OGH 1Ob30/75

OGH1Ob30/755.3.1975

SZ 48/26

Normen

ZPO §225
ZPO §225

 

Spruch:

Eine in einer Nichtferialsache während der Gerichtsferien festgesetzte richterliche Frist, deren Ende durch Angabe eines bestimmten Kalendertages nach Ablauf der Gerichtsferien bezeichnet wurde, läuft während der Gerichtsferien nicht, wenn sich nicht aus dem gerichtlichen Beschluß oder anderen Umständen unmißverständlich das Gegenteil ergibt. Sonst steht die Frist in der vollen gewährten Dauer nach den Gerichtsferien zur Verfügung

OGH 5. März 1975, 1 Ob 30/75 (OLG Innsbruck 1 R 288/74; LG Innsbruck 9 Cg 515/74)

Text

Das Erstgericht setzte in der gegenständlichen Rechtssache, bei der es sich nicht um eine Ferialsache handelt, in der ersten Tagsatzung vom 8. August 1974 dem Beklagten zur Erstattung der Klagebeantwortung eine Frist bis 5. September 1974. Die vom Beklagten am 6. September 1974 überreichte Klagebeantwortung wies er als verspätet zurück.

Über Rekurs des Beklagten hob das Rekursgericht diesen Beschluß auf und trug dem Erstgericht auf, das Verfahren fortzusetzen. Nach der Bestimmung des § 225 Abs. 1 ZPO werde dann, wenn der Anfang der Gerichtsferien in den Lauf einer Frist oder der Beginn der Frist - wie hier - in die Gerichtsferien falle, die Frist um die ganze Dauer oder um den bei ihrem Beginn noch übrigen Teil der Gerichtsferien verlängert; es mache dabei keinen Unterschied, ob das Ende der Frist im Sinne des § 125 Abs. 2 ZPO nach Wochen, Monaten oder Jahren oder aber im Sinne des § 125 Abs. 3 ZPO kalendermäßig festgesetzt worden sei. Zweck der Bestimmung des § 225 Abs. 1 ZPO sei es, dem Betroffenen die ihm erteilte Frist in ihrer gesamten Dauer außerhalb des Zeitraumes der Gerichtsferien zur Durchführung der betreffenden Prozeßhandlung offen zu halten; dies auch dann, wenn das kalendermäßig bestimmte Ende der Frist nach dem mit 25. August festgesetzten Ende der Gerichtsferien liege. Folgerichtig müsse daher der Partei, welche die befristete Prozeßhandlung vorzunehmen habe, die erteilte Frist um die ganze Dauer der Gerichtsferien oder um den bei ihrem Beginne noch übrigen Teil im Sinne des § 225 Abs. 1 ZPO verlängert werden. Daraus ergebe sich, daß im vorliegenden Fall die am 6. September 1974 beim Erstgericht eingelangte Klagebeantwortung als rechtzeitig eingebracht anzusehen sei.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Da der Beschluß des Rekursgerichtes auf Aufhebung der Entscheidung der ersten Instanz mit Auftrag zur Verfahrensfortsetzung lautet, ist vorerst die Zulässigkeit des Revisionsrekurses zu prüfen. Dem Rechtsmittelwerber ist darin beizupflichten, daß es sich trotz der Fassung des Spruches der rekursgerichtlichen Entscheidung inhaltlich um eine Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung über die Zurückweisung einer Prozeßhandlung einer Partei handelt. Die Bestimmung des § 527 Abs. 2 ZPO ist daher nicht anzuwenden (EvBl. 1973/269; SZ 42/61; JBl. 1970, 320; EvBl. 1970/25; u. a.).

Gemäß § 243 Abs. 1 ZPO hat der die erste Tagsatzung abhaltende Richter, falls sich die Anordnung einer Streitverhandlung als notwendig darstellt, sogleich bei der Tagsatzung dem Beklagten die Beantwortung der Klageschrift durch Beschluß aufzutragen und für die Beantwortung eine den Umständen des Einzelfalles angemessene, vier Wochen nicht überschreitende Frist zu bestimmen. Die Regelung des § 125 ZPO stellt hiezu klar, daß die vom Richter gesetzte Frist nach Tagen oder Wochen bestimmt, das Ende aber auch durch Angabe eines bestimmten Kalendertages bezeichnet werden kann (Abs. 3). Welchen Einfluß in Streitsachen, die nicht Ferialsachen sind, die Gerichtsferien haben, ergibt sich aus § 225 Abs. 1 ZPO: Fällt der Beginn der Frist, wie im vorliegenden Falle, in die Gerichtsferien, so wird sie, da ein Fall des § 225 Abs. 2 ZPO nicht gegeben ist, um die Dauer der Gerichtsferien verlängert. Einen Unterschied zwischen einer nach Tagen oder Wochen bestimmten und einer Frist, deren Ende durch Angabe eines bestimmten Kalendertages bezeichnet wurde, macht das Gesetz nicht. Der Oberste Gerichtshof hat daher auch bereits bald nach dem Inkrafttreten der Zivilprozeßordnung (GlUNF 2793 = AmtlSlg. 824) hervorgehoben, daß § 225 ZPO nicht nur den allgemeinen Grundsatz ausspricht, daß die Gerichtsferien den Lauf einer Frist hemmen, sondern auch die Ausnahmen bezeichnet, in welchen diese Regel nicht Platz zu greifen hat; hätte der Gesetzgeber auch Fristen, bei denen das Ende durch Angabe eines bestimmten Tages bezeichnet wurde, als solche Ausnahme betrachtet wissen wollen, so wäre dies zweifellos im Gesetz ausdrücklich gesagt worden; dies wäre um so notwendiger gewesen, als nach § 125 Abs. 3 ZPO die Bezeichnung des Endes der Frist durch die Angabe eines Kalendertages allgemein zulässig ist. Die Entscheidung hob noch hervor, § 225 ZPO sei zwingendes Recht. Diese Auffassung hat, soweit sich die Literatur damit befaßte, Zustimmung gefunden (Fasching II, 1027; Neumann[4], 859); Pollak, System[2], 427 lehrte, daß prozessuale Fristen während der Gerichtsferien nicht liefen, selbst wenn sie während der Gerichtsferien vom Gericht ausgemessen worden seien und ohne Rücksicht darauf, ob sie (wann immer) kalendermäßig bestimmt worden seien. Zum gleichen Ergebnis gelangte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 6 Ob 123/72. In dieser wurde dargelegt, daß durch die Bestimmung des § 225 Abs. 1 ZPO der Partei die ihr zur Vornahme einer Prozeßhandlung gesetzte Frist in ihrer gesamten Dauer außerhalb des Zeitraumes der Gerichtsferien gewährt werden soll. Der Oberste Gerichtshof erläuterte noch, daß Schwierigkeiten in der Berechnung der Frist nicht auftreten könnten, weil sich auch bei Angabe eines Kalendertages als Ende der Frist deren Dauer ohne Schwierigkeiten errechnen lasse; wesentlich sei, daß der Partei der durch die Fristsetzung zur Vornahme der Prozeßhandlung eingeräumte Zeitraum nicht verkürzt werde. Der Oberste Gerichtshof lehnte noch die Ansicht Faschings (II, 670), daß eine Frist, die während der Gerichtsferien enden würde, am ersten Werktag nach den Gerichtsferien ende, ausdrücklich ab.

In den Fällen, die den beiden zitierten Entscheidungen zugrunde lagen, endete allerdings jeweils die Frist zur Überreichung der Klagebeantwortung während der Gerichtsferien. Dem Revisionsrekurs kann zugegeben werden, daß dies bei einer kalendermäßig bestimmten Frist, die nach den Gerichtsferien endet, also etwa, wie im vorliegenden Fall, am 5. September, nicht so klar ist; aus der Zurückweisung der Klagebeantwortung durch das Erstgericht kann auch geschlossen werden, daß es bei der Fristsetzung die Absicht gehabt hatte, ungeachtet der Gerichtsferien die Frist tatsächlich am 5. September 1974 ablaufen zu lassen. Es brachte dies aber weder in seinem Beschluß unmißverständlich zum Ausdruck, noch ergab sich dies etwa durch Gewährung eines Zeitraums von vollen vier Wochen nach Ablauf der Gerichtsferien, aus anderen Umständen, betrug doch der zeitliche Abstand zwischen dem Tag der ersten Tagsatzung (8. August 1974) und dem 5. September 1974 gerade vier Wochen und war demnach nicht größer als es § 243 Abs. 1 ZPO ganz allgemein zuläßt; hätte hingegen die Klagebeantwortungsfrist wirklich am 5. September 1974 enden sollen, wären dem Beklagten außerhalb der Gerichtsferien nur elf Tage zur Verfügung gestanden, was bedeutend weniger gewesen wäre als die übliche Frist von mindestens zwei Wochen. Die zitierte Judikatur und Literatur hat ihren Standpunkt auch so allgemein formuliert, daß kein Zweifel bestehen kann, daß ihre Grundsätze auch für einen Fall zu gelten haben, in dem die Frist nach Ende der Gerichtsferien an einem bestimmten Kalendertag ablaufen soll. Die allgemein gehaltene Formulierung der Bestimmung des § 225 Abs. 1 ZPO läßt auch eine Gesetztestreue andere Auslegung nicht zu. Da allerdings in Fällen wie dem vorliegenden dann Wortlaut und wirklicher Inhalt des Fristsetzungsbeschlusses nicht übereinstimmen und Mißverständnisse bei Fristsetzungen vermieden werden sollen, wird es sich empfehlen, bei Fristsetzungen knapp vor und während der Gerichtsferien von der Bestimmung des § 125 Abs. 3 ZPO nicht Gebrauch zu machen oder jedenfalls im Beschluß klar zum Ausdruck zu bringen, welche Bedeutung ihm bei Bedachtnahme auf § 225 Abs. 1 ZPO zukommen soll.

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