Spruch:
Eine nur beschränkt handlungsfähige Person haftet schon dann nach § 866 ABGB, wenn ihr Auftreten und ihr Verhalten beim Vertragspartner den Eindruck eines Geschäftsabschlusses mit einem voll Handlungsfähigen erwecken
Der Schädiger hat dem irrig auf die Gültigkeit einer Erklärung oder auf das Zustandekommen eines Vertrages Vertrauenden auch den Nachteil zu ersetzen, der dadurch entstanden ist, daß der Geschädigte, im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages den Abschluß eines anderen Geschäftes unterlassen hat
OGH 4. Feber 1975, 5 Ob 3/75 (OLG Graz 9 R 117/74; LG Klagenfurt 20 Cg 172/73)
Text
Der Beklagte Hubert R nahm am 16. Juli 1971 bei der klagenden Bank ein Darlehen von 25.000 S auf, wobei sich seine Gattin als Bürgin und Zahlerin für die Erfüllung der sich daraus ergebenden Verpflichtungen verbürgte. Der Beklagte wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 9. Jänner 1963, 8 L 68/62, beschränkt entmundigt. Er hat dies bei Darlehensaufnahme verschwiegen.
Mit der am 18. April 1973 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin von den Ehegatten R zur ungeteilten Hand die Rückzahlung des aushaftenden Darlehensbetrages samt zugeschriebenen kapitalisierten Zinsen per 28.300 S sowie 9% Zinsen seit 16. März 1973 und 12% Verzugszinsen. Gegen die Gattin des Beklagten erging ein Versäumungsurteil im Sinne des Klagebegehrens. Gegen ihn selbst wird das Begehren nach zugelassener Klagsänderung "nur mehr allein auf Schadenersatz gestützt und zwar im Hinblick auf § 866 ABGB".
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren vollinhaltlich statt.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Den Entscheidungen der Untergerichte liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beklagte und seine Gattin kamen am 16. Juli 1971 in die Anstalt der Klägerin. Der Beklagte stellte nach Belehrung über die Voraussetzungen durch eine Angestellte das Ansuchen um Gewährung eines Kredites in der Höhe von 25.000 S, rückzahlbar in 24 Monatsraten von 1135 S. Der Beklagte machte dabei nicht den Eindruck eines geistig beschränkten Menschen. Er verschwieg bewußt die Tatsache seiner beschränkten Entmündigung und der Bestellung eines Kurators. Er wußte auch, daß er sich mit diesem Beistand bei Kreditaufnahme und Tätigung größerer Einkäufe in Verbindung zu setzen habe. Im Hinblick auf die Abgabe einer Wechselbürgschaft durch seine Gattin, die von ihm selbst vorgelegte Verdienstbeschäftigung über ein monatliches Nettoeinkommen von 4500 S und die Bestätigung über den Abschluß einer Lebensversicherung über 100.000 S wurde dem Beklagten das angesuchte Darlehen gewährt und ihm am 19. Juli 1971 ein Betrag von 24.675 S auch zugewiesen. Bei Gewährung von Personalkrediten von 25.000 S war es bei den Kreditinstituten im Jahre 1971 durchaus üblich, vom Kreditnehmer nur die Vorlage eines Gehaltsstreifens oder einer Gehaltsbestätigung zu verlangen. Der Beklagte hat einige kleinere Darlehensrückzahlungen geleistet. Er hat noch anderweitige Kreditschulden in der Höhe von insgesamt 52.000 S. Das Darlehensgeschäft mit der Klägerin wurde vom Beistand des weiterhin beschränkt entmundigten Beklagten nicht genehmigt.
Das Erstgericht erachtete den Tatbestand des § 866 ABGB hergestellt, weil der Beklagte durch die bewußte Verschweigung seiner Entmündigung listig gehandelt habe. Der Klägerin sei eine Überprüfung dieser verschwiegenen Tatsache nicht leicht möglich gewesen. Zu ersetzen sei das Vertragsinteresse, also der Schaden, den die klagende Partei durch das Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrages erlitten habe.
Das Berufungsgericht billigte die erstgerichtliche Beurteilung, daß das mit dem beschränkt entmundigten Beklagten ohne Mitwirkung des Beistandes abgeschlossene Darlehensgeschäft mangels Verpflichtungsfähigkeit keine Gültigkeit erlangt und daß der Beklagte die Hingabe der Darlehenssumme nur dadurch erreicht habe, daß er arglistig verschwieg, daß er Verträge zu schließen nicht fähig sel. Zufolge seiner Kenntnis der Konsequenzen der Entmündigung habe für den Beklagten nach Treu und Glauben die Verpflichtung bestanden, die Klägerin auch darauf hinzuweisen, zumal für diese objektive Verdachtsmomente einer beschränkten Verpflichtungsfähigkeit des Beklagten nicht bestanden hätte.
Der sohin grundsätzlich gegebene Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten nach § 866 ABGB verpflichte diesen zum Ersatz des Vertrauensschadens, also des negativen Vertragsinteresses einschließlich eines allfällig entgangenen Gewinnes. Der Geschädigte sei so zu stellen, wie er ohne Vertragsabschluß gestellt wäre. Es fehle aber hinsichtlich der Höhe des geltend gemachten Ersatzanspruches an ausreichenden Feststellungen. Die Gattin hafte im Hinblick auf die ihr bekannte Verpflichtungsunfähigkeit des Beklagten gemäß § 1352 ABGB nicht bloß als Bürge und Zahler, sondern gleich einem ungeteilten Mitschuldner (§ 896 ABGB) für die Erfüllung des Darlehensvertrages. Erst wenn feststehe, daß die mitverpflichtete Gattin außerstande sei, den Vertrag zu erfüllen, könne davon ausgegangen werden, daß die Klägerin aus ihrem getäuschten Vertrauen in die Gültigkeit des Vertrages mit dem Beklagten einen Schaden erlitten habe. Ergänzenden Sachvorbringens und ergänzender Erörterung bedürfe auch die Frage, ob und wie weit das auf Zahlung der Vertragszinsen gestütze Teilbegehren allenfalls aus dem Gesichtspunkt des entgangenen Gewinnes aufrechterhalten werden könne. In diesem Zusammenhang seien auch die bereits geleisteten Teilrückzahlungen zu untersuchen, die offenbar als Annuitäten auch einen anteiligen Vertragszinsendienst enthielten.
Infolge Rekurses beider Parteien hob der Oberste Gerichtshof den Aufhebungsbeschluß der zweiten Instanz auf und trug dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung des Beklagten auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Aus Zweckmäßigkeitsgrunden ist zunächst auf den Rekurs des Beklagten einzugehen, der sich auch auf den Grund des Anspruches bezieht. Gemäß § 866 ABGB ist zur Genugtuung verpflichtet, wer listigerweise vorgibt, daß er Verträge zu schließen fähig sei, und dadurch einen anderen, der darüber nicht leicht Erkündigungen einholen konnte, hintergeht. Der Rekurswerber vertritt nun die Auffassung, das Gesetz fordere mehr als ein bloßes Verschweigen, d. h. Übergehen der beschränkten Entmündigung, damit diese Haftung eintrete. Es trifft wohl zu, daß von Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 92 die Meinung vertreten wird, keinesfalls werde durch das bloße, wenn auch arglistige Verschweigen der Handlungsunfähigkeit oder durch die schon im Auftreten als Kontrahent liegende Behauptung der Handlungsfähigkeit die Haftung im Sinne dieser Gesetzesstelle begrundet. Dem kann aber nicht gefolgt werden: Wenn das Auftreten und Verhalten einer bewußt ihre tatsächlich gegebene Beschränkung der Handlungsfähigkeit verschweigenden Person geeignet ist, dem Kontrahenten den persönlichen Eindruck zu vermitteln, daß das angestrebte Rechtsgeschäft mit einem Handlungsfähigen eingegangen werden kann, so ist ein haftungsbegrundender Sachverhalt im Sinne des § 866 ABGB anzunehmen. Dies hat im vorliegenden Fall umso mehr zu gelten, als auch noch Urkunden vorgelegt wurden (Lohnbestätigung, Versicherungspolizze), wie sie im allgemeinen unbeschränkt handlungsfähigen Personen zur Verfügung stehen. Der OGH hat in diesem Sinne schon in früheren Entscheidungen auf das Aussehen und das Auftreten des in seiner Handlungsfähigkeit Beschränkten besonderes Gewicht gelegt (vgl. GlU 13.487, 14.171), soweit nicht schon im bloßen Verschweigen der Handlungsbeschränkung und ihrer Folgeerscheinungen die positive Handlung des listigen Vorgebens erblickt wurde (vgl. GlU 4466; GlUNF 1627; vgl. auch Ehrenzweig[2] II/1, 667). In diesem Falle des Interessenskonfliktes zwischen dem Schutze des Handlungsbeschränkten und dem Schutze seiner Vertragspartner ist dem letzteren der Vorrang zu geben. Der Vertrag ist wegen der unvollkommenen Handlungsfähigkeit eines Vertragsteiles ungültig. Durch die im § 866 ABGB verfügte Erhöhung des Verschuldensgrades ist bewirkt, daß der bei den Normen über die unvollkommene Handlungsfähigkeit liegende Schutz nicht entscheidend entkräftet werde. Wenn der Rekurswerber darauf hinweist, daß er sich nicht arglistig verhalten habe, so geht er nicht von den Feststellungen der Untergerichte aus. Demnach hat er auch gewußt, daß er sich mit dem Beistand in Verbindung setzen müsse, wenn er Schulden mache oder sonst Kredite aufnehme. Dies habe er nicht getan, weil dieser den Kredit (d. h. die Kreditaufnahme) nicht bewilligt hätte.
Entgegen der Meinung des Rekurswerbers ist die weitere Voraussetzung des § 866 ABGB, daß der Gegner des beschränkt handlungsfähigen Teiles nicht leicht Erkündigungen über diesen einziehen konnte, schon dann erfüllt, wenn er keinen Anlaß zu Zweifeln an der Handlungsfähigkeit hatte (vgl. Gschnitzer in Klang[2], 92, 93; GlUNF 1627).
Soweit der Rekurswerber dem Berufungsgericht schließlich noch vorwirft, es hätte nicht in jeder Beziehung den Feststellungen des Erstgerichtes folgen, sondern nach Beweiswiederholung feststellen müssen, daß nach der Absicht der Streitteile ein Darlehensvertrag nur in bezug auf das Lohneinkommen und die Lebensversicherungspolizze des Beklagten und nicht auch im Hinblick auf sein Liegenschaftsvermögen geschlossen wurde, muß dies schon deshalb ins Leere gehen, weil vom Erstgericht ausdrücklich festgestellt wurde, daß der Beklagte bei Stellung des Kreditansuchens gar nicht angegeben hat, daß er Eigentümer einer Liegenschaft sei, und diese daher bei der Kreditgewährung keine Rolle spielen konnte. Soweit dieses Vorbringen aber auf die Beweisrüge der Berufung Bezug nimmt und sich gegen das festgestellte bewußte Verschweigen der Entmündigung richten soll, ist darin eine unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung hinsichtlich des von den Untergerichten festgestellten Sachverhaltes zu erblicken.
Die Klägerin vertritt in ihrem Rekurs die Auffassung, es sei Spruchreife im Sinne der Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteiles gegeben, weil ihr ohne Rücksicht auf die Einbringlichkeit der Darlehensschuld bei der Gattin des Beklagten voller Schadenersatz in Höhe des Klagebetrages einschließlich der Zinsen gebühre.
Wie die Untergerichte zutreffend dargelegt haben, verpflichtet die Bestimmung des § 866 ABGB zum Ersatz des Vertrauensschadens. Der Schädiger hat den vergebens auf die Gültigkeit einer abgegebenen Erklärung oder auf das Zustandekommen eines Vertrages Vertrauenden so zu stellen, wie er stunde, wenn er mit der Gültigkeit der Verpflichtung nicht gerechnet hätte. Es fällt darunter auch der Nachteil, der dadurch entstanden ist, daß es der Geschädigte im Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrages unterlassen hat, einen anderen Vertrag abzuschließen, vor allem der Entgang des Gewinnes aus dem versäumten Geschäft (Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechtes[3] I, 292). Bei Darlehensgeschäften der vorliegenden Art besteht der Gewinn des Kreditinstituts im allgemeinen in der vertraglich bedungenen Verzinsung des Darlehensbetrages. Der der klagenden Partei als Kaufmann im Sinne des § 1 Abs. 2 Z. 4 HGB zu ersetzende Schaden umfaßt gemäß Art. 8 Nr. 2 EVHGB, auch den entgangenen Gewinn.
Die klagende Partei hat in ihrem Klagebegehren zunächst auch vom Beklagten Hubert R den Ersatz des Nichterfüllungsschadens begehrt, nämlich den trotz Eintrittes von Terminverlust und Fälligkeit unberichtigt aushaftenden Kapitalsbetrag samt vertragsmäßiger Verzinsung. Nach der Klagsänderung auf den Rechtsgrund des § 866 ABGB wurde nicht besonders ausgeführt, worin der geltend gemachte Vertrauensschaden (negatives Vertragsinteresse) bestehen soll. Es kann hier aber davon ausgegangen werden, daß die Gewährung eines Personalkredites von 25.000 S unter den üblichen Bedingungen erfolgt ist und eine anderweitige Kreditvergabe seitens der klagenden Partei keinen Schwierigkeiten begegnet wäre. Es fehlen diesbezüglich seitens der beklagten Partei auch entgegenstehende Prozeßbehauptungen. Es kann daher in diesem besonderen Falle der Nichterfüllungsschaden dem Vertrauensschaden ausmaßmäßig gleichgesetzt werden.
Was nun die vom Berufungsgericht geforderte Überprüfung von Leistungen der Gattin des Beklagten anlangt, so trifft es wohl zu, daß zufolge der Bestimmung des § 1352 ABGB mangels einer gültigen Verpflichtung des Beklagten als des ursprünglichen Vertragspartners ein anderer Schuldner in der Person seiner Frau an dessen Stelle getreten ist, weil diese nicht bloß als Bürge und Zahler, sondern gleich einem ungeteilten Mitschuldner für die Erfüllung des Darlehenvertrages zu haften hat. Nun hat aber die klagende Partei bereits in der Klage vorgebracht, daß der Beklagte und seine Gattin nicht die vereinbarten Darlehensrückzahlungsraten erbracht hätten. Seitens des Beklagten wurde im erstinstanzlichen Verfahren, insbesondere auch nach Fällung des Versäumungsurteiles gegen seine Gattin (26. Juni 1973), nicht behauptet, daß weitere Zahlungen auf die Darlehensschuld geleistet worden wären. Im Hinblick darauf, daß auch keine diesbezüglichen Anhaltspunkte vorlagen, bestand für das Erstgericht keine Veranlassung, zufolge seiner materiellen Prozeßleitungspflicht im Sinne des § 182 ZPO auf derartige Prozeßbehauptungen hinzuwirken. Es erübrigte sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes aber auch eine Überprüfung in der Richtung, ob die Darlehensschuld bei der Gattin des Beklagten einbringlich ist. Diese haftet gemäß § 1352 ABGB nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles als Mitschuldner zur ungeteilten Hand für die Verpflichtungen aus der Darlehensgewährung. Eine Subsidiarität des gegen den Beklagten geltend gemachten Schadenersatzanspruches im Sinne des § 866 ABGB ist demgegenüber nicht gegeben. Diese ist auch nicht aus dem Begriff des Vertrauensschadens abzuleiten, weil davon ausgegangen werden muß, daß es die klagende Partei im Vertrauen auf die Gültigkeit ihrer Vereinbarung mit dem Beklagten unterlassen hat, den Personalkredit einem unbedenklichen Bankkunden zu gewähren. Sie kann daher nicht darauf verwiesen werden, bei der Geltendmachung ihres Anspruches gegen den Beklagten erst die Uneinbringlichkeit einer Forderung gegen die zunächst nur als Bürge und Zahlerin verpflichtete Gattin des Beklagten nachzuweisen.
Damit erweist sich die Rechtssache entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes als im Sinne der Bestätigung des erstgerichtlichen Urteiles spruchreif.
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