonstige geistige Veränderungen könnten schon für sich allein von Bedeutung sein.
In der Sache selbst sind derartige Auswirkungen jedoch teils ausdrücklich als nicht erwiesen festgestellt (zB eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Grundlagen der Ehe oder der Haushaltsführung) und zum anderen Teil (wenn sich auch gewisse Anhaltspunkte im Verfahren fanden) nicht mit genügender Deutlichkeit aus den Feststellungen zu entnehmen, die vielmehr gerade in den entscheidenden Punkten versagen. So spricht zwar die ärztliche Diagnose auf Alkoholabusus im Oktober 1968 zunächst klar gegen die Beklagte. Der Erstrichter ist aber nicht auf die Aussage des behandelnden Arztes Dr. Z* eingegangen, wonach die Beklagte damals darüber klagte, daß es in ihrer Familie immer grössere Aufregungen gebe und der Gatte ihr nachstelle und sie zu vernichten suche, sodaß sie unter starken Stimmungsschwankungen leide und deshalb mehr trinke als ihr guttue. Ebenso wurde nicht erhoben, ob und welche Zusammenhänge mit der (an anderer Stelle des Urteils festgestellten) nervösen Übererregung und dem angegriffenen Gesundheitszustand bestehen, unter denen die Beklagte litt. Es mangelt also an einer Beurteilung, wann und aus welchem Grund die Klägerin, die selbst auch eine Verleitung durch ihren Mann behauptet hat, zu „trinken“ begonnen hat. Als zweites fehlt eine genügend genaue Feststellung, welches Mass der Alkoholkonsum der Beklagten insbesondere in den letzten sechs Monaten vor der Klagseinbringung (§ 57 Abs. 1 EheG) erreichte. Die genannte ärztliche Beobachtung lag immerhin rund vier Jahre vor diesem Zeitpunkt. Die Feststellung, daß die Beklagte täglich 2 bis 5 Flaschen Bier kaufte, ist, selbst wenn sie diese Mengen nach der Beurteilung des Berufungsgerichtes selbst trank (s. oben), unzureichend, weil der Tagesdurchschnitt nahe der unteren ebenso wie nahe der oberen Grenze liegen kann, was bedeutende Unterschiede der Beeinflussung ergeben muß. Wird schließlich erkannt, daß die Beobachtung des Zeugen K*, wonach die Beklagte „übermässig“ Most und Bier trank, jede Einzelheit über den Zeitpunkt, die Häufigkeit und den Anlaß vermissen läßt, obwohl an anderer Stelle festgestellt wurde, daß der Kläger selbst an zwei bis drei Trinkgelagen mit der Beklagten und dem Zeugen K* teilgenommen hat, so bleibt für die rechtliche Beurteilung nur noch die Tatsache übrig, daß die Beklagte selbst zugab, im Tag (aber auf ihn verteilt) drei bis vier Flaschen Bier zu trinken und „vielleicht einmal monatlich leicht betrunken“ und zweimal jährlich betrunken gewesen zu sein (S. 205, 234).
Diese von der Beklagten zugegebene Menge. erlaubt aber ebenfalls noch keine zwingenden Schlüsse (§ 269 ZPO) auf eine dadurch wenigstens mitverursachte Zerrüttung der Ehe. Nicht jede Frau, die drei bis vier Flaschen Bier täglich trinkt, muß an der Zerstörung der körperlichen oder geistigen Gemeinschaft der Ehegatten teilhaben. Ein solcher Alkoholgenuß kann je nach der persönlichen Konstitution, den Trinkgewohnheiten und der Verteilung auf den Tag geringe bis schwere Folgen hervorrufen, die kaum erkennbar bleiben, ebenso aber auch sich z.B. in Apathie oder Aggressivität äußern und in verschiedenen Wechselbeziehungen zum Verhalten des Ehepartners stehen können. Ebensowenig wie die Ursachen und das Maß des „Alkoholismus“ der Beklagten stehen aber derartige Folgen im vorliegenden Fall fest. Selbst die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung enthaltene „Ansicht“ des Erstgerichtes, daß die „Trunksucht“ der Beklagten in keinem Zusammenhang mit den Eheverfehlungen des Klägers stehe, entbehrt einer hinreichenden Grundlage im dargestellten Sachverhalt, weil doch andererseits ein ebenfalls „übermässiger“ Alkoholgenuß des Revisionsgegners festgestellt wurde, der sogar zu häufigen Mißhandlungen der Beklagten führte.
Eine Aufhebung der untergerichtlichen Urteile zum Zwecke der Feststellung der näheren Umstände des Beginnes, der Ursachen, des Ausmasses und allfälliger Folgen des Alkoholgenusses der Beklagten im Zusammenhang mit der in der Zeitfolge darzustellenden Entwicklung der Ehe und der Wechselwirkungen zwischen den beiderseitigen Eheverfehlungen ist daher nicht zu vermeiden, zumal als sonstige Eheverfehlungen nur die beiden vereinzelt gebliebenen Beschimpfungen des Klägers durch die Revisionswerberin in Betracht kommen, von denen die erste sicher und die zweite möglicherweise (eine nähere Feststellung des Zeitpunktes fehlt) im Sinne des § 57 EheG verfristet sind, sodaß sie nur im Zusammenhang mit weiteren, laufenden Eheverfehlungen bedeutsam wären.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
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